„Schachteldrama“ wurde zu „Der König, der alles haben wollte…“ und ist im Grazer Next Liberty zu sehen.
Die ganze Bühne eine schräge Bettfläche weiß mit dünnen roten Strichen, die ein groß-kariertes Muster ergeben. Mittendrin ein üppiger König mit kleiner roter Krone. Der zählt Pölster – „61, 62, 63, 61, 64, 65“. Zeigt sich verwundert. Zählt noch einmal und noch einmal. Ist verärgert. Er hatte doch 66 Kissen, irgendwer hat wohl eines geklaut. Der König trägt einen außergewöhnlichen Namen, der schon den Kern der Geschichte aussagt: „Die Schachtel, die alles hat, alles darf und nichts muss“.
Und alles heißt, wenn er 66 Pölster hatte, dann will er genau die haben und nicht einen weniger.
Folgerichtig schreit er herrschsüchtig nach dem Diener. Auch der heißt nicht alltäglich: Törtchen, stets zu Diensten. Natürlich kommt der für des Königs Geschmack zu langsam – und darf nicht wirklich die Wahrheit sagen, dass sich sein und aller Herren verzählt hat. Muss also los, um ein 66. Kissen aufzutreiben.
Soweit der Beginn des Stücks „Der König, der alles hatte“ im Grazer Jugendtheater Next Liberty. Verena Richter, Kabarettistin, Musikerin und Autorin hat es geschrieben unter dem Titel „Schachteldrama“ – vor drei Jahren im Rahmen des Retzhofer Dramapreises, in einer Kombination aus Workshops und Wettbewerb. Und ihr Text ist mit Wortwitz(en) gespickt, nicht wenige eher für erwachsenes (Begleit-)Publikum.
Zurück zur nunmehrigen Inszenierung (Regie: Anja Michaela Wohlfahrt). Während also der König (Martin Niederbrunner), der alles für sich haben will, dabei aber nicht nur beim Zählen ein bisschen dümmlich wirkt und sein Diener (Helmut Pucher), der nie an den Aufträgen verzweifelt und heiter bleibt, um den 66. Polster eilen will, läutet es an der Tür (EU-Hymne). Eine Gästin von weit her – jenseits der Schuldenberge, hinter den Gierschluchten aus einem Land, wo die Menschen (fast) nichts haben. Darauf weist Cassandra Schütt die „Schachtel, …“ hin. Dieses Ungleichgewicht von Reichtum und Armut führt aber auch dazu, so die Gästin, dass dem König doch etwas fehle: Gerechtigkeit.
Hoppla, das kann doch nicht sein, dass der Herrscher nicht alles hat. Hat er doch nicht nur 66 Pölster, 12 luxuriöse Badewannen, einen vorderasiatischen Rückenkratzer, sondern sogar königsblaue Eierschalen-Sollbruchstellen-Verursacher… Aber tatsächlich, auf der Liste seines Hab und Gutes gebe es kein Gereuchtigbumms. Also müsse er auch das haben.
Da trifft es sich gut, dass wieder die Europa-Hymne erklingt; ein Paket wird geliefert. Überzeugender Überzeuger (Simone Leski) mit Jacqueline, der Krawatte der Überzeugung um den Hals, üppig kostümiert (Ausstattung: Helene Payrhuber), trifft ein.
Endlich Gerechtighummsdipummsdi?
Naja, doch irgendwie nicht.
Die Figur tritt in der Folge noch zwei Mal auf – immer anders, ziemlich schräg kostümiert, um angeblich so ein Gerecht-, Gereucht, also so was zu bringen, das die Schachtel noch nicht hat. Und verlangt dafür immer mehr. Beim zweiten Mal den Diener – den will der König nicht hergeben. Dann bliebe ja gar keiner mehr, der ihn bewundern und bedienen könne – wobei da schon ein bisschen mitschwingt, dass er auch nicht ganz allein bleiben will.
Zuletzt ist der König bereit zu zahlen „koste es, was es wolle“. Bühne wird leer geräumt. Doch nicht ganz, einen Polster hält er noch in Händen – und den teilt er sich nun als Sitzgelegenheit mit Törtchen, stets zu Diensten.
Happy End, Vorhang zu. Applaus.
Ob zuvor die einkassierten Kissen als Symbol für alles, überhaupt an die Armen im Land der Gästin jenseits der Gierschluchten gehen oder erst recht nur an einen anderen Gier-Raffer, den überzeugenderen Überzeuger? Und wie der König sich überhaupt veränderte? In der Stunde, oder vielleicht auch nur den 55 bis 58 Minuten vor dem geteilten Polster, ist keine wirkliche Entwicklung erlebbar. Mehr oder minder bleibt die Schachtel in ihrer alles haben wollen-Mentalität. Da braucht’s eben auch das Gerechtigkeitsdings. Womit die drei Aufritte der fantasievoll ausgestatteten Überzeugenderen Überzeuger dennoch more of the same (mehr vom Gleichen) bleiben – und in etwa ab der Hälfte des Stücks ein Gutteil des Kinderpublikums unruhig zu werden beginnt.
Außerdem schwebt über dem Polster-Teilen nicht nur ein neues Königs-Gefühl, sondern vielleicht eher noch das alte: Ich will wenigstens einen Bewunderer und Diener.
Neben dem Wortwitz aus dem Text und dem Spielwitz der Schauspieler:innen ist unbedingt noch der Live-Musiker Reinhard Ziegerhofer zu erwähnen. Mit Gitarre, Kontrabass, den er an passenden Stellen zum Percussion-Instrument umfunktioniert und Melodica ist er ständig auf der Bühne präsent. Als „Teil des Ganzen“ kriegt er manches Mal vom König Anweisungen, dass er schneller oder anders zu spielen habe. Und dennoch vermittelt er eine gewisse Unabhängigkeit.
Etliche Tage nachdem diese Stückbesprechung erschienen ist, meldete sich Autorin Verena Richter und meinte in einer eMail: „Ich teile in vielen Punkten deine Ansicht. Auch ich finde u.a., dass keine Entwicklung stattfindet und das Stück ab der Hälfte stagniert. Ich habe das Bedürfnis dir zu schreiben, dass an meinem Text ohne mein Wissen Änderungen vorgenommen wurden, Teile gestrichen und an anderen Stellen Text hinzugefügt wurde, der nicht von mir stammt.“
Compliance-Hinweis: Das Dramatiker:innen-Festival in Graz hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… zur Berichterstattung eingeladen.
Von Verena Richter
Ab 5 Jahren; eine Stunde
Die Schachtel, die (fast) alles hat, alles darf und nichts muss: Martin Niederbrunner
Törtchen, stets zu Diensten: Helmut Pucher
Gästin, die gewissenhafte Beobachterin: Cassandra Schütt
Überzeugende(re) Überzeuger: Simone Leski
Der Live-Musiker, ein Teil des Ganzen: Reinhard Ziegerhofer
Regie: Anja Michaela Wohlfahrt
Ausstattung: Helene Payrhuber
Dramaturgie: Dagmar Stehring
Lichtgestaltung: Michael Rainer
Regieassistenz: Johanna Ortner
Bis 18. Juni 2024
Next Liberty: 8010 Graz, Kaiser-Josef-Platz 10
Telefon: 0316 8008-1120
nextliberty -> der-koenig-der-alles-hatte
Bis 26. Mai 2024
Graz
dramatikerinnenfestival2024
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