Ein Typ mit Bierflasche in der Hand, ein wenig „abgesandelt“. Wäre er nicht Schauspieler und würde sein Publikum im Foyer der Burgtheater-Spielstätte Kasino am Schwarzenbergplatz empfangen, die über Kopfhörer seinem Monolog lauschen, würden die meisten von ihnen wahrscheinlich achtlos an ihm vorbeigehen oder gar einen größeren Bogen um ihn machen. So aber folgen die beobachtenden, vor allem hörenden Teilnehmer:innen Michael Wächter rund eineinhalb Stunden in „Die Nacht vor den Wäldern“, einem fast 50 Jahre alten Text von Bernard-Marie Koltès (1948 – 1989) in der Regie von Robin Ormond.
Ein vorgeblich obdachloser einsamer „Wolf“, der labert und labert. Frauen verachtet, Weltverschwörungen „aufdeckt“, ein Gegen-Syndikat errichten will, Gewalt als Mittel der Auseinandersetzungen kennt und offenbar schätzt… – und zwischen den Zeilen viel Leere und mehr als mangelnde Zuneigung erfahren hat. Die Tour führt, teils hastig, vom Kasino-Foyer aus über den Beethovenplatz vor dem AKG (Akademisches Gymnasium), hinunter in die Tiefgarage, wieder rauf, runter zur U4-Station Stadtpark, Richtung Heiligenstadt, einen Halt weiter zum Schwedenplatz, denn Landstraße ist derzeit gesperrt; Gang aufs Klo in der dortigen U-Bahnstation, kurzer Halt auf der Schwedenbrücke über dem Donaukanal – auf der Seite gegenüber dem in Metall geschnittenen Ilse-Aichiger-Zitat aus „Winterantwort“ an jenem Ort, an dem die Dichterin zum letzten Mal ihre von den Nazis einkassierte Oma auf dem offenen LKW-Transporter gesehen hat; Pause bei einem Würstelstand, wo sich der Protagonist eine Bratwurst reinzieht – natürlich mit einer Hülse, einer weiteren Dose Bier; Rotenturmstraße, Heiligenkreuzer-Hof, Jesuitenkirche, kurze Fahrt mit der 2er Bim, Stadtpark, wo der Outlaw-Darsteller am gegenüberliegenden Ufer in den Büschen verschwindet.
Irgendwie pendelt dieser Audio-Walk zwischen Verständnis für einen Typen wie ihn, gelichzeitig mit gemischten Gefühlen angesichts einerseits seiner immer wieder Frauen verachtenden Sager und andererseits einem unguten Gefühl von Voyeurismus, in die Seele eines Ausgestoßenen mit eigener Gewalterfahrung. Und gleichzeitig wiederum das Wissen, alles nur gespielt, aber jedenfalls mit so beeindruckender schauspielerischen Leistung, dass es immer wieder fast echt wirkt und deshalb kräftiger Applaus über den Wien-Bach hinweg, der während des vorjährigen Hochwassers zum reißenden Fluss geworden war.
Die Geschichte spielt zwar auf versschneiten Berghängen und Wäldern, aber kürzlich ist das rund 100-seitige Buch aus dem Vorjahr nun auch als Hörbuch erschienen; auch wenn mit Elias Emken eine einzige Person die komplette Geschichte liest bzw. erzählt, scheint es phasenweise ein mehrstimmige Hör-Erlebnis. Und die Jahreszeit tut nichts zur Sache.
Am Anfang steht ein Streit unter Schneehasen. Das heißt nur einer, der kleine, neugierige, mutig Timidus probiert mit einem großen stück Baumrinde „Schneerutschen“, was dem Chef der Hasengruppe namens Bruno so gar nicht gefällt. Das mache nur Feinde auf die Kolonie der im Schnee getarnten Langohren aufmerksam.
„Dein Rufen war aber eigentlich viel lauter als mein Rutschen“, lässt Autor Michael Engler den Helden des Buches sagen; Barbara Scholz lässt Timidus wie auf einem Skateboard über Hügel flitzen.
Als das aufgeweckte Hasenkind dann noch wissen will, der da im Wald Krach macht und einen Baum umknickt, verbannt der Oberhase Timidus. Keine oder keiner seiner Freund:innen steht im bei. „Ein kleiner Hase, ganz allein in der Wildnis. Wie soll das gehen?“, fragte er. Da wurde es still. So still, dass man beinahe die Schneeflocken fallen hören konnte.“ Diese vier kurzen Sätze beschreiben das nun einsetzende Gefühl des Ausgestoßen-Seins, der drohenden und dann beginnenden Einsamkeit.
Timidus findet eine eigene Höhle – und kommt drauf, nun keppelt niemand mehr mit ihm, er kann tun und lassen, was er will. „Niemand!“, rief er laut und froh. „Keiner kann über mich bestimmen!“
So kann er seiner Natur, dem neugierigen Erkunden, nachkommen. Unter anderem checkt er: Es gibt nicht nur Hasen und deren mögliche Feinde, sondern noch ganz schön viel andere Tiere – am Boden und in der Luft.
Aber allein ist er trotzdem. Bleibt es natürlich nicht, immerhin heißt das Buch ja „Die größte Freundschaftsgeschichte der Welt“ – und auch wenn fast jede Seite, manche sogar sehr üppig illustriert ist, das kann’s für 100 Seiten ja nicht gewesen sein.
Ohne allzu viel zu verraten, findet Timidus schon bald neue Freund:innen – andere Tiere, sogar solche, die ihm sein bisheriges Leben unter der Fuchtel von Bruno als Feinde genannt worden waren. Wer das sind, das sei hier sicher nicht gespoilert – nur so viel noch: Auch diese Tiere wurden aus ihren Familien bzw. Herden verstoßen, weil sie nicht so ticken wie ihre Artgnoss:innen. Der mehrmals bei näheren Begegnungen fallende Satz dazu: „So passen wir doch sehr gut zusammen…“.
Die Gemeinsamkeit der Außenseiter:innen ist dann dennoch nicht immer einfach, schweißt aber so zusammen, dass bald auch der Wunsch, doch zu seiner Kolonie zurückkehren zu können, verblasst. Immerhin Freund:innen können sich die unterschiedlichen Tiere aussuchen, im Gegensatz zur Familie, in die sie hineingeboren wurden und die sie verstoßen hat.
Und das macht Mut für alle Ausgestoßenen und stärkt die Lust, auch scheinbare Feind:innen kennen zu lernen.
Wolf – in praktisch allen Märchen ein ur-Böser. Und seine Schon- und Schutzzeit in den Wäldern, wo er erst wieder angesiedelt wurde, ist auch schon wieder in Gefahr. „Problem-Wölfe“, die Schafe fressen, sind der Vorwand für Jagdwütige, zumindest das eine oder andere Exemplare wieder auf die Abschussliste zu setzen. „Entnahme“ wird die nicht selten beschönigend, verharmlosend genannt. …
Ob das Gründe für Saša Stanišić waren, seinen Roman für junge Jugendliche (ab 11 Jahren) so zu nennen und einen solchen geheimnisvollen im Ferienlager – in den Träumen von Jörg und dem Erzähler auftauchen zu lassen? Und er taucht immer wieder in den entweder schwarz-weiß oder gelb gehaltenen Comic-artigen Zeichnungen von Regine Kehn auf.
Übrigens, der Name des erzählenden Jungen wird hier nicht gespoilert, nennt ihn der Autor doch erst im allerletzten Satz der rund 180 Seiten.
Der Wolf könnte hier für Ängste stehen. Ängste hat jeder, erklärt der Protagonist den Betreuer:innen im Ferienlager im Wald. Auf das er so überhaupt nicht wollte. Aber die alleinerziehende Mutter hatte für diese Sommerwoche keinen anderen Plan, niemanden, der sich um die Hauptfigur kümmern könnte. Den Ferienhort fand er noch abstoßender.
Natur im Allgemeinen und Wald im Besonderen lehnte er ab. Schlau und eloquent versucht er sich allen Zwangs-Gemeinschafts-Aktivitäten zu entziehen. Dabei würde er – so liest es sich zwischen den Zeilen und gar nicht so selten auch aus seinen Gedanken, die ihn der Autor äußern lässt – doch nicht gern immer der Außenseiter und allein sein. Sein „Glück“ ist, dass ein anderer Junge im Ferienlager, zu dem fast alle aus seiner Klasse mitkommen, der schon zuvor immer markierte Außenseiter ist. Dieser Jörg wurde schon davor von Mitschülern gemobbt, drangsaliert…
„Jörg ist wie alle eigen, er wird aber von den anderen nochmal andersiger gemacht, verstehst du? Man kann jemanden nämlich absichtlich verandern. Sorry, mir fallen nur erfundene Wörter ein.“
Somit ist der „Wolf“-Erzähler die meiste Zeit aus dem Schneider. Irgendwie entstehen in ihm Gefühle, diesen Jörg beschützen zu sollen/ wollen, mal da oder dort einzuschreiten. Aber meist bleibt‘s bei den Gedanken und Gefühlen: Sollte, wäre angebracht… Selten bis gar nie sagt oder tut er wirkliche etwas in dieser Richtung. Was auch zu seinem Unwohlsein mit beiträgt.
Saša Stanišić fühlt sich in diese seine erzählende Hauptfigur extrem gut ein, schildert das Ferienlager samt den jungen Jugendlichen, den Betreuer:innen und nicht zuletzt den Koch, den einzigen der den Erzähler zu verstehen scheint, so plastisch, dass sich das Geschehen vor dem eigenen geistigen Auge abzuspielen scheint. Und du dich als Leserin oder Leser vielleicht immer wieder selbst fragst, würd ich es schaffen, Zivilcourage zu zeigen? Und das alles kommt aber ganz ohne erhobenen Zeigfinger aus.
Übrigens: Eine dramatsierte Fassung von „Wolf“ kommt als Gastspiel des NÖ-Landestheaters im Jänner auf die „Bühne im Hof“ (St. Pölten) – siehe Link in der Info-Box am Ende.
Frank ist ein aufgeweckter, neugieriger und ungewöhnlicher Pinguin unter seinesgleichen. So „borgt“ er sich auf den ersten drei Seiten einen Stoßzahn eines Walrosses aus, um damit in einem Eisloch gleich fünf Fische auf einmal aufzuspießen. Doch dann will der Besitzer seinen langen Außenzahn wieder zurück 😉
Fand diese Fischfangmethode bei seinen Kumpels noch Anklang, so das meiste, was Frank einfiel, eher nicht. Eines Tages tanzte er mit einer roten Mütze an. Die schien den Mit-Pinguinen aufs erste gefährlich zu sein. Erst recht, als einer namens Neville, sich die aufsetzte und prompt von einem riesigen Killerwal verschlungen wurde.
Da konnte Frank noch so viel erklären, dass das eine (rote Mütze) mit dem anderen (aufgefressen werden) nichts zu tun hat – es bescherte Frank ein einsames Außenseiter-Dasein. Naja, möglicherweise wär doch was falsch gewesen, begann er zu grübeln. Vielleicht die Farbe. Doch davon konnte er seine Artgenoss:innen ganz und gar nicht überzeugen. Und so begann er eine neue zu stricken.
Doch – keine Chance. Und so wollte Frank seine Mützen-Produktion einstellen. Natürlich kann, nein darf eine Bilderbuchgeschichte so nicht enden.
Robben tauchten auf – mit seinen Mützen auf den Köpfen. Und konnten so Frank dazu bewegen, nicht von seinen Ideen abzulassen – und er hatte am Ende schon wieder eine neue…
Irgendwie haben seine Pinguine zwar eher Comic-Augen. Und damit seine Lehrstück-hafte Geschichte gegen Vorurteile (rote Mützen) und Verschwörungstheorien (wie sie der Verlag anpreist) besser funktioniert, hat Sean E. Avery für sein Bilderbuch „Frank’s Red Hat“ (auf Deutsch – von Susanne Weber – „Franks rote Mütze“ die Welt der Pinguine in rein schwarz-weiß beschrieben und gezeichnet. Kein blauer Himmel und vor allem keine bunten Anteile echter Pinguine (Schnabel, Hals-Partien, die bei vielen gelblich bis rötlich sind). Aber immerhin will sein Buch ja Mut machen, mit einem Vorhaben oder einer neuen Idee ja nicht aufzuhören, auch wenn (fast) alle anderen sie für blöd oder gar gefährlich halten.
Es ist sozusagen der Theatersommer der Rothaarigen! Nach der jugendlichen Musicalversion von „Anne of Green Gables“ von teatro im Stadttheater Mödling tourt nun nach der Juli-Pause seit 10. August 2023 wieder das Utopia-Theater mit DEM Klassiker in Sachen Vorurteile – anhand des Beispiels roter Haare – vor allem durch Wiener Gemeindebauten und Plätze. Gespielt wird im Freien – bei freiem Eintritt: Der Talisman von Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy. Ursprünglich wollte dieser großartige Theaterdichter (1801 bis 1862), der in seine sehr witzigen, komödiantischen Stücke immer ziemlich viel bitterböse Gesellschaftskritik einbaute, dieses Stück „Titus Feuerfuchs oder Die Schicksalsperücken“ nennen.
Für jene, denen die Story nicht bekannt ist, knapp zusammengefasst: Titus Feuerfuchs – hier gespielt von Andreas Seidl mit gefärbten Haaren, ist rothaarig und damit ein Außenseiter. Als Dankeschön für eine Hilfe bekommt er eine schwarze Perücke. Und alle, die ihn vorher ablehnten, mies behandelten, reißen sich förmlich um ihn – ob das die Gärtnerin (Natalie Obernigg), Constantia, die Kammerfrau der Gräfin (Johanna Meyer) ist. Ähnlich geht’s ihm mit einer blonden Perücke bei der Frau von Cypressenburg selbst (Helga Grausam). Viel Komödiantik ergibt sich daraus, dass er aufzufliegen droht, weil jene, die ihn schwarz sahen nun blond vorfinden. Er selbst ist nicht nur armes Opfer, stößt er doch die einzige, die ihn zu mögen scheint, Salome Pockerl (Stefanie Elias, die auch der Gräfin Tochter Emma spielt), ebenfalls rothaarig (Perücke), zurück, als er sich mit den Perücken auf dem aufsteigenden Ast befindet.
Twist: Ein reicher Onkel (Thomas Bauer, der auch in die Rolle des Gärtnergehilfen Plutzerkern schlüpft) taucht auf, und will ihm wenigsten mit einem Geschäft und Startkapital eine Lebensgrundlage verschaffen, wenngleich er ihn wegen seiner roten Haare auch ablehnt. Nun mit grauer Perücke – aus Kummer – will er ihn sogar zum Universalerben einsetzen. Da plagt Titus schlechtes Gewissen, mit dem Geschäft würd er sich zufrieden geben. Gleichzeitig fliegt die Sache auf. Mit der Aussicht auf dessen reiches Erbe meinen die genannten Damen, na so schlimm seien rote Haare auch nicht…
Doch jetzt besinnt sich der Titelheld und kehrt zu Salome zurück.
Das Utopia-Theater spielt mit wenigen Utensilien, ein paar Kostümen und viel Schauspiel-Leidenschaft – und lässt, abgesehen davon, dass es gleich zu Beginn angesprochen wird – die ganzen 1 ¼ Stunden mitschwingen, dass, wie es auch Nestroy gemeint hatte, die roten Haare in dem Fall „nur“ für jedwede Art von Vorurteilen steht. Sicher, heute sind – zumindest in den Städten – rote Haare kaum mehr Ausschließungsgrund. Aber was ist mit Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung oder – wie jüngst aufgepoppt – allem was angeblich „nicht normal“ sein soll!
Diese und andere etliche aktuelle Anspielungen kommen vor allem in den von Nestroy’schen Stücken bekannten „Couplets“ (Liedern, Songs, in denen er auch zu seiner Zeit immer wieder aktuell Zeitkritisches eingebaut hatte). Und hier leben diese Gstanzl’n (wie die Bühnenfassung, Regie und Organisation: Peter W. Hochegger)
übrigens nicht zuletzt von der musikalischen Begleitung durch den Live-Akkordeonisten Edi Kadlec, der übrigens schon lange bevor das Stück beginnt, mit seiner „Quetschn“ das Publikum einstimmt.
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