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Seiten aus "Wolf"

Wenn Angepasste wen „andersiger“ machen und ein weiterer Außenseiter schweigt

Wolf – in praktisch allen Märchen ein ur-Böser. Und seine Schon- und Schutzzeit in den Wäldern, wo er erst wieder angesiedelt wurde, ist auch schon wieder in Gefahr. „Problem-Wölfe“, die Schafe fressen, sind der Vorwand für Jagdwütige, zumindest das eine oder andere Exemplare wieder auf die Abschussliste zu setzen. „Entnahme“ wird die nicht selten beschönigend, verharmlosend genannt. …

Ob das Gründe für Saša Stanišić waren, seinen Roman für junge Jugendliche (ab 11 Jahren) so zu nennen und einen solchen geheimnisvollen im Ferienlager – in den Träumen von Jörg und dem Erzähler auftauchen zu lassen? Und er taucht immer wieder in den entweder schwarz-weiß oder gelb gehaltenen Comic-artigen Zeichnungen von Regine Kehn auf.

Seiten aus
Seiten aus „Wolf“

Übrigens, der Name des erzählenden Jungen wird hier nicht gespoilert, nennt ihn der Autor doch erst im allerletzten Satz der rund 180 Seiten.

Ängste

Der Wolf könnte hier für Ängste stehen. Ängste hat jeder, erklärt der Protagonist den Betreuer:innen im Ferienlager im Wald. Auf das er so überhaupt nicht wollte. Aber die alleinerziehende Mutter hatte für diese Sommerwoche keinen anderen Plan, niemanden, der sich um die Hauptfigur kümmern könnte. Den Ferienhort fand er noch abstoßender.

Rausdrängen und mobben

Natur im Allgemeinen und Wald im Besonderen lehnte er ab. Schlau und eloquent versucht er sich allen Zwangs-Gemeinschafts-Aktivitäten zu entziehen. Dabei würde er – so liest es sich zwischen den Zeilen und gar nicht so selten auch aus seinen Gedanken, die ihn der Autor äußern lässt – doch nicht gern immer der Außenseiter und allein sein. Sein „Glück“ ist, dass ein anderer Junge im Ferienlager, zu dem fast alle aus seiner Klasse mitkommen, der schon zuvor immer markierte Außenseiter ist. Dieser Jörg wurde schon davor von Mitschülern gemobbt, drangsaliert…

„Jörg ist wie alle eigen, er wird aber von den anderen nochmal andersiger gemacht, verstehst du? Man kann jemanden nämlich absichtlich verandern. Sorry, mir fallen nur erfundene Wörter ein.“

Seiten aus
Seiten aus „Wolf“

Ich sollte doch was sagen…

Somit ist der „Wolf“-Erzähler die meiste Zeit aus dem Schneider. Irgendwie entstehen in ihm Gefühle, diesen Jörg beschützen zu sollen/ wollen, mal da oder dort einzuschreiten. Aber meist bleibt‘s bei den Gedanken und Gefühlen: Sollte, wäre angebracht… Selten bis gar nie  sagt oder tut er wirkliche etwas in dieser Richtung. Was auch zu seinem Unwohlsein mit beiträgt.

Plastische Schilderung, anregend für eigene Fragen

Saša Stanišić fühlt sich in diese seine erzählende Hauptfigur extrem gut ein, schildert das Ferienlager samt den jungen Jugendlichen, den Betreuer:innen und nicht zuletzt den Koch, den einzigen der den Erzähler zu verstehen scheint, so plastisch, dass sich das Geschehen vor dem eigenen geistigen Auge abzuspielen scheint. Und du dich als Leserin oder Leser vielleicht immer wieder selbst fragst, würd ich es schaffen, Zivilcourage zu zeigen? Und das alles kommt aber ganz ohne erhobenen Zeigfinger aus.

Seiten aus
Seiten aus „Wolf“

Übrigens: Eine dramatsierte Fassung von „Wolf“ kommt als Gastspiel des NÖ-Landestheaters im Jänner auf die „Bühne im Hof“ (St. Pölten) – siehe Link in der Info-Box am Ende.

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Titelseite von
Titelseite von „Wolf“
Doppelseite aus dem Bilderbuch "Franks rote Mütze"

Alle anderen sind dagegen, doch ein Pinguin geht seinen Weg

Frank ist ein aufgeweckter, neugieriger und ungewöhnlicher Pinguin unter seinesgleichen. So „borgt“ er sich auf den ersten drei Seiten einen Stoßzahn eines Walrosses aus, um damit in einem Eisloch gleich fünf Fische auf einmal aufzuspießen. Doch dann will der Besitzer seinen langen Außenzahn wieder zurück 😉

Fand diese Fischfangmethode bei seinen Kumpels noch Anklang, so das meiste, was Frank einfiel, eher nicht. Eines Tages tanzte er mit einer roten Mütze an. Die schien den Mit-Pinguinen aufs erste gefährlich zu sein. Erst recht, als einer namens Neville, sich die aufsetzte und prompt von einem riesigen Killerwal verschlungen wurde.

Da konnte Frank noch so viel erklären, dass das eine (rote Mütze) mit dem anderen (aufgefressen werden) nichts zu tun hat – es bescherte Frank ein einsames Außenseiter-Dasein. Naja, möglicherweise wär doch was falsch gewesen, begann er zu grübeln. Vielleicht die Farbe. Doch davon konnte er seine Artgenoss:innen ganz und gar nicht überzeugen. Und so begann er eine neue zu stricken.

Doppelseite aus dem Bilderbuch
Doppelseite aus dem Bilderbuch „Franks rote Mütze“

So darf’s nicht enden!

Doch – keine Chance. Und so wollte Frank seine Mützen-Produktion einstellen. Natürlich kann, nein darf eine Bilderbuchgeschichte so nicht enden.

Robben tauchten auf – mit seinen Mützen auf den Köpfen. Und konnten so Frank dazu bewegen, nicht von seinen Ideen abzulassen – und er hatte am Ende schon wieder eine neue…

Irgendwie haben seine Pinguine zwar eher Comic-Augen. Und damit seine Lehrstück-hafte Geschichte gegen Vorurteile (rote Mützen) und Verschwörungstheorien (wie sie der Verlag anpreist) besser funktioniert, hat Sean E. Avery für sein Bilderbuch „Frank’s Red Hat“ (auf Deutsch – von Susanne Weber – „Franks rote Mütze“ die Welt der Pinguine in rein schwarz-weiß beschrieben und gezeichnet. Kein blauer Himmel und vor allem keine bunten Anteile echter Pinguine (Schnabel, Hals-Partien, die bei vielen gelblich bis rötlich sind). Aber immerhin will sein Buch ja Mut machen, mit einem Vorhaben oder einer neuen Idee ja nicht aufzuhören, auch wenn (fast) alle anderen sie für blöd oder gar gefährlich halten.

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Titelseite des Bilderbuchs
Titelseite des Bilderbuchs „Franks rote Mütze“
Foto aus "Der Talisman" von Utopia Theater

Rot, schwarz, blond, grau  – sollte doch egal sein!

Es ist sozusagen der Theatersommer der Rothaarigen! Nach der jugendlichen Musicalversion von „Anne of Green Gables“ von teatro im Stadttheater Mödling tourt nun nach der Juli-Pause seit 10. August 2023 wieder das Utopia-Theater mit DEM Klassiker in Sachen Vorurteile – anhand des Beispiels roter Haare – vor allem durch Wiener Gemeindebauten und Plätze. Gespielt wird im Freien – bei freiem Eintritt: Der Talisman von Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy. Ursprünglich wollte dieser großartige Theaterdichter (1801 bis 1862), der in seine sehr witzigen, komödiantischen Stücke immer ziemlich viel bitterböse Gesellschaftskritik einbaute, dieses Stück „Titus Feuerfuchs oder Die Schicksalsperücken“ nennen.

Die Story

Für jene, denen die Story nicht bekannt ist, knapp zusammengefasst: Titus Feuerfuchs – hier gespielt von Andreas Seidl mit gefärbten Haaren, ist rothaarig und damit ein Außenseiter. Als Dankeschön für eine Hilfe bekommt er eine schwarze Perücke. Und alle, die ihn vorher ablehnten, mies behandelten, reißen sich förmlich um ihn – ob das die Gärtnerin (Natalie Obernigg), Constantia, die Kammerfrau der Gräfin (Johanna Meyer) ist. Ähnlich geht’s ihm mit einer blonden Perücke bei der Frau von Cypressenburg selbst (Helga Grausam). Viel Komödiantik ergibt sich daraus, dass er aufzufliegen droht, weil jene, die ihn schwarz sahen nun blond vorfinden. Er selbst ist nicht nur armes Opfer, stößt er doch die einzige, die ihn zu mögen scheint, Salome Pockerl (Stefanie Elias, die auch der Gräfin Tochter Emma spielt), ebenfalls rothaarig (Perücke), zurück, als er sich mit den Perücken auf dem aufsteigenden Ast befindet.
Twist: Ein reicher Onkel (Thomas Bauer, der auch in die Rolle des Gärtnergehilfen Plutzerkern schlüpft) taucht auf, und will ihm wenigsten mit einem Geschäft und Startkapital eine Lebensgrundlage verschaffen, wenngleich er ihn wegen seiner roten Haare auch ablehnt. Nun mit grauer Perücke – aus Kummer – will er ihn sogar zum Universalerben einsetzen. Da plagt Titus schlechtes Gewissen, mit dem Geschäft würd er sich zufrieden geben. Gleichzeitig fliegt die Sache auf. Mit der Aussicht auf dessen reiches Erbe meinen die genannten Damen, na so schlimm seien rote Haare auch nicht…
Doch jetzt besinnt sich der Titelheld und kehrt zu Salome zurück.

Leidenschaftlich

Das Utopia-Theater spielt mit wenigen Utensilien, ein paar Kostümen und viel Schauspiel-Leidenschaft – und lässt, abgesehen davon, dass es gleich zu Beginn angesprochen wird – die ganzen 1 ¼ Stunden mitschwingen, dass, wie es auch Nestroy gemeint hatte, die roten Haare in dem Fall „nur“ für jedwede Art von Vorurteilen steht. Sicher, heute sind – zumindest in den Städten – rote Haare kaum mehr Ausschließungsgrund. Aber was ist mit Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung oder – wie jüngst aufgepoppt – allem was angeblich „nicht normal“ sein soll!

Aktuelle Kommentare

Diese und andere etliche aktuelle Anspielungen kommen vor allem in den von Nestroy’schen Stücken bekannten „Couplets“ (Liedern, Songs, in denen er auch zu seiner Zeit immer wieder aktuell Zeitkritisches eingebaut hatte). Und hier leben diese Gstanzl’n (wie die Bühnenfassung, Regie und Organisation: Peter W. Hochegger)

übrigens nicht zuletzt von der musikalischen Begleitung durch den Live-Akkordeonisten Edi Kadlec, der übrigens schon lange bevor das Stück beginnt, mit seiner „Quetschn“ das Publikum einstimmt.

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