Sandra Selimović, die in „Die Ärztin“ ihr Burgtheater-Debut spielte im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr …
Sandra Selimović spielt im Wiener Burgtheater in „Die Ärztin“, einer Überschreibung von Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“, Charlie. Sie ist die Lebenspartnerin der Hauptfigur, der Klinikleiterin Professorin Ruh Wolff. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … führte mit ihr, sowie Zeynep Buyraç, Darstellerin des intriganten stellvertretenden Klinikleiters Roger Hardiman, der am Sessel der Chefin sägt sowie einer Diskutantin in einer TV-Show, Interviews. Für beide, langjährige Schauspielerinnen, sind es die ersten Auftritte auf dieser Paradebühne im deutschsprachigen Raum. Um ewiges Runter-scrollen zu vermeiden, sind die beiden Gespräche in eigenen – miteinander sowie mit der Besprechung des Stückes verlinkten – Beiträge zu finden.
Bist du genau für diese Rolle genommen worden?
Sandra Selimović: Zuerst einmal hatte ich gar keine Ahnung, ich war nur ge-flasht, dass mich das Burgtheater aus dem Nichts angerufen hat und mir gesagt wurde, sie wollen mich kennenlernen. Bei dem Gespräch wurde mir auch nicht viel über die Rolle erzählt, nur, dass es keine große, aber eine wichtige ist. Sie hat nicht viel Text, spielt aber einen wichtigen Teil im Leben der Hauptdarstellerin. Drei Wochen später haben sie sich gemeldet und gesagt, ich soll zu den Proben kommen.
Da hast du aber dann schon erfahren, wen du spielst und den Text bekommen?
Sandra Selimović: Nein, den hab ich erst eine Woche vor Probenbeginn bekommen. Da war ich zuerst einmal überrascht, wie lang das ganze Stück ist, wieviel Text das ist. Du hast ja das Stück gesehen, die Figuren sprechen ja fast alle sehr schnell und durcheinander – beim Lesen hat’s so gewirkt, als würde es mehr als drei Stunden dauern. Der englische Originaltext ist immer viel knapper.
Ich muss schon gestehen, dass ich sehr baff war, dass alle, vor allem Sophie (Kessel, Darstellerin der Hauptfigur Ruth Wolff, die mit Charlie in einer Beziehung lebt) sehr viel Text hatten – außer mir – mit gefühlten nur zehn Sätzen.
Wie war’s für dich, erstmals am Burgtheater zu spielen?
Sandra Selimović: Das war für mich die größte Herausforderung. Zwei Sachen waren sehr schwierig – zum einen generell der Druck, wenn du plötzlich an DER BURG spielst. Ehrlich gesagt, ich hätt mir nie gedacht, da einmal zu spielen. Ich hab mir nicht einmal je überlegt, dort vorzusprechen. Es ist dort sehr schwer reinzukommen, als Ausländerin und aus der freien Szene sowieso. Deswegen war ich sehr aufgeregt. Daher hatte ich einen so krassen Druck wie ich ihn noch nie zuvor in einer Produktion gespürt habe. Ich hab lang gebraucht, um mich zu akklimatisieren mit der Atmosphäre, mit dem Regisseur, mit dem Haus, mit den Leuten, die alle sehr, sehr gut sind.
Aber das bist du ja auch!
Sandra Selimović: Ich bin mir lange Zeit selber im Weg gestanden, weil ich so nervös war, mir selber so einen Druck gemacht hab – zu beweisen, dass ich da jetzt auch dazugehöre.
Wie hast du das letztlich überwunden?
Sandra Selimović: Schwer. Was dazugekommen, das zweite: Unsere Szenen sind so kurz, wir haben zwar einige, aber immer nur sehr knappe. Der Regisseur (Robert Icke, der das Stück auch im englischen Original geschrieben hat) hat sich für unsere Szenen sehr wenig Zeit genommen. Ich bin oft für 10 Uhr bestellt worden und dann um 15.30 Uhr drangekommen, eine halbe Stunde vor Schluss. Dann haben wir genau zwei Mal die Szene durchgespielt. Ich hab immer das Gefühl gehabt, ich hab nie die Möglichkeit, mich da reinzufinden in die Figur, die Szene, mich warm zu spielen mit meiner Kollegin. Deswegen ist es mir noch schwerer gefallen, mich da wohlzufühlen.
Nach meinen Sätzen drehe ich auf der Bühne ja mehrmals so meine Runden wie ein Geist. Nur einmal hat mir der Regie-Assistent gesagt, ich soll mich anders bewegen als die anderen, mir mehr Zeit nehmen. Dadurch, dass die anderen so schnell sind, spiel ich Momente der Entschleunigung – weil da was Intimes, was Privates zwischen ihr und mir passiert.
Hat sich das mit dem ersten Mal real spielen vor Publikum verändert?
Sandra Selimović: Bei der Voraufführung hab ich gemerkt, dass ich total nervös war und ich mir selber im Weg gestanden bin. Ich kenn die Premieren-Nervosität schon, aber nach den ersten zwei, drei Sätzen machst du dein Ding. Aber dadurch, dass ich das Gefühl hatte, komplett unterprobt zu sein, kam ich mir sehr steif vor. Leute, die die Voraufführung gesehen haben, fanden das wie sie mir nachher gesagt haben, gar nicht. Aber bei der echten Premiere ist es mir das erste Mal besser gegangen.
Wodurch?
Sandra Selimović: Ich glaub durch die erste Aufführung auf dieser Bühne in der Burg, sich steif zu fühlen. Und den Ruck: Das muss ich jetzt ablegen, weil jetzt will ich spielen. Bei der Premiere hab ich das Gefühl gehabt, dass ich viel lockerer war und die Szenen auch genießen konnte.
Ab der Premiere konntest du sozusagen aus dir herausgehen, statt dir selber im Weg zu stehen? Nimmst du seit der Premiere die vielen Leute im Publikum wahr? Macht es einen Unterschied zu all deinen bisherigen Theatererfahrungen?
Sandra Selimović: Es ist schon sehr eindrucksvoll, wenn man plötzlich rausgeht und sieht so viele Menschen, dass das so riesig ist. Aber auch innerhalb des Hauses. Ich hab ja auch immer wieder auch an Stadttheatern in Deutschland gespielt. Aber hier hab ich das Gefühl, dass alle immer unter Strom sind.
Zurück zu deiner Rolle, taugt dir die Figur – auch wenn du gern mehr Text hättest?
Sandra Selimović: Ich hab jetzt begonnen, sie zu mögen. Einmal hat mir der Regisseur gesagt, eigentlich hat meine Figur eine therapeutische Funktion für die Hauptfigur, diese Frau zu trösten, weil sie ja im Stück jede und jeder attackiert, auseinander nimmt: Und ich bin die einzige Person, die lächelt, die ihr Liebe schenkt, die ihr Trost spendet – auch wenn sie nicht mehr da ist. Was wieder traurig ist, weil ich bin ja nur ein Geist. Das Krasse ist, man weiß ja im Stück nicht und das hat der Autor und Regisseur bewusst offen gelassen, ob Charlie sich schon lange vorher umgebracht hat oder erst in der selben Zeit in der das Stück spielt.
Wie schwierig ist es, eben nur so knappe Szenen mit wenigen Sätzen zu spielen mit so viel Wartezeiten hinter der Bühne zwischen den kurzen Auftritten?
Sandra Selimović: Das war und ist für mich immer noch eine Herausforderung. Wenn du viele und lange Auftritte hast, kannst du vielleicht einmal was verhauen oder drüber improvisieren. Ich muss voll auf den Punkt und voll und nur genau dann da sein. Ich bin jetzt seit 25 Jahren Schauspielerin, also so, dass ich davon leb, und es ist die zweitkleinste Rolle in meinem Leben. Meine kleinste war einmal im „zerbrochenen Krug von Kleist“, da war ich die zweite Magd und ich hatte glaub ich drei ganze Sätze. Ansonsten hab ich mein ganzes Leben – das klingt jetzt vielleicht eingebildet -, aber ich hab immer Hauptrollen gespielt. Deswegen kannte ich das vorher nicht, dieses hinten warten müssen und dann nervös zu werden – irgendwann ist dann gleich mein Auftritt. Du kriegst ein Lichtzeichen und dann musst du voll da sein. Und die wenigen Sätze müssen perfekt sein, weil sonst hast du deine Szene verhaut.
Aber du kannst, ja darfst dich davor in der Wartezeit auch nicht entspannen. Du musst trotzdem die ganze Zeit drinnen bleiben im Stück und in der Rolle. Ich wusste vorher gar nicht, wie schwer es ist, eine kleine Rolle zu spielen.
Weg vom Burgtheater, wann hast du mit Schauspiel begonnen? Ich kenn dich zwar schon aus vielen Stücken in verschiedenen Theatern, hab aber erst jetzt in der Vorbereitung auf dieses Interview auf Wikipedia gelesen, dass du schon als Kind in einem Film mitgespielt hast, von dem du dich später distanziert hast?
Sandra Selimović: Ja, da war ich 12 Jahre und hab eine Romni in einer ORF-Kinder-Fernsehserie gespielt („Operation Dunarea“), das war so eine Klischee-Romni, was mir damals noch nicht bewusst war. Das Verrückt war, sie haben mich damals für die Rolle Rumänisch lernen lassen, weil sie dachten Roma kommen aus Rumänien, obwohl ich eh Romanes kann.
Und wie kamst du dazu?
Sandra Selimović: Es ist ein Filmteam in unsere Schule – im Gymnasium Rosasgasse – gekommen und hat Kinder gecastet, unter anderem mich. Wir mussten dann so lange Kleider tragen und haben gespielt, dass wir in Wohnwägen leben und so. du musst dir vorstellen, wie ignorant die waren – und viele heute noch sind. Leute, die wissen, dass ich eine Romni bin, fragen echt, ob ich Rumänisch spreche.
Apropos, du hast dich vorhin einmal Ausländerin genannt, du lebst doch schon ewig in Österreich, oder?
Sandra Selimović: Seit 2004.
Also fast 20 Jahre und du bis wie alt?
Sandra Selimović: Fast 41.
Also fast die Hälfte deines Lebens bis du hier.
Sandra Selimović: Es ist schwierig für mich, die Frage zu beantworten, ob ich eine Österreicherin, eine Serbin oder eine Romni bin. Leute wie ich fühlen sich nie irgendwo ganz zugehörig. Wenn ich zu lange in Österreich bin, pack ich die Österreicher nicht. Die sind mir zu kalt, zu grantig und denen bin ich zu laut, zu temperamentvoll, zu lustig. Wenn ich in Spanien oder bei einer besten Freundin in Chile bin, dann hab ich das Gefühl, dass ich dort ich selber sein kann. Wenn ich in Serbien bin, bin ich dort auch nur die Schwabiza. Ich kann schon auch Serbisch, aber ich hab einen lustigen Akzent. Ich war ja nie richtig in einer serbischen Schule.
Es wundert mich nur, dass du dich als Ausländerin bezeichnest.
Sandra Selimović: Weil ich als solche gesehen werde. Was glaubst du, warum sie mich von der Burg angerufen haben? Sie wollten einfach in dem Stück sehr divers sein. Die haben sich gedacht, dann lassen wir drei Schwarze mitspielen und eine Türkin und eine Inderin und eine „Z…“ könnt auch noch ganz gut sein, weil dann sind wir super-divers. Glaubst du, dass sie mir je eine ganz normale Weiße Rolle geben werden? Ich wird auf mein Aussehen reduziert.
Wobei das ja nicht in der Rolle der Charlie angelegt ist.
Sandra Selimović: In der Rolle der Charlie nicht, aber das Stück selber transportiert ja ganz viel Debatten über Identität und Zugehörigkeit.
Aber es bricht’s ja durch diese diverse Besetzung und dadurch, dass Frauen Männer oder Schwarze Weiße spielen, auch sehr stark auf.
Sandra Selimović: Schon, aber ich kann’s mir nicht aussuchen. Wenn ich durch die Straßen gehe und die Leute mich sehen … die denken sich nicht, ich bin Österreicherin. Darum geht’s. Was mich selber betrifft, ich bin eine Mischung aus allem. Ich bin am meisten Wienerin…
… aber ohne Grant 😉
Sandra Selimović: Ich versuch’s zumindest. Aber als ich mit 21 das erste Mal in Barcelona war, wo meine Freundin einen Chilenen geheiratet hat, hab ich das erste Mal das Gefühl gehabt, ich kann sein so wie ich bin.
Wie bist du zum Schauspiel gekommen, war das über die erste oben erwähnte Filmrolle?
Sandra Selimović: Schuld war daran Michael Jackson
Wie das?
Sandra Selimović: Als Kleinkind war ich einer seiner größten Fans. Wir hatten null Kohle, aber eine Videokassette „Michel Jackson live in Bukarest“. Die hab ich rauf und runter gespielt und mir jeden Tanzmove eingeprägt und nachgetanzt. Dann hab ich im Schulhof so für mich getanzt mit meinem Walkman. Da haben mich Leute gesehen und angesprochen, willst du nicht wo auftreten. So hab ich bei Kinderwettbewerben getanzt. Eine Lehrerin hat mich gefragt, ob ich nicht einmal auch eine Rolle spielen will. So hab ich in einem Theaterstück erst getanzt und noch eine Sprechrolle bekommen. Das war Bühnenspiel im Gymnasium – mit zehn Jahren. Mit zwölf kam dann dieser TV-Film. Nach diesem Film war für mich klar, dass ich Schauspielerin werden möchte.
Wie ging’s dann weiter?
Sandra Selimović: Mit 14 Jahren hab ich den Karl Wozek kennengelernt. Ich war sein allererstes Ensemblemitglied. Da war er Schauspieler und es war seine allerallererste Inszenierung. Es war in der Zeit als es noch keine oder kaum Handys gab. Auf einem Baum hing so ein Zettel mit der Ankündigung von einem Schauspiel-Workshop. Ich hab von einer Telefonzelle aus diese Nummer angerufen und hab mich mit dem Typen mehr als eine Stunde unterhalten als hätten wir uns schon immer gekannt. Er war alles für mich – mein Mentor, mein Theater-Papa. Ab da war ich in seinem Unterricht und in seinen ganzen Inszenierungen. Er hat in der Gruppe 80 gespielt, ich hab mir ein Stück angeschaut, in dem er gespielt hat. Der Regisseur hat den Karl gefragt wer ich bin, der Koal hat g‘sagt, das ist eine coole Schauspielstudentin von mir und dieser Regisseur hat mich dann mit 19 engagiert, das war mein erstes professionelles Engagement.
Da warst du mit der Schule schon fertig?
Sandra Selimović: Mit dem Schauspielstudium hab ich noch nicht einmal angefangen. Gym durft ich nicht fertig machen.
Warum?
Sandra Selimović: Mein Vater hat mich aus der Schule geholt, ich musste eine Lehre machen als Einzelhandelskauffrau.
Du bist also ausgelernte Verkäuferin?
Sandra Selimović: Ja, drei Jahre Lehre und Berufsschule. Aber ich hab trotzdem beim Karl weitergespielt. Und dann die „Paritätische“ gemacht (Bühnenreifeprüfung vor der paritätischen Kommission).
Was waren deine bisherigen Highlights an Rollen?
Sandra Selimović: Natürlich ist ein Highlight „Roma Armee“, weil das einfach die coolste Idee ist, die meine Schwester und ich je gehabt haben (Story darüber siehe Link unten). Und das erfolgreichste Stück überhaupt. Das spielt am Gorki (Berlin) seit 2017 und wir spielen’s immer noch immer wieder. Und wir haben fast jedes Mal standing ovations. Außerdem hab ich das Gefühl, dass ich da meine Berufung gefunden hab, ein Theater zu machen, das ich selber will – divers, aber mir das selber aussuch. Ich spiel eine Romni, aber so wie ich mich als Romni zeigen will.
Und beim Karl war’s „Der Klassenfeind“ und „Jugend ohne Gott“ war auch geil.
Deine nächsten Theaterpläne?
Sandra Selimović: Wir haben eine Wiederaufnahme bekommen von „Bibi Sara Kali“. Das gab‘s pandemie-bedingt ja nur als Film (siehe Bericht in einem Link unten). Aber jetzt können wir’s dann wirklich im Theater spielen. Dann soll ich mit einer Berliner Roma-Gruppe Regie bei einem Stück am Schauspiel Dortmund führen, eine Weiterentwicklung eines Stücks, das wir schon im Vorjahr in Berlin erarbeitet haben. Dann gibt’s noch eines, das ist noch nicht ganz spruchreif, ein Vorschlag von meiner Schwester (Simonida Selimović) und mir – auch für Dortmund.
Story über „Roma-Armee“ im Wiener Volkstheater – damals noch im Kinder-KURIER