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Bildmontage: Drei Porträtfotos der Sieger:innen: Till Wiebel, Johannes Hoffmann und Lisa Wentz sowie das Logo des Dramatiker*innen-Festivals
Bildmontage: Drei Porträtfotos der Sieger:innen: Till Wiebel, Johannes Hoffmann und Lisa Wentz sowie das Logo des Dramatiker*innen-Festivals
14.06.2021

Jugend ohne Eltern – zwei unterschiedliche Stück-Texte ausgezeichnet

Erstmals wurden beim renommierten Retzhofer Dramapreis auch Stücke für ein junges Publikum prämiiert. Die Preisträger teilten mit Konkurrent:innen

Das sehr stimmige jüngste Dramatiker*innen-Festival in Graz – in der Öffentlichkeit außerhalb der steirischen Landeshauptstadt ein wenig im Vergleich zur Diagonale zu wenig wahrgenommen – ging Sonntagmittag mit der Verleihung der renommierten Retzhofer Dramapreise zu Ende. Erstmals waren auch zwei Preise für Stücke für junges Publikum ausgeschrieben – ursprünglich gedacht als eines für Kinder, eines für Jugendliche. Die Jury entschied anders, bewertete die Texte unabhängig davon und so sind es nun zwei Jugendstücke: „Funken“ von Till Wiebel wird vom Theater an der Parkaue (Berlin) umgesetzt und Johannes Hoffmanns „nachtschattengwächse“ wird im Theater am Ortweinplatz (taO!) seine Uraufführung erleben – in Kooperation mit Next Liberty. In dem zuletzt genannten Grazer Theaterhaus hatte der Autor übrigens mehrere Saisonen gespielt.

Dei beiden in der Kategorie Theatertexte für junges Publikum ausgezeichneten Nachwuchs-Autoren: Till Wiebel und Johannes Hoffmann

Preisträger teilen ihr Geld auf

Bevor hier auf Stücktitel und Autor:innen eingegangen werden soll, noch eine kleine Sensation – die sehr gut zur Stimmung des ganzen Festivals passt. Ein Miteinander der unterschiedlichsten Kulturinstitutionen statt Konkurrenz gegeneinander. Und so teilten beide Ausgezeichneten ihr Preisgeld (jeweils 5000 €) auf. Sieben der zehn Autor:innen, deren Stücktexte in die engere Auswahl gekommen und schon auszugsweise zu Hörspielen verarbeitet worden waren – siehe die beiden Beiträge über die „Dramawalks zu Erzählstühlen“ -, hatten vor der Preisverleihung beschlossen: Wer von uns auch gewinnen mag, wir teilen.  

Und das passte zur Atmosphäre der Woche: Überall Aufatmen, dass Theater wieder stattfinden kann – sowohl von den Akteur:innen als auch vom Publikum, also endlich wieder den gemeinsamen Raum teilen. (So manches gab’s allerdings nur als Filme in Theaterhäusern, weil es in den vergangenen fast eineinhalb Jahren nicht anders produziert werden konnte. Manches auch bewusst für Kino-Leinwände produziert…)

Vier Schauspieler:innen lesen aus dem Siegertext: Martin Niederbrunner, Christoph Steiner, Simone Leski und Lisa Rothhardt
Vier Schauspieler:innen lesen aus dem Siegertext von Johannes Hoffmann: Martin Niederbrunner, Christoph Steiner, Simone Leski und Lisa Rothhardt

Kids unter sich

So nun aber zu den beiden Preisträgern – hier geht der Preis für die „Ausgewachsenen“ unter und wird wieter unten nur knapp erwähnt, sry.

Vielleicht beeinflusste auch die krasse Auswirkung der Pandemie und ihre Folgen besonders für Jugendliche die Jury-Entscheidung? Jedenfalls gewannen zwei Stücktexte, in denen Jugendliche ohne Eltern auskommen dürfen/müssen. Nein, es geht nicht um Straßenkinder irgendwo auf der Welt, sondern um Mittelschicht-Kids in – sagen wir Österreich oder Deutschland.

Über beide Stücktexte samt Auszügen daraus und die Begründung der Jury für die Preiswürdigkeit – zwecks der Vermeidung zu langen nach unten Scrollens – siehe zwei eigene Beiträge – und noch weiter unten Links zu den beiden „Dramawalks zu Erzählstühlen“ – wo die beiden Siegertexte ja schon vorgekommen sind:

Können sich Jugendliche von den Regeln lösen?

„Jugendliche, die allein auf sich gestellt sind und Fragen der Zukunft“, nannte Johannes Hoffmann im kurzen Gespräch nach der Preisverleihung als den Ausgangspunkt für seine Geschichte „nachtschattengewächse“. Eigentlich müssten sie nicht, tun es aber doch – Regeln zu internalisieren, die sie mitbringen – und nicht hinterfragen. „Die sind ihnen so in Fleisch und Blut übergegangen – mit der Erziehung, die sie vorher von Eltern und der Gesellschaft bekommen haben, dass sie gar nicht, was sie ja könnten, frei sind.“

Für seinen Text konnte der 40-jährige gebürtige Grazer für atmosphärische Beschreibungen auf Recherchen zurückgreifen, die schon ganz lange zurückliegen. „Während meines Studiums wollte ich einmal in Interanten recherchieren. Die Eliteschule Salem am Bodensee war überraschend offen und ich konnte dort eine Woche verbringen, es war sogar ein Schüler sozusagen abgestellt, mich dabei zu unterstützen.“

Es ist sein erster Text, den er speziell für junges Publikum verfasst hat, „aber ich war früher für einige Jahre als Schauspieler am Next Liberty“, fällt Hoffmann knapp vor Ende des Gesprächs noch ein.

Wenn der Himmel auf Erden zur Hölle wird …

Geht es bei Hoffmann sehr düster zu, so wollte sein Preisträger-Kollege, der 27-jährige Till Wiebel aus Deutschland „eine Situation beschreiben, wo Jugendliche unter Bedingungen zusammenkommen, wo niemand gemobbt wird und alle solidarisch sind, eine Art Feriencamp für Hochbegabte, was immer das auch sein mag. Lauter Leute, die’s in ihren Schulen eher nicht so leicht haben, weil sie ein bisschen nerdig sind. Und dann wird dieser Himmel auf Erden zur Hölle sozusagen …“

Auch für ihn ist es, so sagt er dem Reporter, das erste Stück, das er bewusst für Jugendliche geschrieben hat, „obwohl ich auch schon einiges während des Studiums in Hildesheim im Kinder- und Jugendtheater gearbeitet habe.“

Tätig war er bisher in Weimar, Bremen und demnächst am Jungen Schauspielhaus Hamburg.

Drei Schauspieler:innen lesen aus dem Siegertext: Yvonne Klamant, Helmut Pucher und Christoph Steiner
Drei Schauspieler:innen lesen aus dem Siegertext von Till Wiebel: Yvonne Klamant, Helmut Pucher und Christoph Steiner

„Ausgewachsene“

Zum 10. Mal wurde der Retzhofer Preis für dramatisches Schreiben für Erwachsene vergeben. Die Jury – Margarete Affenzeller (Kulturjournalistin), Alexandra Althoff (Dramaturgin), Stijn Devillé (Autor), Tobias Schuster (Dramaturg), und Eva-Maria Voigtländer (Dramaturgin) – zeichnete damit Lisa Wentz für ihren Stücktext „Adern“ aus.

Die Jury beschreibt den Text und begründet die Entscheidung unter anderem folgendermaßen: Eine junge Frau zieht mit ihrer kleinen Tochter in den 1950er-Jahren in ein Tiroler Bergdorf und heiratet dort den verwitweten Vater dreier Kinder. Diese scheinbar zweckmäßige, über eine Annonce herbeigeführte Verbindung im Stück „Adern“ birgt, wie sich allmählich herausstellt, eine besonders starke Liebe, von der die Autorin in knappen und umso wirkungsvolleren Dialogen erzählt. (…) Mit wenigen Worten entwirft die Autorin tiefgründige Figuren, deren Konflikte ohne großes Drama und oft im Ungesagten augenscheinlich werden.

Preisträgerin Lisa Wentz
Da Lisa Wentz nicht an der Preisverleihung teilnehmen konnte, nur ein Porträtfoto ohne Preis

Sie beherrscht eine Dramaturgie der Stille, ähnlich den Dramen Ödön von Horváths, sowie einer der Zeitsprünge, die sich scheinbar beiläufig etwa über Nachrichten aus dem Radio bemerkbar machen. Mit „Adern“ liegt ein überaus kunstvolles Volksstück vor. Es lässt in seiner dialogischen Könnerschaft so manches Werk der Postdramatik weit hinter sich.“

Klaudia Reichenbacher, Ernst-Binder-Sipendiatin

Tänzerin, Schauspielerin, Theater-Möglichmacherin

Nach den Retzhofer Dramapreisen wurde auch zum fünften Mal das Ernst-Binder-Stipendium im Heimatsaal des Volkskundemuseums Graz vergeben. In diesem Jahr ging es an die Tänzerin, Schauspielerin, Regisseurin – und wie es in der Laudatio hießt – Theater-Möglichmacherin Klaudia Reichenbacher.

Follow@kiJuKUheinz

Zu den Beiträgen über die beiden „Dramawalks auf Erzählstühlen“

Weitere Fotos von der Preisverleihung

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Retzhofer Dramapreis

Der Preis versteht sich als Nachwuchspreis für szenisches Schreiben, 2021 erstmals auch vergeben in der Kategorie für junges Publikum. Aus 140 Einsendungen wählte eine Vorjury 25 Bewerber*innen aus.
Regisseur*innen, Schauspieler*innen und Dramaturg*innen unterstützten die Nominierten in der Weiterarbeit an ihrem Wettbewerbsbeitrag. Im Anschluss daran wurden die eingereichten Arbeiten anonymisiert zwei Jurygruppen vorgelegt, welche die Siegerstücke – 2021 erstmals auch solche, die für junges Publikum gedacht sind – ermittelt haben.
Bisher wurden ausgezeichnet: Gerhild Steinbuch, Johannes Schrettle (2003), Ewald Palmetshofer (2005), Christian Winkler (2007), Henriette Dushe (2009), Susanna Mewe (2011), Ferdinand Schmalz (2013), Özlem Özgül Dündar und Miroslava Svolikova (2015), Liat Fassberg (2017) sowie Thomas Perle (2019).
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Das 5. internationale fragt Autor*innen, Theatermacher*innen und andere Künstler*innen: Welche Geschichten brauchen wir auf dem Weg ins ÜBERMORGEN und wie kommen wir dort hin? Wir suchen nach Theaterabenden, Texten und Fiktionen, die das Potenzial haben, Zukunft zu sein.

Dramatikerinnenfestival 2021

Compliance-Hinweise: Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … wurde für die Dauer des Festivals nach Graz eingeladen.