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Szenenfoto aus "Boom Boom Pansenstich"
Szenenfoto aus "Boom Boom Pansenstich"
18.10.2025

Aufgeplusterte „Clown-Army“ zerlegt Bluten fürs Vatiland

Humoristisch-groteske, vielschichtige Performance mit Schau- und Puppenspiel, Live-Musik und blutroten Götterspeisen vom Kollektiv Spitzwegerich im ehemaligen „Irrenhaus“.

Ein behelmter Typ, Melodica blasend und mit umgehängter kleiner Trommel, kommt die Stufen von Pavillon 7 herunter, um auf dem Platz davor mit den ersten Schlägen sozusagen den „Startschuss“ zu geben. Von links und rechts wie aus dem finsteren Nichts tauchen Mitspieler:innen des Kollektivs Spitzwegerich auf und tragen, militärisch schreitend, zwei große Kartonschiffe heran. Diese zeichnen sich durch Gewehrtürme aus, ein U-Boot schaukelt ebenfalls heran. Alle Träger:innen konterkarieren die soldatesken Auftritte durch pyjama-ähnliche Monturen nur in hohen Stiefeln.

So startet die knapp eineinhalbstündige Performance „Boom Boom Pansenstich“ des genannten Kollektivs. Nach Rotz (R‘Ó´T`Z) und vor Wasser dreht sich die aktuelle – nur mehr bis Sonntag laufende – zweite Produktion der Trilogie der Fluide nach Gerhard Rühms Gedicht „Wean. Rean. Blean.“ um Blut. Dieser kostbare Saft war der Ausgangspunkt für den von der Gruppe dieses Mal beauftragten Autor, Max Höfler. Dieser war übrigens heuer mit einem seiner experimentellen Texte beim Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen, den Natascha Gangl gewann, die schon mehrmals Texte für die Spitzwegeriche verfasste. Die Gruppe verbindet, verknüpft, näht, filzt, kocht usw. ihre Stücke als Gesamtkunstwerk von Schau- und Puppenspiel mit krassen schrägen Objekten , starken Texten einer- und immer wieder vielschichtigem Humor andererseits, sowie überzeugendem, präzisem Schauspiel und sehr oft Live-Musik sowie Akustik-Performances.

Originalzitate

Ein großes und kein leichtes Thema, meinte Höfler nach jener Aufführung, die Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… besuchte, zum Journalisten. Dann seinen ihm militärische Rang- und Ritual-Vorschriften untergekommen. Aus diesen zitierte er so manches, überhöhte dies, und bereicherte es um absurde, schräg, überdrehte Wort- und andere Bilder, fügte Figuren wie Schneewittchen (Katka Csanyiova), in deren Beschreibung ja Blut eines der drei zentralen Elemente ist, aber auch Pinguin (Rebekah Wild), Eisbär (Anna Hauf), Schlumpf (Flora Besenbäck), Banane (Sabrina Hager) und (Super-)Mario (Christian Schlechter) hinzu. Und machte alle Mitwirkenden ebenso wie das Publikum zu potenziellen, lernenden „Blutern“, denn „einmal muss alles aus sein“.

Schifferl-Versenken

Das ohnehin. Doch hier wird das mögliche Ende immer wieder vorzeitig herbeigeführt. Gewehrsalvenkrach und aus dem Bullauge in der Vorplatz-Szene wird ein Loch, das herausgeklappte Bullauge ist durchgekreuzt, wie beim bekannten Spiel vor allem auf kariertem Papier – „Schifferl-versenken“, für das übrigens bei der Abendkassa Zettel zum Spielen während der Wartezeit auf das oder nach dem Stück aufliegen.

Blut-Gerichte

Im Pavillon selber geht es noch viel schräger zu – das (tod-)ernste Thema wird fast durchgängig mit ver-rückten Bildern, Aktionen und (gesungenen) Texten, begleitet von heftiger (Elektro-)Musik, schräg- und schwarz-humorig serviert, und damit verträglich und trotzallem immer wieder amüsant. Apropos serviert. Nach Ablegen „ziviler Panier“ wird das Publikum – immer zwischen roten von der Decke hängenden (Blut-)Fäden hindurch in einen Raum mit ur-langer Tafel gebeten, die belegt ist mit roten Wackel-Gugelhupfs und an Götterfrüchte erinnernden Gelee-Massen aus Puddingformen. Während Simon Dietersdorfer, Anna Hauf und Martin Hemmer heftigste Musik auf die Ohren des Publikums loslassen, beginnen so manche der wackeligen rötlich-durchscheinenden „Blut“-Gerichte auf dem langen Tisch hin und her zu fahren, die Papierwand gegenüber dem Musik-Trio wird durchschnitten und als Handpuppe (gebaut und gespielt von Rebekah Wild) erscheint ein (Super-)Mario, allerdings mit blutrotem Schnauzer. Der aus Videospielen seit rund einem halben Jahrhundert bekannte Installateur in Latzhose hantiert als Puppenfigur an einer Wasserleitungs-Armatur, die zuvor einem der Spieler-Köpfe, die aus dem Tisch unter einer Speisenglocke auftauchen aus dessen Mund entfernt wurde. Super Mario hantiert mit Schraubenschlüssseln bis sie funktioniert – roter Saft rinnt aus der Leitung.

Staats-Saft

Aus privatem Blut wird, dringt es aus uniformierten und zu „Blutern“ dekorierten Körpern edler „Staatssaft“. Je mehr Orden, desto wertvoller und umso mehr müssen Menschen und Schiffe Trauerflors tragen – auch hier Zitate, die an Originalvorschriften angelehnt sind. (Bereit-)willig lassen sich einzelne im Publikum von Sprech-Musiker Dietersdorfer in einer der Fantasie-Matrosen-Uniformen, bunte Pickerl an die Kleidung heften, nicht selten dabei salutierend ;(

Aufgeplustert

Die Performance-Einheit rund um die lange blutige Götterfrucht-Tafel wird durch einen Pinguin im Aufblas-Kostüm aus bemaltem dünnen Segel- und Fallschirmstoff (Spinnaker) angeführt, einen Stock höher (an-)geführt. Dort tauchen die anderen oben schon genannten Figuren in ebensolchen von Dauer-Ventilatoren aufgeplusterten Kostümen auf, die von den ebenfalls oben schon mitgenannten Spieler:innen zum Leben erweckt werden, in unterschiedlichsten Interaktionen, so scheinen beispielsweise Schlumpf und Schneewittchen zu knutschen, mehr und mehr ent-puppt sich dies aber als ein Bedrängen der Märchenfigur durch den Blau-Mützigen. Wenn Mario den Geist aufgibt, zitiert Musiker Hemmer aus dem Text, der Anleihe nimmt bei einer Begräbnisrede aus einem Kaff beim kleinen deutschen Eck rund um Hingabe für das geliebte – nur leicht verfremdete – „Vati“-Land.

Für Ernst- und andere Fälle ge-rüstet?

Aber so richtig bereit sind die Figuren noch nicht für die ultimative Blutprobe, konstatiert der Autor in einer kurzen Schauspielrolle mit aufgeplusterten Händen. Die Gruppe bat Höfler, für sich selber auch eine Rolle zu erfinden, und so agiert er mit seinem eigenen Namen als Art Oberaufseher hinter Glaswänden im Akt der aufgplusterten zombieartigen Figuren und ist dabei Berater beim AMS, der aber sicher niemanden zu einem der Kurse geschickt habe, sie aber nun prüfen und testen müsse…

Schließlich müssten sie ja für den Ernstfall ge-rüstet sein. Eine sehr schräge Text-passage über möglichst alle Wortkombinationen mit Fall fand schon sozusagen im Vorspiel zwischen den Kriegsschiffen am Platz vor dem Pavillon statt.

Der Spielort des überdrehten Schau-, Puppen-, Objekt- und Musikspiels, das den Irrsinn von Kriegsgeilheit und Militarismus zerlegt, ist übrigens mit dem Otto-Wagner-Areal am Rande von Wien-Penzing, das vormalige vor allem Psychiatrische Krankenhaus, im Volksmund noch immer als „Irrenhaus“ bezeichnet…

Clown-Army

Irgendwie erinnern die sechs aufgeplusterten Figuren im Zusammenhang mit der antimilitaristischen Show an Auftritte vo Clown-Armys – in unterschiedlichsten clownesken Outfits und Gehaben nehmen sie – oft in direkter Konfrontation mit Autoritäten diese aufs Korn. Vor vielen Jahren – sicher mehr als zehn, leider ließ sich in der Recherche nicht mehr finden wann – war Kinder-KURIER, Vorläufer von Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… dabei als höchstens zwölf Jugendliche mit roten Nasen, Salatschüsseln und Nudelsieben als Helme auf dem Kopf mit dem Kinderreim „ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm, vorwärts, seitwärts, stopp“, am Nationalfeiertag (26. Oktober) vom Wiener Maria-Theresien-Denkmal weg zur „Leistungsschau des Bundesheeres“ auf dem Heldenplatz marschierten und zwischen auf Panzern und Kampfflieger herumkletternden Kindern den Militarismus persiflierten – und hochdekorierte Armee-Uniformierte fast zum Auszucken brachten.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Fluide II: BLUT: Boom Boom Pansenstich

Eine antimilitaristische Groteske über Opfermythen und Macht

Idee, Konzept: Kollektiv spitzwegerich
Text: Max Höfler
Von: Flora Besenbäck, Katarina Csanyiova, Simon Dietersdorfer, Sabrina Hager, Anna Hauf, Martin Hemmer, Max Höfler, Felix Huber, Birgit Kellner, Ulli Koch, Christian Pfütze, Christian Schlechter, Martin Siemann, Emmy Steiner, Rebekah Wild

Performance
Pinguin: Rebekah Wild
Super Mario: Christian Schlechter
Schneewittchen: Katka Csanyiova
Eisbär und (Elektro-)Musik: Anna Hauf
Banane: Sabrina Hager
Schlumpf: Flora Besenbäck
AMS-Berater: Max Höfler
Musik, Gesang, Performance: Simon Dietersdorfer, Martin Hemmer

Wann & wo?

Bis 18. Oktober 2025
Otto-Wagner-Areal, Pavillon 7
1140 Wien, Baumgartner Höhe 1
(Bus 48A – Anbindung u.a. an U3)
maps.app.goo.gl/ -> Pavillon 7

Tickets
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