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Foto aus "Der Talisman" von Utopia Theater

Rot, schwarz, blond, grau  – sollte doch egal sein!

Es ist sozusagen der Theatersommer der Rothaarigen! Nach der jugendlichen Musicalversion von „Anne of Green Gables“ von teatro im Stadttheater Mödling tourt nun nach der Juli-Pause seit 10. August 2023 wieder das Utopia-Theater mit DEM Klassiker in Sachen Vorurteile – anhand des Beispiels roter Haare – vor allem durch Wiener Gemeindebauten und Plätze. Gespielt wird im Freien – bei freiem Eintritt: Der Talisman von Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy. Ursprünglich wollte dieser großartige Theaterdichter (1801 bis 1862), der in seine sehr witzigen, komödiantischen Stücke immer ziemlich viel bitterböse Gesellschaftskritik einbaute, dieses Stück „Titus Feuerfuchs oder Die Schicksalsperücken“ nennen.

Die Story

Für jene, denen die Story nicht bekannt ist, knapp zusammengefasst: Titus Feuerfuchs – hier gespielt von Andreas Seidl mit gefärbten Haaren, ist rothaarig und damit ein Außenseiter. Als Dankeschön für eine Hilfe bekommt er eine schwarze Perücke. Und alle, die ihn vorher ablehnten, mies behandelten, reißen sich förmlich um ihn – ob das die Gärtnerin (Natalie Obernigg), Constantia, die Kammerfrau der Gräfin (Johanna Meyer) ist. Ähnlich geht’s ihm mit einer blonden Perücke bei der Frau von Cypressenburg selbst (Helga Grausam). Viel Komödiantik ergibt sich daraus, dass er aufzufliegen droht, weil jene, die ihn schwarz sahen nun blond vorfinden. Er selbst ist nicht nur armes Opfer, stößt er doch die einzige, die ihn zu mögen scheint, Salome Pockerl (Stefanie Elias, die auch der Gräfin Tochter Emma spielt), ebenfalls rothaarig (Perücke), zurück, als er sich mit den Perücken auf dem aufsteigenden Ast befindet.
Twist: Ein reicher Onkel (Thomas Bauer, der auch in die Rolle des Gärtnergehilfen Plutzerkern schlüpft) taucht auf, und will ihm wenigsten mit einem Geschäft und Startkapital eine Lebensgrundlage verschaffen, wenngleich er ihn wegen seiner roten Haare auch ablehnt. Nun mit grauer Perücke – aus Kummer – will er ihn sogar zum Universalerben einsetzen. Da plagt Titus schlechtes Gewissen, mit dem Geschäft würd er sich zufrieden geben. Gleichzeitig fliegt die Sache auf. Mit der Aussicht auf dessen reiches Erbe meinen die genannten Damen, na so schlimm seien rote Haare auch nicht…
Doch jetzt besinnt sich der Titelheld und kehrt zu Salome zurück.

Leidenschaftlich

Das Utopia-Theater spielt mit wenigen Utensilien, ein paar Kostümen und viel Schauspiel-Leidenschaft – und lässt, abgesehen davon, dass es gleich zu Beginn angesprochen wird – die ganzen 1 ¼ Stunden mitschwingen, dass, wie es auch Nestroy gemeint hatte, die roten Haare in dem Fall „nur“ für jedwede Art von Vorurteilen steht. Sicher, heute sind – zumindest in den Städten – rote Haare kaum mehr Ausschließungsgrund. Aber was ist mit Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung oder – wie jüngst aufgepoppt – allem was angeblich „nicht normal“ sein soll!

Aktuelle Kommentare

Diese und andere etliche aktuelle Anspielungen kommen vor allem in den von Nestroy’schen Stücken bekannten „Couplets“ (Liedern, Songs, in denen er auch zu seiner Zeit immer wieder aktuell Zeitkritisches eingebaut hatte). Und hier leben diese Gstanzl’n (wie die Bühnenfassung, Regie und Organisation: Peter W. Hochegger)

übrigens nicht zuletzt von der musikalischen Begleitung durch den Live-Akkordeonisten Edi Kadlec, der übrigens schon lange bevor das Stück beginnt, mit seiner „Quetschn“ das Publikum einstimmt.

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Szenenfoto aus "Höllenangst - No Enlightenment please!" im TAG (Wien)

Posse um die Angst vor der Aufklärung

Umgeben von drei Wänden mit unzählbaren grünen Oen und 1ern auf schwarzem Hintergrund spielt sich im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien das Nestroy’sche bitterböse satirische Stück „Höllenangst“ in einer Überschreibung (Text und Regie: Bernd Liepold-Mosser) ab – mit dem Zusatztitel „No enlightenment please!“ (also keine Aufklärung). Die Kritik am kriminellen Geschäftemacher Stromberg (Jens Claßen), der seine Nichte Adele (Lisa Schrammel, die dann auch ihre eigene Zofe Rosalie spielt) um deren Erbe bringen möchte und dafür deren aufrichtigen anderen Onkel Reichthal (Georg Schubert, gestylt als wäre er dem einen oder anderen Gott-Gemälde entstiegen) hinter Gitter bringt, findet sozusagen im digitalen Zeitalter ab.

In einem früheren Stadium des binären Code-Systems irgendwie. Die grünen Ziffern auf schwarzem Hintergrund erinnern an Computergenerationen des vorigen Jahrhunderts, das Setting postuliert einen aktuelleren Zeitraum, pendelt das Geschehen doch zwischen realer, analoger und digitaler, virtueller Welt. In dieser scheint der rettende Held Wendelin (Andreas Gaida) fast als Kämpfer gegen Windmühlen und Verschwörungstheorien, verbündet sich scheinbar mit dem Teufel, hier stets als Windows-Mann tituliert.

Die Nestroy’schen Couplets gibt’s hier als eigene, neugeschriebene Songs – meist im Duett eines wechselnden Solisten/einer Solistin mit den anderen Ensemble-Mitgliedern (neben den schon genannten noch Petra Strasser und Emanuel Fellmer). Die Texte und Songs pendeln zwischen einer Art Kärntnertlied und Protestsong. Thematisch spannen sie den Bogen vom Erheben über den Durchschnitt, über kein-Opfer-sein-wollen, Parallel-Universum bis zur Anklage „Des System måcht uns krånk“. Musikalisch begleitet werden nicht nur die Songs von Oliver Welter, dem Gitarristen der Band „Naked Lunch“, vielleicht DEM Überraschungs-Highlight des Abends.

Übrigens: Der Name des Bösewichts aus „Höllenangst“ hat sich schon lange sozusagen verselbstständigt, unter anderem geisterte Stromberg als Titelfigur fast ein Jahrzehnt in einer TV-Comedy-Serie als windiger Versicherungsheini über die Bildschirme.

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