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Großgruppenfoto mit allen (anwesenden) Preisträger:innen, Juror:innen und Organisator:innen...
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22.12.2022

Schach unter Orangenbäumen und andere textliche Kulturbrücken

Zum bereits 26. Mal wurden die exil-Literaturpreise vergeben. Zitate aus preisgekrönten Texten und Interviews mit einigen der Preisträger:innen.

„Alles schwarz und weiß. Nur Rosa leuchtet orange. Sie ist eine außergewöhnliche Schachspielerin. Wir sitzen auf ihrem Balkon. Die Partie, die wir gerade spielen, ist schon die zweite an diesem Tag. Das erste Mal musste ich mich schon nach dem dritten Zug von meiner Dame verabschieden und nicht wenig später war es um meinen König geschehen. Bis heute verstehe ich nicht, warum der König die wertvollste Figur in diesem Spiel sein soll, wenn er nur einen Schritt pro Zug machen kann, während die Königin doch so viel mehr Macht besitzt.

So beginnt Jun Kathan den poesievollen Text „Als wir in Anwesenheit des Orangenbaums sprachen“. Damit gewann sie die Jugendkategorie der diesjährigen exil-Literaturpreise.

Es sollte ein Matriarchat und nicht ein Patriachat sein“, sagte ich schon gleich bei unserem ersten Kennenlernen zu Rosa und sie stimmte mir, ohne mit der Wimper zu zucken, zu.
Ein Grund, warum ich mich in sie verliebt habe: Sie hat immer eine klare Meinung zu allem und jedem. Jedenfalls stehe ich zum zweiten Mal an diesem Tag kurz vor dem Abgrund des Schachbrettes.“

Im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… verrät Jun Kathan übrigens, sich den Vornamen selbst ausgesucht zu haben („weil ich mich nicht als Frau identifiziere“, wie sie*er für den Sammelband mit allen Preistexten zu Protokoll gab).
Zu einem Interview mit Jun Kathan geht’s hier unten in einem eigenen Beitrag.

Texte und künstlerische Bilder

Der Schul(-klassen) bzw. Gruppenpreis ging in diesem Jahr an ein Projekt aus dem Musischen Gymnasium Salzburg. In „(W)Orte finden“ kombinierten zwei Dutzend Jugendliche eines fächer- und klassenübergreifenden Projektes aus den Schwerpunktfächern Literatur sowie Bildnerische Erziehung Texte und bildnerische Arbeiten zum Thema Heimat, Flucht und Friedenssuche. (Als Gesamtkunstwerk publizierte die Schule sie in einem eigenen Heft, in die Anthologie des Literaturpreises fanden natürlich „nur“ die Texte der 16 Schreiber:innen Eingang).

Holzschnitt von Azra Marić in dem Text-Bild-Heft
Holzschnitt von Azra Marić in dem Text-Bild-Heft „(W)Orte“ einer Projektgruppe aus dem Musischen Gymnasium Salzburg

Maya Lehofer, Paula Obermann, Lara Krejci und Lilia Stys vertraten ihre Kolleg:innen bei der Preisverleihung im Wiener Literaturhaus. „Wir hatten einen Workshop mit dem aus Syrien geflüchteten, im Sommer dann leider bei einem Bergunfall ums Leben gekommenen Autor Jad Turjman. Jede und jeder hat dann für sich selber den eigenen Text geschrieben“, erzählen die beiden zuletzt genannten Schülerinnen in einem kurzen Gespräch. Auf Nachfrage sagen sie, „aber wir reden immer über alle unsere Texte“. Die Zeichnungen, meist Holzschnitte, seien aber völlig unabhängig von den Texten entstanden – „diese Schülerinnen und Schüler haben einfach auch zum selben Thema gearbeitet“.

All-inclusive

„Na, wie gehts dir denn jetzt am Gymnasium?“
„Sehr gut.“
Yasmin war kurz angebunden. Frau Susi war nämlich ihre Klassenlehrerin gewesen, die ihr und ihrer Mama mit zuckersüßer Stimme nahegelegt hatte, Yasmin solle lieber nicht ins Gymnasium wechseln. Dafür konnte Yasmin generell sehr wenig, sowie Adrijana und Leyla sehr wenig dafürkonnten, denen sie dasselbe gesagt hatte. Hannah und Isti waren fein aus der Sache raus. Das war in Wien oft so. Wenn man nicht Laura, Marie oder Sophie hieß, gab es ein paar Lehrer*innen, die Schüler*innen mit Namen jenseits eines altösterreichischen Telefonbuches und mit dunklerem Hautton nicht jede Schule zutrauten.
„Und wie tust du dich so?“
Frau Susi musterte sie jetzt mit einem ernsteren Blick. Man musste keine Blitzgneißerin sein, um die gespielte Einfühlsamkeit in ihrer Stimme zu erkennen…“

Mit ihrem Text „all-inclusive“ gewann Sabrina Myriam Mohamed den dritten der diesjährigen exil-Literaturpreise. Was es mit dem Titel des Textes, der (nicht nur) eigene Erfahrungen der 27-Jährigen literarisch sozusagen autofiktional verarbeitet, auf sich hat – das wird hier noch in einem weiteren Zitat aus dem preisgekrönten Text gelüftet:

„Man sollte meinen, eine Person, die im Lehrer*innenzimmer damit prahlte, in die Dominikanische Republik auf Urlaub zu fahren und zwar nicht nur all-inclusive, sondern um die Kultur des Landes zu erleben, habe ein bisschen mehr Interesse daran, ihren Horizont zu erweitern.“
Zu einem ausführlichen Interview mit der Preisträgerin geht es hier unten.

Da draußen, hier drinnen …

… betitelte der Gewinner des ersten Preises, Kenan Kokić seinen Text. Und schon die ersten Sätzen verbinden Eindrücke eines Lebens in alles andere als privilegierten Verhältnissen mit einem kräftigen Schuss ironischem Sarkasmus: „Sie waren alle rechteckig. Unnachgiebig, unbekümmert rechteckig. Jedes Zimmer auf seine Weise, auf seine unangenehme, undurchdachte Art und Weise. Wer auch immer sich ihrer Raumaufteilung angenommen hatte, musste das klare Ziel gehabt haben, diese Wohnung so beklemmend und sinnfrei wie möglich zu gestalten.“

Der vielsprachige (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und natürlich Deutsch sowie ein bisschen Bosnisch) Grazer HTL-Absolvent, dessen Familie vor dem Krieg im zerfallenden Jugoslawien aus Bosnien in die Südsteiermark flüchtete, verfasste mit dem ausgezeichneten Text genau das, was der Untertitel des Bewerbs markiert „Schreiben zwischen den Kulturen“.

„Wenn sie (Freunde in der Schule) mich fragten, ob ich Bosnisch spräche, und ich ihnen ein paar bosnische Wörter entgegnete, ein paar, die ich kannte, oder alle, die ich kannte. Dann war ich plötzlich etwas Exotisches geworden, ein Magier, der aus fremden Ländern Gold, Weihrauch und Myrrhe mitgebracht hatte. Ich war stolz darauf, obwohl ich für solche Gelegenheiten meinen gesamten Wortschatz ausreizte, denn ich sprach die Sprache nicht, ich mochte sie nicht. In ihr hörte ich nur Dinge, die mir auf die Nerven gingen. „Räum dein Zimmer auf. Putz dir die Zähne. Zieh dich an.“
Zu einem Interview mit Kenan Kokić geht es hier unten.

Follow@kiJuKUheinz

Die weiteren Preisträger:innen – bei der Verleihung

Fotos von der Lesung aus allen Preis-Texten

Musik veredelt Preisverleihung

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Weitere Schnappschüsse von der Verleihung der exil-Literarturpreise 2022

Titelseite der
Titelseite der „Preistexte 22“, der exil-Literaturpreise 2022
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

exil-Literaturpreise 2022

1. Preis (3000 €): Kenan Kokić für „da draußen, hier drinnen“
2. Preis (2000 €): Sibylle Reuter, „tschuschen – das sind die anderen“
2. Preis (1.500 €): Sabrina Myriam Mohamed, „all-inclusive“

Preis für Autor:innen mit Deutsch als Erstsprache (1000 €): Caspar-Maria Russo, „sant’agnese“

Lyrikpreis (1.500 €): David Hoffmann, „Saum der Ruhe“

Dramatiker*innenpreis (wird alle zwei Jahre gemeinsam mit den wiener Wotstaetten vergeben): Giorgio Ferretti, „america“

Jugendpreis (1.000 €): Jun Kathan, „Als wir in Anwesenheit des Orangenbaums sprachen“
Schul(klassen)preis (1.000 €): Schüler*innen des Musischen Gymnasiums Salzburg für ihr Projekt „(W)Orte finden“

Jurys: Katja Gasser (ORF), Barbara Zwiefelhofer (Literaturhaus Wien), Thomas Perle (Autor, früherer Preisträger)
Für den Dramtiker*innenpreis: Christine Wahl (Theater der Zeit, Berlin), Matthias Döpke (Dramaturg, Schauspiel Leipzig), Bernhard Studlar (Autor, wiener wortstaetten)
Jugend- und Schulpreise: Thomas Perle und Christa Stippinger (Erfinderin, Motor und Seele der exil-Literaturpreise und der Edition exil)

Das Buch

Preistexte 22
Das Buch zu den exil-Literaturpreisen 2022
Mit allen preisgekrönten Texten sowie Auszügen aus den Jury-Begründungen, Kurz-Biographien der Autor:innen und Gesprächen mit diesen
210 Seiten
edition exil
15 €
preistexte-2022

Im Livestream-Archiv findet sich das Video der Preisverleihung:
literaturhaus -> Livestream-Archiv

Die nächste Runde

Ab sofort können Texte für die exil Literaturpreise 2023 eingereicht werden:
Im weitesten Sinn mit Themen wie Fremdsein, Leben zwischen Kulturen
Maximal zehn A4-Seiten (ca. 1800 Zeichen pro Seite).
Einsendeschluss für Prosa und Lyrik: 30. April 2023
Jugendtexte und Schulprojekte: 30. Juni 2023
verein.exil@inode.at
Betreff: exil-literaturpreise