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Die fünf Rednerinnen dieses Vormittags: Rachel Levy, Rebeka Jankulovski, Rihanna Husseini, Zehra Başdoğan und Ola Burhan
Die fünf Rednerinnen dieses Vormittags: Rachel Levy, Rebeka Jankulovski, Rihanna Husseini, Zehra Başdoğan und Ola Burhan
14.03.2023

Mutmachende mehrsprachige reden starker junger Frauen

„Sag’s Multi“ war zu Gast bei der Wiener Arbeiterkammer, die „zuhören und von euch lernen will“.

Starke junge mehrsprachige Frauen rockten sozusagen die Bühne. Nein, es war keine Band und deren Konzert. Rihanna Husseini, Rebeka Jankulovski, Ola Burhan, Rachel Levy und Zehra Başdoğan hielten ihre kämpferischen und gleichzeitig berührenden-persönlichen Reden aus der Hauptrunde des aktuell laufenden, 14. mehrsprachigen Redebewerbs „SAG’S MULTI!“. Sie lösten nicht nur begeisterten Applaus bei ihren rund 200 Alterskolleginnen und -kollegen aus mehreren Wiener Schulen aus, sondern auch u.a. bei der Bereichsleiterin für Bildung der Wiener Arbeiterkammer, Ilkim Erdost. Sie, die aus der Jugendarbeit kommt und zuvor die Wiener Jugendzentren leitete, war gekommen, „um zuzuhören, von euch zu lernen. Ihr seid die Expertinnen und Experten für Vielfalt und die Unterschiedlichkeit ebenso wie die Gemeinsamkeiten“.

Nicht einmal Radfahren

Rihanna Husseini, Mittelschülerin aus der Selzergasse, nahm die Zuhörenden mit in manche Details des Lebens von Mädchen in ihrer ersten Heimat Afghanistan, aus der sie vor sieben Jahren flüchten musste. Neben den bekannten Grausamkeiten wie, dass Mädchen und Frauen unter der neuerlichen Herrschaft der Taliban von Bildung ausgeschlossen werden, ja sogar Bildungszentren gebombt werden und Todesopfer fordern, nannte sie auch „banale Wünsche“ aus „Tagebucheinträgen eines jungen Mädchens“: „Gitarre spielen, Fahrradfahren lernen, am Abend im Regen spazieren oder auch nur eine Pizza essen.“ Alles nicht möglich.
Ihre Rede hielt sie in Dari/Farsi, einer der großen Sprachen Afghanistans und natürlich auf Deutsch.

Das ist Konzept des Redebewerbs – seit drei Jahren vom ORF getragen: Deutsch und eine andere Sprache, die Erst- oder Familiensprache ebenso sein kann wie eine erlernte Fremdsprache. Und alle Sprachen sind gleichwertig – genau dafür wurde „SAG’S MULTI!“ vor nunmehr fast eineinhalb Jahrzehnten ins Leben gerufen.

Bacha posh

„In Afghanistan ist es mittlerweile oft so, dass sich zahlreiche Mädchen als Jungen verkleiden müssen, um nicht nur in die Schule zu gehen, sondern auch einkaufen zu gehen oder auf der Straße zu spielen. Das sind die sogenannten „Bacha posh“.“

Und genau darüber zu reden, viel bekannter zu machen, wie es Alterskolleg:innen und anderen Frauen in Afghanistan geht, hat sie sich mit ihrer Rede zum Ziel gesetzt. Wenn wir so viel über Menschen- und Frauenrechte reden, wieso machen wir dann nichts? … Bitte bleiben wir nicht mehr länger still und zeigen der Welt wie stark Frauen und Mädchen eigentlich sind.“

Zwangsversetzt

Unter ganz anderen Umständen landete Rebeka Jankulovski vor rund einem Jahr in Wien. Die Schülerin der 6. Klasse des Gymnasiums Albertgasse schilderte auf Kroatisch und Deutsch, das sie erst in diesem Jahr lernte und perfekter beherrscht als so mancher Politiker, der von der Deutsch-Pflicht faselt: „Vor ungefähr einem Jahr hat sich mein Leben dramatisch verändert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein unkompliziertes und schönes Leben in Pula. Ich war ausgezeichnet in der Schule, hatte viele gute Freunde, hatte eine große Sportskarriere vor mir und ich war sehr glücklich. In diesem Jahr hatten meine Eltern aber andere Pläne für mich. Ich sollte dort alles aufgeben und nach Wien ziehen. Ich fühlte so viel Wut, wie ich nie zuvor gefühlt hatte und stellte mir viele Fragen. Warum ich? … Wie können sie mir das antun?“

Nun glücklich

Den Grund nannten ihr die Eltern erst nach den Schreckmomenten: Krebserkrankung der Mutter, Behandlung in Wien. Und Rebeka, anfangs überfordert, verschüchtert, verschlossen, begann zu kämpfen. „Es gab immer weniger schlechte Tage. Jeden Tag ging es mir besser und langsam spürte ich immer weniger Wut in mir. Die großen Steine, die ich getragen habe und die mich hinunterzogen, wurden leichter und leichter. Ich habe wieder angefangen Sport zu machen, mich mit Freunden zu treffen, all das wieder zu tun, was mich glücklich macht. … Endlich kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich jetzt am glücklichsten bin. Ich bin bereit neue Wege zu gehen und neue Sachen auszuprobieren. … Jetzt stehe ich hier, ich bin bei einem Redewettbewerb weiter gekommen, vor über einem Jahr konnte ich noch kein Wort Deutsch sprechen. Ist das nicht großartig? Bist du stolz auf dich Rebeka? I made it mom.“

Rassismus

„Einsamkeit, Verzweiflung, Sehnsucht sind, was jeder Flüchtling fühlt. Es ist aber nicht verwunderlich, dass sie Rassismus ausgesetzt sind, wenn man bedenkt, dass auch Personen mit Migrationshintergrund darunter leiden, obwohl sie schon lange in Europa leben, … Rassismus ist überall. Am Arbeitsplatz, in der Schule oder auch in den Öffentlichen Verkehrsmitteln. Und gleichzeitig frage ich mich, warum es Rassismus gegen uns gibt. Viele europäische Länder brauchen Migranten. Österreich beispielsweise wäre ohne Migranten ein Land mit einer geringeren Bevölkerung. Ohne Migranten würden Unternehmen unter Personalmangel leiden“, startete Ola Burhan aus der Floridsdorfer privaten Handelsakademie, Vienna Business School auf Arabisch und natürlich Deutsch ihre kämpferische Rede, in der sie nicht zuletzt davon berichtete, dass viele Geflüchtete oder Migrant:innen gar nicht ihre Qualifikationen und Kompetenzen einbringen können, weil diese nicht anerkannt werden.

Sehr nahe ging dann jener Teil ihrer Rede, in der sie schilderte wie so manch ungefähr 14-Jährige als jene in der Familie, die sich am besten auf Deutsch ausdrücken können und viele Spielregeln Österreichs durchschaut haben, viel zu große Verantwortung übernehmen müssen, Amtswege erledigen und mit Behörden verhandeln müssen.

Ohne Gestern kein Morgen

Von einem Schockmoment berichtete Rachel Levy (15), Schülerin der 7. Klasse der Sir-Karl-Popper-Schule am Wiedner Gymnasium in ihrer Rede (Englisch/Deutsch). „Ich möchte nun, dass Sie sich in folgende Situation hineinversetzen: Ein Großteil Ihrer Familie wurde im Holocaust ermordet. Auf einmal tätigt Ihr Lieblingsrapper folgende Aussage in einem Interview: „I like Hitler“ and „I love Jewish people, but I also love Nazis“. … Kanye West, ein einflussreicher Rapper und Modedesigner, tätigte genau diese Aussagen. Er leugnete den Holocaust und verbreitete antisemitische Stereotypen. Diese Nachrichten waren für alle Betroffenen äußerst schockierend. Menschen sprachen mich auf diese Aussagen an und ich wusste wirklich nicht, was ich sagen soll. Es schockierte mich vollkommen, dass ein so einflussreicher Mann so grausame Geschehnisse verharmloste.“

Warum solche Aussagen eines Einzelnen so gefährlich sind, erklärte Rachel Levy nicht zuletzt damit, dass er mehr als 50 Millionen Follower auch Social Media habe, während es nur mehr geschätzt knapp mehr als 15 Millionen Jüdinnen und Juden auf der Welt gibt (rund 7 Millionen in Israel).

Rachel Levy aus der Sir-Karl-Popper-Schule am Wiender Gymnasium sprach Deutsch und Englisch
Rachel Levy aus der Sir-Karl-Popper-Schule am Wiender Gymnasium sprach Deutsch und Englisch

Herdplatte

„Aufgrund der unvorstellbar großen Anzahl an Opfern im Holocaust sollten doch alle über die Verbrechen Bescheid wissen, doch das ist leider nicht der Fall. Obwohl 70% der niederländischen jüdischen Bevölkerung während des Holocausts ermordet wurden, gaben mehr als 50% der Teilnehmer (einer Studie der Jewish Claims Conference) an, dass der Holocaust niemals in den Niederlanden stattgefunden hat. …Ich möchte jetzt wieder zur eigentlichen Frage kommen: Was bringt es an die Vergangenheit zu erinnern? Ich möchte das mit einem einfachen Bild aufzeigen“ und dann nannte sie – auf Englisch das Beispiel, dass sich jemand an einer heißen Herdplatte die Finger verbrannt hätte und sich an die Schmerzen erinnert, „Wer von Ihnen würde jetzt bewusst ein zweites Mal auf eine heiße Herdplatte greifen?“

Und dennoch äußert sie die Befürchtung, dass sich die Vergangenheit wiederholen kann … Wir müssen uns immer daran erinnern: Ohne Gestern gibt es kein Morgen“.

Mut machend

„Wir müssen uns stark fühlen, um Sachen die wir uns eigentlich nicht zutrauen, ausführen zu können. Meiner Meinung nach entsteht Erfolg aus Stärke und Ausdauer. Ich glaube, dass ein Mensch immer alles erreichen kann, was er will, sowohl in der Schule als auch in der Arbeit. Wer kämpft kann erfolgreich sein!“, machte Zehra Başdoğan aus der Mittelschule Kauergasse mit ihrer Rede (Türkisch/Deutsch) voller Power allen Zuhörenden Mut, sich auf diesen Weg einzulassen.

„Wenn ich über mich selbst nachdenke, glaube ich, dass ich mittlerweile zu einer starken Persönlichkeit geworden bin. Ich bin mir sicher, dass dabei viele Faktoren eine sehr große Rolle gespielt haben.  Selbstverständlich hat mich die Schule auch stark gemacht, indem sie mir eine gute Ausbildung vermittelt hat, und mir beigebracht hat zu recherchieren und kritisch zu denken. Außerdem hatten meine Lehrer und Lehrerinnen immer ein offenes Ohr für meine Sorgen und tolle Lösungsvorschläge für mich.

Zusätzlich sind meine Freunde immer eine große Unterstützung. Wenn ich mit ihnen Zeit verbringe, viel lache  und mich unterhalte fühle ich mich als ein starkes und soziales Mädchen, das genug Anerkennung bekommt.

Zehra Başdoğan beendete ihre Rede mit einem 7-Punkte-Plan, die sie allen anderen auch empfahl:
* Wenn ich Angst habe, kann ich niemals mein Ziel erreichen!
* Wenn ich mich nie ändere, kann ich mich nicht weiter entwickeln!
* Wenn ich immer wieder neue Wege ausprobiere, kann ich Erfolg haben.
* Erst wenn ich stark genug bin, mich selbst glücklich zu machen, habe ich auch die Kraft die anderen um mich herum glücklich zu machen.
* Wenn ich viel lese, weiß ich auch viel!
* Stehe auf und bekämpfe die Hürden, die vor dir stehen!
* Ohne Vertrauen fühle ich mich klein und unwichtig!“

Viel-Leserin

Die zuletzt genannte Rednerin hatte noch etwas genannt, das sie stark mache: „Natürlich haben mich auch meine Bücher, die ich in meiner Freizeit leidenschaftlich lese, geistig und emotional gefestigt. Ich denke, einer der sichersten Wege, um auf dem Weg der Stärke voranzukommen, ist das Lesen von Büchern. Während Menschen ein Buch lesen, lernt das Gehirn und nimmt es auch als Erholung wahr. Das Lesen fördert, aber nicht nur unseren Sprachschatz, die viel wichtigere Aufgabe beim Lesen ist, dass wir unsere Fantasie und Gedankenwelt erweitern. Wir können verschiedene Persönlichkeiten als Vorbilder nehmen und uns an ihnen orientieren, unser Handeln und Denken neu gestalten. …“

Als Viel-Leserin sei sie manchmal schon eine Außenseiterin, sagte sie nach der Rede zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „Aber ich kann immer wieder Erkenntnisse aus Büchern auch in Gespräche mit meinen Freundinnen und Freunden einbringen.“ Als kleines Kind hätten ihr die Eltern viel vorgelesen „auf Deutsch und auf Türkisch. Als ich dann lesen konnte, hab ich es von Anfang an geliebt. Am liebsten lese ich Fantasievolles, aber auch Comedy und manchmal Horror. Meistens lese ich auf Deutsch.“

320 Jugendliche

Die fünf genannten sind Teil der 320 Jugendlichen (mit damit insgesamt rund 40 Stunden Redezeit) die in diesem Jahr an „SAG’S MULTI!“ teilnehmen. Ab Mitte April stehen die Finalrunden – meist in den ORF-Landesstudios an. Die Finalist:innen sind alles Gewinner:innen, dennoch stehen die Juror:innen vor der Aufgabe dann noch nicht ganz zwei Dutzend Preisträger:innen – ja es gibt auch Burschen, sie sind nur in der Minderzahl – auszuwählen.

Apropos Preisträger:innen – vier solche aus früheren Jahren – moderierten die Veranstaltung im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien: Tracy Cindy Agbogbe und Fatima Kandil von der Bühne aus sowie Banan Sakbani und Melisa Mete die Online-Kommentare – die Veranstaltung wurde live gestreamt – sowie mit dem Auditorium.

Modhsa Kheram/Kheli Mamnoon/Tasakkor, Hvala lepo, Shukran gazilan, Thank you very much, Tesekkür ederim, Daaaaaaanke Ihnen/ecuh allen!

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Hier noch jede Menge Fotos von der Veranstaltung und weiter unten der Link zum Video zum Nachsehen und -hören der wunderbaren Reden und Diskussionsrunden.

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