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Szenenfoto aus "Die Geschichte meines Lebens" im Wiener Theater Spielraum

Wenn ein Toter lebendiger ist als der überlebende (Ex-)Freund

Der tote Alvin Kelby, der sozusagen als Geist aus und in der Erinnerung die Gedanken – und die Bühne – füllt, ist über weite Strecken viel lebendiger als sein (ehemaliger) Freund Thomas Weaver, der nun für ihn die Trauerrede halten soll. Zwei Stunden lang (eine Pause) spielen und singen Aris Sas und Christof Messner, begleitet von Live-Musik Bernhard Jaretz (Piano; musikalische Leitung), Maike Clemens (Cello) und Sebastian Gerhartz (Klarinette) die vielumjubelte Premiere von „Die Geschichte meines Lebens“ im Theater Spielraum in der Wiener Kaiserstraße.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Geschichte meines Lebens“ im Wiener Theater Spielraum

Die Story …

… selbst lässt sich kürzest so zusammenfassen: Der Erfolgsautor Thomas Weaver kommt zurück in die Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist, um den Nachruf auf seinen (einst) besten Freund Alvin Kelby der Trauergemeinde zum Besten zu geben. Dabei werden die Erinnerungen an diese intensive Freundschaft in einzelnen Episoden erzählt. Diese Geschichten hat er für seine Bücher verarbeitet, mit denen er berühmt wurde. Was anderes fiel ihm praktisch nie ein. Schon lange hatte er übrigens die Freundschaft vernachlässigt.

„Die Geschichte meines Lebens“ (im englischen Original „The Story of My Life“) ist ein (Broadway-)Musical (Buch: Brian Hill, Musik und Gesangtexte: Neil Bartram), dessen deutsche Fassung von Daniel Große Boymann in der Inszenierung von Robert G. Neumayr an manchen Stellen gemeinsam mit dem Darsteller-Duo textlich adaptiert wurde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Geschichte meines Lebens“ im Wiener Theater Spielraum

Verwoben mit einem Film

Zu Beginn und immer wieder zwischendurch wird diese Geschichte verwoben mit dem Schwarz-Weiß-Film „Ist das Leben nicht schön?“ (Originaltitel: It’s a Wonderful Life) von Frank Capra, der wiederum auf der Kurzgeschichte „The Greatest Gift“ (Das größte Geschenk) von Philip Van Doren Stern aufbaut.

George Bailey, der immer wieder Menschen rettet, aber selber viel Pech im Leben hat, will sich in der Weihnachtsnacht von einer Brücke stürzen. Er wird vom Schutzengel Clarence gerettet, der erst in letzter Sekunde seine Flügel bekommen hat. Georges Tochter Zuzu hatte den Spruch geprägt: „Jedes Mal, wenn ein Glöckchen klingelt, bekommt ein Engel seine Flügel.“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Geschichte meines Lebens“ im Wiener Theater Spielraum

Umsetzung

Vor riesigen leicht angeknüllt wirkenden leeren Papierseiten in Gestalt von (Lein-) Tüchern, auf und zwischen ebenso umhüllten Würfeln (Ausstattung: Anna Pollack) werden allein durch die Erzählungen berührende und skurrile Geschichten aus der tiefen Freundschaft aus Kinder- und Jugendtagen lebendig. Dabei ist mit Ausnahme zweier Schnee-Engel, die einander an den Händen halten als Lichtprojektion, weder die bärtige Lehrerin, noch das Nachthemd-Gespenst in Plüschpatschen zu sehen. Vor dem geistigen Auge der Zuschauer:innen materialisieren sich diese und noch so manch andere schräge Figuren und Situationen aber durch die schauspielerische und gesangliche Kunst des Duos.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Geschichte meines Lebens“ im Wiener Theater Spielraum

Wessen Geschichten?!

Der chaotischer, liebenswürdige, vor Kreativität und Fantasie sprühende Alvin, dem kaum etwas peinlich ist, inspiriert seinen Freund Tom in Kindheit und Jugend zu verrücktesten Aktionen. Letzterer, der in die Großstadt abwandert, sitzt immer wieder mit einer Schreibblockade vor leeren Papierblättern. Bis ihm – aus der Erinnerung – sein Freund Gedankenanstöße für die nächste Geschichte zukommen lässt. Was ihm Erfolge beschert, aber nach und nach auch arrogant(er) werden lässt. Nach einigen Jahren lässt er seine alljährliche weihnachtliche Rückkehr in die Kleinstadt sausen, antwortet dem Freund auf dessen Postkarten kaum bis nicht mehr.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Geschichte meines Lebens“ im Wiener Theater Spielraum

Die zwei Stunden (eine Pause), in denen die beiden Protagonisten ansatzlos zwischen Sprechtheater und Gesang hin und her switchen, sind gekennzeichnet von so manch witzigen, noch viel mehr berührenden Momenten – jener des Zerbrechens hätte sich ein paar mehr Sekunden verdient. Ausgehend von den beiden Figuren ist das Musiktheater-Stück erfüllt von so großen Themen wie Erinnerung, die schon angesprochene Schreibblockade, vor allem aber, was Freundschaft ausmacht bzw. machen kann oder könnte. Und nicht zuletzt dem Widerspruch Leben im Moment vs. strukturiertem (Karriere-)Plan.

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Szenenfoto aus "Friede den Hütten!..."

Musiktheater-Festival auch in Gebärdensprache

Das berühmte im Hessischen Landboten veröffentlichte Manifest „Friede den Hütten!  Krieg den Palästen!“ von Georg Büchner – und dem weniger bekannten Ludwig Weidig – wird immer wieder als „retro“ abgewertet. Soziale Gerechtigkeit und Solidarität wurden sozusagen zeitgeistig ins Abseits, ins Out, gedrängt. Sind aber tatsächlich aktuell, vielleicht sogar angesichts der aktuellen Weltlage und der im Land noch mehr.

Wie auch immer, Arbos – Gesellschaft für Musik und Theater – hat das Manifest immer wieder in seinem Programm – und dies inklusiv, auch in gleichzeitiger Gebärdensprache.

Damit eröffnet diese Initiative ein mehrtägiges inklusives Musiktheaterfestival in der Neuen Bühne Villach (22. und 23. Jänner 2025 – Details siehe ausführliche Info-Box am Ende des Beitrages.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Kriegsschweine“

Vor-Abend

Schon als Vorprogramm wird am Tag davor startet bei PIVA (Projektgruppe Integration von Ausländerinnen und Ausländern) ein kurzes Stück Musiktheater: „Kriegsschweine“ / „War Pigs“ mit Szenen nach Gedichten von August Stramm. Im Titel-gebenden heißt es unter anderem:

„Generäle versammelten sich in Massen
Genau wie Hexen bei schwarzen Messen.
Böse Geister, die Zerstörung planen
Genau wie Zauberer die Baustellen des Todes.
Auf den Feldern brennen die Leichen.
Während die Kriegsmaschine sich weiter dreht und dreht,

Tod und Hass der Menschheit bringen.
Sie vergiften mit ihren gehirngewaschenen Gedanken …
… Nie mehr dürfen Kriegsschweine über Macht verfügen.“

Zwei Abende mit vielen kurzen Stücken

Diese ¼-stündige Performance eröffnet dann auch zwei der Abende mit mehreren kurzen Produktionen im Theater am Hauptplatz der Drau-Metropole. Die genannte so wie „Schwarzer Sabbath“, „Sabbath blutiger Sabbath“ sind drei neue Produktionen aus dem Stationentheater von Arbos, das im Sommer in den Bergen Italiens (Montasio, Sella Nevea), Österreichs (Kärnten, Wildbachtal, Karnische Alpen) und Sloweniens (Prevallascharte) gespielt wird – in 2100 Meter Seehöhe.

Zusätzlich wird an den beiden genannten Abenden (24. und 25. Jänner 2025) noch „Wir genießen die himmlischen Freuden“ von Werner Raditschnig nach der 4. Symphonie von Gustav Mahler bearbeitet für Stimme, Kammerensemble und Gebärdensprachchor sowie „Alma und Arnold Rosé“ (inklusives visuelles Musik- und Theaterprojekt in Österreichischer Gebärdensprache und Deutscher Lautsprache mit Musik von Johann Sebastian Bach – „Konzert für zwei Violinen“ in vier Sätzen für kleines Kammerorchester unter Verwendung der Originalaufnahme des Konzertes für zwei Violinen gespielt von Alma und Arnold Rosé, arrangiert und inszeniert von Herbert Gantschacher) zu hören und sehen sein.

Live-Streams

Für all jene, die nicht in der Kärntner Stadt oder ihrer Umgebung wohnen, überträgt Arbos diese Aufführungen – wie recht oft – in Live-Streams über die eigene Homepage – Link in der detaillierten Info-Box am Ende dieses Beitrages.

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Doppelseite aus dem großformatigen Papp-Wimmelbuch "Ab ins Musiktheater"

Viele Blicke hinter die Kulissen des Musik Theaters an der Wien

Wenn du eine Vorstellung mit Musik – ob Oper, Operette oder Musical – besuchst seist und hörst du – genauso wie bei einem Theaterstück oder auch in einem Kinofilm oder einem Konzert „nur“ mehr das Ergebnis. Was aber passiert davor und rundum. Sozusagen das Making of hat sich ein kürzlich erschienes großformatiges Bilderbuch, viel mehr eine Art Wimmelbuch vorgenommen.

Was sonst (fast) nie zu sehen ist

Lisa Manneh hat sich für „Ab ins Musik Theater“ lange und viel im Musik Theater an der Wien (neben dem berühmten Naschmarkt) umgeschaut und -gehört, viel mit Mitarbeiter:innen gesprochen und daraus sieben üppige Doppelseiten gestaltet. So siehst du, wie Bühnenarbeiter:innen teils große, schwere Kulissenteile aufbauen, wie Sänger:innen und Schauspieler:innen auf der Bühne proben, Musiker:innen im Orchestergraben dirigiert werden. Oder mitten im Publikumsraum eine lange Tischplatte liegt hinter der Regieleute, Licht- und Tontechniker:innen sitzen, um bei einer der Proben alles einzurichten, so dass es bei den Vorstellungen dann perfekt passt.

Die Illustratorin lässt dich aber auch in viele der anderen Räume im Theater blicken – wo so manches besprochen wird, wo aber auch in den Gängen, auf den Stiegen andere Menschen Böden aufwischen…

Natürlich siehst du am Ende auch Publikum, das das große Haus mit mehr als 1000 Sitzplätzen und ein paar Dutzend Stehplätzen füllt – und auf der letzten Doppelseite eine Vorführung anschaut – und zwar eine der Oper „Das schlaue Füchslein“ mit der Musik von Leoš Janáček (im tschechischen Original: Příhody lišky Bystroušky) ist eine Oper in 3 Akten des tschechischen Komponisten Leoš Janáček. Den Text (das Libretto) dazu hat er auf der Basis einer Fortsetzungsgeschichte des Dichters Rudolf Těsnohlídek und des Zeichners Stanislav Lolek verfasst.

Doppelseite aus dem großformatigen Papp-Wimmelbuch
Doppelseite aus dem großformatigen Papp-Wimmelbuch „Ab ins Musiktheater“

Vom Comic zur Oper

Die beiden Genannten haben die Geschichte einer Füchsin, die von einem Förster gefangen wird und auf dessen Hof aufwächst, vor mehr als 100 Jahren für die Tageszeitung Lidové noviny in Brno (Brünn) als Comic-Streifen verfasst und gezeichnet. „Parallel dazu nehmen die Schicksale der mit der eigenen Unvollkommenheit kämpfenden Menschen ihren Lauf und sind in Art einer Fabel eng mit dem Geschehen in der Tierwelt verwoben. Eine deutsche, vom Original in der Handlung stark abweichende Textfassung schuf Max Brod“, heißt es auf Wikipedia.

Allerdings…

… steht die genannte Oper gar nicht auf dem Programm im Musik Theater an der Wien, das nach längerem Umbau eigentlich schon eröffnet haben sollte, was sich für den Vollbetrieb noch verzögert. „Das schlaue Füchslein“ wurde vor zwei Jahren im Ausweichquartier in der Halle E im MuseumsQuartier gespielt – in tschechischer Sprache mi deuten und englischen Übertiteln. Wird sie im renovierten Stammhaus wieder aufgenommen? Diese Frage von Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… im Musik Theater Wien wurde verneint.

Und so viel es auch in dem durchaus spannenden Wimmelbuch zu sehen gibt, ein paar erklärende Texte – vielleicht nicht in den Bildern aber in einer Art Anahang-Doppelseite – hätten dem Buch doch ganz gut getan.
Außerdem bieten auch andere Häuser Musiktheater – auch für junges Publikum – an, nicht nur das Musik Theater an der Wien.

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Titelseite des großformatigen Papp-Wimmelbuchs
Titelseite des großformatigen Papp-Wimmelbuchs „Ab ins Musiktheater“
Szenenfoto aus "Drachen-Zirkus": Ritterin Felicitas Feuerblitz (Anna Maria Reeves) und Jungdrache Lordilu (Filip Kajmakoski) mit Drachenmutter (Anna Hnilička)

Ritterin und musizierender Drache

Zwei Stoff-¼-Kreise, die an Fächer erinnern, und per Seilzug wandelbar sind, zeigen die jeweilige Szenerie in der Ritterin Felicitas Feuerblitz und Jung-Drache Lordilu im Laufe der knapp mehr als einen Stunde ihr Abenteuer in „Drachen-Zirkus“ von Theater Heuschreck eine weite Reise unternehmen.

Sie, die mutige Ritterin, will auf Drachenjagd gehen. Er, der Drachenbube, hat Stress mit seiner Mama. Die hätte gern einen richtig gefährlichen, Feuer speienden, Ritter verschlingenden Sohn. Doch er will lieber Musik machen.

Klar, Felicitas und Lordilu treffen aufeinander. Die kampfeslustige Ritterin erweist sich trotz mutiger Töne – leider – doch eher fast durchgängig als ängstlich. Aber wie auch immer, die beiden schließen Freundschaft – und sie werden zu Hoffnungsträger:innen der Fee Camella. Als ungewöhnliches, Arten-übergreifendes Duo könnten sie den geheimen Drachenschatz aus der Höhle vom See der tausend Drachentränen bergen…

Fixpunkt und Neue

„Drachen-Zirkus“ ist ein Klassiker des Theaters Heuschreck – die vor allem tourende Gruppe feiert im kommenden Jahr ihren 40. Geburtstag. Nach etlichen Jahren Pause wurde es kürzlich neu aufgenommen– erstmals im Loreley-Saal in Wien-Penzing (nahe der U4-Station Hietzing). Manche der jungen Besucher:innen waren sogar verkleidet gekommen – mit Ritterhemd, Vogel- und Ritterkostümen. Und sie – sowie alle anderen im Publikum spendeten Szenen-Applaus insbesondere nach den Songs.

Zur „Heuschreck“-Co-Prinzipalin Anna Hnilička, die Idee dazu hatte und den Text verfasste (auch als Buch – siehe Infos) und die überzeugend die unterschiedlichen Rollen Drachenmutter sowie Fee bzw. See-Ungheuer spielt, gesellen sich zwei neue junge Schauspieler:innen. Akrobatisch turnt, springt und wirbelt Anna Maria Reeves als Ritterin Felicitas Feuerblitz durch das Bühnengeschehen. In die Rolle von Jungdrache Lordilu schlüpft Filip Kajmakoski und strahlt durchgehend seine Abneigung gegen Kämpfen sowie seine Leidenschaft für Musik aus. In einer Szene gibt er – wie Hnilička auch – einen Ritterfreund von Felicitas Feuerblitz: Donnerkrater bzw. Hagelkorngewitter.

Wut und Mut

Ausgangspunkt für die Geschichte – zu der Anatoliy Olshanskiy die Musik beisteuerte – sei der Umgang mit Wut gewesen, so Hnilička zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nach der Premiere der neuen Version im Loreley-Saal (nahe der U4-Station Hietzing). Dazu gesellt sich noch das Brechen von Klischees: Der Drache, der gern musiziert und eben eine Ritterin. Wobei dieser Rolle dann doch vielleicht auch mehr Mut zugetraut werden könnte, den ohnehin die Figur und deren Spielerin verkörpert.

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Szenenfoto aus dem Musiktheater "Anne Frank" der Gruppe "teatro": Der 13. Geburstag Annes, an dem sie das Tagebuch bekommt, das traurige Berühmtheit erleben sollte

Zu Tränen rührend, aber auch viele heitere Momente

Derzeit nur noch bis 2. Februar (2023, dann aber nochmals im November) ist eine sehr berührende, ja am Ende sogar zu Tränen rührende, aber nie auch nur ansatzweise rührselige Musiktheater-Version rund um „Anne Frank“ zu sehen, hören, erleben. In der Stadtgalerie Mödling spielt ein Ensemble aus Profis und Jugendlichen der Musical-Gruppe teatro im ersten Teil sozusagen eine teils fiktive Vorgeschichte.

Hier auf dieser Seite war schon ein Probenbericht und ein Interview mit dem Regisseur, der auch das Textbuch geschrieben hat zu lesen/sehen (Fotos, Videos); Zu diesen geht es hier unten:

Vorgeschichte

Wie die Eltern Elisabeth Holländer und Otto Frank verheiratet worden sind, wie Margot und Annelies Marie zur Welt kamen, aufwuchsen. Frauen, die über die Machtübernahme Hitlers jubelten und gar nicht mitbekamen, was dies für Leute wie die Franks bedeuten würde, sind schon in diesem ersten Teil eine Szene zum Innehalten, dazu, den Atem stocken zu lassen – so präzise, genau, heftig und doch nicht plakativ spielt das Ensemble diese Szene.

Koffer packen, als Jüd:innen hoffen die Franks – und viele andere – zunächst in Amsterdam sicher zu sein. Angst. Immer diese Angst, die Margot und ihre Schwester, die sich lieber Anne nennt/genannt wird und als solche berühmt werden wird. Was sie sich von Anfang an wünscht. Allerdings wird sie das nie miterleben können.

Mit 13 begann sie ihr Tagebuch. Da noch in Freiheit, wenngleich schon mit etlichen Einschränkungen. Die deutschen Faschisten hatten auch dieses Land besetzt, Jüd:innen durften vieles nicht mehr, nicht einmal in ihre Schulen gehen, sondern nur in eigene Schulen. Aber auch das nicht lange. Das konnte sie – mit wenigen anderen Dingen mitnehmen, als es hieß, ab in ein geheimes Versteck, das der weitblickende Vater schon vorbereitet hatte. Er versucht selbst in den ärgsten Situationen Zuversicht zu verbreiten – oft gewürzt mit Humor und Witzen.

Szenenfoto aus dem Musiktheater
Szenenfoto aus dem Musiktheater „Anne Frank“ der Gruppe „teatro“: Die Franks müssen flüchten

Szenen aus dem Tagebuch

Die ständige Bedrohung, die Furcht, doch entdeckt werden zu können, die Enge, das sich gegenseitig auf die Nerven gehen spielen natürlich in vielen Tagebucheinträgen eine große Rolle. Fast ein Dutzend solcher Einträge werden szenisch gespielt, gesungen und mitunter sogar getanzt auf der Bühne der Mödlinger Stadtgalerie lebendig.

Aber nicht nur die ganz traurige, sondern immer wieder auch die pubertär-wütenden Auseinandersetzungen vor allem mit der Mutter, aber auch beginnende Verliebtheiten mit dem Sohn der mit-versteckten Familie van Pels (im Tagebuch mit dem Pseudonym van Daan belegt) wurden im Textbuch vom Regisseur herausgegriffen.

Jüdische Kultur sowie Pubertät

Wie er im ersten Teil jüdische Kultur auf die Bühne bringen wollte, so im zweiten Teil vor allem Gedanken, Szenen, Probleme einer Pubertierenden, die auch in anderen, besseren Umständen und Zeiten stattfinden könnten. Hier allerdings unter den Bedingungen ständiger Bedrohung und zwangsweise Aufeinander-Pickens.

Großartige Ensemble-Leistung

Ob jene, die immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen wie Nicolas Vinzen – als Rabbi oder Herr Pfeffer (im Tagebuch Albert Dussel, der als später achter Mitbewohner ins Hinterhaus einzieht – oder die zentrale Familie Frank, die einzigen, die immer in ihren Figuren bleiben – das Ensemble auf der Bühne – und die Musiker:innen im Stock drüber auf der Galerie liefern ein bewegendes – knapp mehr als zweistündiges (eine Pause) Gesamtkunstwerk: Benjamin Oeser als Vater Otto, Veronika Rivó als Mutter Elisabeth, die den Ärger und teils auch Hass ihrer jüngeren Tochter fast stoisch nimmt – „Liebe lässt sich eben nicht erzwingen“ -, Anna Fleischhacker als die brave, mustergültige Schwester Margot und dann die springlebendige, himmelhoch jauchzende und dann wieder zu Tode betrübte, aufgeweckte, kecke, freche, aufmüpfige Anne, die von Juliette Khalil wunderbar verkörpert wird. Die es auch am Ende schafft, den im Titel beschriebenen Moment herzustellen, der echt zu Tränen rührt – als es heftig von draußen klopft und das bekannte Ende einläutet. Mit den – mit Ausnahme von Otto – tödlichen Enden gehen die Hauptdarsteller:innen ab – durch den Mittelgang, mitten durchs Publikum. Und kommen den Zuschauer:innen damit noch einmal sehr nahe.

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Probe der Hochzeits-Szene der Eltern von Anne und Margot

Anne Frank als Musiktheater

„Anne Frank“ als Musical? Wirkt vielleicht aufs erste (fast) unmöglich. Die tragische Geschichte einer durch Tod in einem Konzentrationslager der Nazis verhinderten großen Schriftstellerin?

„teatro“, eine engagierte Initiative, bringt seit mehr als 20 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Profis bekannte klassische Stoffe von Schneewittchen bis zum Zauberer von Oz, aber auch bei uns weniger bekannte wie „Little Women“ als Musicals auf die Bühne – vor allem in Mödling. Ende Jänner 2023 traut die Gruppe sich – und dem Publikum – zu, eine Geschichte rund um die jugendliche Verfasserin des wohl berühmtesten Tagebuches in literarischer Qualität ein Stück zu spielen, singen und tanzen. Premiere ist am internationalen Holocaust-Gedenktag, dem 27. Jänner (Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau) in der Stadtgalerie Mödling – Details siehe Info-Block am Ende des Beitrages.

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… war bei Proben, konnte dabei allerdings lediglich die intensive Arbeit an zwei Szenen miterleben, daher kann nichts Genaueres über das fertige Stück „Musiktheater würde ich es in dem Fall nennen, nicht Musical“ (so Regisseur und Librettist Norbert Holoubek) gesagt, pardon geschrieben, werden. Und: Beim Probenbesuch war die Juliette Khalil, die Darstellerin der Hauptfigur verhindert.

Probenbesuch

Beide Szenen waren/sind aus dem ersten Teil, sozusagen der Vorgeschichte, jener Zeit, in der die Familie Frank noch (lange) nicht im Hinterhaus der Prinsengracht 263 versteckt leben musste, ja sogar aus einer Zeit, in der Annelies Marie Frank, ja selbst ihre ältere Schwester Margot noch nicht geboren waren. Denn das Stück setzt vor und mit der Hochzeit der Eltern, einer arrangierten Ehe ein.

Und damit einer jüdischen Zeremonie und Fest mit Tanz und Spaß. Wie müssen die Schauspieler:innen stehen, sich drehen, so dass auch das Tuch, das über das Brautpaar gespannt werden soll/muss richtig hoch gehalten werden kann, ohne zu verkrampft zu wirken. Wer kommt von wo und geht wohin ab. Wie gestalten sich die Übergänge, die Tänze. Wie bewegt sich der Rabbi. Und wie spielt das Geschehen auf der Bühne mit dem des Orchesters zusammen – bei der Probe vertreten „nur“ durch den musikalischen Leiter, Arrangeur und Spieler am Keyboard Walter Lochmann.

Das Tagebuch

Berühmt geworden ist Annelies Marie tragischerweise erst nach ihrem Tod als Anne – eben durch ihr Tagebuch. Eine Vertraute der Familie, Miep Gies, die zu jenen gehörte, die die Familie heimlich im Versteck in Amsterdam mit Lebensmittel, aber auch mit Literatur versorgte, hatte die verstreuten Papierblätter und das Tagebuch aufgesammelt und verwahrt, nachdem jemand das Versteck verraten haben musste und alle in Konzentrationslager abtransportiert worden waren. Vater Otto überlebte als einziger der Kernfamilie. Ihm übergab Miep das Geschriebene und er veröffentlichte das Tagebuch seiner Tochter – in der ersten Version allerdings gekürzt. Er ließ jene Einträge der Tochter aus, in der sie sich besonders heftig über ihre Mutter geärgert hatte. Mit Anne unterschrieb die 13- bis 15-Jährige ihre Einträge, die sie als Art Briefe verfasste – an ihre Vertraute Kitty, wie sie ihr Tagebuch nannte, das sie sozusagen als vertraute Freundin ansah.

Erst Jahre nach Otto Franks Tod erschien eine authentische Fassung des Tagebuchs (6. Juli 1942 bis zum 4. August 1944), in dem Anne selbst noch etliche Einträge überarbeitet hatte. Grund: Ursprünglich eben „nur“ als privates Tagebuch geschrieben, dem sie alles anvertrauen konnte, das sie bewegte, hatte sie im Frühjahr 1944 im englischen Rundfunk die Rede des niederländischen Exil-Bildungsministers gehört, der seine Landsleute bat, alle schriftlichen Unterlagen wie auch Tagebücher zu sammeln, um nach dem hoffentlichen Kriegsende diese Zeit dokumentieren und aufarbeiten zu können, also auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Zurück zu den Proben

An die Hochzeit, die viel später geprobt wurde, schließt sich eine Szene an, in der das künftig Drohende sich anbahnt. Dazwischen aber sorgt ein Spruch für Heiterkeit. Beim winterlichen Spaziergang laufen die Schwestern Margot und Annelies voraus, es kommt zum Disput, ob es nicht schon Frühling sei, wo doch schon die ersten Blumen aus der Erde wachsen. Den kommentiert Vater Otto mit „Gott weiß alles, aber Anne weiß alles besser“. Hannah, eine überlebende Klassenkollegin von Annelies Frank aus dem „Joods Lyceum“ (Jüdische Lyzeum) zitiert diesen Satz ihrer Mutter über die Mitschülerin Annelies in dem Buch „In einer Klasse mit Anne Frank“ von Theo Coster (aus dem Niederländischen übersetzt von der bekannten Autorin Mirjam Pressler).

Heikler Moment

Später treffen die Franks – noch in der Zeit in Frankfurt am Main – auf jubelnde Frauen. Die können sich fast nicht einkriegen. Eine neue Zeit breche an, alles werde sich zum besseren ändern, denn Hitlers Partei habe die Wahlen gewonnen… Ihre Gegnerschaft, ja ihre eigene Bedrohung als Jüd:innen trauen sich da die Franks gar nicht mehr zu sagen. Der Moment ist ein heikler bei den Proben. Wie kommen die Sorgen, die Ängste, die sie hier nur andeutungsweise spürbar werden lassen dürfen zum Ausdruck? Und wie wird verhindert, dass nach dem Jubelsong der Nazibefürworterinnen nicht – wie oft nach jedem Song – Beifall des Publikums aufbrandet? Abmarsch in militärischer Formation und Schritt schlägt der Regisseur vor – in der Hoffnung, dass damit die Zuschauer:innen auch den Schockmoment spüren.

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