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Szenenfoto aus "Bussi Baba" von Ensemble Ehrlos

Heimat-Klischees der Lächerlichkeit ausgesetzt

Was und für wen ist sie? Und was? Wem gehört sie? Sie, die Heimat. Nach Selbstomptimierungswahn und Kapitalismus widmet sich das junge „Ensemble Ehrlos“ in der dritten Produktion diesem von allen möglichen Seiten vereinnahmten Begriff, der sehr oft zur Spaltung in „wir“ und „ihr“ oder gar „die da“ mit dem entsprechenden abwertenden Unterton führt. Und natürlich ist auch „Bussi Baba“ wieder mit viel Humor und (Selbst-)Ironie gespickt.

Vor einem üppig mit Schaumrollen und ähnlichem gedeckten Tisch spielen, tanzen, musizieren Valerie Bast, Marc Illich, Leon Lembert, Pia Nives Welser, Charlotte Zorell. Und stopfen in die eigenen oder die Münder ihrer Mitspieler:innen das picksüße Zeugs hinein.

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Szenenfoto aus „Bussi Baba“ von Ensemble Ehrlos

Dirndl, Frack ohne Hose…

Vom Dirndl bis zum Badeanzug, von der Robe bis zum Frack, dieser ohne Hose, schafft allein schon das Outfit die Distanz zur jeweiligen Figur. Sprachfärbungen – vom „Deutscheln“ bis zu tiefen ordinären Beschimpfungen – eröffnen einerseits ein breites Spektrum, schließen andererseits immer wieder auch andere aus.

Rainhard Fendrichs heimliche Nationalhymne „I am from Austria“ vor allem mit den Zeilen über „Ratten“ und die „Dummheit, die zum Himmel schreit“, Anklänge an Sisi-Nostalgie und sich der Offenheit rühmen, weil Englisch und Französisch gekonnt wird… – gekontert davon, dass gerade in der Monarchie auch die Sprachen der anderen Völker wie Bosnisch, Kroatisch, Serbisch oder Ungarisch auf der Tagesordnung standen. „Und Rumänisch“, eingeworfen von Marc Illich, der seit zwei Jahren am deutschen Theater in Timișoara engagiert ist. Wobei da ein sich aufdrängender Gag ausgelassen wurde, als alle einander weinselig zu„prosten“ – heißt doch das Rumänische „prost“ auf Deutsch „dumm“, steht für Depp oder Trottel.

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Szenenfoto aus „Bussi Baba“ von Ensemble Ehrlos

Kaum ein Klischee im Zusammenhang mit Österreich – nicht zuletzt auch Skifahren – wird ausgespart und dreist auf die Schaufel genommen; selbst Mausi und der kürzlich verstorbene „Mörtel“ ohne ihn zu nennen kommen vor. Aber auch Nationalismen anderer Völker werden angespielt, wobei der Wolfsgruß der türkischen faschistischen Grauen Wölfe vielleicht auch angedeutet gereicht hätte, ohne ihn hocherhoben zu zeigen. Wenn Nazis karikiert werden, muss auch nicht unbedingt der rechte Arm zum einschlägigen Gruß erhoben werden.

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Szenenfoto aus „Bussi Baba“ von Ensemble Ehrlos

Offene Proben

Das fünfköpfige Bühnen-Ensemble erarbeitete innerhalb von viereinhalb dichten Wochen die Performance – von den ersten Ideen über Texte, die bei Improvisationen entstanden sind, die Kürzung derselben und die Bühnen-Show. Bei einer Residence im Rahmen des Theaterfestivals „Hin & Weg“ im niederösterreichischen Litschau „konnten die FestivalbesucherInnen auch eine Stunde pro Tag bei offenen Proben einen Einblick in unseren Entwicklungsprozess bekommen“, berichtet Valerie Bast Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…

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Szenenfoto aus „Bussi Baba“ von Ensemble Ehrlos

Außerdem habe es dramaturgische Beratung als „Blicke von außen“ von Kolleg:innen, nicht zuletzt einigen der gemeinsamen Direktor:innen des Theaters Olé (Wien-Landstraße) – in dem „Bussi Baba“ noch zwei Mal zu sehen ist – gegeben. Wobei eine Art dramaturgischer Bogen schon ein bisschen zu vermissen ist, aber als Art Nummern-Revue gegen Österreich-heimat-Klischees bietet die Stunde doch viele Lach-Gelegenheiten.

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Plakat zu „Bussi Baba“ von Ensemble Ehrlos
Szenenfoto aus "Luft nach oben" von "ensemble ehrlos"

Spieglein, Spieglein auf der Bühne …

„Publikum, Publikum – ob analog oder digital, wer ist die/der Schönst auf der Welt, ja im All?!“
Ob einst im Märchen (Schneewittchen) oder bei Shows wie GNTM (Germanys next top model) – it’s the same shit all over the world (dieselbe Sch… überall auf der Welt). Und doch nimmt diese Seuche, alles auf willkürlich festgelegte optische Normen zu reduzieren zu – trotz fast gleichzeitig ständiger Betonung, dass es auf die inneren Werte, auf Leistung und sonst noch hehre Ziele ankäme. (Selbst-)Optimierung vor allem des Äußeren, um gut auszusehen, dazustehen, zu beeindrucken, zu „überzeugen“. Naja, nicht ganz, zum Äußeren gehört dann noch das „perfekte“ Auftreten – aber auch das eher als Schein, denn als Sein.

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Szenenfoto aus „Luft nach oben“ von „ensemble ehrlos“

Sehr, sehr witzig nehmen Valerie Bast, Leon Lembert, Pia Nives Welser, Charlotte Zorell als „ensemble ehrlos“ in der knapp mehr als einstündigen Performance „Luft nach oben“ vielfältigsten Formen, Ausprägungen und Auswüchsen dieser Manie auseinander – und oft sich selbst dabei auf die Schaufel. Immer wieder drängt sich die eine oder der andere in den Vordergrund, preist eigene Vorzüge, macht andere runter, stets werden wechselnde Allianzen geschlossen. Jedes Mal geht‘s um „ich bzw. wir sind besser“, pardon vor allem eigentlich schöner. Es werden nie Leistungen gemessen, sondern stets Aussehen bzw. Auftreten – mit so manchem verbalen und psychischen Hintreten. Womit sie aber gleichzeitig nicht nur vorspielen, wie sich viele im realen und virtuellen Leben präsentieren, sondern gleichzeitig dem Publikum einen riesigen Spiegel vorhalten.

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Szenenfoto aus „Luft nach oben“ von „ensemble ehrlos“

Psycho-Business

Etwa indem insbesondere am Anfang der einzige Mann des Quartetts ständig das Wort an sich reißt und Gschichterln erzählt, die das Frauentrio ohnehin schon mehr als zur Genüge kennen dürfte. Oder mehrmaliges Ausgrenzen der am wenigsten Spindeldürren samt Lächerlichmachen über deren Schilderungen.

Neben der zwanghaften (Selbst-)Optimierung zerlegen die vier jungen Schauspieler:innen in einer unglaublichen Schwerelosigkeit nicht nur diese das Leben vor allem vieler Jugendlicher schwer beeinträchtigenden Auswüchse, sondern auch so manches aus dem vorgeblich heilenden oberflächlichen Psycho-Business. Gipfel bei Letzterem: Schwimmen mit Walen, auch wenn’s in dem Fall nur ein aufblasbarer Delfin ist 😉

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Szenenfoto aus „Luft nach oben“ von „ensemble ehrlos“

Ausrasten

Die Premiere am Wochenende im „erstbesten Theaterhaus für Clownerie“, dem Theater Olé (Wien-Landstraße) wurde so bejubelt, dass überschwänglich noch eine Untertreibung darstellt, ja etliche sozusagen ausrasten ließ. Manche riefen sogar „noch einmal“. Und ja, es wird vorläufig mindestens noch einmal gespielt, aber andernorts, in der ehemaligen Semmelweis-Klinik (Wien-Währing), siehe Info-Block.

Über das Ensemble

Das „ensemble ehrlos“ wurde 2022 von Valerie Bast und Pia Nives Welser gegründet. Die erste Stückentwicklung „Für alle reicht es nicht“ feierte beim Kultursommer 2022 Premiere und wurde danach mehrmals wiederaufgenommen. Das Stück über Kapitalismus wurde zu den Heidelberger Theatertagen 2023 eingeladen.

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Szenenfoto aus "Dr. Dr. Doktor Frankenstein" von Theater Asou

Zwischen Corona und Frankenstein

Frankenstein – DIE Geschichte schlechthin über die Erschaffung eines künstlichen Menschen, der dann zum Monster wird. Neben dem Originalroman von Mary Shelley vor mehr als 200 Jahren, jeder Menge Bühnen- und Filmfassungen gibt es diese dramatisierte Kritik an Künstlichem, das Menschen in Anflügen von Größenwahn produzieren ohne die (möglichen) Folgen zu bedenken, seit einigen Monaten eine recht witzige, teils absurde, Clowntheater-Version ohne sie zu verblödeln. Derzeit gastiert das Grazer Theater Asou mit Dr. Dr. Doktor Frankenstein“ im „erstbesten Clowntheater in Wien“, dem Theater Olé.

Bevor Michael Hofkirchner rund eineinhalb Stunden die Bühne – und zeitweise auch den Publikumsraum – bespielt, startet die Performance schon bei der „Sprechstundenhilfe“ namens Marie Schelky (!). In diese Rolle schlüpft Ursula Litschauer, die auch Regie führte und zwei Kurzauftritte auf der Bühne hat.

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Szenenfoto aus „Dr. Dr. Doktor Frankenstein“ von Theater Asou

Ach ja, eigentlich hätte ich vorgehabt nicht zu spoilern, dass der bucklige, humpelnde Clown gar nicht der Doktor himself ist, aber schon die Ankündigung des Theaters verrät, dass es sich bei dieser Figur um Frankensteins Assistenten Zwonimir handelt. Der will aber mehr als nur vorbereiten, er eifert dem Dr. Dr. Doktor nach, nein will ihn sogar übertreffen, fühlt sich göttlich. Oder zumindest auf Zeigefinger-Höhe mit dem höheren Wesen – in einer kurzen Szene im letzten Viertel des Stücks stellt Hofkirchner den berühmten Ausschnitt aus Michelangelo Buanarottis Fresko aus der Sixtinischen Kapelle in Rom „Die Erschaffung Adams“ nach.

Ansätze von kaltem Schauer in den Szenen in denen der Arzthelfer Frankensteins O-Werk – die Erschaffung eines lebendigen Geschöpfes aus toten Stoffen – fabriziert, bricht der schauspielende Clown/clowneske Schauspieler mit exakt getimten witzigen Brüchen. Von solchen setzt er Hofkirchner insgesamt übrigens viele. Auch einen in dem möglicherweise doch der Arzt himself auftaucht. Oder doch nicht? Oder Zwonimir seinen Kopf verliert, der in einer Vitrine landet, beobachtet von einem einzelnen, einsam auf und ab wippenden Auge. Das auch das Publikum in „Augenschein“ nimmt.

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Szenenfoto aus „Dr. Dr. Doktor Frankenstein“ von Theater Asou

Ausgangspunkt für das Stück, so Hofkirchner nach dem Auftritt im Olé zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… sei Vieles rund um und aus der Pandemie-Zeit gewesen. Und das vermittelt sich in so manchen Details der mit vor allem szenischen, teils auch sprachlich dicht mit Gags gespickten Show. Etwa, wenn der Möchtegern-Doktor mit überdimensionalen Spritzen Zuschauer:innen impfen will und diese angstvoll abwehren. Hingegen die meisten anstandslos die Zunge rausstrecken, wenn ihnen der hölzerne Spatel entgegengehalten wird.

Der Abend ist so voller liebe- und kunstvoller Details (bis hin zu fast absurd wirkenden Titeln von Roman-Zeitschriften im „Wartezimmer“), dass die eine oder andere Anspielung vielleicht sogar erst bei einem Zweit-Besuch in der „Ordination“ erblickt oder erkannt wird. Würde sich jedenfalls auszahlen.

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Szenenfoto aus „Dr. Dr. Doktor Frankenstein“ von Theater Asou