Aus der Hängematte in der Kurzversion beim Wettbewerb des Nachwuchsförderprojekts Magma wurde nun in der Vollversion eine wandelbare White-Box. Oft ist sie einfach eine weiße Wand, hinter der Protagonist:innen verschwinden können, dann wieder Projektionsfläche für Textnachrichten in der Klassen-Chatgruppe. Und von den Schauspieler:innen zwischendurch um 180 Grad gedreht eröffnet sie zwei neutrale Jugendzimmer für Rika (Selina Rudlof) und Tom (Marko Jovanović).
Die beiden – der Programminfo nach – Elfjährigen stoßen auf dem Smartphone, das er im Überformat und mit vielen Blinklichtern aus einer Schachtel auspackt, schon aufs erste Hindernis. Eltern haben eine Kindersicherungs-Sperre installiert. Dafür landen sie plötzlich auf Videos und grafische Animationen von Menschen mit „komischen Geräuschen und Bewegungen“. Auch wer nicht vorab die Infos zu „Zunder“ gelesen hat, kriegt schnell mit, dass es um Sex, vielmehr Pornographie geht. Die Eltern haben das Smartphone auf einem „Flohmarkt“ gekauft – zumindest ist das die Info im Stück (Text und dramaturgische Beratung: Rachel Müller; Regie: Manuel Horak).
Während Rika, die insgesamt den forscheren Part in der Begegnung der beiden jungen Jugendlichen übernimmt und entsprechend spielt, das eher ein bissl lustig findet, fühlt sich Tom mehr als unwohl. Ihm ist das seeeehr unangenehm. Und das crasht auch die Beziehung der Schulkolleg:innen.
Dennoch suchen beide abends in ihren Zimmern im Internet nach Pornos bzw. Infos darüber. Tom beängstigt alles und er versucht, Rat und Hilfe ei seinem Bruder Mio zu finden. Und bei Rika stürmt die Mutter ins Zimmer, entreißt ihr den Laptop, kassiert obendrein das Handy ein, sagt, darüber müsse geredet werden. Um genau das nicht zu tun. Dritte Person auf der Bühne ist Fabian Tobias Huster – mitunter rasend schnell switchend zwischen Rikas Mama und Toms Bruder.
Soweit die Ausgangssituation für das einstündige Stück, in dem mitunter aus dem Off Jugendsprech-Vokal wie „LOL“ oder „chill mal“ ertönen. Zum einen dreht sich „Zunder“ um die Freundschaft, die einen (Vertrauens-)Bruch erfährt, weil Rika sich auch im Klassen-Chat gegen Tom stellt und wie sich die wieder einrenkt. Vor allem aber um die Konfrontation schon sehr junger Jugendlicher, ja eigentlich noch Kinder mit massenhaften pornographischen Darstellungen in Online-Medien. Und die noch immer große Sprachlosigkeit vieler Eltern und Pädagog:innen in Sachen (sexuelle) Aufklärung, die solch krasse Irritationen wie sie Tom erleidet, erst ermöglichen.
Dem setzt das Stück – vielleicht mit ein bisschen zu viel pädagogischem Zeigefinger – eingestreute Infos entgegen, die abwechselnd Tom zwischendurch und Rika in einem Referat in der Schule verbreitet.
Gestehe, die Bedeutung der wahllos im Raum stehenden und hängenden künstlichen Zimmerpflanzen (Bühne und Kostüme: Sophie Eidenberger) hat sich mir erst aus den pädagogischen Begleitmaterialen und auch das nicht ganz erschlossen. Dort heißt es: „Durch den Raum wuchern verfremdete Zimmerpflanzen, die aus Materialien bestehen, die assoziativ mit dem Thema Porno verbunden werden (Latex, Leder, Metall,…). So findet das Thema hier Einzug in das Alltägliche. So, wie sich vielleicht gerne um ein heikles Thema herumgeschlängelt wird, gibt es auch auf der Bühne Elemente, denen auszuweichen ist oder die leicht ins Stolpern bringen.“
Umgeben von drei Wänden mit unzählbaren grünen Oen und 1ern auf schwarzem Hintergrund spielt sich im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien das Nestroy’sche bitterböse satirische Stück „Höllenangst“ in einer Überschreibung (Text und Regie: Bernd Liepold-Mosser) ab – mit dem Zusatztitel „No enlightenment please!“ (also keine Aufklärung). Die Kritik am kriminellen Geschäftemacher Stromberg (Jens Claßen), der seine Nichte Adele (Lisa Schrammel, die dann auch ihre eigene Zofe Rosalie spielt) um deren Erbe bringen möchte und dafür deren aufrichtigen anderen Onkel Reichthal (Georg Schubert, gestylt als wäre er dem einen oder anderen Gott-Gemälde entstiegen) hinter Gitter bringt, findet sozusagen im digitalen Zeitalter ab.
In einem früheren Stadium des binären Code-Systems irgendwie. Die grünen Ziffern auf schwarzem Hintergrund erinnern an Computergenerationen des vorigen Jahrhunderts, das Setting postuliert einen aktuelleren Zeitraum, pendelt das Geschehen doch zwischen realer, analoger und digitaler, virtueller Welt. In dieser scheint der rettende Held Wendelin (Andreas Gaida) fast als Kämpfer gegen Windmühlen und Verschwörungstheorien, verbündet sich scheinbar mit dem Teufel, hier stets als Windows-Mann tituliert.
Die Nestroy’schen Couplets gibt’s hier als eigene, neugeschriebene Songs – meist im Duett eines wechselnden Solisten/einer Solistin mit den anderen Ensemble-Mitgliedern (neben den schon genannten noch Petra Strasser und Emanuel Fellmer). Die Texte und Songs pendeln zwischen einer Art Kärntnertlied und Protestsong. Thematisch spannen sie den Bogen vom Erheben über den Durchschnitt, über kein-Opfer-sein-wollen, Parallel-Universum bis zur Anklage „Des System måcht uns krånk“. Musikalisch begleitet werden nicht nur die Songs von Oliver Welter, dem Gitarristen der Band „Naked Lunch“, vielleicht DEM Überraschungs-Highlight des Abends.
Übrigens: Der Name des Bösewichts aus „Höllenangst“ hat sich schon lange sozusagen verselbstständigt, unter anderem geisterte Stromberg als Titelfigur fast ein Jahrzehnt in einer TV-Comedy-Serie als windiger Versicherungsheini über die Bildschirme.
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