Ein bissl genervt von den vielen Anhänger:innen, die ihm bis zum Schlafzimmerfenster folgen, ruft der Messias in dem filmischen Monty-Python-Komödien-Klassiker „Das Leben des Brian“ diesen zu: „Ihr braucht mir nicht zu folgen. Ihr braucht niemandem zu folgen. Ihr seid alle Individuen…“ Da ruft einer aus der Masse: „Nein, ich nicht!“
Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen; zu sich selbst zu stehen; Menschen nicht abzulehnen, nur weil sie jeweils vorgegebenen Normen nicht entsprechen; Akzeptanz von Vielfältigkeit, von Unterschieden, von (scheinbar) Fremdem… – das sind seit „ewig“ Themen in vielen Kinder- und Jugendbüchern. Für sehr junge Kinder sei nur kurz an die Mira-Lobe-Klassiker „Die Geggis“ oder „Das kleine Ich-bin-ich“ erinnert.
In Jugendbücher-, -stücken- und filmen spielen diese Themen mindestens so oft eine wichtige Rolle. Außerdem heißt es doch rundum, nicht zuletzt „die Wirtschaft“, ja die Gesellschaft brauche Leute, die kreativ sind, neue Lösungen zumindest suchen, „out oft he box“ denken.
Ein Autor, der etliche Bücher darum kreisen lässt, ist Andreas Steinhöfel (u.a. die Buchserie rund um „Rico, Oskar und…“). Sein Buch „Anders“ (vor rund zehn Jahren zum ersten Mal erschienen), das schon den entsprechenden programmatischen Titel trägt, wurde jüngst in einer – für das Mainzer Staatstheater dramatisierten Fassung (Anne Bader, Katrin Maiwald) – im Wiener Theater Akzent (Auf den Punkt. Kulturverein, Regie: Florian Wischenbart) zwei Mal aufgeführt – hoffentlich folgen noch weitere Vorstellungen, wo auch immer.
Anders hieß anfangs Felix Winter. An seinem 11. Geburtstag erleidet er knapp hintereinander zwei heftige Unfälle, landet im Koma – 263 Tage (genauso lange war seine Mutter mit ihm schwanger gewesen. Als er wieder aufwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern. Dafür hat er eine neue Fähigkeit: Er kann bei Menschen Erkrankungen erkennen, von denen diese (noch) nichts wissen. Und er wurde ziemlich distanzlos und schleudert seinem jeweiligen Gegenüber die eigene Meinung voll ins Gesicht. Und weil er nun anders ist – obwohl er es gar nicht vergleichen kann – nennt er sich ab einem gewissen Zeitpunkt Anders. Was nicht alle akzeptieren, beispielsweise tut sich die Mutter mehr als schwer damit.
Ein Mitschüler und dessen besten Freund mit denen damals noch Felix oft gemeinsam unterwegs war, freut sich, dass der nunmehrige Anders durch seine Amnesie von einem dunklen Geheimnis des Trios nichts mehr verraten kann.
Alles weder aus dem Buch noch aus dem Stück sei hier natürlich nicht verraten. So viel aber schon, dass Anders offenbar selbstbewusster, stärker und offener geworden ist als es Felix war. Nicht nur, weil damit so manche Menschen in seinem Umfeld nicht klar kommen, sondern weil auch er zeitweise überfordert ist, sieht er eines Tages kaum noch einen Ausweg… Gespoilert werden darf wohl doch, dass es sozusagen ein Happy End gibt.
Das Buch von Steinhöfel ist natürlich mit seinen rund 230 Seiten vielschichtiger, weist Nebenstränge und -Figuren auf, die in der Bühnenversion gar nicht vorkommen. Zeichnet sich durch viele scheinbar abschweifende, aber tiefgründige Gedanken Jugendlicher übers Heranwachsen sowie die Beziehung zu Eltern, Lehrer:innen, Mitschüler:innen, zu Ehrlichkeit und Verletzlichkeit und vieles mehr aus. Auf einer Ebene und in einer Sprache, wie sie viele Jugendliche sich fast tagtäglich stellen.
Trotz dieser Vielschichtig- und -seitigkeit bringt die Bühnenversion in dieser Inszenierung die wesentlichen Stränge und Gedanken mit in das eineinhalbstündige Stück. In der Wiener Fassung spielt lediglich Damyan Andreev, der Anders / Felix großartig glaubaft verkörpert „nur“ eine Rolle. Seine Kolleg:innen Maximilian Modl, Lisa-Carolin Nemec, Adrià Just-Font und Birgit Linauer switchen von Vater zu Freund, Ärztin zu Lehrerin und obendrein Marionettenspielerin für ein schräges Huhn, gefährlicher Freund zu ehemaligem Nachhilfelehrer, Mutter zu neugieriger Nachbarin – und alle vier jeweils Erzähler:innen.
Neben szenischem Spiel, rückt immer wieder die eine oder andere Figur in den Fokus, per Kamera und Projektion in Nah-Aufnahme wird deren Sichtweise auf die Ereignisse ins Zentrum gerückt (Bühne & Videodesign: Vanessa Eder Messutat). Manches Mal führt das Runter- und Rauffahren der Projektionswände allerdings fast zu Unterbrechungen des Geschehens.
Fraglich ist, ob es in einer der wohl ernstesten Szenen wirklich notwendig war, dass sich der Hauptdarsteller neben seiner seelischen Entblößung auch körperlich bis auf die Unterhose entblättert. Erwartbar führte dieses bei den jugendlichen Zuschauer:innen zu Gelächter, was die Stimmung gerade dieser heiklen Momente doch recht störte
Mit Laurin Orlando Franek und Noah Fida baut diese Inszenierung noch zwei junge Musiker ein, die immer wieder zwischendurch auftreten und zum Teil selbst geschriebene Songs zu eigener Gitarrenbegleitung singen – die eine Meta-Ebene zur Handlung einziehen, teils kommentierend, teils hintergründig, teils erweiternde Gedanken.
Und auch wenn seit einigen Jahr(zehnt)en betont wird, wie wichtig, eigene Wege, Eigenständigkeit, Vielfalt, Kreativität sind, herrscht doch immer wieder Druck auf Uniformität, die häufig mit Gemeinschaft „verwechselt“ wird. Fremde und Fremdes wird wieder mehr zu Feindlichem, Abweichungen in der schulischen Praxis oft eher bestraft als gefördert…
Rico und Oskar, das genial sich gegenseitig ergänzende Duo junger Detektive, sind derzeit in zwei österreichischen Theatern in Bühnenfassungen zu erleben: Die dramatisierte Fassung von Band 1 – „und die Tieferschatten“ im Theater der Jugend in Wien – und jene von Band 3 – „und der Diebstahlstein“ in den Linzer Kammerspielen. Links zu beiden Stückbesprechungen am Ende dieses Beitrages.
Bei beiden zahlt sich’s übrigens aus, auch die Bücher von Andreas Steinhöfel zusätzlich zu lesen. Wie immer bei Theaterstücken oder Filmen steckt natürlich in den Büchern noch viel mehr drinnen – mehr Details, mehr Hintergründe. Und auch viel Sprachwitz, der sogar noch über die Bühnenfassungen hinausgeht. Die völlig unverkrampfte, zwanglose Hausgemeinschaft diverser Menschen in ihrer Vielfalt an Lebensformen in der Berliner Dieffenbachstraße kann natürlich in den Büchern viel ausgebreiteter und umfassender beschrieben werden als es in 1 ½ oder auch 2 Stunden im Theater möglich ist.
Die ersten vier Bände gibt es übrigens als vier Taschenbücher in einem gemeinsamen Schuber.
Band 2 – „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ – in dem der Tief- und der Hochbegabte entdecken, dass Ricos Mama Tanja erpresst wird und sie natürlich die Bösewichter zur Strecke bringen, liefert auf den letzten Seiten eine Überraschung in Sachen Ricos Vater.
Und Band 4 – „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ – enthält zur Abwechslung gar keine Detektivgeschichte, sondern ein ganz anderes Durcheinander, ein Geheimnis, das Oskar selbst vor seinem Freund Rico hat und anfangs fast wie ein Krimi wirkt, aber dann eine wunderbar gefühlvolle Seite Oskars zeigt. Und ein Chaos rund um zwei neue, ganz, ganz jungen Bewohner:innen der Dieffe 93, des Hauses in der Berliner Dieffenbachstraße.
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