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Szenenfoto aus "Wolf/ Loup"
Szenenfoto aus "Wolf/ Loup"
23.06.2022

Kann Liebe die mörderische Kraft der Rache heilen?

„Wolf/Loup“ – Stück eines niederländischen Autors von einer zweisprachigen Schweizer Gruppe beim Theaterfestival „Luaga & Losna“ in Vorarlberg.

Der Wolf – das ist wohl in den meisten Märchen DER Böse schlechthin. Und in der wirklichen freien Natur, wo er beispielsweise hierzulande fast ausgerottet war und nun nach und nach wieder auftaucht, ertönt oft der Ruf: Tötet ihn. Sobald das eine oder andere Exemplar dieses „wilden Hundes“ ein Schaf reißt, um den Hunger zu stillen, soll’s ihm uns seines- oder ihresgleichen an den Kragen gehen. Obwohl wir Menschen oft mehr Tiere töten als wir essen können.

Eine „Entzauberung“ des „bösen“ Wolfs versuchen einerseits Tier- und Naturforscher:innen, die sich mit echten, lebendigen Wölfen beschäftigen. So manche Künstler:innen trachten – besonders in Büchern und Theaterstücken, die sich an Kinder richten – dem Wolf gerecht zu werden, ihn aus der Ecke der Ausgrenzung zu holen, sich gegen das Mobbing dieser Vierbeiner zu stellen und nicht zuletzt zu zeigen, dass diese Tiergattung – wie viele andere – vor allem Opfer menschlicher Jagd sind. Einige Links zu verschiedenen Stückbesprechungen unten.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wolf/ Loup“

Der letzte Wolf wird Mensch …

Das Theater La Grenouille (Französisch: Frosch) aus einem zweisprachigen Teil der Schweiz (Biel/Bienne) gastierte mit „Wolf/Loup“ beim 34. Internationalen Theaterfestival „Luaga & Losna“ im Nenzinger Ramschwagsaal. In dem vom Niederländer The Fransz geschriebenen, von Charlotte Huldi inszenierten Stück, in dem manchmal auch französische Sätze fallen – bewusst eingesetzt als hörbar Fremdes – taucht der letzte überlebende Wolf verwandelt in Menschengestalt auf. Der junge Mann namens Mas kommt mit dem Auftrag seine Vorfahren und Verwandten, die von den Jägern des Dorfes ausgerottet worden sind, zu rächen. Das Herz der Tochter des letzten Jägers, Virginie, soll er den Göttern opfern, dann könne er wieder zum Wolf werden – und glücklich.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wolf/ Loup“

Jägerstochter will raus

Diese Virginie ist aber nicht nur keine Jägerin geworden, sie hält es in der Enge und Kleinkariertheit des kleinen Dorfes überhaupt nicht aus. Will weg. Kann aber nicht, weil auch sie einen Auftrag zu erfüllen hat – den ihrer weiblichen Vorfahrinnen: Als weise Frau muss sie den Mythos, Sand über die Toten zu streuen, um die Lebenden vor einem (zu frühen) Tod zu bewahren.

Und wie es Autor ausgedacht und natürlich auch ein gewisser dramatischer Bogen erfordert, treffen ausgerechnet Mas und Virginie (Clea Eden, Christoff Raphaël Mortagne) aufeinander – auf dem Friedhof. Und verlieben sich ineinander. Womit der Mensch-Wolf/Wolf-Mensch mit seinem Auftrag zu hadern beginnt. Seine Liebe will er ja nicht umbringen. Außerdem hat er, als Virginie ein Kind war und sie sich im Wald bei einem Sturz verletzt hat, vorsichtig zu ihrem Haus geschleift. Was ihm die Dorfbewohner:innen keineswegs gedankt haben.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wolf/ Loup“

Viele Anklänge

Die Regisseurin schickt neben dem Schauspiel-Duo, das manche Szenen auch tanzt (Choreografie: Jeanne Lehnherr) einen Live-Musiker (E-Gitarre und Mischpult) auf die Bühne. Die liegt in der Mitte, an vier Seiten von Bänken fürs Publikum umgeben. In den Ecken neben den Zuschauer:innen stecken Äste in „Steinen“ in Form von Tierkopfskeletten (Ausstattung Verena Lafargue). Idee: Wir sitzen sozusagen im Wald, im Wolfsgebiet und schauen auf das Geschehen im Dorf, oder viel mehr auf die Annäherung der beiden Angehöriger verfeindeter „Stämme“. Was bei Shakespeares „Romeo und Julia“ die Montagues und Capulets, sind hier eben Wölfe und Menschen.

Anklänge, Assoziationen liefert der Autor viel – nicht wenige meinen, zu viele. Ob die Genannte oder Märchen wie Schneewittchen – Mas tötet ein Wildschwein, dessen Herz er den Göttern (Jäger/Stiefmutter) – oder natürlich Rotkäppchen, Mythen, Göttersagen und noch viel mehr… Oder die Rettung des jungen Mannes/Wolfes durch die Opferung einer Frau wäre ebenso zu finden wie rohe, archaisiche, vor allem männliche Gewalt. Obwohl sich hier durchaus auch die Großmutter ihres tyrannischen Ehemannes mörderisch entledigt hat …

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wolf/ Loup“

Zwei Kerne?

Im Kern scheinen aber zwei zentrale Geschichten stecken zu können: Die tödliche Feindschaft gegenüber Fremden, die – zumindest im Einzelfall – durch Liebe überwunden werden kann/könnte. Denn tragischerweise scheint durch einen blöden Zu-/Unfall Virginie sehr wohl letztlich zu sterben – wenngleich am Ende der Satz steht, dass das Ende frisch wieder ein Anfang wäre.

„Wolf/Loup“ könnte aber auch für den mörderischen Umgang eines Großteils der Menschheit mit Tier und Natur stehen – und der neue Anfang die Erkenntnis sein, dass am Ende der Vernichtung der Natur natürlich der Tod der Menschen steht/stehen würde.

Follow@kiJuKUheinz

Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde von Luaga & Losna zwecks Berichterstattung nach Nenzing eingeladen.

Eine andere Version des oben besprochenen Stücks von Theo Fransz – vor neun Jahren im Dschungel Wien wurde von mir damals noch im Kinder-KURIER besprochen und zwar hier

Stückbesprechung von „Wolf!“ von Raoul Biltgen hier

„Grimm! – Die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf“: hier

„Das Rotkäppchen und der gar nicht so böse Wolf“ von Theater Zeppelin-Stück: hier

Stückbesprechung von „Rotkäppchen und der hungrige Wolf“ von Theater Asou: hier

Über eine Inszenierung von „Die besseren Wälder“ von Martin Baltscheit geht es hier

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Wolf/Loup

von Theo Fransz
Übersetzung aus dem Niederländischen: Monika The; Übersetzung französischer Passagen: Clea Eden
La Grenouille / Schweiz
Ab 13 Jahren

Inszenierung: Charlotte Huldi
Spiel: Clea Eden, Christoff Raphaël Mortagne
Livemusik, Komposition: Bertrand Vorpe
Choreografie: Jeanne Lehnherr
Ausstattung: Verena Lafargue
Lichtgestaltung: Célien Simon

Rechte: Theaterstückeverlag Korn-Wimmer & Wimmer

Das gesamte Programm findest du hier

luagalosna -> Programm Juni 2022