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Befreiungsfeier in der Gedenkstätte ehemaliges KZ Mauthausen: Julia Zierlinger, Dilovan Shekho, Julius Pilz, Ingrid Haab
Befreiungsfeier in der Gedenkstätte ehemaliges KZ Mauthausen: Julia Zierlinger, Dilovan Shekho, Julius Pilz, Ingrid Haab
11.05.2023

„Morgen musst du weg!“ – Heute sammelt er Bildungsabschlüsse in Österreich

Interview mit 26-Jährigem, der aus Syrien flüchten musste. Heute arbeitet er als Bürokaufmann mit Zusatzqualifikation in Wien und ist gewählter, ehrenamtlicher Vorsitzender der Roten Falken.

„Zuerst hab ich es gar nicht glauben können, gedacht die wollen mich ver…. Aber es war leider sehr ernst. Ein Bekannter hat meine Eltern informiert, dass mein Name auf einer Liste der Polizei steht von Personen, die sie verhaften werden“, beginnt Dilovan Shekho im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … die Momente zu schildern, als es hieß: „Du musst ein paar Sachen packen, wir geben dir das nötige Geld und dann musst du morgen weg!“

KiJuKU: Wie war das in diesem Moment, als 16-Jähriger zu erfahren, morgen musst du weg und das ganz allein?
Dilovan Shekho: Meine Mutter sagt oft, das war die schwierigste Entscheidung ihres Lebens. Aber sie hat mir die Verantwortung und das Geld dafür – insgesamt 10.500 $ anvertraut.

KiJuKU: Und für dich selber? Klar, du hast erfahren, wenn nicht, dann landest du im Häfen, aber trotzdem – ganz allein weg?
Dilovan Shekho: Naja, wir sind alle so aufgewachsen, dass uns – noch drei Geschwister – unser Papa, unsere Eltern immer stückweise Verantwortung übertragen, uns sozusagen nicht immer alles in den Mund gesteckt haben. Das hat schon sehr geholfen.

Dilovan Shekho
Rote-Falken-Konferenz

Matura, 2 Lehrabschlüsse, C1-Deutsch-Niveau

Der heute 26-jährige ist mittlerweile ehrenamtlicher Bundesvorsitzender der Roten Falken, Vollzeit-Bürokraft und -organisator – Sekretariat, Buchhaltung und Organisations-Service – mit Matura und zwei abgeschlossenen Lehren und noch weiteren Ausbildungen, etwa dem WienXtra-Grundkurs in Kinder- und Jugendarbeit. Seit knapp mehr als zehn Jahren ist er in Österreich, hat in Sachen Deutsch das C1-Zertifikat (fortgeschrittenes Sprach-Niveau, das fünfte der insgesamt sechs Levels des europäischen Referenzrahmens) und waaaaartet nun darauf, endlich auch all jene Hürden zu überwinden, die ihm die österreichische Bürokratie in den Weg stellt, um Staatsbürger werden zu können.

Auf Liste zu Verhaftender

KiJuKu: Zurück zum Ausgangspunkt, zu deiner Flucht aus Syrien…
Dilovan Shekho: „Ich hab in Qamishli – Nordost-Syrien – an vielen Demos gegen das autoritäre Regime teilgenommen, deshalb musste ich weg – zuerst in einem Bus bis in die Nähe von Kobane und dort über die türkische Grenze. Dabei hat mir geholfen, dass ich einer Frau einen Teil von ihrem Gepäck getragen habe. Frauen ließen sie über die Grenze, von Männern – auch Jugendlichen – haben sie erst die Pässe einkassiert. Die Frau hat geschrien, dass ich ihr Cousin sei und ihre Sachen noch bei mir habe – dann ließen sie mich gehen. Danach trennten sich in der Türkei unsere Wege, ich fuhr nach Istanbul und von dort mit LKW versteckt über Bulgarien, Rumänien, Ungarn nach Österreich. In einem Monat war ich da. Am 21. März 2013 hab ich im Flüchtlingslager Traiskirchen meinen Asylantrag gestellt, wurde dann bald ins Laura-Gantner-Heim für Jugendliche in Hirtenberg überstellt.“

Rote-Falken-Konferenz
Rote-Falken-Konferenz

Abschluss-Sammler

KiJuKU: Wie ging’s dann weiter?
Dilovan Shekho: „Drei Monate Betreuung samt Alphabetisierungs- und Deutschkurs habe ich bei der Einstufungsprüfung schon A2-Niveau erreicht, drei weitere Monate und ich hatte das B1-Zeugnis.“

Nebenbei kümmerte er sich um einen Pflichtschul-Abschluss, besuchte das Gymnasium Rahlgasse (Wien) – neben dem Deutschkurs ein paar Schnupperwochen in einer vierten Klasse. Dort war auch die PROSA – Projekt Schule für Alle – untergebracht. Schulabschluss, dann 5. und 6. Klasse Gym – „die musste ich wiederholen, da war dann meine Motivation ein bissl runter. Ein Freund hat mir dann erzählt, dass es in Wien auch eine lybische Schule gibt, wo auf Arabisch unterrichtet wird – mit dem ich neben Kurdisch aufgewachsen bin – so hab ich dort begonnen, die Matura absolviert. Zeitweise bin ich aber auch noch parallel in die Rahlgasse gegangen, um mein Deutsch weiter zu verbessern, außerdem hatte ich dort ja meine Freunde.“

Nach der Matura hat er noch einen ECDL-Kurs (europäischer Computer-Führerschein) gemacht, war ein paar Monate arbeitslos und hat begonnen, über ein „Connect“-Projekt der Kinderfreunde ehrenamtlich immer wieder Dinge auf Arabisch und Kurdisch (Kurmandschi) zu übersetzen. „Dann hab ich bei einer Leihfirma gearbeitet, die Kinderfreunde haben mich dann gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, eine Lehre als Bürokaufmann bei ihnen zu machen. Eigentlich wollte ich soziale Arbeit studieren, hab mir aber gedacht, das kann ich später auch noch, eine Lehre vielleicht aber nicht mehr.“

Kinderrechte-Aktion, im Foto: Dilovan Shekho, Corinna Schumann, Jörg Leichtfried, Yannick Immler, Christian Oxonitsch, Michael Kogl und Daniele Gruber-Pruner
Kinderrechte-Aktion, im Foto: Dilovan Shekho, Corinna Schumann, Jörg Leichtfried, Yannick Immler, Christian Oxonitsch, Michael Kogl und Daniele Gruber-Pruner

Kinder- und Jugendarbeit

Da die Matura anerkannt wurde, dauerte seine Lehrzeit nur mehr zwei Jahre „und dann hab ich noch bei der Wirtschaftskammer die Lehrabschlussprüfung für Finanz- und Rechnungswesen gemacht und weil ich immer neue Herausforderungen suche den Grundkurs für Kinder- und Jugendarbeit von WienXtra. Dafür müssen alle immer ein eigenständiges Projekt machen. Meines war über Kickboxen Jugendliche mit Älteren zusammenzubringen – einerseits bringt Sport viel und andererseits wollte ich was generationenübergreifendes initiieren.“

Urlaub für Ehrenamt

KiJuKU: Nach der Lehre wurdes du übernommen?

Dilovan Shekho: Ja, nach der Lehre wurde haben mich die Roten Falken in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen. Ich mache hier Büroarbeiten, die Buchhaltung und leite das Organisations-Service.
Dilovan Shekho: Ja, nach der Lehre wurde haben mich die Roten Falken in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen. Ich mache hier Büroarbeiten, die Buchhaltung und leite das Organisations-Service.

KiJuKU: Du bist auch Vorsitzender der Roten Falken, wie kam es dazu?
Dilovan Shekho: Schon während meiner Lehrzeit wurde ich gefragt, ob ich nicht im Vorsitzteam mitarbeiten wolle – ich hab schon früher bei den Ferienlagern und anderen Aktionen und Aktivitäten mitgeholfen. Ich hab ja gesagt und wurde stellvertretender Vorsitzender und bei der Bundeskonferenz im Oktober des Vorjahres zum Vorsitzenden gewählt.“

KiJuKU: Das ist aber eine ehrenamtliche Funktion, oder?
Dilovan Shekho: Genau und mir war von Anfang an wichtig, das strikt zu trennen – wenn ich bei den Ferien-Camps Kinder betreue, dann nehm ich mir dafür Urlaub – oder Zeitausgleich. Ich find das ist korrekt und ich hab dadurch ein gutes Gewissen.“
Dilovan Shekho: Genau und mir war von Anfang an wichtig, das strikt zu trennen – wenn ich bei den Ferien-Camps Kinder betreue, dann nehm ich mir dafür Urlaub – oder Zeitausgleich. Ich find das ist korrekt und ich hab dadurch ein gutes Gewissen.“

KiJuKU: Das ist aber meist mehr als ein bissl Nebenher-Engagement
Dilovan Shekho: Klar, es ist echt viel zu tun, aber es macht voll Spaß. Vielleicht habe ich das am Anfangs sogar ein bisschen unterschätzt, auch die viele Verantwortung, die mit dieser Funktion verbunden ist. Wir wollen unsere Ferienlager auch weiterentwiclen, arbeiten an Konzepten, wie wir sie verbessern können, binden dazu auch Kinder und Jugendliche selber ein, um auf ihre Vorschläge einzugehen. Aber ich bin immer wieder fasziniert, was und wieviel Kinder und Jugendliche einbringen.

KiJuKU: Du hast kurz angedeutet, dass du nun nach zehn Jahren in Österreich um die Staatsbürgerschaft angesucht hast, und das nicht so einfach ist.
Dilovan Shekho: Ja, das nervt. Ich komm ja aus der Bürokaufleute-Ausbildung, bin voll organisiert und mit mehreren Ordnern zur MA 35 hingegangen, habe alle Unterlagen fein säuberlich vorgelegt und dann kommen die damit, dass ich in einer Wohnung mit meinem Bruder lebe, der neben seiner Lehrlingsentschädigung Sozialhilfe bezieht um auf die Mindestsicherung aufgestockt zu werden.

Ich find’s ein bisschen schade, dass Österreich nicht das Potenzial von Menschen wie mir und uns sieht und solche Hürden aufbaut. Übrigens, der nächste freie Termin, um das zu besprechen wäre erst im April 2024 (!).

KiJuKU-Interview mit Dilovan Shekho in einem Besprechungsraum der Roten Falken und Kinderfreunde
KiJuKU-Interview mit Dilovan Shekho in einem Besprechungsraum der Roten Falken und Kinderfreunde

Allein auf der Flucht

KiJuKU: Du bist als sogenannter UMF – unbegleiteter minderjähriger Flüchtling allein nach Österreich gekommen, wie geht’s deiner Familie?
Dilovan Shekho: Mein älterer Bruder war schon vor mir da, meine Eltern und mein jüngerer Bruder sind mittlerweile auch in Österreich – die sind legal eingereist. Aber ich will und muss betonen, die/wir sind keine Wirtschaftsflüchtlinge. Ich musste ja weg, weil ich sonst als politischer Aktivist gegen das Regime verhaftet worden wäre. Für meine Eltern war es danach auch nicht mehr ungefährlich.

Wirtschaftliche Basis in Syrien

UND: Wir hatten in Syrien eine gute wirtschaftliche Basis. Mein Vater hatte eine Fahrschule – gemeinsam mit drei Partnern – die haben alle Bevölkerungsgruppen abgedeckt: Araber, Kurden und Christen. Das Haus, das uns gehört, haben wir an Binnenflüchtlinge vermietet. Die Landwirtschaft, die meinem Opa gehört, kann leider nicht mehr bestellt werden. Die wurde während der Kämpfe von IS-Leuten vermint, das wäre zu gefährlich. Ein Geschäft, das uns gehört, wurde vermietet und wird von einem Freund von meinem Papa verwaltet. Mein Vater hat überhaupt so viel gearbeitet – in zwei Jobs, dass wir ihn als Kinder zu Hause nur wenig gesehen haben.

Hier wurde er fast krank, als er am Anfang nicht arbeiten durfte. Das haben wir alle von ihm irgendwie auch übernommen. Er hat uns immer beigebracht, nichts als selbstverständlich hinzunehmen, sondern für alles arbeiten und kämpfen zu müssen.

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