Interview mit Cornelia Travnicek, die nun ihr erstes ausdrückliches Jugendbuch „Harte Schale, Weichtierkern“ veröffentlichte, eine grafisch gestaltete „Zettelsammlung“ einer 16-Jährigen, die wenig aus sich herausgeht …
Die 35-jährige Erfolgsautorin Cornelia Travnicek veröffentlichte jüngst – am 9. März 2022 – ihr erstes dezidiertes Jugendbuch. Wobei bisherige ihrer Werke, nicht zuletzt „Feenstaub“, „Chucks“ oder auch „Junge Hunde“ sich auch um das Leben (sehr) junger Protagonist:innen drehen. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nahm das Erscheinen von „Harte Schale Weichtierkern“ zum Anlass für ein video-Interview mit der vielseitigen Nicht-nur-Autorin; Buchbesprechung siehe Link unten.
Wie kam es zu diesem Mix aus Text und vielen grafischen Elementen? Text und Illustration fließen hier ja sehr ineinander?
Cornelia Travnicek: Die Lektorin des Beltz-Verlages Andrea Baron ist an mich herangetreten, weil meine anderen Bücher wie Feenstaub sehr szenenhafte geschrieben sind mit viel Weißraum dazwischen. Sie hat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, etwas in dieser Art zu machen – es gab im Verlag schon vor zwei Jahren einmal ein Jugendbuch als Mix aus Text und sehr vielen grafischen Elementen und Bildern. Sie hatte die lose Idee, es sollte um eine weibliche Protagonistin im Alter von etwa 16 oder 17 Jahren gehen mit irgendwelchen besonderen Lebensumständen. Worauf ich meine eigenen Inputs geliefert und begonnen habe, diesen Text zu schreiben. Nach den ersten 30 Seiten ist dann der Illustrator – Michael Szyszka – dazugekommen und hat begonnen, die Texte umzusetzen. Wir haben dann das Buch gemeinsam weiterentwickelt, auch ich hab‘ einiges für so manche Seiten vorgeschlagen. Zum Beispiel das Megafon, gegen Ende haben wir sehr kollaborativ gearbeitet.
Viele Oktopusse tummeln sich in dem Buch. Die boomen derzeit ja recht stark, erst vor Kurzem ist „Faszination Krake“ von Michael Stavarić und Michèle Ganser mit einem der österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreise ausgezeichnet worden. Waren die schon aus Ihrem Text eine Vorgabe?
Cornelia Travnicek: Davon hab ich erst tatsächlich erfahren als mein Text schon fertig war und dann gibt’s auch noch die „Krakencrew“. Die Faszination für diese Tiere, die ja keine Fische sind, ist groß.
War es eine spontane Idee oder steckt eine lange Überlegung dahinter, gerade Kraken mit der 16-jährigen Fabienne zu verknüpfen?
Cornelia Travnicek: Es war eine spontane Verknüpfung. Vor wenigen Jahren war es ganz üblich in der autistischen Community, die Erfahrungen von Aspergern – wobei im Buch scheibe ich ja, du sollst nicht Asperger sagen, diese Menschen ein bisschen als Alien in der Menschenwelt darzustellen. Dann hab ich ein Buch über die Evolution der Intelligenz der Tintenfische gelesen, wo es schon sehr früh heißt, einem Oktopus zu begegnen ist eigentlich das Näheste was man an die Begegnung mit einem Außerirdischen herankommen kann. Über diese Metapher zu Aliens hab ich diese Verbindung zu der Hauptfigur hergestellt.
Wie sind Sie auf diese Geschichte, die Charakterisierung Fabiennes als Mädchen im Spektrum von Asperger zu beschreiben, auch wenn sie nicht so genannt werden soll/will, gekommen? Hatten Sie eine konkrete Person vor sich oder Kontakt zu einer, die sich in der Lage der 16-jährigen Fabienne befindet/befand?
Cornelia Travnicek: Jeder und jedem soll es selbst überlassen sein, wie sie/er sich selbst bezeichnen möchte, ich versuche zu vermeiden, andere zu bezeichnen. Es war ja gewünscht, eine Protagonistin mit Besonderheiten. Und es sollte um Freundschaft gehen. Und mir sind in meinem eigenen Medienkonsum immer wieder verschiedenste Figuren aus diesem Spektrum nahegestanden – etwa der Autist Christopher Boone aus „Supergute Tage“, oder Sherlock Holmes in der BBC-Serie, der darin teilweise als Asperger gedeutet wird… Aber die meisten dieser Figuren sind männlich. Selbst in der Diagnose sind Frauen deutlich unterrepräsentiert, obwohl es sicher nicht weniger weibliche Asperger gibt.
Und ich wollte meine Protagonistin aber abseits von klassischen Klischees darstellen, das wäre für mich auch komplett uninteressant gewesen. Erst, wenn man sich mit ihrem Innenleben beschäftigt, kommt man dazu, wo das herkommt bzw. wie das für die Person wirklich ist.
Vor allem die Freundschaftskomponente?
Cornelia Travnicek: Man merkt ja selber, je älter man wird, desto schwieriger wird es, Freundinnen und Freunde zu finden. Besonders in der Pandemie haben sicher viele festgestellt, dass viele gar nicht so einen guten Freundeskreis haben, sondern sich der oft nur aus den Umständen wie gemeinsam in einem Büro zu sitzen, ergibt.
Bei meinen Texten/Büchern ist es immer so, dass viele, viele kleine Inspirationen aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen , die dann alle Platz haben, um ein großes Ganzes aus vielen Puzzleteilen zu werden.
Haben sie für die Fabienne direkt ein reales Vorbild vor sich gehabt, auf das sie die Puzzleteile drauf textiert haben?
Cornelia Travnicek: Ich hab sehr viele recherchiert, hatte eine Grundidee und dann aus diesen vielen Teilen rausgesucht, was genau für diese Figur passt. Ein Körnchen realer Inspiration einer person, die ich einmal erlebt habe, ist fast immer da, vieles entwickelt sich dann aber erst beim Schreiben.
Sie haben gesagt, dass nach den ersten 30 Seiten viel im Wechselspiel entstanden ist, haben Sie und der Illustrator dann immer wieder Text bzw. Bilder hin- und hergeschickt?
Cornelia Travnicek: Ich hab schon immer wieder Zwischenstände gesehen.
Es gibt im Buch viele Listen oder scheinbar handschriftliche Passagen – waren das Vorschläge von Ihnen oder dem Illustrator?
Cornelia Travnicek: Wenn es eine Liste sein sollte, dann hab ich das dazugeschrieben, das hab ich mir schon vorher überlegt. Auch von der Lektorin kamen Inputs, welche Teile handschriftlich oder in verschiedenen Farben sein sollte, wenn verschiedene Leute mit Fabienne geredet haben.
Es war meine Idee, das Buch eher wie eine Zettelsammlung und kein durchgängiges Tagebuch aufzubauen. Ein paar leere Seiten waren eine Idee von mir, ein paar von der Lektorin, andere wieder vom Illustrator. So etwas wächst dann ziemlich organisch.
Das war für mich als Autorin eine ganz interessante Erfahrung. Üblicherweise mach ich meinen Text fertig, geb den her und er wird dann gestaltet, in dem Fall haben zwei andere Menschen mitgelesen, auch Idee eingebracht, wie das umzusetzen wäre. Durch diese ersten Vorschläge wiederum hab ich erst eine Idee davon bekommen, was alles möglich ist und wie’s dann im Buch wirklich ausschauen könnte.
Ist so ein Prozess schwieriger als den Text „nur“ zu schreiben und abzugeben?
Cornelia Travnicek: Bei dieser Sorte Text war’s sogar einfacher. Es ist ein so stark illustriertes Buch, dass ich nicht alles mit Text stemmen musste. Und ich war nicht alleine auf weiter Flur, hatte Mitspieler:innen, war Teamplayerin und hatte Co-Pilot:innen. Durch die Rückmeldungen der Lektorin gibt’s auch ein Korrektiv. Wenn du allein an einem Text arbeitetest, bist du manchmal schon sehr weit, steckst fest und merkst auf einmal, dass das vielleicht nicht so wird, wie man sich das überlegt hatte.
So konnte ich immer wieder rückfragen, kommt das bei der Leserin/dem Leser so an? Es war ja das erste Mal, dass ich dezidiert für Jugendliche geschrieben habe, was meine anderen Romane, die teilweise ja auch jugendliche Protagonist:innen haben, nie waren, deswegen waren frühe Rückmeldungen gut.
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen, wann hat das begonnen?
Cornelia Travnicek: Sehr früh, in der Volksschule hat meine Lehrerin zu meinen Eltern gesagt, dass meine Aufsätze sehr viel besser waren als es für den jeweiligen Jahrgang notwendig wäre.
Mit dem Umstieg beim Lesen auf Belletristik mit 12 oder 13 Jahren hab ich wieder begonnen zu schreiben – bei ersten Jugendliteraturwerkstätten und mit glaub ich ungefähr 15 Jahren hab ich zum ersten Mal in Literaturzeitschriften veröffentlicht.
War dann früh klar, das ist/wäre eine Berufsperspektive?
Cornelia Travnicek: Naja, es war eher ein Hobby. Dass man das auch als Beruf machen kann, war mir sehr lange nicht klar. Das gab’s in meinem Umfeld nicht. Künstlerisches Schaffen leben kannte ich nicht. Aber es hat sich sehr schnell entwickelt, indem ich bezahlt publizieren und Lesungen machen konnte – als Teil von Einkommen. Ich arbeite ja noch immer nebenher.
Und zwar was?
Cornelia Travnicek: Ich hab Informatik studiert und arbeite im Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung. Außerdem hab ich Chinesisch studiert und übersetze literarisch aus dem Chinesischen.
Wie sind Sie auf auf IT und Sinologie gekommen?
Cornelia Travnicek: IT kam aus der Literatur, ich hab sehr viel Science Fiction gelesen und da gab’s ein weibliches Vorbild in den Büchern von Asimov, die Roboterpsychologin Susan Kelvin. Künstliche Intelligenz und Roboter haben mich fasziniert. Ich bin aber dann doch in die HTL eher mit Hardware-Hintergrund und Informatik gegangen, weil die KI dann doch eher in der Software zu Hause war. Als ich IT studiert habe, war in Österreich überhaupt sehr wenig los mit KI, da hätte man eher nach Japan gehen müssen.
Und zur Sinologie sind Sie wie gekommen?
Cornelia Travnicek: Lustigerweise hat sich das aus der HTL ergeben. Da gab’s keine zweite lebende Fremdsprache, das war weggekürzt worden. Und da ich doch eine Sprachbegabung habe, wollte ich eine Sprache studieren. Die Überlegung war dann, sicher keine, wo alle anderen schon jahrelangen Vorsprung aus ihrer Schulzeit haben, sondern wo alle mehr oder minder bei Null einsteigen. Überlegt hatte ich Russisch oder Chinesisch, hatte mich aber schon sehr viel für chinesische Kultur, Filme, Bücher interessiert und mich dafür entschieden. Und sehr schnell gemerkt, dass das auch sehr gewinnbringend für die eigene Weltanschauung ist, vieles aus der Sicht Chinas zu betrachten. Ich muss gestehen, mein gesprochenes Chinesisch ist schrecklich, ich bin unmusikalisch, deswegen fallen mir die verschiedenen Tonhöhen nicht so leicht. Deswegen bin ich auch beim schriftlichen Übersetzen gelandet. Es war für mich ganz spannend, eine komplett anders aufgebaute Sprache, ein anderes Schriftsystem zu lernen. Vielleicht auch die Geschichte einmal anders zu betrachten.