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Szenenfoto aus "Funken" im Theater im Zentrum (Theater der Jugend, Wien): Una Nowak als Twinkle: hinten Mino Dreier als Malte Schröder, vorne Paul Winkler als Shawn
Szenenfoto aus "Funken" im Theater im Zentrum (Theater der Jugend, Wien): Una Nowak als Twinkle: hinten Mino Dreier als Malte Schröder, vorne Paul Winkler als Shawn
16.10.2024

Achterbahnfahrt zwischen Uto- und Dystopie

Heftig umjubelte österreichische Erstaufführung von Till Wiebels „Funken“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend, Wien).

„Elternfreie Zone“ – das kann verlockend klingen. Oder auch beängstigend. Als Malte Schröder von seiner Mutter vor den Toren des Ferienlagers mit diesem Motto aus dem Auto aussteigen gelassen wird, gerät er in so etwas wie dazwischen. Wohl ist ihm nicht, als er hinter dem Tor „nur“ auf Jugendliche trifft und keine Erwachsenen sieht / erlebt, an die er sich wenden kann.

Supertyp:innen und Normalo

Noch unwohler wird’s für ihn, als ihm lauter Altersgenoss:innen (alle zwischen 12 und 14) mit besonderen Fähig- oder Fertigkeiten, Kenntnissen und so weiter begegnen. Er fühlt sich als „der durchschnittlichste Teenager der Welt“. Was ihm letztlich Shawn Baker, Twinkle und Isilda abnehmen, bestätigen und letztlich genau das wertschätzen.

Shawn Elektra El Firestorm von und zu Rosenstock Baker, ein auf Farbenfrohheit und Exzentrik stehender Künstler, Twinkle- (fast) allwissend mit der Fähigkeit, vor allem sekundengenau Gewitter vorhersagen zu können und die geheimnisumwobene Kämpferin Isilda nehmen den „Normalo“ in ihren Bund auf – woran dieser wächst.

Vielumjubelt

Für „Funken“, wie das Stück heißt, wurde sein Autor von Till Wiebel vor drei Jahren mit einem der beiden damals erstmals vergebenen Retzhofer Dramapreise in der Kategorie für junges Publikum, ausgezeichnet – siehe Link am Ende des Beitrages. Mittlerweile wurde das Stück schon auf mehreren Bühnen Deutschlands in unterschiedlichen Inszenierungen aufgeführt. Nun feierte es seine vielumjubelte österreichische Uraufführung im Theater im Zentrum, der kleineren Spielstädte des Theaters der Jugend in Wien (Regie: Karin Drechsel). Zwischendurch gab es sogar einmal Szenen-Applaus.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Funken“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend, Wien): Paul Winkler als Shaniqua van de Pol

Junge, punktgenau besetzte, Schauspieler:innen

In mitunter rasend schnellem Tempo verkörpern die vier jungen Schauspieler:innen ihre Figuren – und dazu hin und wieder noch weitere der jugendlichen Camp-Teilnehmer:innen, die wichtige, aber doch Nebendarsteller:innen sind. Mino Dreier, gar noch in der Ausbildung ist der wandlungsfähige Durchschnitts-Weltmeister, der zunehmend über sich hinauswächst, Paul Winkler der Paradiesvogel mit dem urlangen Künstlernamen. Una Nowak überzeugt als Wissenschafts-Nerd und Olivia Marie Purka die Kämpferin, die sich mit einer Art Schleier von Geheimnis umgibt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Funken“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend, Wien): Ensemble

Zynische Erwachsene

Gegenspieler ist eine Stimme aus dem Off, die Frank Engelhardt gehört und die er dem Großunternehmer Arthur McPush leiht, der auch das Camp betreibt. Und das mit einem gewissen Zynismus mit heftigen Wendepunkten in der Geschichte. Bei einem Bootsausflug stirbt Twinkle fast, wobei die Versuche von Arthur Hilfe zu erbitten, von diesem abgeschmettert werden – ihr müsst alleine zurechtkommen. Als dann noch dessen eMail an Shawns Eltern auftaucht, woraus sich ergibt, dass diese den Sohn an den Unternehmer verkauft haben – unter dem Motto fordern und fördern -, scheint die Geschichte in eine Art Boot-Camp zu kippen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Funken“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend, Wien): Olivia Purka als Isilda, Paul Winkler als Shawn Baker

Selbst-Befreiung

Unterstützt von anderen Protagonistinnen aus dem Camp, nicht zuletzt von Ariana Tuktuganov, die 38 Sprachen fließend beherrscht und im Camp eine neue, sehr einfach zu lernende entwickelt, die letztlich als eine von Arthur nicht verstandene (was allerdings angesichts von Sätzen wie „planare fu ein Revolutiono“ angezweifelt werdn darf) Geheimsprache untereinander dient, rauschen die Jugendlichen in eine eigene, ungewissen, aber selbstbestimmte Zukunft: „Zum ersten Mal, können wir uns dazu entscheiden, zu sein, wer oder was auch immer wir sein wollen. Wir können das Ende der Geschichte selbst erzählen und behaupten, es sei der Anfang und alles vorher nur ein Missverständnis. Die Erwachsenen haben sich geirrt – in allem was sie uns über die Welt und wie sie funktioniert erzählt hatten“, lässt der Autor seine Figur Malte gegen Ende resümieren.

Raum und Projektionen

Neben dem starken Schauspiel der vier genannten Darsteller:innen, die in einer Szene, in der es um die eigenständige, widerständige Haltung gegenüber den Vorstellungen der Erwachsenen geht, gleichsam zu vier Gretas (Thunberg) werden, spielt das flexible Bühnenbild (Ausstattung: Christine Grimm) eine große Rolle. Milchigglasige Vitrinen mit Pflanzen wirken wie nicht ganz reale Glashäuser und ergeben durch diverse Verschiebungen Schlafräume ebenso wie den See auf dem sie zu viert im Kanu paddeln. Außerdem dienen sie immer wieder als Projektionsflächen für Videos (Video- und Sounddesign: Jonathan Heidorn).

Ein starkes Stück über – freiwillige und erzwungene Abnabelung Jugendlicher einer-, sowie den Diskurs, was denn schon normal sei, andererseits, das in seinem Wort- („Glanz oder gar nicht. Für schlimmer und ewig“) und Spielwitz sowie der starken Körperlichkeit der Schauspieler:innen junges Publikum auch direkt bei ihren eigenen Gefühlen und Fragen packen kann.

Follow@KiJuKUheinz

Ein Interview mit dem Autor des Stücks folgt demnächst.

Morton- Rhue, u.a. Autor von Boot-Camp, im Gespräch mit Kinder-KURIER

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Funken

von Till Wiebel
Ab 11 Jahren; ca. 2 Stunden

Regie: Karin Drechsel

Malte Schröder: Mino Dreier
Shawn Baker: Paul Winkler
Twinkle: Una Nowak
Isilda: Olivia Marie Purka
Arthur McPush – als Stimme aus dem Off: Frank Engelhardt
in weiteren Rollen: Ensemble

Ausstattung: Christine Grimm
Licht: Karin Drechsel und Christine Grimm
Video- und Sounddesign: Jonathan Heidorn
Dramaturgie: Sebastian von Lagiewski
Assistenz und Inspizienz: Natalie Ogris
Hospitanz: Lara Marie Schöttl

Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Wann & wo?

Bis 8. Dezember 2024
Theater im Zentrum (Theater der Jugend, kleineres Haus): 1010, Liliengasse 3
tdj -> funken