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Großgruppenfoto aller anwesenden Preisträger:innen, Juror:innen, Preisübergeber:innen, Team der edition exil

Literarische Reisen in nahe und für viele doch neue Welten

„Die Beerdigung darf nur am Dienstag, Donnerstag, Samstag oder Sonntag stattfinden. Die Leiche muss sichtbar sein. Der Sarg soll in der Mitte des größten Raumes des Hauses stehen… Alle Spiegel im Haus müssen mit einem weißen Tuch bedeckt werden. Der Tod soll sich nicht spiegeln, sonst besucht er das Haus bald wieder… In Georgien kommen die Menschen ins Haus der Verstorbenen, um den Angehörigen ihr Beileid auszudrücken, doch vor allem beobachten sie, wie die Familie lebt, wer weint und wie geweint wird…“

Eingebettet in die ausführliche Schilderung, welche Bräuche sich rund um den Tod und Neujahr, in ihrer ersten Heimat abspielen, weil sie in ihrem Text beides zeitlich zusammenfallen lässt, gibt Lali Gamrekelashvili aber auch Einblicke in die georgische Sprache. Sie flicht nicht nur zwanglos einige Wörter – samt der Schrift – ein, sondern baut auch Erklärungen über die Struktur der Sprache ein und vergleicht sie mit Deutsch, der Sprache, in der sie schreibt. Die wenigen Vokale im Georgischen – nur fünf, aber keine Umlaute und Diphtonge (also so etwas wie ei, eu, au…) „sind besonders dehnbar“. Und es gibt keine vielfach zusammengesetzten Wörter. „In der deutschen Sprache gibt es reichlich davon, das längste Wort, laut Duden, mit dem ich meine Zunge brach, habe ich auswendig gelernt: Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung.“

Mit „Ein anderes Neujahr“ hat sie den diesjährigen Hauptpreis der edition exil gewonnen. „Der Autorin gelingt es, dieses intime und stimmungsvolle Bild ganz unaufdringlich mit einer Reflexion über ihre doppelte Identität zu verbinden, … subtil thematisiert sie dadurch Zweisprachigkeit, Fremdheit und Vertrautheit und nimmt vielleicht nicht nur von ihrem Vater Abschied, sondern auch von ihrer Herkunft“, begründete die Jury – Jessica Beer, (Residenz Verlag), Paula Pfoser (ORF) und der Autor Thomas Perle – die Vergabe des ersten Platzes – dotiert mit 3000 € an Gamrekelashvili.

Dinosaurier-Biss

Platz zwei – 2000 € – vergab die Jury an Nastasja Penzar. Auch sie nimmt die Leser:innen in ihrem Text – „der erste Sommer“ – mit auf eine berührende Reise mit in ihre erste Heimat, viel eher eigentlich die ihrer Eltern. Denn sie selbst wurde da vom Vater aus dem Kindergarten im deutschen Frankfurt abgeholt – mit der Ankündigung einer großen, geheimnisvollen Überraschung. Die sich dann für sie – und noch mehr für ihre schon älteren Schwestern als naja… – schon der erste Absatz dieser Reise zu den Großeltern in Kroatien umreißt das Gegenteil:

„Der erste Sommer, den wir hier unten verbrachten, war der erste, in dem der Krieg gerade einmal so lange pausierte, dass die Eltern sich eine Ferienlänge ohne Bombardement erhofften. „Ein bisschen verrückt war das schon“, würde meine sonst sicherheitsbewusste Mutter später sagen und dabei den Finger über der Schläfe drehen. Es war der Sommer der Sandsäcke.“

Für die Kinder eine Ankunft in einer eher fremden, verstörenden Atmosphäre – und doch eingebaut mit kindlicher, fantasievoller Perspektive: „Schau dir das an, komm.“ Er schob mich den Gartenweg entlang, bis zur Seite des Hauses und zeigte nach oben. Über all den Sommersprossen klaffte eine Bisswunde, so sah es aus. Die oberste Ecke des Hauses war weg.
„Abgebissen“, nickte ich, „wahrscheinlich ein Dino-saurier.“ Ich sah meinen Vater ernst an.
„Ja, denkst du?“ Er lächelte, hob seine Augenbrauen, „Vielleicht.“ Dann klopfte er mir leicht auf den Kopf und ging zu seinen Eltern zurück.
Später gaben die Erwachsenen dem Dino den Namen Granata.“

Die Welt einer Immer-schon-Lehrerin

Seit vielen Jahren vergibt die edition auch einen Preis für Autor:innen mit deutscher Erstsprache. Der Untertitel „Schreiben zwischen den Kulturen“ will gerade mit diesem Zeichen die Literatur, die die Preise und der Verlag fördern, zusätzlich aus der „Migrations“-Ecke holen. Die Bereicherung von Texten durch unterschiedliche Sichtweisen, auch Sprachkulturen, steht im Zentrum. Und – wie schon in anderen Beiträgen zu diesem Preis mehrfach erwähnt, sind aus dieser Initiative schon lange auch große Namen der österreichischen Literatur erwachsen, Stichwort Julya Rabinowich, Dimitré Dinev; der zuletzt Genannte hat erst in diesem Jahr den Österreichischen Buchpreis mit „Zeit der Mutigen“ gewonnen.

So, zurück zu Deutsch als Erstsprache. Diesen Preis bekam 2025 Felicia Schätzer für ihren Text mit dem Titel „Was, wenn ich am Ende genauso bin, wie ich immer schon war?“

„Seit wir in der Sandkiste waren, haben alle zu mir gesagt, ich würde mal Lehrerin werden“, lautet ihr erster Satz. Lebhaft und gut vorstellbar schildert sie ihr Agieren als ganz junges Kind, aber auch später als Schülerin und die Verwirklichung der schon frühen Beobachtungen der meisten Außenstehenden. Sie wurde Lehrerin. Dabei nimmt sie die Leser:innen aber in eine dann doch recht fremde Welt mit – ihre Verzweiflung als Werklehrerin in einer Volksschule, ihre Überforderung… aus der eher der Hang zum Aufgeben deutlich aus dem Text springt.

Was wird, wenn…

Bis sie ihre eigene Reflexion schildert und einen berührenden Moment: „Während mich Nala am letzten Schultag also weinend umarmt und mir die lila Blume in die Hand drückt, die sie extra für mich ausgesucht hat, denke ich mir, was nur aus den Kindern wird, die von allen anderen Lehrerinnen liegen gelassen werden, weil sie einfach keinen Bock auf Schreiben haben, und zu denen immer jeder sagt: Du kannst das nicht und du kannst das nicht, du machst das falsch und das und das, zu denen nie wer sagt: Du wirst bestimmt mal Lehrerin. Jetzt, in genau diesem Moment, werden diese Kinder wie Nala also genau von diesen Lehrerinnen wie mir links liegen gelassen. Weil sich diese Lehrerinnen lieber mit sich selbst beschäftigen. Weil unterrichten zu anstrengend ist. Weil sie die eigenen Energien aufsparen, um noch andere Jobs auszuprobieren, angespornt von der brennenden Frage, wer zum Teufel man eigentlich ist oder noch aller sein könnte. Eine Frage zufällig vererbter Privilegien. Das alles ist irgendwie so unfair, dass ich gleich wieder anfange zu schlucken, obwohl es ja ich bin, die es in der Hand hätte. Was wird aus den Kindern, die niemand dabei begleiten kann, herauszufinden, dass es Dinge gibt, die sie gut können, und nicht nur Dinge, die sie schlecht können.“

Weitere (Sprach-)Kulturen: Musik

Die Preisverleihungen, die nun seit einigen Jahren im Literaturhaus stattfinden, wo mehr Zeit und Raum ist als in früheren Jahren Samstagabend bei der Buch Wien mit höchstens einer Stunde im Rundum-Trubel werden jeweils auch musikalisch begleitet, seit Jahren von dem Duo Miloš Todorovski (Akkordeon) und Andrej Prozorov (Tenorsaxofon), ein Duo, das mit seinen Beiträgen in unterschiedlichen Stimmungen noch einmal weitere Sprachen und Kulturen in die Veranstaltung einbringt.

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Beiträge aus früheren Jahren

Acht der elf Teilnehmer:innen des Jugend-Gruppenprojekts vom Jugendcollege mit ihrer Lehrerin sowie der Vertreterin des u.a. Kulturministeriums

Selber schon 100 Seiten auf arabisch geschrieben

„Es war unmöglich, einen Fuß auf den Boden zu setzen, ohne auf zerknüllte Plastikverpackungen oder benutzte Zahnbürsten zu treten. Den Boden selbst konnte man gar nicht sehen. Und auch die kleinen Hütten, in denen sie alle lebten, bestanden aus Abfall. …
Die Ältesten unter ihnen – jene, die noch ein anderes Zeitalter miterlebt hatten – behaupteten, dass die Welt einst eine andere gewesen sei. Damals habe es verschiedene Jahreszeiten gegeben statt eines Lebens in einem endlosen Glutofen… es sollte etwas, das man Schnee nannte, gegeben haben – winzige Eiskristalle, jeder einzigartig geformt, die vom Himmel fielen wie ein stilles Wunder.“

Diese Sätze stammen aus einer dystopischen Schilderung namens „Kinder der Zukunft“. Mit dieser hat Selina Le einen der – aufgrund der vielen Einsendungen heuer geteilten – Jugendpreise der von der editon exil vergebenen Literaturpreise gewonnen.

„Die Menschen hier waren nicht krank, sie waren längst tot. Auch wenn ihre Herzen vielleicht noch nicht aufgehört hatten zu schlagen – ihr Geist war schon lange erloschen…“, heißt es an anderer Stelle des ausgezeichneten Textes, der zum 29. Mal vergebenen Preise mit dem Motto „Schreiben zwischen den Kulturen“; diese Autorin war krankheitshalber bei der Preisverleihung verhindert.

Preisträgerin Paula Dorten - mit der Vertreterin des u.a. auch für Kultur zuständigen Bundesministeriums sowie Moderatorin und Jurorin Jessica Beer
Preisträgerin Paula Dorten – mit der Vertreterin des u.a. auch für Kultur zuständigen Bundesministeriums sowie Moderatorin und Jurorin Jessica Beer

Zweifell

„Die Eltern erzählten mir später / Als Baby im Kreischsaal / Das Krankenhauspersonal unterbesetzt / Blieb ich unbewacht/ Mit langen Beinen und großem Mund / Zog sich die Sprache über den Fensterrand / Und biss sich fest in meinem Babynackenspeck“, spielt die zweite Jugend-Preisträgerin Paula Dorten nicht nur mit Sprachbildern, sondern auch mit humorvoll veränderten Wörtern.

Wobei sie gesteht, sich den ebenso ausgedachten Titel „Zweifell“ von einer anderen Autorin, Frieda Paris, aus einer Literaturwerkstatt ausgeborgt zu haben.

„Das Zweifell“ ist eine unterhaltsame Achterbahnfahrt durch den Schreibprozess, die Gleise mit dem zweifelnden Schreibkörper verwoben. Eine Vivisektion. Eines vorab: Esge ht gut aus. Paula Dorten gelingt es, in ihrer operativen Funktion als Autorin, die eigene Schreibwut fruchtbar zu machen – ohne Zweifel auch im real life, wie die Prämierung des Textes beweist“, würdigten die Juror:innen Grzegorz Kielawski und Christa Stippinger, die Initiatorin und Motorin der edition exil diesen Text.

Jugend-College

Neben Einzelpreise für junge Autor:innen vergibt die edition exil Jahr für Jahr auch einen Preis für schulische Projektgruppen oder Klassen. In diesem Jahr vergab ihn die Jury an Schüler*innen des Jugendcollege – Wien #advanced OST: Projekt „Fremd in Österreich“, betreut von Ganna Gnedkova-Huemer.

Zunächst einige Zitate aus den Texten von Bita, Hussein, Huzaifa, Mouhanad, Ozlo, Saleh, Samira, Shalali, Yahya und zwei Teilnehmer:innen, die aus Sorge um ihre politische und sonstige Sicherheit die Pseudonyme Abenteuer und Auswanderung verwendeten, wobei auch die beiden Namen Ozlo und Shalali aus den selben Gründen nicht die echten sind.

„Mein größter Wunsch ist, glücklich zu sein, eine Familie zu gründen und in Frieden zu leben. Diese Geschichte ist nicht nur eine von Flucht… sondern von Hoffnung, Geduld und Würde. Ich bin stolz auf mich, stolz darauf, dass ich nie aufgegeben habe. Und an jedem Tag, an dem ich in Österreich aufwache, sage ich mir: „Du bist nicht ohne Grund hier… du verdienst es zu leben… Es fehlt oft dieses besondere Gefühl und die vertrauten Aromen, die mich an meine Kindheit und an meine Familie erinnern. Manchmal vermisse ich einfach diese kleinen Details, die das Essen so besonders gemacht haben…“, heißt es unter anderem in den Texten von Mouhanad.

Und Bita formuliert: „Wenn ich an die Gerüche und Klänge meines Heimatdorfes denke, spüre ich eine Welle von Sehnsucht und das stille Verlangen, genau dorthin zurückzukehren.“
Ozlo: „Ich vermisse es, die Freizeit draußen auf der Straße zu verbringen. Wir blieben zu Hause jeden Tag bis vier Uhr morgens wach.“

Samira und Shalali vermissen vor allem Kamel-Milch aus ihrer ersten Heimat Somalia. „Diese Milch hat sehr viele Vitamine und ist sehr sättigend. Sie schmeckt überhaupt nicht so wie Ziegen- oder Kuhmilch. Bei uns in Somalia konnte man sie überall kaufen. Was ich nicht vermisse, sind Krokodile…“ (Shalali)

Saleh vermisst vor allem „Jasmin und die Pflanzen neben unserem Hus und frische Säfte, die man aus ihnen machen kann…“

Fremd in Österreich

„Als Titel für das eingereichte Projekt haben die Teilnehmer „Fremd in Österreich“ gewählt. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich nicht so fremd fühlen, und als Lehrerin tue ich alles, damit sie sich nicht fremd fühlen, aber das ist der Titel, den sie gewählt haben“, meint im erklärenden Text dazu Ganna Gnedkova-Huemer, selbst Wienerin aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw, die „statt Integration lieber Interaktion“ verwendet, „weil ich glaube, dass wir einen Dialog der Kulturen führen sollten und auch voneinander lernen könnten“.

Vorher schon viel geschrieben

Huzaifa, wie die meisten seiner Kolleg:innen aus Syrien, einige davon haben auf der Flucht einige Zeit in der Türkei verbracht, andere kamen aus Somalia, dem Iran und Jemen, erzählt nach der Preisverleihung Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…: „Ich hab schon bevor uns die Lehrerin nach Texten auf einige ihrer Fragen gebeten hat, rund 100 Seiten auf Arabisch über meinen Weg nach Österreich geschrieben. Das was daraus als Antworten auf ihre Fragen gepasst hat, hab ich dann auf Deutsch übersetzt, das heißt eigentlich nur ein bisschen davon, weil alles zu viel gewesen wäre, und ihr gegeben.“

Mouhanad ergänzt: „Ich hab vorher nichts darüber geschrieben, aber alles hier oben drin“ – und er deutet mit der linken Hand auf seine Stirn.
Jener junge Mann aus Somalia, der sich der Anonymisierung wegen Shalali nennt, erklärt: „Auf Englisch hatte ich mehr, das Wichtigste davon hab ich dann auf Deutsch übersetzt.“

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Beiträge aus früheren Jahren

Zwei der diesjährigen exil-Literatur-Preisträgerinnen: Ludmila Doležalová und Olja Alvir

„Diese fremde Sprache kitzelt und kratzt im Mund…“

„Ich habe mir eure Sprache geliehen,
diese fremde Sprache, die in meinem Mund kitzelt,
krabbelt, kratzt,
ich beiße auf Buchstaben, kaue sie, versuche sie zu
schlucken, aber meine Zunge wehrt sich,
unbekannte Silben, Umlaute, Präpositionen, Artikel
strömen auf mich ein – ich kann es nicht.
Und es geht mir besser.
Nach dieser Schwimmleistung geht es mir immer besser.
Jetzt kann ich sie euch also zurückgeben“

So steigt Ludmila Doležalová in ihren Text „Wir Ausländer“ ein. Dafür wurde ihr Freitagabend im Wiener Literaturhaus der dritte Preis in der 29. Ausgabe der exil-Literaturpreise verliehen; initiiert und vergeben von der edition Exil, die im – „dank“ der enormen Subventionskürzungen der Stadt Wien bedrohten Kulturzentrum Amerlinghaus in Wien-Neubau – wie Dutzenden andere Initiativen – ihren Sitz hat.

Die kleine, feine Edition fördert seit Jahrzehnten die Veröffentlichung von Texten in deutscher Sprache, geschrieben vor allem von Autor:innen, die mehrere Sprachen und Kulturen mit- und einbringen. So manche, die vor Jahr(zehnt)en hier ihre ersten Texte veröffentlichten, sind heute namhafte Teile des österreichischen Literaturbetriebes wie Julya Rabinowich, Dimitré Dinev, Didi Drobna oder Thomas Perle, der in den vergangenen Jahren vor allem für seine Theaterstücke bekannt ist. Er war auch Teil der Jury für die Preise 2025 – und las bei der Preisverleihung Auszüge aus allen ausgezeichneten Texten.

Grenzenlos

Übrigens die eingangs genannte Autorin bekam ihren Preis in der Kategorie Prosa – nach der lyrischen Einstimmung schildert sie in Abschnitten einerseits – und das humorvoll – Die Arbeit bei der Essenszubereitung in einer selbstverwalteten Kindergruppe mit vielfachen Hinweisen auf die so wichtigen Hygienevorschriften und andererseits von ihrem Wunsch einer ziel- und damit wohl auch irgendwie grenzenlosen, nie enden sollenden Zugreise mit Gedanken und Reflexionen über Ungerechtigkeiten auf der Welt.

Lyrik

In diesem Jahr wurde auch – wieder, nicht immer – ein eigener Lyrik-Preis vergeben. Dieser ging an Olja Alvir, die lange Zeit Prosa, darunter auch vielfach journalistische Texte – für biber und Der Standard – verfasst hatte. In mehreren – sprachspielerischen Gedichten verbindet sie mitunter höchstpersönliche Gefühle mit fast schwebend daherkommenden gesellschaftspolitischen Kommentaren auch und gerade in Sachen Migrationsdebatte. „irgendwo herzukommen / ist völlig passeé“ lauten etwa zwei Zeilen in „das Ich Ist eine falltür“.

In „literhin immeratur“ beginnt sie mit „zumindest kann man drüber gedichte schreiben! / zumindest lässt sich das in strophen gießen / zumindest kann ich das in verse wursteln“… um später die Zeile „wenigstens textdingseln“ zu erfinden und mit „immerhin“ zu spielen, es in „immer hin“ zu zerlegen.

„Den Alltag in die Lyrik zu bringen, alltägliche Ausdrücke in der Lyrik zu verwenden, das mochte ich schon immer. Ich verwende gern alltägliche Sprache, um die vermeintliche Abgehobenheit der Lyrik zu konterkarieren“, schreibt sie im an ihre Texte anschließenden Beitrag über sich und ihr literarisches Schreiben.

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Beiträge aus früheren Jahren

Bücher der jüngsten Jahre mit den Preistexten
Bücher der jüngsten Jahre mit den Preistexten
Großgruppenfoto von Preisträgerinnen, Juror:innen...

Gewinne – für die österreichische Literatur

Eine dreisprachige Familie steht im Zentrum des Textes der Siegerin, in anderen Texten kommen mehrere Sprachen vor, die Jugendlichen des prämierten Schulprojektes versetzten sich in Altersgenoss:innen in verschiedensten Teilen der Welt… Über die Texte der Schülerinnen samt kurzen Interviews mit jenen sechs der sieben die zur Preisverleihung gekommen waren, gibt es einen eigenen Beitrag, der schon früher erschienen ist – Link dazu am Ende dieses Beitrages: „Wenn ich bei der Geburtslotterie nicht gewonnen hätte…“

„Schreiben zwischen den Kulturen“ ist das Motto der heuer (2023) zum 27. Mal vergebenen Exil-Literaturpreise. Nach vielen Jahren auf der Buch Wien – wo der zeitliche Rahmen immer sehr begrenzt war – fand die Preisverleihung nun auch schon zum wiederholten Mal im Literaturhaus Wien statt. Heuer mit leider nur recht kurzen Auszügen aus den ausgezeichneten Texten.

Einige der Covers von Preis- und anderen Büchern der Edition Exil
Einige der Covers von Preis- und anderen Büchern der Edition Exil

Der Bewerb, die Preise und vor allem die Edition Exil, bei der nicht nur die gesammelten vollständigen Preistexte erscheinen – siehe Info-Box -, sondern immer wieder auch Einzelbände vormaliger Preisträger:innen, wirkt damit seit mehr als einem ¼-Jahrhundert befruchtend für die österreichische Literatur. „Heute so bekannte Autor*innen wie Julya Rabinowich und Thomas Perle, Susanne Gregor und Didi Drobna, Marko Dinić, Ljuba Arnautović, Dimitré Dinev und Samuel Mago und viele andere wurden durch die Exil-Literaturpreise entdeckt und zu Beginn ihrer Karrieren im Autor*innen-Coaching im Rahmen der Exil-Autor*innenwerkstatt und meist auch mit Erstpublikationen in der edition exil entscheidend gefördert“, schreibt und sagt Christa Stippinger, Herz, Seele und Motor des Bewerbs und der Edition.

Alle drei Sprachen wohnen in meinen Eltern

„Ich weiß, dass in jeder Sprache ein anderer Mensch steckt. Mein Vater ist sanft, wenn er Ukrainisch spricht“, heißt es an einer Stelle von „Platz für Enge“, dem Text, mit dem Anastasiya Savran den Exil-Literaturpreis 2023 – von 1999 Einreichungen) gewonnen hat. „Mutter hingegen ist geradlinig, gerecht und streng. Ihre russische Sprache und den Tonfall nehme ich an, wenn ich überzeugen will. Wenn wir diskutieren und jeder den eigenen Standpunkt durchzusetzen versucht.
Und Deutsch? Das ist die Sprache, die ich verwende, um zu erklären. Es ist die Sprache, um sich Neuem anzunähern. Wir reden deutsch, wenn etwas noch fremd für uns ist.
Ich weiß auch, dass alle drei Sprachen in meinen Eltern wohnen. Aber seit einem Jahr hat sich etwas verändert…“

Die Autorin ist als sehr junges Kind (eineinhalb Jahre) nach Österreich gekommen. „Als meine Familiensprache bezeichne ich Ukrainisch, weil es für mich eine starke Bedeutung hat, in Bezug auf Emotionen und den Wortschatz. … Mit meinen Brüdern oder Schwestern rede ich Deutsch, und obwohl wir die Sprache beherrschen, ist es anders, als wenn wir Ukrainisch sprechen“, wird sie im Preistexte-Band zitiert. „Für mich persönlich ist Heimat kein Ort, den man mit einer Pin-Nadel auf einer Karte festlegt, sondern ein Wert, und der kann in zwei, drei oder vier Ländern liegen.“

Savran, die am Gymnasium im Wiener Theresianum naturwissenschaftliche Fächer unterrichtete, ist nunmehr Lehrende und Forscherin an der Pädagogischen Hochschule Wien 10 – Schwerpunkt Naturwissenschaften, IT in Verbindung mit Kunst (STEAM – Science, Technology, Engineering, Arts, Mathematics) – womit sie noch ganz andere Sprachen in ihr Leben integriert – und obendrein vermittelt;)

Zwischen Sprachen switchen

„In meiner Sprache kann ich nicht schlafen, dormire, il sonno heißt aber der Schlaf. Insonne werde ich, als er mir ausweicht. Sogar manche Pflanzen nehmen nachts eine Schlafposition ein, lese ich, die Blätter nach unten. Blüten schließen sich meistens. Ob sie auch wirklich schlafen, weiß ich nicht“, schreibt Wania Laila Castronovo in „Insonne. Berichte aus einer anderen Landschaft“. Damit gewann sie den zweiten Preis. Immer wieder switcht sie zwischen Deutsch und Italienisch (manches Mal in Fußnoten im Buch übersetzt) und bringt das in zwei kurzen Sätzen auf den Punkt: „Am liebsten die Sprache vermischt. Am genauesten spreche ich gemischt.“

Hierarchie von Sprachen

„Das Ungleichgewicht der Grenzen“ betitelte Sára Köhnlein ihren Text, mit dem sie auf Platz drei des aktuellen Bewerbs kam. Und in dem sie unter anderem die „herrschende“ Hierarchie von Sprachen thematisiert. Aus dieser Passage sei hier zitiert:

„Doch es ist mehr als der Inhalt, es ist die Sprache selbst. Er ist der, der alle Sprachen sprechen darf; wenn er Deutsch redet, antworten die Menschen auf Deutsch, um die Sprache zu üben. Wenn er Tschechisch spricht, wird er für seine Kenntnisse gelobt. Wenn er Englisch spricht, sagt man, er beherrsche so viele Sprachen.
Auch in der Familie bemerkt Ludvika das subtile Ungleichgewicht, das in allen Aspekten des Lebens vorhanden ist. Wenn sie in Deutschland sind und Mutter auf Deutsch spricht, wird sie korrigiert, während Vater in Tschechien viel häufiger gelobt wird. … eine Sprache ist immer mächtiger als die andere, eine Sprache hat mehr Geld als die andere, … In Ludvika wohnen beide Sprachen und in ihrem Haus wohnen beide Elternteile.“
Auch in der Familie bemerkt Ludvika das subtile Ungleichgewicht, das in allen Aspekten des Lebens vorhanden ist. Wenn sie in Deutschland sind und Mutter auf Deutsch spricht, wird sie korrigiert, während Vater in Tschechien viel häufiger gelobt wird. … eine Sprache ist immer mächtiger als die andere, eine Sprache hat mehr Geld als die andere, … In Ludvika wohnen beide Sprachen und in ihrem Haus wohnen beide Elternteile.“

Lyrikpreis

In diesem Jahr wurde auch ein Lyrikpreis vergeben. Dieser ging an Lorena Pircher für ihren gedichteten Text „Neujahr“ über zerrissene Gefühle einer Familie im Exil. Daraus sei der  Abschnitt V (von sechs -in römischen Ziffern) zitiert: (alles in Kleinschreibung im Original) „geruch von schafwolle und essig duft der geborgenheit heu orecchiette geschälte tomaten wir inhalieren einen schluck wein und / die scalda ’nduja zischt leise das fleisch köchelt / spalmare ein wort das meinen gaumen füllt meine augen folgen der hand meiner schwester / sie liest matilde serao nach dem essen obwohl die worte ihr wie geröll im mund lasten einzeln gegen die zähne schlagen fremdkörper in ihr / wir kinder sprechen die madrelingua nur mehr selten rauchschwalben pendelnd zwischen dem was wir nicht loslassen wollen und dem was wir noch nicht erfassen können / niemals vergessen wollen was wir erinnern können niemals vergessen woher wir kommen.“

Deutsch als Erstsprache

Seit vielen Jahren vergeben die Exil-Literaturpreise auch einen für Autor:inen mit Deutsch als Erstsprache. Dieser ging 2023 an Lisa-Viktoria Niederberger für „Gittka“. Ihre Protagonistin lebt im Altersheim – und die Autorin verwebt ihr dortiges Dasein mit Erinnerungen an deren eigene Geschichte. Darin heißt es unter anderem:
„Gittka und ihre Eltern.. gehören zur Gruppe der Vertriebenen, sind Displaced Persons. Ein Drittel der Menschen in Linz nach dem Krieg waren KZ-Überlebende, Flüchtlinge, Vertriebene. Ich habe in der Schule nicht viel über diese Stadt in jener Zeit gelernt. Auch die Volksdeutschen, die Karpatendeutschen, waren lange Zeit nur eine Fußnote in meinem Wissen über Zeitgeschichte. Irgendwann ändert sich das, will ich diese Lücken füllen, mit Büchern, Dissertationen, Besuchen in Archiven. Meine Primärquellen sind tot.“

Jugendpreis

„Vom Vergessen. Vom Kritzeln.“ Nannte Estera Calin ihren poetisch, phasenweise fast mystischen-Mythischen Text. Mit dem gewann sie die Jugendkategorie bei den Exil-Literaturpreisen 2023. In diesem Jahr hatte sie in Linz maturiert, wohin sie erst wenige Jahre zuvor aus Chișinău (Hauptstadt der Republik Moldau) mit ihrer Familie gekommen war. Die ersten zwei Lebensjahre verbrachte sie in Gagausien, einem autonomen Gebiet in diesem kleinen Land.

Zitat aus dem ausgezeichneten Text: „Vielleicht waren ihre Worte im Innersten faul, bereits verrottet.
Vielleicht hatte sie nicht die richtige Sprache gesprochen.
Vielleicht war sie einfach nur wahnsinnig verliebt in Worte, die niemand verstand.
Folclor. Бабушкин суп. Criză economică. Клянусь, я пришла сюда не для того, чтобы есть ваши деньги. Ihre Worte, ihre Kinder. Ihre unschuldigen, süßen Kinder. Die sie sprechen würde. Die sie singen würde. Die sie fürchtete, durch den bloßen Akt des Vergessens getötet zu haben.
Die sie jetzt so verzweifelt wiederbeleben wollte, aber sie wollten nicht kommen.
Vielleicht haben sie sie vergessen.“

Jurorin und Moderatorin Jessica Beer
Jurorin und Moderatorin Jessica Beer

Jurorin und Moderatorin

„Nur eine Literatur, die Mehrsprachigkeit nicht nur zum Thema macht, sondern aus der Mehrsprachigkeit kommt und sie in vieler, oftmals erstaunlicher Weise selbst praktiziert, kann uns Leser*innen all das zeigen. Und darum, so denke ich, sollten vielleicht gerade Autor*innen, die mit großer Souveränität ihre einzige eigene Sprache handhaben, sich diesen mehrsprachigen Texten aussetzen…“, schreibt Jessica Beer, Mitglied der Jury und Moderatorin der Preisverleihung im Vorwort zum aktuellen „preistexte“-Band.

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Fotos von der Lesung und der Musik

Weitere Fotos von der Preisverleihung

Bildmontage aus Fotos von der Lesung von Sabrina Myriam Mohamed mit einem kleinen Foto der Lesung von Sina Kiyani sowie den Büchern der beiden

Von Gemeindebau-Kids und einer Liebesgeschichte unter gefährlichen Bedingungen

Der Veranstaltungssaal des Literaturhauses Wien im Untergeschoß mit Eingang Zieglergasse /Ecke Seidengasse drohte fast überzugehen. Flugs stellten Mitarbeiter:innen zwsichen Ausstellungstafeln und -objekten Dutzende Sessel auf, eine Leinwand wurde ausgefahren und das Geschehen von der Bühne hierher per Kamera übertragen. Auf dem Programm stand die Präsentation zweier druckfrischer Bücher.

Sabrina Myriam Mohamed liest aus ihrem (ersten) Jugendroman im Wiener Literaturhaus
Sabrina Myriam Mohamed liest aus ihrem eben veröffentlichten Jugendroman

Sabrina Myriam Mohamed las aus ihrem (bisher ersten) Jugendroman „komm runter!“. Knapp zehn Monate vorher hatte sie für ein Kapitel daraus einen der Literaturpreise der edition exil bekommen. Nun ist daraus ein 180-seitiger locker, unterhaltsam – und im letzten Drittel auch sehr ernster Roman rund um fünf Jugendliche aus einem Wiener Gemeindebau geworden. Sprachlich vielfältig mit Wörtern und Sätzen von (Ur-)Wienerisch über Englisch bis Arabisch und Romanes sind so nebenbei eingebaut.

Zu einer Buchbesprechung sowie einem Interview mit der jungen Autorin geht es in eigenen Links – hier unten bzw. am Ende dieses Beitrages.

Mindestens zehn Mal neu geschrieben

Als Sina Kiyani an seinem an diesem Abend präsentierten Roman „paradiesstraße“ zu schreiben begonnen hat, war seine Kollegin noch in der Schule. „Eeeendlich“, freute sich die Verlagsleiterin Christa Stippinger, „ist dieses Buch erschienen“ und hielt es hoch. „Zehn Jahre lang hab ich daran gearbeitet und mindestens genauso oft fast alles verschmissen und neu begonnen“, verrät Sina Kiyani nach der Präsentation Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Die Grundstory, eine Liebesgeschichte zweier Männer im Iran – wo auf Homosexualität die Todesstrafe steht – blieb immer gleich. „Aber die Perspektiven, und viele Einzelheiten hab ich immer wieder neu geschreiben. Aber ich habe ja dazwischen auch anderes veröffentlicht.“

Chansons

Für das künstlerische Rahmenprogramm sorgten dieses Mal die Schauspielerin und Sängerin Lucy McEvil – am Klavier begleitet von Martin Kratochwil. In ihrer eleganten Art sang sie diverse berührende, aber auch frech-witzige Chansons und musste mehr als eine Zugabe singen.

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Großgruppenfoto mit allen (anwesenden) Preisträger:innen, Juror:innen und Organisator:innen...

Schach unter Orangenbäumen und andere textliche Kulturbrücken

„Alles schwarz und weiß. Nur Rosa leuchtet orange. Sie ist eine außergewöhnliche Schachspielerin. Wir sitzen auf ihrem Balkon. Die Partie, die wir gerade spielen, ist schon die zweite an diesem Tag. Das erste Mal musste ich mich schon nach dem dritten Zug von meiner Dame verabschieden und nicht wenig später war es um meinen König geschehen. Bis heute verstehe ich nicht, warum der König die wertvollste Figur in diesem Spiel sein soll, wenn er nur einen Schritt pro Zug machen kann, während die Königin doch so viel mehr Macht besitzt.

So beginnt Jun Kathan den poesievollen Text „Als wir in Anwesenheit des Orangenbaums sprachen“. Damit gewann sie die Jugendkategorie der diesjährigen exil-Literaturpreise.

Es sollte ein Matriarchat und nicht ein Patriachat sein“, sagte ich schon gleich bei unserem ersten Kennenlernen zu Rosa und sie stimmte mir, ohne mit der Wimper zu zucken, zu.
Ein Grund, warum ich mich in sie verliebt habe: Sie hat immer eine klare Meinung zu allem und jedem. Jedenfalls stehe ich zum zweiten Mal an diesem Tag kurz vor dem Abgrund des Schachbrettes.“

Im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… verrät Jun Kathan übrigens, sich den Vornamen selbst ausgesucht zu haben („weil ich mich nicht als Frau identifiziere“, wie sie*er für den Sammelband mit allen Preistexten zu Protokoll gab).
Zu einem Interview mit Jun Kathan geht’s hier unten in einem eigenen Beitrag.

Texte und künstlerische Bilder

Der Schul(-klassen) bzw. Gruppenpreis ging in diesem Jahr an ein Projekt aus dem Musischen Gymnasium Salzburg. In „(W)Orte finden“ kombinierten zwei Dutzend Jugendliche eines fächer- und klassenübergreifenden Projektes aus den Schwerpunktfächern Literatur sowie Bildnerische Erziehung Texte und bildnerische Arbeiten zum Thema Heimat, Flucht und Friedenssuche. (Als Gesamtkunstwerk publizierte die Schule sie in einem eigenen Heft, in die Anthologie des Literaturpreises fanden natürlich „nur“ die Texte der 16 Schreiber:innen Eingang).

Holzschnitt von Azra Marić in dem Text-Bild-Heft
Holzschnitt von Azra Marić in dem Text-Bild-Heft „(W)Orte“ einer Projektgruppe aus dem Musischen Gymnasium Salzburg

Maya Lehofer, Paula Obermann, Lara Krejci und Lilia Stys vertraten ihre Kolleg:innen bei der Preisverleihung im Wiener Literaturhaus. „Wir hatten einen Workshop mit dem aus Syrien geflüchteten, im Sommer dann leider bei einem Bergunfall ums Leben gekommenen Autor Jad Turjman. Jede und jeder hat dann für sich selber den eigenen Text geschrieben“, erzählen die beiden zuletzt genannten Schülerinnen in einem kurzen Gespräch. Auf Nachfrage sagen sie, „aber wir reden immer über alle unsere Texte“. Die Zeichnungen, meist Holzschnitte, seien aber völlig unabhängig von den Texten entstanden – „diese Schülerinnen und Schüler haben einfach auch zum selben Thema gearbeitet“.

All-inclusive

„Na, wie gehts dir denn jetzt am Gymnasium?“
„Sehr gut.“
Yasmin war kurz angebunden. Frau Susi war nämlich ihre Klassenlehrerin gewesen, die ihr und ihrer Mama mit zuckersüßer Stimme nahegelegt hatte, Yasmin solle lieber nicht ins Gymnasium wechseln. Dafür konnte Yasmin generell sehr wenig, sowie Adrijana und Leyla sehr wenig dafürkonnten, denen sie dasselbe gesagt hatte. Hannah und Isti waren fein aus der Sache raus. Das war in Wien oft so. Wenn man nicht Laura, Marie oder Sophie hieß, gab es ein paar Lehrer*innen, die Schüler*innen mit Namen jenseits eines altösterreichischen Telefonbuches und mit dunklerem Hautton nicht jede Schule zutrauten.
„Und wie tust du dich so?“
Frau Susi musterte sie jetzt mit einem ernsteren Blick. Man musste keine Blitzgneißerin sein, um die gespielte Einfühlsamkeit in ihrer Stimme zu erkennen…“

Mit ihrem Text „all-inclusive“ gewann Sabrina Myriam Mohamed den dritten der diesjährigen exil-Literaturpreise. Was es mit dem Titel des Textes, der (nicht nur) eigene Erfahrungen der 27-Jährigen literarisch sozusagen autofiktional verarbeitet, auf sich hat – das wird hier noch in einem weiteren Zitat aus dem preisgekrönten Text gelüftet:

„Man sollte meinen, eine Person, die im Lehrer*innenzimmer damit prahlte, in die Dominikanische Republik auf Urlaub zu fahren und zwar nicht nur all-inclusive, sondern um die Kultur des Landes zu erleben, habe ein bisschen mehr Interesse daran, ihren Horizont zu erweitern.“
Zu einem ausführlichen Interview mit der Preisträgerin geht es hier unten.

Da draußen, hier drinnen …

… betitelte der Gewinner des ersten Preises, Kenan Kokić seinen Text. Und schon die ersten Sätzen verbinden Eindrücke eines Lebens in alles andere als privilegierten Verhältnissen mit einem kräftigen Schuss ironischem Sarkasmus: „Sie waren alle rechteckig. Unnachgiebig, unbekümmert rechteckig. Jedes Zimmer auf seine Weise, auf seine unangenehme, undurchdachte Art und Weise. Wer auch immer sich ihrer Raumaufteilung angenommen hatte, musste das klare Ziel gehabt haben, diese Wohnung so beklemmend und sinnfrei wie möglich zu gestalten.“

Der vielsprachige (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und natürlich Deutsch sowie ein bisschen Bosnisch) Grazer HTL-Absolvent, dessen Familie vor dem Krieg im zerfallenden Jugoslawien aus Bosnien in die Südsteiermark flüchtete, verfasste mit dem ausgezeichneten Text genau das, was der Untertitel des Bewerbs markiert „Schreiben zwischen den Kulturen“.

„Wenn sie (Freunde in der Schule) mich fragten, ob ich Bosnisch spräche, und ich ihnen ein paar bosnische Wörter entgegnete, ein paar, die ich kannte, oder alle, die ich kannte. Dann war ich plötzlich etwas Exotisches geworden, ein Magier, der aus fremden Ländern Gold, Weihrauch und Myrrhe mitgebracht hatte. Ich war stolz darauf, obwohl ich für solche Gelegenheiten meinen gesamten Wortschatz ausreizte, denn ich sprach die Sprache nicht, ich mochte sie nicht. In ihr hörte ich nur Dinge, die mir auf die Nerven gingen. „Räum dein Zimmer auf. Putz dir die Zähne. Zieh dich an.“
Zu einem Interview mit Kenan Kokić geht es hier unten.

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Die weiteren Preisträger:innen – bei der Verleihung

Fotos von der Lesung aus allen Preis-Texten

Musik veredelt Preisverleihung

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Weitere Schnappschüsse von der Verleihung der exil-Literarturpreise 2022

Titelseite der
Titelseite der „Preistexte 22“, der exil-Literaturpreise 2022
Preisverleihung an Sabrina Myriam Mohamed - mit Moderatorin Jessica Beer und Stadt-Wien-Vertreterin Julia Danielczyk

Ernste Themen jetzt auch mit Humor und Leichtigkeit

In „all-inclusive“ verpackt die Gewinnerin des dritten der exil-Literaturpreise 2022 eigene Erfahrungen, die vielfach auch exemplarisch sind für Kinder mit Migrationsgeschichte (ihrer Elternteile) – wie zu lesen und sie im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erzählt.

KiJuKU: Wie und wann hast du zu schreiben begonnen?
Sabrina Myriam Mohamed: Ich glaub, ich hab zuerst einmal Tagebuch geschrieben, klassisch, aber in der Schule hat mir das Schreiben von Aufsätzen auch immer Spaß gemacht. Außerdem hatten wir einmal in der Schule eine Schreibwerkstatt, da hab ich mich so richtig damit auseinandergesetzt.

KiJuKU: Noch in der Volksschule?
Sabrina Myriam Mohamed: Nein, schon im Gymnasium. Und bei den Erich-Fried-Tagen vom Literaturhaus hab ich dann in der 8. Klasse den 1. Preis gewonnen. Unser Deutsch-Lehrer hat uns als Klasse angemeldet und am letzten Tag vor den Weihnachtsferien gesagt: Es hat niemand was geschrieben, das ist urpeinlich. Und dann hab ich in den Ferien halt einen Texte geschrieben, obwohl in der achten Klasse – Vorbereitung auf die Matura, das war der Ur-Stress -, hab ich halt was geschrieben, aber danach nicht mehr daran gedacht. Dan ist eines Tages die Direktorin in die Klasse gekommen und hat gesagt, „es wurde die Short-List veröffentlicht, eure Klasse ist drauf, geht’s bitte hin.“

Aber ich hatte für den Führerschein die Nachtfahrt, einen Termin auf den man ewig wartet, also konnte nicht hin. Als ich danach das Handy wieder aufgedreht hab, fand ich die Nachricht von den anderen: Hey, du hast gewonnen!“

Dystopische Zwiebel

KiJuKU: Worum hat sich der Text gedreht?
Sabrina Myriam Mohamed: Das Thema war Utopie – Dystopie und das war voll mein Glück, weil ich zu der Zeit nur Jugendromane mit Dystopien gelesen habe. Der Text hat „Die Zwiebel“ geheißen.

KiJuKU: Was war das Dystopische an der Zwiebel?
Sabrina Myriam Mohamed: Es ging um einen Menschen, der in einem Raum aufwacht, der ein bisschen ausschaut wie ein Raumschiff. Da wo die Protagonistin oder der Protagonist – ich mag es, wenn die Figuren nicht immer so eindeutig geschlechtlich festgelegt sind – aufwacht, ist herum eine weiße kreidespur – wie oft bei Tatorten. Und dieser raumschiffartige Raum schaut aus wie eine Zwiebel. Ich war dann doch urfroh, damit gewonnen zu haben.

KiJuKU: Hat dich das dann bestärkt, weiter literarisch zu schreiben, oder hättest du das ohnehin gemacht?
Sabrina Myriam Mohamed: Es hat mich doch extrem bestärkt. In Deutsch war ich immer so mittelgut – kreativ ziemlich gut, aber mit vielen teilweise schweren Rechtschreib- und Grammatikfehlern, weshalb es fast nie für einen Einser gereicht hat. Ich bin halt auch sehr schlecht im Korrekturlesen, was bei Schularbeiten nicht so förderlich ist. Und für den Preis hat mich dann halt schon auch mein Professor gelobt.

Wusste damals nicht, dass es viele trifft

KiJuKU: Nun zu deinem jetzt ausgezeichneten Text: War das ein eigenes Erlebnis mit der ehemaligen Volksschullehrerin?
Sabrina Myriam Mohamed: Ja, aber ich wusste damals nicht, dass das so eine kollektive Erfahrung ist, dachte damals eher, das ist mein Einzelschicksal. Dass es viele trifft, hab ich erst später erfahren als ich mit mehr Leuten geredet habe, die auch Migrationsgeschichte haben. Bei „SAG’S MULTI“ (mehrsprachiger Redewettbewerb, den es heuer zum 14. Mal gibt, wo sie in der Organisation mitarbeitet) hab ich viele solcher Jugendliche getroffen, einige wollen deswegen auch Lehrpersonen werden, um für Schülerinnen und Schüler da was zu verändern, weil das Schulsystem sehr ungerecht ist.

KiJuKU: Und wie kam’s dann in deinem Text zu dem Bogen mit dem Istvan, der sich Tipps holt, ums ich aufzumascherln für die Vorstellung bei den Eltern seiner Schulfreundinnen?
Sabrina Myriam Mohamed: Das war die erste Stelle von dem Roman, den ich geschrieben hab (und der in der edition exil kommendes Jahr erscheint, Anm. d. Red.) und einer der Charaktere dieses langen Geschichte. Es ist ja eigentlich eine furchtbare Situation, dass er trainiert werden muss, Eltern der anderen kennen zu lernen, das sollte doch gar nicht notwendig sein, natürliches Verhalten müsste ausreichen. Er ist einer von mehreren Charakteren, um die sich die Geschichte des Romans dreht.

Ich hab ja schon vorher zwei Mal Texte bei diesem Bewerb eingereicht. Aber die waren alle sehr traurig. Irgendwann kam mir dann die Idee, das Traurige dahinter checkt man eh, da muss ich nicht noch einmal draufklatschen. Deshalb hab ich dann probiert, auch Humor in die Geschichten zu packen und eine gewisse Leichtigkeit. Ja, und das hat dann eben geklappt.

Teil eines Romans

KiJuKU: Das heißt, dieser Text, mit dem du heuer den 3. Preis gewonnen hast, ist „nur“ Teil des schon (fast) fertigen Romans?
Sabrina Myriam Mohamed: Ja, das hat begonnen mit ein paar Szenen, Kurzgeschichten bis ich gemerkt habe, ich schreib am liebsten über diese Charaktere. Das hat mir Ur-Spaß gemacht und dann bin ich halt bei diesen Typen picken geblieben und hab immer neue Szenen für und über sie geschrieben.

KiJuKU: Haben diese Charaktere reale Vorbilder oder sind sie Puzzles aus leibhaftigen Personen?
Sabrina Myriam Mohamed: Puzzles, es sind sehr viele Menschen, mit denen ich aufgewachsen sind, vor allem Volksschule und Unterstufe. Es sind teilweise reale Situationen, manchmal schon auch verändert. Und dann hab ich auch geschrieben, wie Freund:innen und andere Personen auf diese oder solche Situationen reagiert haben.

KiJuKU: Schreibst du dann immer, wenn du Situationen erlebst oder siehst, die in so eine Geschichte reinpassen könnten, Stichworte auf oder gleich die gesamte Szene?
Sabrina Myriam Mohamed: Stichworte im Handy, weil ich merk mir gar nix. Wenn ich mich dann hinsetz, um weiter zu schreiben, geh ich meine Stichwörter durch…

Nur, wenn’s Freude macht

KiJuKU: Für den Roman – hast du dir da einen Handlungsbogen skizziert oder zuerst einfach die Szenen und dann überlegt, wie könnten die wo zusammenpassen?
Sabrina Myriam Mohamed: Beides; es sind immer mehr Szenen geworden und irgendwann haben die dann auch zusammengepasst. Es gab schon eine Grundidee für die ganze Geschichte. Es sind fünf Freund:innen, die sich nicht so von anderen Personen unterscheiden und ich hab begonnen zu überlegen, warum würden Leute das lesen wollen. Irgendwann sind aber die Szenen so nahtlos ineinander übergegangen, dass es eine runde Sache wurde – mit tragischem Beigeschmack, weil sehr ernste Themen behandelt werden wie zum Beispiel Abschiebungen. Aber die sind eben relevant.

KiJuKU: Ist das jetzt deine Perspektive, literarisches Schreiben zum Beruf zu machen?
Sabrina Myriam Mohamed: Nein, ich hab Publizistik studiert, ich schreib extrem gerne auch literarisch. Aber wenn mein Einkommen davon abhängt, dann nein. Ich find auch, wenn darauf angewiesen ist, dann verliert man oft auch die Freude an einer Sache. Ich wer das – hoffentlich – immer nebenbei machen und nur dann, wenn ich Freude am Schreiben habe.

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Preisverleihung an Jun Kathan - mit Jurior Thomas Perle und Moderatorin Jessica Beer

Es war ein kreativer Schub

Jun Kathan gewann mit dem Text „Als wir in Anwesenheit des Orangenbaums sprachen“ die Jugendkategorie der diesjährigen exil-Literaturpreise. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… führte mit ihr*ihm ein kurzes Gespräch dazu.

KiJuKU: Spielen Sie selbst Schach?
Jun Kathan: Ja, und ich hab auch „Das Damengambit“ (Netflix-Serie) gesehen und ich liebe Orangenbäume.

KiJuKU: Im Buch steht nach ihrem Text, dass Sie bisher immer nur ganz kurze Texte geschrieben haben, wie kam’s nun zu dieser längeren Geschichte?
Jun Kathan: Dafür war definitiv der Wettbewerb ausschlaggebend. Da war etwas da, worauf ich hinstreben konnte.

KiJuKU: Haben Sie jetzt vor, weiter zu schreiben?
Jun Kathan: Ich will selbst auch im Journalismus arbeiten. Seit ich schreiben gelernt habe, schreibe ich gerne.

Weg weiter verfolgen

KiJuKU: Journalismus und literarisches Schreiben sind aber doch zwei verschiedene Paar Schuhe…
Jun Kathan: … aber ich mag eben beides oder zum Beispiel auch im Deutschunterricht, wenn wir verschiedene Textsorten durchnehmen. Jedenfalls will ich meinen schreiberischen Weg weiter verfolgen, ich mag auch Poesie und Lyrik.

KiJuKU: Zurück zu Ihrem preisgekrönten Text: Hatten Sie zuerst die Grundgeschichte und die dann geschrieben?
Jun Kathan: Ich hatte anfangs nicht einmal eine Idee. Meistens ist es so, dass ich einen Schub von Kreativität habe und dann muss ich mich hinsetzen und das einfach ausleben – das kann schreiberisch sein, aber auch in der Musik oder bildnerisch. Dann such ich mir halt aus, in welche Richtung dieser Künste es gehen soll. Dann war’s halt Schreiben – für den Wettbewerb. Aber bei mir entwickeln sich Geschichten dann erst im Lauf des Entstehens. Ich hatte so im Kopf: Schach, Orangenbaum und eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen – das war’s dann auch schon wieder.

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