„Chantal im Märchenland“ – Kinofilm mit „alten“ jungen Bekannten aus der „Fuck Ju Göhte“-Trilogie räumt mit Geschlechterklischees auf.
Warum sollten Mädchen warten, bis irgendwelche Typen in Blechgewand daherreiten, um sie aus goldenen Käfigen in Königshäusern zu befreien, um sie in den eigenen Käfig zu setzen? Oder an ihren langen Haaren einen Turm hinaufklettern, um sie zu befreien, statt dass eine junge, kräftige Frau mit langen Haaren doch lieber gleich an diesen den Turm hinunterklettert? Oder sich von einem wildfremden Typen im Schlaf küssen lassen?
Solche und weitere Klischees in Märchen wurden immer wieder aufs Korn genommen – gedreht, gewendet, mitunter auch „nur“ die Frauen- und Männerrollen „umgekrempelt“ – siehe Links am Ende des Beitrages. Nun kommt ein witziger, schwungvoller, energiegeladener Film ins Kino mit einigen sehr bekannten jungen Schauspieler:innen, der ebenfalls mit den zugeteilten Rollen für Mädchen/Frauen aber auch Männern aufräumt. Hauptfigur „Chantal“ – genau, die Prollige, ewig Dumme, nur auf Aussehen gepolte Möchtegern-Influencerin aus der „Fuck Ju Göhte“-Trilogie, die auch schon Bora Dağtekın geschrieben und inszeniert hat: „Chantal im Märchenland“.
Regisseur und Drehbuchautor Bora Dağtekın brachte eine märchenhaftes Abenteuer auf die Kinoleinwand von einer Prinzessin, „die mit den Märchenklischees aufräumt und deren Geschichte dem Publikum eine neue Sicht auf die bekannten Märchen liefert. Eine Bad Princess, wie man sie sich als Kind und vermutlich vor allem als Mädchen auch schon in Grimms Märchen gewünscht hätte, die sich nimmt, was sie will, die wild und cool drauf ist, eine große Schnauze hat und keinen Prinzen braucht, um klarzukommen“, wird er im Presseheft zum Film zitiert.
Zu Beginn erleben wir Jella Haase als Chantal „Göhte“-like: Sekundenkleber über Ober und unter Unterlippe fürs perfekte Duck-Face. Mit Zeynep (Gizem Emre) besucht sie den Flohmarkt in der „Kinder-Arche“, wo insbesondere Chantal oft abhängt. Vor einem alten, großen Spiegel auf Schneewittchens Stiefmutter-Spruch posend – aber mit dem Spruch drüber „Kein Wunsch ist klug!“ wird sie hineingezogen – und zieht ihre Freundin mit.
Landung in einem Märchenschloss – vorgesehen ist für sie die Rolle von Dornröschen.
Im Laufe der spannenden, unterhaltsamen, nicht selten auch witzigen fast zwei Stunden werden so manche bekannte Märchen, aber auch Sagen (Artus), angespielt und immer wieder gegen den jahrhundertealten Strich gebürstet – und Diversität kommt auch immer wieder ins Spiel. In ihrer naiven Unbekümmertheit mischt Chantal die Szenerie auf. Prinzessin „Erbsi“, die – im Gegensatz zu dem Mann, den sie heiraten soll – sehr wohl das Schwert aus dem Felsbrocken ziehen kann – stützt sie ebenso in ihrem Frei- und Gleichheitsdrang, wie sie ihren Märchenvater, den sehr jungen herrschsüchtigen König in die Schranken weist.
Neben den beiden schon genannten jungen Stars aus der „Fuck ju Göhte“-Kinoserie haben auch Elyas M’Barek als Lehrer Zeki Müller und Jasmin Tabatabai (Dschinnin) kurze Gastauftritte. Die bekannte österreichische Schauspielerin Maria Happel tritt als „Funkelchen“, Hüterin des magischen Spiegels als Portal zwischen realer und Märchenwelt in Erscheinung.
Eine große Entdeckung ist Mido Kotaini als Aladin. Der 22-Jährige kam 2016 als 14-jähriger Fluchtwaise (unbegleiteter minderjähriger Flüchtling) aus dem Krieg in Syrien nach Deutschland. Fünf Jahre später spielte er seine ersten Rollen vor Kameras (ARD-Serie „Almania“, Gastrollen im Kölner „Tatort“, Kino-Debut in „Mein Lotta-Leben: Alles Tschaka mit Alpaka!“
Hier hat er eine der wenigen größeren – und obendrein positive – männliche Rolle; zwischen Chantal und ihm knistert es ganz schön. „Eine meiner Lieblingsszenen ist die, in der Aladin und Chantal zum ersten Mal mit dem fliegenden Teppich abheben“, wird Mido Kotaini in den Unterlagen für Medien zitiert. „Bei den ersten Takes hatte ich das Gefühl, dass wir wirklich fliegen. Wir waren im Studio fünf oder sechs Meter hoch und spürten die Kraft der Windmaschinen. Ich glaube, ich habe noch nie eine coolere Szene gedreht.“
Chantal fliegt übrigens noch einmal – ganz wild auf einem Drachen, den sie zuvor besiegt hat!
„Mir war es wichtig, dass wir mit Gender-Klischees brechen, dass wir die Märchenwelt zum Teil als reaktionär entlarven und die Frauen darin anders und neu erzählen“, sagt Bora Dagtekin im Presseheft. „Ich wollte sie zu Heldinnen machen, die sie eigentlich sein sollten und in Zukunft noch mehr sein werden. Und auch erklären, warum Prinzessinnen und andere Frauen in Grimms Welten immer nur bestimmte Themen und Haltungen bedienen dürfen.“
Und so werden auch Hexen – namentlich Sansara (Nora Tschirner) aus ihrem bösen Klischee befreit und zu dem was sie in Wirklichkeit waren: Weise Frauen und im Märchen „Grete und Hänsel“ sozusagen Pflegemutter für die von ihren Eltern im Wald ausgesetzten Geschwister.
Nora Tschirner schwärmt – im Presseheft – „auch von den Kostümen, wenn auch mit einer leichten Einschränkung: Wir trugen Korsagen. Es ist ein bisschen traurig, dass es der Feminismus ausgerechnet in die Kostümabteilung nicht geschafft hat.“
„Die Kulissen in diesem Film sind märchenhaft“, sagt Jella Haase (auch in der Medien-Unterlage). „Man wird direkt in eine andere Welt katapultiert. Wenn man in so einem Setting steht und solche Kostüme trägt, muss man gar nicht mehr viel machen. Ich wünsche mir, dass bei diesem Projekt die Leistung aller Gewerke gewürdigt wird: Kostümbild, Szenenbild, Drehbuch, Regie und schauspielerische Leistungen – das alles ist zum Niederknien. Da merkt man wieder, was alles nötig ist, um einen Film zu drehen und eine Geschichte zu erzählen. Das ist eine tolle Teamleistung von ganz vielen klugen und liebenswerten Menschen.“
PS: Der Plot-Twist am Ende sei nicht verraten, dafür aber ein Hinweis: Es zahlt sich aus, den Abspann ganz zu verfolgen: Neben der Liste der Mitwirkenden tauchen Hoppalas auf – Dutzende Bilder und Szenen auf, die es nicht in den Film geschafft haben.
Fast 2 Stunden
Drehbuch und Regie: Bora Dağtekın
Besetzung
Chantal: Jella Haase
Zeynep: Gizem Emre
Aladin: Mido Kotaini
Prinz Bosco: Max von der Groeben
Prinzessin Amalia: Maria Ehrich
Sansara: Nora Tschirner
Artolf: Frederick Lau
König Wilderich: Cooper Dillon
Königin Alexandra: Maria Lara
Kurgunde: Elena Uhlig
Funkelchen: Maria Happel
Königlicher Schreiber: Nico Stank
Lorenz: Ben Felipe
Rotkäppchen: Milena Tscharntke
Arzu: Jasmin Shakeri
Prinz Bechtold: Jannik Schümann
Alwina: Paula Kober
Werbeagentin: Nikeata Thompson
In Gastrollen
Zeki Müller: Elyas M’Barek
Dschinnin: Jasmin Tabatabai
Stab
Drehbuch und Regie: Bora Dağtekın
Produzentin: Lena Schömann
Executive Producers: Oliver Berben, Martin Moszkowicz
Herstellungsleitung: Gilbert Möhler, Bernhard Thür
Producerin: Nicole Springstubbe
Casting: Iris Baumüller
Kamera: Christian Rein
Szenenbild: Christoph Kanter
Kostüm: Esther Walz
Maske: Ruth Ute Wagner, Sonia Salazar-Delgado
Schnitt: Sabine Panek, Robert Kummer, Constantin von Seld, Claus Wehlisch
Musik: Eimear Noone
Originalton: Roman Schwartz
Sounddesign & Mischung: Hubert Bartholomae
Kinostart
28. März 2024
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