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Puppentheater-Inszenierung von "Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung"

„Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ als Puppentheater

Am ersten Tag des neuen Jahres 2025 überträgt „Arbos – Gesellschaft für Musik und Theater“ aus dem Salzburger Breloque-Theater Viktor Ullmanns im Konzentrationslager Theresienstadt komponierte Oper „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ (Ullmann unter Mitarbeit von Peter Kien). Er schrieb dieses musikalische Theaterstück 1943 und 1944 als Kritik am herrschenden Nazisystem bzw. an jeder Form autoritärer menschenverachtender Regimes – ausgehend von eigenen Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg – und wurde am 18. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet.

Puppentheater-Inszenierung von
Puppentheater-Inszenierung von „Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung“

Kooperation: Spezialist und Theatermacherin

Erst mehr als 30 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod erfolgte die Uraufführung in der Amsterdamer (Niederlande) Oper. Das genannte Theater in der Stadt Salzburg – gegründet von Myrto Dimitriadou, der langjährigen Leiterin des Toihaus Theaters in unmittelbarer Nähe, inszeniert diese Oper als Zusammenarbeit von Schau- und Puppenspieler:innen. Regie führt Herbert Gantschacher, der sich seit Jahrzehnten mit Leben und Wer von Viktor Ullmann beschäftigt und dazu schon viel publiziert sowie die Ausstellung Ausstellung „Viktor Ullmann – Zeuge und Opfer der Apokalypse“ kuratiert hat – Link zum Viktor-Ullmann-Projekt am Ende des Beitrages. Rita Luksch und Markus Rupert spielen mit handgefertigten Requisiten und Puppen der bildenden Künstlerin Burgis Paier.

Puppentheater-Inszenierung von
Aktuelle Bezüger im Bühnenbild

Zwei Anlässe

Anlass für die Übertragung ist die 127. Wiederkehr des Geburtstages von Ullmann (1. Jänner 1898 in Teschen. Sein Vater Maximilian Ullmann war Berufsoffizier und zu dieser Zeit dort stationiert. In Teschen war das  Armee-Oberkommando der k.u.k. Wehrmacht der Vielfachmonarchie des Erzhauses Habsburg untergebracht. Heute ist die Stadt entlang des Flusses Olsa zwischen der Republik Polen, Cieszyn, und der Tschechischen Republik, Český Těšín, geteilt.

Arbos – Gesellschaft für Musik und Theater überträgt diese Oper in dieser Inszenierung in diesem Jahr noch einmal – wieder kostenlos; Spenden erwünscht: Am 18. Oktober 2025 anlässlich des 81. Jahrestages der Ermordung Ullmanns im KZ auschwitz – durch das Giftgas Zyklon B. Als Soldat im Ersten Weltkrieg war er Zeuge des Giftgasangriffs an der Isonzofront am 24. Oktober 1917 geworden, bei der Grünkreuz und Blaukreuz eingesetzt wurde – artverwandt zum von den Nazis verwendeten Zyklon.

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arbos -> stream „Der Kaiser von Atlantis…: 1. Jänner 2025; 20 Uhr“

arbos -> Ullmann-Projekt

Szenenfoto aus "Ich bin Ruth"

Wienerin, 22 Jahre, „remigiriert“ und ermordet

Viele Umwege führten zu dieser stimmigen, berührenden auch aufrüttelnden theatralisch-musikalischen Performance über eine Österreicherin, die so jung – mit 22 Jahren – ermordet wurde: „Ich bin Ruth“ von drei Schauspielerinnen und zwei Live-Musikerinnen erzählt das kurze Leben der Ruth Maier: Geboren in Wien am 10. November 1920 – womit ihr 18. Geburtstag mit den Pogromen („Reichskristallnacht“) zusammenfiel. Die jüngere Schwester Julia konnte mit einem der Kindertransporte nach England der Verfolgung durch die Nazis entkommen. Ruth selbst flüchtete nach Norwegen, wurde aber nach der Machtübernahme durch die Faschisten dort gefangen genommen und mit mehr als 500 anderen Jüd:innen ins Vernichtungslager Auschwitz verfrachtet, wo sie am Ankunftstag, dem 1. Dezember 1942 ermordet wurde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Vor dem Hintergrund dieses Wissens produzieren die fünf Künstlerinnen immer wieder multimediale Gänsehaut-Momente in einem abgefuckten Teil von Wiens einstigen größten Geburtenstationen in der ehemaligen Semmelweis-Klinik von der einige Gebäude kulturell genutzt werden.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Tagebücher

Wie viele Jugendliche hatte Ruth Maier Tagebuch geschrieben – ab ca. 12/13 Jahren. Jahrzehnte später wurden diese Tagebücher – im Zuge der Bearbeitung des Nachlasses der norwegischen Dichterin Gunvor Hofmo, mit der Maier rund zwei Jahre in Oslo zusammengelebt hatte, durch Jan Erik Vold durchackert und transkribiert. Im Zuge seiner weiteren Recherchen konnte er die überlebende Schwester in England herausfinden, sie kontaktieren und bekam so die Briefe Ruth Maiers an sie. Waren die ersten Tagebücher auf Deutsch, so die späteren auf Norwegisch – da konstatierte Vold, dass sie bald vom Anfängerinnen-Niveau zu literarischer Qualität aufgestiegen waren. So „nebenbei“ fanden sich in den Tagebüchern, von denen nicht alle erhalten geblieben sein dürften, weil es immer wieder zeitliche große Lücken gibt, hervorragende Aquarelle – und Fotos bzw. Zeitungsausschnitte sowie Abschriften anderer literarischer Texte bzw. Kommentare zu solchen.

Titelseite des Buches mit Auszügen aus Tagebüchern und Briefen von Ruth Maier
Titelseite des Buches mit Auszügen aus Tagebüchern und Briefen von Ruth Maier

Buch

„Aus einem Material von rund 1100 Tagebuchseiten und 300 Briefseiten ist eine Lebensgeschichte auf 400 Buchseiten entstanden. Sie trug den Titel Ruth Maiers dagbok. En jødisk flyktning i Norge (Ruth Maiers Tagebuch. Ein jüdischer Flüchtling in Norwegen), als das Originalwerk 2007 in Oslo publiziert wurde – und später viele neue Auflagen erfuhr.“ (Aus dem Buch im Mandelbaum-Verlag – siehe Info-Box) Das Buch wurde in 13 Sprachen übersetzt und vor zehn Jahren in die UNESCO-Liste „Memory oft the World / Welt-Erinnerungs-Erbe) dieser Bildungsorganisation der Vereinten Nationen aufgenommen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes hat in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Zentrum für Holocaust- und Minderheitenforschung eine Ausstellung erarbeitet, die immer wieder tourt. Bei der Recherche zu homosexuellen Frauen und ihrem Schicksal in der Nazi-Zeit stießen Anna Kramer und Claudia Kottal auf Ruth Maier – was der Zeugungsmoment für das nunmehrige Theaterprojekt war.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Es sei alles andere als leicht gewesen aus den mehr als 400 Seiten Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefen eine Stückfassung zu erarbeiten, verraten die drei Schauspielerinnen in einem Publikumsgespräch nach der zweiten Vorstellung, zu dem sie DEN Experten für Ruth Maier in Österreich, Winfried R. Garscha vom DÖW eingeladen hatten.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

So, nun aber…

… zum Stück: Aus einer heftig eingedampften Strichfassung ermöglichen die drei Schauspielerinnen und die beiden Musikerinnen Einblicke in das Leben und die Gedanken der jungen Ruth Maier. Neben gefühlsmäßigem Auf und Ab der Jugendlichen – weniger die aufwallenden Schwärmereien und deren Verflüchtigungen in vielen Einträgen – konzentriert sich die Performance vor allem auf Passagen, in denen Ruth Maier Persönliches mit den jeweiligen (gesellschafts-)politischen Ereignissen verknüpfte. So spürte sie schon vor dem Beginn des Weltkrieges am 1. September 1939, dass das Hitler-Regime einen solchen vorbereitet. Oder sie, die in einer eher säkularen jüdischen Familie aufgewachsen war, beschreibt, wie sie nun als ebensolche ausgegrenzt und verfolgt ihr Jüdisch-Sein erst entdeckt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Multimedial

Das Trio schlüpft abwechselnd in die Rolle der Ruth Maier, die anderen manches Mal in die anderer Figuren aus den Tagebucheintragungen bzw. den Briefen, natürlich immer wieder der Geliebten Gunvor Hofmo – samt so manch heftigem Beziehungs-Wickel. „Illustriert“ durch auf Stoff gedruckte Fotos aus den Tagebüchern oder projizierte Bilder, eben auch den von Ruth gemalten, gesellen sich hin und wieder live gespielte, eigens komponierte Musik-Nummern von Clara Luzia (Keyboard, E-Gitarre, Spieluhr) und Cathi Priemer-Humpel (Schlagzeug und Hang) dazu – manches Mal als Untermalung, dann wieder als eigenständige Szenen mit gesungenen Texten von Ruth Maier.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Umwege

So wie die Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefe erst – Jahrzehnte später – das Licht der Öffentlichkeit erblickten, so kam das Theaterkollektiv auf Umwegen zum Spielort. Eigentlich suchten sie zunächst nach einer Location im 2. Wiener Bezirk (Leopoldstadt), einst blühendes, heute nur mehr Überbleibsel jüdischen Lebens. Nachdem die Künstlerinnen nicht fündig wurden, kam die Idee der kulturell genutzten Räumlichkeiten in der ehemaligen Geburtsklinik. Und dann der Aha-moment, dass Ruth Maier mit ihrer Familie vor der Deportation in eine Sammelwohnung in den zweiten Bezirk im Gemeindebau Hockegasse 2 gewohnt hatte!

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Aktualität

Das Stück, ebenso die Wander-Ausstellung des DÖW, aber auch die Benennung eines Park in Wien-Leopoldstadt nach Ruth Maier entreißt diese junge ermordete Künstlerin dem Vergessen. Und sie schafft einen – subkutanen oder „nebenbei“ – Bezug zur Gegenwart. Was alles hätten Anne Frank, Jura Soyfer, Ruth Maier und Millionen anderer weniger bis nicht bekannter Menschen schaffen können, wären sie nicht vom faschistischen Regime ermordet worden?!

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich bin Ruth“

Und: Was anderes als „Remigration“ war denn die Verfrachtung von Ruth Maier und mehr als 500 anderen Jüd:innen aus Norwegen ins von den Nazis errichtete „Reich“ – samt anschließender Ermordung? Und wie ist es, heute Menschen in Länder wie Afghanistan oder Syrien abzuschieben, in denen extreme Islamisten wie die Taliban oder terroristische Diktatoren herrschen und (politische) Gegner umbringen (lassen)?

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Aus dem Doku-Kinofilm „Botschafter des Erinnerns“ / Ambasador Pamięci

„Wir leben so lange, solange diejenigen leben, die sich an uns erinnern“

In dichten 100 Film-Minuten erzählt Stanisław Zalewski in Baracken der Gedenkstätten der ehemaligen Nazi-Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Mauthausen und Gusen ebenso wie in der wiederaufgebauten Altstadt von Warschau einen wichtigen Teil seines Lebens – jenen, in denen er als polnischer Hitler-Gegner insgesamt fast zwei Jahre eingesperrt war. Und einer der wenigen Überlebenden dreier KZ ist. Und sich vor allem in seiner Pension zum „Botschafter des Erinnerns“ / „Ambasador Pamięci“ geworden ist. So heißt der Film von Magdalena Żelasko (Regie/Drehbuch) und Michał Kozioł (Kamera/Drehbuch). Drei Jahre lang durften die beiden Stanisław Zalewski mit der Kamera begleiten – zu Gedenkfeiern in den genannten Mord-Orten der Faschisten ebenso wie ins Büro des Verbandes aller ehemaligen polnischen KZ-Häftlinge, wo der Protagonist in Mappen von Dokumenten und Fotos blättert, auch persönlichen zum Beispiel Klassenfotos aus seiner Kindheit.

Aus dem Doku-Kinofilm „Botschafter des Erinnerns“ / Ambasador Pamięci
Bild aus dem Film „Botschafter des Erinnerns“

Widerstandsparolen gemalt

Er schildert, wie er als angelernter Mitarbeiter in einer Autowerkstatt Militärfahrzeuge der Nazis so sabotierte, dass sie erst Hunderte Kilometer später an der Front den Geist aufgaben. Oder wie er im Warschauer Ghetto Widerstandslosungen auf Hausmauern schrieb. Und dabei erwischt wurde und dann ins KZ Auschwitz-Birkenau kam, von dort nach Mauthausen und ins Nebenlager Gusen kam, um als Mechaniker beim unterirdischen Bau des Kampfbombers Messerschmidt arbeiten zu müssen.

Nach der Befreiung der Konzentrationslager und der Welt vom Faschismus kam er in ein zerstörtes Warschau, machte seine Ausbildung fertig, studierte, wurde Ingenieur und Sachverständiger im Fahrzeugbau. Nachdem er – erst sehr spät – über die Vergangenheit reden konnte, begann er sich im genannten Verband zu engagieren und vor allem darum zu kämpfen, dass in Gusen, den Nebenlagern von Mauthausen, eine Gedenkstätte errichtet wurde.

Magdalena Żelasko (Regie und Drehbuch) mit dem zeitzeugen und Filmprotagonisten Stanisław Zalewski
Magdalena Żelasko (Regie und Drehbuch) mit dem Zeitzeugen und Filmprotagonisten Stanisław Zalewski

100 Stunden Film-Material

Żelasko und Michał Kozioł hatten am Ende rund 100 Stunden Filmmaterial, berichtete Erstere bei der Medien-Vorführung des Films am Montag – wo übrigens auch Stanisław Zalewski zum ersten Mal das fertige Produkt sah. Sie beide seien gar keine professionellen Filmemacher:innen, entschuldigte sich die Regisseurin, langjährige Leiterin des „LET’S CEE Filmfestivals“ (Zentral- und Osteuropa), für manche Ton- oder Bild-Schwächen. Sie hätte auch gar nicht glauben können, dass davor noch nie wer einen Film über den mittlerweile fast 99-Jährigen gemacht hätte. „Und so haben wir ihn gemacht, weil er gedreht werden musste.“ Mit derselben Intention wie Zalewski vor allem gern mit jungen Menschen spricht: Nicht nur über die Vergangenheit reden, sondern Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen, damit sich so etwas niemals wiederholen dürfe.

Aus dem Doku-Kinofilm „Botschafter des Erinnerns“ / Ambasador Pamięci
Bild aus dem Film „Botschafter des Erinnerns“

Bewusst im O-Ton mit Untertiteln

Übrigens: Bewusst wurde und wird der Film nicht synchronisiert. So kann die auch immer trotz der Erzählungen hoffnungsvoll klingende polnische Originalstimme Stanisław Zalewskis gehört werden. Er kommt – wie schon in einem vorigen Bericht geschrieben – ab 1. September – dem Jahrestag des Beginns des 2. Weltkrieges in die Kinos der cineplexx-Kette (größter Kinobetreiber in Österreich). Da diese in mehreren Ländern, vor allem Südosteuropa, präsent ist, soll der Film auch Untertitel in all diesen Sprachen bekommen.

Magdalena Żelasko und Stanisław Zalewski im Kinosaal - im Hintergrund ein Bild aus dem Film sowie die Sponsor:innen
Magdalena Żelasko und Stanisław Zalewski im Kinosaal – im Hintergrund ein Bild aus dem Film sowie die Sponsor:innen

Botschaft

„Wir leben so lange, solange diejenigen leben, die sich an uns erinnern“, zitierte Stanisław Zalewski im Kino bei der Vorführung für Medien auch den Spruch aus dem Film, der auf der Fahne des Verbandes der ehemaligen Häftlinge der Konzentrationslagers Mauthausen/ Gusen steht. Und dies sei auch die Botschaft des ganzen Films.

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Aus dem Doku-Kinofilm „Botschafter des Erinnerns“ / Ambasador Pamięci - mit dem Hinweis auf die Voraufführung des Kinofilms am 7. Mai 2024 in Wien
Aus dem Doku-Kinofilm „Botschafter des Erinnerns“ / Ambasador Pamięci – mit dem Hinweis auf die Voraufführung des Kinofilms am 7. Mai 2024 in Wien
Stanisław Zalewski im Kino

„Es liegt an Ihnen und an mir, dass sich so etwas nie mehr wiederholt!“

Nach der Medien-Premiere des Films „Botschafter des Erinnerns“ / „Ambasador Pamięci“ im Village-Cinema Wien Mitte stellte sich der Protagonist Stanisław Zalewski auch gleich Fragen von Medien. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… wollte folgendes wissen:

KiJuKU: Wann und wie haben Sie – nach Jahrzehnten des Schweigens über das Unvorstellbare – begonnen, darüber zu erzählen und vor allem mit Jugendlichen darüber zu reden?
Stanisław Zalewski: Darauf könnte ich auf zwei Arten antworten, die erste wäre eine lange, literarische; die zweite eine kurze, technische. Ich werde auf die zweite Art antworten: Wie Sie wissen bin ich gelernter Automechaniker und bevorzuge daher exakte Angaben.
Ich habe mich mit der Vermittlung meiner Vergangenheit zu beschäftigen begonnen nach einem Elternsprechtag meines Sohnes. Die Lehrerin hat die Frage gestellt, wie man Jugend zu erziehen hat. Deshalb habe ich begonnen von meinen Erlebnissen zu erzählen. Wie man Jugend zu erziehen hat hängt davon ab, je nachdem in welcher Situation man sich befindet – in einer Lage, in er man alles hat, alles im Überfluss da ist oder in einer Situation, in der es gerade so zum Existieren reicht. Ich habe kein Patentrezept für die Frage der Lehrerin, diese schreibt das Leben.
Aber jedenfalls geht es darum, dass der Mensch dem Menschen ein Mensch sein muss; kein Egoist, sondern für andere Gutes tun soll.

Stanisław Zalewski im Kino - im Hintergrund groß ein Bild von ihm aus dem Film
Stanisław Zalewski im Kino – im Hintergrund groß ein Bild von ihm aus dem Film

KiJuKU: Sie sagen im Film an zwei Stellen, dass Sie finden, die Menschen werden immer schlimmer und sie lernen nichts aus der Geschichte. Woher nehmen Sie die Kraft, die sie ausstrahlen, nicht aufzugeben und doch weiter als Botschafter des Erinnerns unterwegs zu sein?
Stanisław Zalewski: Was ist ein Mensch ohne Glauben? Und ich bitte hier, Glauben nicht mit Religion zu verwechseln. So wie es keine zwei Menschen unter den knapp mehr als acht Milliarden auf der Welt gibt, die den gleichen Fingerabdruck haben, wie es keine zwei gleichen Schneeflocken gibt, obwohl es schon ein paar Jährchen schneit, so gibt es auch keine zwei gleichen Charaktere.

Zu Beginn des Films: Einige der harten Fakten aus der Nazi-Zeit
Zu Beginn des Films: Einige der harten Fakten aus der Nazi-Zeit

Ich rede ja nicht nur über Konzentrationslager. So wie ich auch nur die Uhrzeit sage, wenn ich danach gefragt werde, so spreche ich mit Ihnen hier heute – wie bei anderen Gelegenheiten mit anderen -, darüber ja, damit sich das nicht mehr wiederholt. Und das liegt an Ihnen und an mir.

KiJuKU: dziękuję / danke.

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Szenenfoto aus "Ein Zniachtl" vom Klassenzimmertheater

„Ein Zniachtl“ überlebt und lässt seine Geschichte spielen

Ein Typ stürmt ins Klassenzimmer. Aufgeregt. Wie verfolgt. Außer Atem. In Halbsätzen bringt er gerade irgendwie raus, dass er bedrängt, bedroht, rassistisch beschimpft worden ist. Umstehende nur gelacht hätten.

Auf dem Stundenplan steht ein Besuch vom „Klassenzimmertheater“ und ein Stück über Holocaust. Damit ist klar, das ist schon Teil des Auftritts. Der Typ versucht sich zu beruhigen, geht raus, kommt nochmals rein, stellt sich als Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstituts vor, der kurze, leicht auszufüllende Fragebögen zu Demokratie verteilt. Immer noch aufgeregt von einem vorherigen Erlebnis. Er kommt auf seinen fiktiven 16-jährigen Bruder zu sprechen, der den berüchtigten Nazigruß gerufen hat. Und damit kommt ihm die Geschichte des heute 97-jährige Erich Finsches in den Sinn. Der als Zehnjähriger im Jahre 1938 („Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland) die erste Schlägerei mit zwei jungen Faschisten hatte.

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Szenenfoto aus „Ein Zniachtl“ vom Klassenzimmertheater

Mit zehn Jahren eingesperrt

Der Schauspieler verwandelt sich mit einer leichten Körperdrehung und Änderung seiner Mimik in diesen damaligen Buben Erich. Wie er kurz vor dem großen Pogrom im November 1938, bei dem nicht nur Fensterscheiben von Synagogen (jüdische Bethäuser) und Geschäften massenhaft eingeschlagen, sondern Juden und Jüdinnen zu Hunderten ermordet wurden, von der Mutter auf die Suche nach dem Vater geschickt worden ist. Er hat ihn gefunden: Im Polizei-Arrest, in den er gleich selbst mit gesteckt wurde. Mehr als 200 Menschen auf engstem Raum, so dass sie nur stehen konnten. Es war das letzte Mal, dass er den Vater gesehen hat.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ein Zniachtl“ vom Klassenzimmertheater

Flucht

Der Vater wurde deportiert – überlebte die Nazizeit nicht. Erich selber kam in ein Zwangsarbeitslager in Eisenerz, konnte abhauen. Vier Monate zu Fuß durch Wälder und immer versteckt, bis er kurz vor Wien erstmals bei einer Bäuerin kurzzeitig Unterschlupf und was zu essen fand. In der eigenen Wohnung fand er die Mutter nicht mehr – da lebten jetzt Nazis, die sich die Wohnung unter den Nagel gerissen hatten – „arisiert“. Die Mutter traf er in einem Massenquartier, wo Jüd:innen zusammengepfercht lebten, bis sie in Konzentrationslager verfrachtet wurden.

Heftiges, hautnahes Spiel

Wie Andrzej Jaslikowski diesen Zehn-, später 12- 14- und am Ende 16-Jährigen spielt – mit einfachsten Mitteln: keine Kulisse, keine Technik, pures Schauspiel – geht echt heftig nahe. Lässt immer wieder den Atem stocken. Nimmt mit. Mucksmäuschenstill ist es in der 3HHD der öffentlichen Höheren Tourismus-Schule Bergheidengasse (Wien-Hietzing). Hin und wieder steigt der Schauspieler kurz aus seiner Rolle aus, um die eine oder andere aktuelle Episode aus Erichs Leben in den historischen Kontext zu stellen.

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Szenenfoto aus „Ein Zniachtl“ vom Klassenzimmertheater

Neben der Unterdrückung und Verfolgung durch die Nazis sind ins Stück immer wieder kleine Momente eingebaut, in denen – auch unter diesen widrigen, diktatorischen Umständen Menschen geholfen haben: Neben der schon genannten Bäuerin stellt ihm unter anderem ein Beamter einen Ausweis ohne den Stempel J (für Jüdisch) und dem zwangsweisen zweiten Vornamen Israel aus, was ihm das Leben erleichterte.

Geschichte erzählt

Erich selbst konnte zunächst nach Ungarn flüchten, wo allerdings bald Gesinnungsleute der Nazis die Macht übernahmen, und so landete auch er später in einem KZ. Konnte wieder flüchten, landete bei Widerstandskämpfern – mit dem später berühmt gewordenen Josip Broz „Tito“ (1892 – 1980), der nach dem 2. Weltkrieg Präsident Jugoslawiens wurde.

Echtes Vorbild

Finsches, eine Wiener mit jüdisch-polnischen Wurzeln, erzählte seine Geschichte ausführlich nach der Befreiung 1945 öfter, unter anderem vor einigen Jahren den Leuten vom Klassenzimmertheater. Die bauten daraus ein Stück fürs Klassenzimmer – mit der Rahmenhandlung des „Meinungsforschers“ um unaufdringlich die Verbindung zu hier und heute herzustellen – und nannten es „Ein Zniachtl“. Dieses Wiener Dialektwort steht für wen Kleinen, Schwachen. So war der junge Erich. Mit einem unglaublichen Überlebenswillen ausgestattet, konnte er sich – immer wieder auch mit viel Glück – durchkämpfen und überleben.

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Szenenfoto aus „Ein Zniachtl“ vom Klassenzimmertheater

Als Botschaften gab Erich Finsches den Theaterleuten mit auf den Weg, „dass er nie Menschen gehasst hat, sondern immer nur ihre Taten. Und dass er sich wünscht, dass auch „ein Schmäh“ herrscht und, trotz der Ernsthaftigkeit der Erzählung, nicht nur Bedrückung.“

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Szenenfoto aus „Ein Zniachtl“ vom Klassenzimmertheater
Screenshot aus dem Video mit Ilse Aichingers Gedicht "Winterantwort" in einer Installation auf der Schwedenbrücke (Wien)

Als die spätere Dichterin hier zum letzten Mal ihre Oma sah

Auf der Wiener Schwedenbrücke von der Leopoldstadt (2. Bezirk) in die Innere Stadt (1. Bezirk) kann – in dieser Richtung auf der linken Seite – gehend ein Gedicht gelesen werden. „Winterantwort“ von Ilse Aichinger. In den wenigen Worten, die ausdrucksstarke Bilder vor den geistigen Augen hervorrufen, drückt sich nicht zuletzt ihre Kritik an der ersten vermeintlichen, oberflächlichen Wahrnehmung aus. Und die Erinnerung an ihre Großmutter.

Gedenktafel für Ilse Aichingers Großmutter, Tante, Onkel und 45.000 andere deportierte und ermordete Jünd:innen in der Nazi-Zeit
Gedenktafel für Ilse Aichingers Großmutter, Tante, Onkel und 45.000 andere deportierte und ermordete Jünd:innen in der Nazi-Zeit

Am 6. Mai 1942 hat die damals 21-jährige Ilse Aichinger diese sowie ihre Tante und ihren Onkel zum letzten Mal gesehen – auf einem offenen LKW wurden die drei Verwandten zusammen mit anderen Jüd:innen aus einem Sammellager im 2. Bezirk zum Aspangbahnhof gebracht, von wo aus sie ins Vernichtungslager der Nazis in Maly Trostenez (bei Minsk) verfrachtet und dort ermordet wurden.

Zitat aus Ilse Aichingers Text - an einer Wand im NÖ Landestheater St. Pölten
Zitat aus Ilse Aichingers Text – an einer Wand im NÖ Landestheater St. Pölten

Der Roman der Schriftstellerin „Die größere Hoffnung“ wird derzeit – zu selten – in einer äußerst sehens- und erlebenswerten Dramatisierung in St. Pölten im NÖ Landestheater gespielt – Link zur Stückbesprechung am Ende dieses Beitrages. Die in Metall geschnittenen Buchstaben (Installation: Elisabeth Eich, Schwiegertochter Aichingers) wurden fünf Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin anlässlich der 100. Wiederkehr ihres Geburtstages (1. November 2021) angebracht.

Zwillingsschwester über Kindertransport entkommen

Ilse Aichingers Zwillingsschwester Helga konnte übrigens dem Nazi-Regime im Rahmen eines der Kindertransporte knapp vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs nach England entkommen – für Ilse selbst gab es keinen Platz. Sie konnte mit viel Glück in Wien überleben.

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Das Gedicht

„Winterantwort: Die Welt ist aus dem Stoff, der Betrachtung verlangt: Keine Auge mehr, um die weißen Wiesen zu sehen, keine Ohren, um im Geäst das Schwirren der Vögel zu hören.
Großmutter, wo sind deine Lippen hin, um die Gräser zu schmecken, und wer riecht uns den Himmel zu Ende, wessen Wangen reiben sich heute noch wund an den Mauern im Dorf?
Ist es nicht ein finsterer Wald, in den wir gerieten?
Nein, Großmutter, er ist nicht finster, ich weiß es, ich wohnte lang bei den Kindern am Rande, und es ist auch kein Wald.“

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