Busstation Atzgersdorf Bildungscampus. Der an der Breitenfurter Straße mit einer hohen Nummer, fast schon 200 liegende Backsteinbau beherbergte viele Jahre nachdem die hier angesiedelte Sargfabrik dicht gemacht hatte, offene Kulturräume. Die große und eine kleinere Halle harren einer Renovierung und möglichen Nutzung. Dahinter und rundum, wo lange Brachland war, sind Wohnbauten und eben ein Bildungscampus sozusagen aus dem Boden geschossen. „F23“, das Kulturzentrum ist in den gleich dahinterliegenden neunstöckigen Bau ins Erdgeschoß, einen Teil des ersten Stocks sowie einen Teil des Kellers eingezogen. Der Keller – mit Schwingboden – ein Tanz- und Yogaraum.
In einem weiteren der hellen, mit großen Fensterfronten ausgestatteten Neubauten „residiert“ die Zentrale von Junge Theater Wien. Diese Initiative bringt neuerdings in diesem 23. Bezirk von Wien, namens Liesing, sowie in den Bezirken 10 (Favoriten), 11 (Simmering), 21 (Floridsdorf) und 22 (Donaustadt) darstellende Kunst – Sprech-, Tanz-, Musik- und Figurentheater, Performances, Neuen Zirkus – für ein junges Publikum (2 bis 22 Jahre) vor Ort.
Und hier fand knapp vor dem Nationalfeiertag die Uraufführung einer neu geschriebenen und -komponierten Version ausgehend von Ferdinand Raimunds Original-Zauberspiel „Die gefesselte Phantasie“ statt, in einer nicht nur stark verdichteten, sondern doch stark veränderten Version der Kinderoper.Wien / die Wiener Taschenoper.
Zunächst super verkürzt die Story: Auf der – im Original Halb-, hier ganzen – Insel Flora ist Phantasie allgegenwärtig. Alle hier dichten, singen, tanzen, komponieren, malen oder was auch immer. Böse Zauberschwestern – hier eine Person mit einer weiß und einer schwarz bemalten Gesichtshälfte – erobern die Idylle, nehmen die Phantasie gefangen. Nun geht es darum, diese wieder zu befreien. Und dabei spielt die Liebe der Königin von Flora, Hermione, zu Amphio, einem geheimnisvollen, dichtenden Schafhirten, eine große Rolle.
Sarah Scherer, hat sich für ihr Libretto, den Text einer Oper, nicht nur den Einbau einer Künstlichen Intelligenz (KI) ausgedacht, die digitale Avatare für Video-Projektionen (Stephanie Meisl), erschafft, sondern auch für viel Verwirrung sorgt. Der Hirte, der nicht nur seine Schafe, sondern dauern alles zählt, setzt, obwohl einen Abakus in Händen, dann nur auf 0 und 1. Allerdings ohne wirklich ins binäre Zahlensystem einzutauchen, sonst müsste er ja 0, 1, 11, 110, 101 statt nun 0, 1, 0, 1 und so weiter statt 1, 2, 3, 4, 5 zählen 😉 Aber das mag ein wenig unsympathisch besserwisserisch daherkommen.
Scherer führte auch Regie und bauten – auch schon in den Text – einen Kinder-Chor ein. Die rund eineinhalb jungen und jüngsten Sängerinnen und Sänger vom Campus Monte Laa (Favoriten, 10. Bezirk) sind natürlich DIE Rettung für die Phantasie. Christof Dienz komponierte für die rund einstündige Aufführung die Musik, die live von Benny Ommerzell (Synthesizer), Matti Felber (Schlagwerk) und Manu Mayr (E- und Kontrabass) auf engstem Raum (Bühne: Katarina Ravlic) neben den Sänger:innen gespielt wird.
Zu den Sänger:innen – Ana-Marija Brkić (Königin Hermione, Sopran), Brett Pruunsild (Haus- und Hofdichter Distichon, Bariton), Jakob Pejcic (dichtender Hirte Amphio, Tenor) und der doppelgesichtigen böse Zauberschwester (Mezzosopran, jetzt Johanna Zachhuber, im November dann Anna Clare Hauf) gesellt sich – ohne Gesang, dafür schon vor Beginn, wenn das Publikum in den Saal kommt, Witze erzählend Eszter Hollósi als Närrin (in Raimunds Original „natürlich“ ein Narr).
Der Saal im F23 ging bei der Premiere praktisch über, so manche Auftritte und Abgänge vor allem des Kinder-Chors mussten sich ihren Weg fast erst bahnen, umso größer der begeisterte Applaus am Ende, saßen die Zuschauer:innen doch fast mitten im Geschehen.
Die verdichtete, aber nie zu dichte Oper mit ihren Arien und amüsanten Zwischenspielen sowohl musikalischer als auch textlicher Art, witzigen Einfällen wie einem kleinen Wollschaf auf der Mütze Amphios oder ein riesiges „Papier“-Schiff des Hof-Dichters in einem Zeitungspapier-Anzug als nur eines der fantasievollen Kostüme (Denise Leisentritt) endet natürlich – wie auch Raimund Original vor fast 200 Jahren (1828) mit Happy End.
„Spring aus den Mustern / Denk quer, nicht gerade. / Wir brauchen ein Netz / Das größer ist als Zahlen!“, singt Hermione an Amphio gewandt. Und als die Phantasie wieder frei ist, singen hier viel ausführlichere Chöre, zunächst alle, dann der Hofdichter, sowie danach die Königin und der dichtende Hirte, den Schlusspunkt setzen die Kinder als Verkörperung der Phantasie: „Niemand gewinnt, niemand verliert / kein Weg ist fest / kein Ziel bestimmt, / Doch vor des Zufalls Melodie / verbeugt sich tief – die Phantasie!“
Kassandra mit rosa Perücke legt sich auf den Boden vor der Bühne. Veronica, Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, hockerlt sich zu ihr, macht es der 8-Jährigen dann gleich und legt sich auch auf den Rücken. Diese „Performance“ war so nicht geplant, sondern einfach ein spontanes Vorspiel zur üppigen Präsentation des ersten Saisonprogramms von Junge Theater Wien (JTW) in der Volkshochschule Großfeldsiedlung.
Diese vor sechs bis fünf Jahrzehnten errichtete Stadtrandsiedlung liegt in Floridsdorf, einem von zwei Bezirken am linken Ufer der Donau. In diesem, sowie dem an der selben Donauseite liegenden 22. Bezirk (Donaustadt) sowie den drei südlichen Bezirken Favoriten (10.), Simmering (11.) und Liesing (23.) spielen JTW schon seit einigen Monaten hin und wieder, nun regelmäßig für junges Publikum. Zum einen Stücke und Performances, die es schon, teilweise recht lange, gibt und die vor allem im Dschungel Wien, dem Theaterhaus im MuseumsQuartier zu sehen waren, aber auch neu entwickelte Bühnenwerke. „Wo du aufwächst, ist deine Kultur zu Hause“ ist das Motto des umfangreichen Programms, das in dieser Saison (wie ein Schuljahr) 57 Produktionen von 40 Gruppen (mit zehn weiteren Koproduzent:innen) mit mehr als 250 Vorstellungen in 15 Spielorten in diese fünf Bezirke bringt. In diesen leben mehr als vier von zehn Wiener:innen (43%). Der Anteil der Kinder und Jugendlichen – für die JTW vor allem spielen (1 bis 22 Jahre) – liegt gar jenseits der Hälfte (54%).
Wemimo, Singer-Songwriterin, begeisterte mit drei Auftritten, bei der Präsentation nicht nur mit ihrer zarten bis kräftigen Stimme, sondern vor allem auch durch ihre Mut machenden Texte, nach denen jede und jeder schön ist und Talente hat, auch wenn sie wie mintunter die Sonne von Wolken verdeckt ist. Ebenso stark die schon eingangs erwähnte 8-jährige Kassandra, die in die Rolle der „Agathe Bauer“ schlüpfte – ein Teaser für das gleichnamige Musiktheaterstück, das „Theater Ansicht“ entwickeln will. Mit dem schon lange verwendeten Wortspiel des Wienerisch schlampig ausgesprochenen englischen Sagers „I got the power“ (Ich habe die Macht) soll ein lustvolles Spiel zwischen Popkultur und Politik entstehen, das ab April des kommenden Jahres durch die genannten fünf Bezirke tourt. Angekündigt ist es als Live-Erlebnis über Macht, Meinung und Mitsprache mit Songs wie „Kurze Beine“ und „Ich bau dir eine Festung“. Dafür werden ab Mitte November Jugendliche und junge Erwachsene Gesangstalente gesucht, allerdings erst ab 18 Jahren, womit der Showact mit Kassandra sozusagen eine Art Fake war – auch ein Thema, wie Themen zum Trend werden können. Auf das Casting sollen Voting und Konzertinszenierung gemeinsam mit Jugendlichen letztlich die Show entwickeln. (Bewerbungen fürs Casting bis Ende Oktober – siehe Info-Box).
Für eine weitere Live-Kostprobe aus dem künftigen Programm sorgte Puppenspieler Michael Pöllmann. Entworfen und bespielbar gebaut von Scarlett Köfner ließ er eine Puppen-Geige auf der Bühne tanzen, die noch dazu eine kleine Babygeige im Arm hält – aus dem Stück „Pupa Circi“. Damit sollte auch die Breite des Angebots zum Ausdruck gebracht werden: Sprech-, Musik-, Tanz-, Figuren- und Puppentheater ebenso wie Performances und Neuer Zirkus…
Acht weitere Gruppen stellten ihre Produktionen vor, die hier mit den Inserts und Fotos der Präsentator:innen, erwähnt werden:
„Die gefesselte Phantasie“ ausgehend von Ferdinand Raimunds „Original-Zauberspiel“ von der Kinderoper Wien, das am Tag der Kinderrechte (20. November) in der Kulturgarage Seestadt einen „Tag der Phantasie“ begleitet, vorgestellt von Sarah Scherer,
„Wo ist Walzer?“ von Kollektiv Kunststoff und dem Johann-Strauss-Jahr 2025, vorgestellt von Christina Aksoy
„Wirrum Warrum Wunderglocke“ von Töchter der Kunst, vorgestellt von Nico Wind
„Weiter leben – eine Jugend“ ausgehend von Ruth Klügers Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend als in Wien diskriminierte Jüdin, später in Konzentrationslagern der Nazis, die sie überlebte von Theater Iskra, vorgestellt von Nika Sommeregger
„Fledermäuse“, „Waldrapp“ sowie „Wir und die Welt“ von dere Schallundrauch Agency, vorgestellt von Gabi Wappel und Silvia Auer. Letztere erinnerte aber auch daran, dass sie, aufgewachsen in Stammersdorf, schon als Kind kulturelle Nahversorgung erlebt hatte. Wie übrigens auch die frisch renovierte VHS Großfeldsiedlung in den Anfangsjahren auch einen Kinosaal beherbergt hatte. Und – was nicht erwähnt wurde – Jahrzehnte lang MoKi (Mobiles Kindertheater) oder „Trittbrettl“ und andere Gruppen sehr wohl und bewusst nicht nur in städtischen Zentren spielten.
„Ball“ und „Hände“ für allerjüngstes (Mitmach-)Publikum sogar unter zwei Jahren von Theater.Nuu, vorgestellt von Laura-Lee Jacobi und …
…. Schließlich last but not least „Prinzessen“ von Plaisiranstalt, vorgestellt von Raoul Biltgen
Und dann wies Stephan Rabl, der Junge Theater Wien leitet, auf die Tour des bekannten Comedian Marc Canal hin, der selbst an diesem Vormittag nicht in die Großfeldsiedlung kommen konnte. Der Stücke- und unter anderem Gagschreiber für di ORF-Sendung „Willkommen Österreich“ tourt mit seinem ersten Solo „Gott live“, wo er Fragen zu beantworten sucht, die ihm auch schon vorab gestellt werden können.
Im Folgenden einige Links zu KiJuKU-Besprechungen von Stücken, die es schon gibt und die nun durch die genannten Bezirke touren:
Wenige Tage bevor sie die US-Atombomben-Abwürfe auf die japanischen Städte Hirohima und Nagasaki – heuer zum 80. Mal – jähren (6. bzw. 9. August) verwandelt das „Please Peace-Festival den Sobieski-Platz in Wien-Alsergrund zu einem bunten kulturellen Friedensfest. 2025 fand es am Sonntag, 3. August, statt, zum vierten Mal.
Der Erfinder, Initiator und Organisator dieses Friedensfestes, Musical-Darsteller und Schöpfer einiger klassischer Märchen und anderer Geschichten als Kinder-Musik-Theater, Gernot Kranner, schilderte auf der kleinen Bühne auch wie es dazu kam. „Als der Überfall der russischen Armee auf das Nachbarland Ukraine am 24. Februar 2022 begann, bin ich mit diesem selbstgebastelten Friedensplakat in mehreren Sprachen – Deutsch, Englisch, Russische und Ukrainisch – vor die Botschaften von Russland, der Ukraine und der USA gewandert – niemand ist mitgekommen.“ Aus dem anfänglichen Frust, allein gelassen worden zu sein, entwickelte er die Idee eines ganztägigen Festen auf einem öffentlichen Platz mit Auftritten unterschiedlichster Künstler:innen und vor allem auch junger – noch nicht bekannter – Talente.
Er selbst spielte mit Hand-Puppen die weltberühmte Geschichte „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint Exupéry mit immer wieder eingestreuten eigenen Liedern in einer Art alter Fliegermontur.
Danach war die Bühne frei für junge Talente, vor allem musikalische. Carina Huber sang Musical-Songs.
Tamara Ebner (13) sang Mozarts „Gold von den Sternen“.
Kiara Placzek (17) begleitete ihren Gesang gleich selber am Klavier.
Die gar erst 12-jährige Amelie Ricca schlug ganz andere Töne an und gab wie eine jahrzehntelange Entertainerin bekannte Schlager zum Besten – mit Gängen in die Publikumsreihen und Animation zum Mitsingen.
Nevio Cermak (14) wusste bis kurz vor seinem Auftritt noch nicht, welche seiner Kompositionen er spielen würde. „Ich spiele dann, was mir gerade einfällt“ – und es war etwas Neues, somit einer Uraufführung. Später spielte er seine erste Komposition „Frieden für die Welt“.
Jaromir Rektenwald spielte Gitarre und sang eigene Songs – auf Deutsch.
Lucia Anima bracht ebenfalls eigene englischsprachige Songs mit, begleitete sich selber am Klavier.
Rebecca Richter und Jakob Pinter sangen Duette aber auch solistisch – Musical-Nummern.
Ganz anderes performte der junge Schauspieler Mathias Rauth. Er präsentierte Auszüge aus „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von Christian Dietrich Grabbe.
Zwei Frauen der Bauchtanzgruppe Mahasin führten eben solche auf.
Und das war bei Weitem noch nicht alles, aber alles, was Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… in mehreren Stunden erlebte, insgesamt traten gut vier Dutzend Künstlerinnen und Künstler auf.
Nein, nicht ganz: Zwei sehr junge Besucherinnen, Rebecca und Maja wollten auch einmal auf die Bühne – und so überließ Gernot Kranner, der auch durch den Tag führte, den beiden Mädchen kurz auch das Mikrophon.
Rund um den Platz gab’s noch Verkaufsstände – von ungesüßtem Kakao samt Wissen über die Wirkungen dieser Bohne über Marmeladen bist zu einem Buch, das die Autorin und Illustratorin selber anpries. Außerdem tauchten zwei Radler:innen mit Friedenszeichen und -taube als neonfärbige Wimpel an langen Stangen auf.
Und ein Solo-Friedenskämpfer mit schwarzen Luftballons mit aufgedruckten weißen Tauben: Der 87-jährige Werner Oskar Jilge, gelernter Schuhmacher, später in der Werbung tätig, dann Auftritte bei Theaterproduktionen und dem Opernball, und nun vor allem Friedensaktivist.
Der tote Alvin Kelby, der sozusagen als Geist aus und in der Erinnerung die Gedanken – und die Bühne – füllt, ist über weite Strecken viel lebendiger als sein (ehemaliger) Freund Thomas Weaver, der nun für ihn die Trauerrede halten soll. Zwei Stunden lang (eine Pause) spielen und singen Aris Sas und Christof Messner, begleitet von Live-Musik Bernhard Jaretz (Piano; musikalische Leitung), Maike Clemens (Cello) und Sebastian Gerhartz (Klarinette) die vielumjubelte Premiere von „Die Geschichte meines Lebens“ im Theater Spielraum in der Wiener Kaiserstraße.
… selbst lässt sich kürzest so zusammenfassen: Der Erfolgsautor Thomas Weaver kommt zurück in die Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist, um den Nachruf auf seinen (einst) besten Freund Alvin Kelby der Trauergemeinde zum Besten zu geben. Dabei werden die Erinnerungen an diese intensive Freundschaft in einzelnen Episoden erzählt. Diese Geschichten hat er für seine Bücher verarbeitet, mit denen er berühmt wurde. Was anderes fiel ihm praktisch nie ein. Schon lange hatte er übrigens die Freundschaft vernachlässigt.
„Die Geschichte meines Lebens“ (im englischen Original „The Story of My Life“) ist ein (Broadway-)Musical (Buch: Brian Hill, Musik und Gesangtexte: Neil Bartram), dessen deutsche Fassung von Daniel Große Boymann in der Inszenierung von Robert G. Neumayr an manchen Stellen gemeinsam mit dem Darsteller-Duo textlich adaptiert wurde.
Zu Beginn und immer wieder zwischendurch wird diese Geschichte verwoben mit dem Schwarz-Weiß-Film „Ist das Leben nicht schön?“ (Originaltitel: It’s a Wonderful Life) von Frank Capra, der wiederum auf der Kurzgeschichte „The Greatest Gift“ (Das größte Geschenk) von Philip Van Doren Stern aufbaut.
George Bailey, der immer wieder Menschen rettet, aber selber viel Pech im Leben hat, will sich in der Weihnachtsnacht von einer Brücke stürzen. Er wird vom Schutzengel Clarence gerettet, der erst in letzter Sekunde seine Flügel bekommen hat. Georges Tochter Zuzu hatte den Spruch geprägt: „Jedes Mal, wenn ein Glöckchen klingelt, bekommt ein Engel seine Flügel.“
Vor riesigen leicht angeknüllt wirkenden leeren Papierseiten in Gestalt von (Lein-) Tüchern, auf und zwischen ebenso umhüllten Würfeln (Ausstattung: Anna Pollack) werden allein durch die Erzählungen berührende und skurrile Geschichten aus der tiefen Freundschaft aus Kinder- und Jugendtagen lebendig. Dabei ist mit Ausnahme zweier Schnee-Engel, die einander an den Händen halten als Lichtprojektion, weder die bärtige Lehrerin, noch das Nachthemd-Gespenst in Plüschpatschen zu sehen. Vor dem geistigen Auge der Zuschauer:innen materialisieren sich diese und noch so manch andere schräge Figuren und Situationen aber durch die schauspielerische und gesangliche Kunst des Duos.
Der chaotischer, liebenswürdige, vor Kreativität und Fantasie sprühende Alvin, dem kaum etwas peinlich ist, inspiriert seinen Freund Tom in Kindheit und Jugend zu verrücktesten Aktionen. Letzterer, der in die Großstadt abwandert, sitzt immer wieder mit einer Schreibblockade vor leeren Papierblättern. Bis ihm – aus der Erinnerung – sein Freund Gedankenanstöße für die nächste Geschichte zukommen lässt. Was ihm Erfolge beschert, aber nach und nach auch arrogant(er) werden lässt. Nach einigen Jahren lässt er seine alljährliche weihnachtliche Rückkehr in die Kleinstadt sausen, antwortet dem Freund auf dessen Postkarten kaum bis nicht mehr.
Die zwei Stunden (eine Pause), in denen die beiden Protagonisten ansatzlos zwischen Sprechtheater und Gesang hin und her switchen, sind gekennzeichnet von so manch witzigen, noch viel mehr berührenden Momenten – jener des Zerbrechens hätte sich ein paar mehr Sekunden verdient. Ausgehend von den beiden Figuren ist das Musiktheater-Stück erfüllt von so großen Themen wie Erinnerung, die schon angesprochene Schreibblockade, vor allem aber, was Freundschaft ausmacht bzw. machen kann oder könnte. Und nicht zuletzt dem Widerspruch Leben im Moment vs. strukturiertem (Karriere-)Plan.
Das berühmte im Hessischen Landboten veröffentlichte Manifest „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ von Georg Büchner – und dem weniger bekannten Ludwig Weidig – wird immer wieder als „retro“ abgewertet. Soziale Gerechtigkeit und Solidarität wurden sozusagen zeitgeistig ins Abseits, ins Out, gedrängt. Sind aber tatsächlich aktuell, vielleicht sogar angesichts der aktuellen Weltlage und der im Land noch mehr.
Wie auch immer, Arbos – Gesellschaft für Musik und Theater – hat das Manifest immer wieder in seinem Programm – und dies inklusiv, auch in gleichzeitiger Gebärdensprache.
Damit eröffnet diese Initiative ein mehrtägiges inklusives Musiktheaterfestival in der Neuen Bühne Villach (22. und 23. Jänner 2025 – Details siehe ausführliche Info-Box am Ende des Beitrages.
Schon als Vorprogramm wird am Tag davor startet bei PIVA (Projektgruppe Integration von Ausländerinnen und Ausländern) ein kurzes Stück Musiktheater: „Kriegsschweine“ / „War Pigs“ mit Szenen nach Gedichten von August Stramm. Im Titel-gebenden heißt es unter anderem:
„Generäle versammelten sich in Massen
Genau wie Hexen bei schwarzen Messen.
Böse Geister, die Zerstörung planen
Genau wie Zauberer die Baustellen des Todes.
Auf den Feldern brennen die Leichen.
Während die Kriegsmaschine sich weiter dreht und dreht,
Tod und Hass der Menschheit bringen.
Sie vergiften mit ihren gehirngewaschenen Gedanken …
… Nie mehr dürfen Kriegsschweine über Macht verfügen.“
Diese ¼-stündige Performance eröffnet dann auch zwei der Abende mit mehreren kurzen Produktionen im Theater am Hauptplatz der Drau-Metropole. Die genannte so wie „Schwarzer Sabbath“, „Sabbath blutiger Sabbath“ sind drei neue Produktionen aus dem Stationentheater von Arbos, das im Sommer in den Bergen Italiens (Montasio, Sella Nevea), Österreichs (Kärnten, Wildbachtal, Karnische Alpen) und Sloweniens (Prevallascharte) gespielt wird – in 2100 Meter Seehöhe.
Zusätzlich wird an den beiden genannten Abenden (24. und 25. Jänner 2025) noch „Wir genießen die himmlischen Freuden“ von Werner Raditschnig nach der 4. Symphonie von Gustav Mahler bearbeitet für Stimme, Kammerensemble und Gebärdensprachchor sowie „Alma und Arnold Rosé“ (inklusives visuelles Musik- und Theaterprojekt in Österreichischer Gebärdensprache und Deutscher Lautsprache mit Musik von Johann Sebastian Bach – „Konzert für zwei Violinen“ in vier Sätzen für kleines Kammerorchester unter Verwendung der Originalaufnahme des Konzertes für zwei Violinen gespielt von Alma und Arnold Rosé, arrangiert und inszeniert von Herbert Gantschacher) zu hören und sehen sein.
Für all jene, die nicht in der Kärntner Stadt oder ihrer Umgebung wohnen, überträgt Arbos diese Aufführungen – wie recht oft – in Live-Streams über die eigene Homepage – Link in der detaillierten Info-Box am Ende dieses Beitrages.
Wenn du eine Vorstellung mit Musik – ob Oper, Operette oder Musical – besuchst seist und hörst du – genauso wie bei einem Theaterstück oder auch in einem Kinofilm oder einem Konzert „nur“ mehr das Ergebnis. Was aber passiert davor und rundum. Sozusagen das Making of hat sich ein kürzlich erschienes großformatiges Bilderbuch, viel mehr eine Art Wimmelbuch vorgenommen.
Lisa Manneh hat sich für „Ab ins Musik Theater“ lange und viel im Musik Theater an der Wien (neben dem berühmten Naschmarkt) umgeschaut und -gehört, viel mit Mitarbeiter:innen gesprochen und daraus sieben üppige Doppelseiten gestaltet. So siehst du, wie Bühnenarbeiter:innen teils große, schwere Kulissenteile aufbauen, wie Sänger:innen und Schauspieler:innen auf der Bühne proben, Musiker:innen im Orchestergraben dirigiert werden. Oder mitten im Publikumsraum eine lange Tischplatte liegt hinter der Regieleute, Licht- und Tontechniker:innen sitzen, um bei einer der Proben alles einzurichten, so dass es bei den Vorstellungen dann perfekt passt.
Die Illustratorin lässt dich aber auch in viele der anderen Räume im Theater blicken – wo so manches besprochen wird, wo aber auch in den Gängen, auf den Stiegen andere Menschen Böden aufwischen…
Natürlich siehst du am Ende auch Publikum, das das große Haus mit mehr als 1000 Sitzplätzen und ein paar Dutzend Stehplätzen füllt – und auf der letzten Doppelseite eine Vorführung anschaut – und zwar eine der Oper „Das schlaue Füchslein“ mit der Musik von Leoš Janáček (im tschechischen Original: Příhody lišky Bystroušky) ist eine Oper in 3 Akten des tschechischen Komponisten Leoš Janáček. Den Text (das Libretto) dazu hat er auf der Basis einer Fortsetzungsgeschichte des Dichters Rudolf Těsnohlídek und des Zeichners Stanislav Lolek verfasst.
Die beiden Genannten haben die Geschichte einer Füchsin, die von einem Förster gefangen wird und auf dessen Hof aufwächst, vor mehr als 100 Jahren für die Tageszeitung Lidové noviny in Brno (Brünn) als Comic-Streifen verfasst und gezeichnet. „Parallel dazu nehmen die Schicksale der mit der eigenen Unvollkommenheit kämpfenden Menschen ihren Lauf und sind in Art einer Fabel eng mit dem Geschehen in der Tierwelt verwoben. Eine deutsche, vom Original in der Handlung stark abweichende Textfassung schuf Max Brod“, heißt es auf Wikipedia.
… steht die genannte Oper gar nicht auf dem Programm im Musik Theater an der Wien, das nach längerem Umbau eigentlich schon eröffnet haben sollte, was sich für den Vollbetrieb noch verzögert. „Das schlaue Füchslein“ wurde vor zwei Jahren im Ausweichquartier in der Halle E im MuseumsQuartier gespielt – in tschechischer Sprache mi deuten und englischen Übertiteln. Wird sie im renovierten Stammhaus wieder aufgenommen? Diese Frage von Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… im Musik Theater Wien wurde verneint.
Und so viel es auch in dem durchaus spannenden Wimmelbuch zu sehen gibt, ein paar erklärende Texte – vielleicht nicht in den Bildern aber in einer Art Anahang-Doppelseite – hätten dem Buch doch ganz gut getan.
Außerdem bieten auch andere Häuser Musiktheater – auch für junges Publikum – an, nicht nur das Musik Theater an der Wien.
Zwei Stoff-¼-Kreise, die an Fächer erinnern, und per Seilzug wandelbar sind, zeigen die jeweilige Szenerie in der Ritterin Felicitas Feuerblitz und Jung-Drache Lordilu im Laufe der knapp mehr als einen Stunde ihr Abenteuer in „Drachen-Zirkus“ von Theater Heuschreck eine weite Reise unternehmen.
Sie, die mutige Ritterin, will auf Drachenjagd gehen. Er, der Drachenbube, hat Stress mit seiner Mama. Die hätte gern einen richtig gefährlichen, Feuer speienden, Ritter verschlingenden Sohn. Doch er will lieber Musik machen.
Klar, Felicitas und Lordilu treffen aufeinander. Die kampfeslustige Ritterin erweist sich trotz mutiger Töne – leider – doch eher fast durchgängig als ängstlich. Aber wie auch immer, die beiden schließen Freundschaft – und sie werden zu Hoffnungsträger:innen der Fee Camella. Als ungewöhnliches, Arten-übergreifendes Duo könnten sie den geheimen Drachenschatz aus der Höhle vom See der tausend Drachentränen bergen…
„Drachen-Zirkus“ ist ein Klassiker des Theaters Heuschreck – die vor allem tourende Gruppe feiert im kommenden Jahr ihren 40. Geburtstag. Nach etlichen Jahren Pause wurde es kürzlich neu aufgenommen– erstmals im Loreley-Saal in Wien-Penzing (nahe der U4-Station Hietzing). Manche der jungen Besucher:innen waren sogar verkleidet gekommen – mit Ritterhemd, Vogel- und Ritterkostümen. Und sie – sowie alle anderen im Publikum spendeten Szenen-Applaus insbesondere nach den Songs.
Zur „Heuschreck“-Co-Prinzipalin Anna Hnilička, die Idee dazu hatte und den Text verfasste (auch als Buch – siehe Infos) und die überzeugend die unterschiedlichen Rollen Drachenmutter sowie Fee bzw. See-Ungheuer spielt, gesellen sich zwei neue junge Schauspieler:innen. Akrobatisch turnt, springt und wirbelt Anna Maria Reeves als Ritterin Felicitas Feuerblitz durch das Bühnengeschehen. In die Rolle von Jungdrache Lordilu schlüpft Filip Kajmakoski und strahlt durchgehend seine Abneigung gegen Kämpfen sowie seine Leidenschaft für Musik aus. In einer Szene gibt er – wie Hnilička auch – einen Ritterfreund von Felicitas Feuerblitz: Donnerkrater bzw. Hagelkorngewitter.
Ausgangspunkt für die Geschichte – zu der Anatoliy Olshanskiy die Musik beisteuerte – sei der Umgang mit Wut gewesen, so Hnilička zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nach der Premiere der neuen Version im Loreley-Saal (nahe der U4-Station Hietzing). Dazu gesellt sich noch das Brechen von Klischees: Der Drache, der gern musiziert und eben eine Ritterin. Wobei dieser Rolle dann doch vielleicht auch mehr Mut zugetraut werden könnte, den ohnehin die Figur und deren Spielerin verkörpert.
Derzeit nur noch bis 2. Februar (2023, dann aber nochmals im November) ist eine sehr berührende, ja am Ende sogar zu Tränen rührende, aber nie auch nur ansatzweise rührselige Musiktheater-Version rund um „Anne Frank“ zu sehen, hören, erleben. In der Stadtgalerie Mödling spielt ein Ensemble aus Profis und Jugendlichen der Musical-Gruppe teatro im ersten Teil sozusagen eine teils fiktive Vorgeschichte.
Hier auf dieser Seite war schon ein Probenbericht und ein Interview mit dem Regisseur, der auch das Textbuch geschrieben hat zu lesen/sehen (Fotos, Videos); Zu diesen geht es hier unten:
Wie die Eltern Elisabeth Holländer und Otto Frank verheiratet worden sind, wie Margot und Annelies Marie zur Welt kamen, aufwuchsen. Frauen, die über die Machtübernahme Hitlers jubelten und gar nicht mitbekamen, was dies für Leute wie die Franks bedeuten würde, sind schon in diesem ersten Teil eine Szene zum Innehalten, dazu, den Atem stocken zu lassen – so präzise, genau, heftig und doch nicht plakativ spielt das Ensemble diese Szene.
Koffer packen, als Jüd:innen hoffen die Franks – und viele andere – zunächst in Amsterdam sicher zu sein. Angst. Immer diese Angst, die Margot und ihre Schwester, die sich lieber Anne nennt/genannt wird und als solche berühmt werden wird. Was sie sich von Anfang an wünscht. Allerdings wird sie das nie miterleben können.
Mit 13 begann sie ihr Tagebuch. Da noch in Freiheit, wenngleich schon mit etlichen Einschränkungen. Die deutschen Faschisten hatten auch dieses Land besetzt, Jüd:innen durften vieles nicht mehr, nicht einmal in ihre Schulen gehen, sondern nur in eigene Schulen. Aber auch das nicht lange. Das konnte sie – mit wenigen anderen Dingen mitnehmen, als es hieß, ab in ein geheimes Versteck, das der weitblickende Vater schon vorbereitet hatte. Er versucht selbst in den ärgsten Situationen Zuversicht zu verbreiten – oft gewürzt mit Humor und Witzen.
Die ständige Bedrohung, die Furcht, doch entdeckt werden zu können, die Enge, das sich gegenseitig auf die Nerven gehen spielen natürlich in vielen Tagebucheinträgen eine große Rolle. Fast ein Dutzend solcher Einträge werden szenisch gespielt, gesungen und mitunter sogar getanzt auf der Bühne der Mödlinger Stadtgalerie lebendig.
Aber nicht nur die ganz traurige, sondern immer wieder auch die pubertär-wütenden Auseinandersetzungen vor allem mit der Mutter, aber auch beginnende Verliebtheiten mit dem Sohn der mit-versteckten Familie van Pels (im Tagebuch mit dem Pseudonym van Daan belegt) wurden im Textbuch vom Regisseur herausgegriffen.
Wie er im ersten Teil jüdische Kultur auf die Bühne bringen wollte, so im zweiten Teil vor allem Gedanken, Szenen, Probleme einer Pubertierenden, die auch in anderen, besseren Umständen und Zeiten stattfinden könnten. Hier allerdings unter den Bedingungen ständiger Bedrohung und zwangsweise Aufeinander-Pickens.
Ob jene, die immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen wie Nicolas Vinzen – als Rabbi oder Herr Pfeffer (im Tagebuch Albert Dussel, der als später achter Mitbewohner ins Hinterhaus einzieht – oder die zentrale Familie Frank, die einzigen, die immer in ihren Figuren bleiben – das Ensemble auf der Bühne – und die Musiker:innen im Stock drüber auf der Galerie liefern ein bewegendes – knapp mehr als zweistündiges (eine Pause) Gesamtkunstwerk: Benjamin Oeser als Vater Otto, Veronika Rivó als Mutter Elisabeth, die den Ärger und teils auch Hass ihrer jüngeren Tochter fast stoisch nimmt – „Liebe lässt sich eben nicht erzwingen“ -, Anna Fleischhacker als die brave, mustergültige Schwester Margot und dann die springlebendige, himmelhoch jauchzende und dann wieder zu Tode betrübte, aufgeweckte, kecke, freche, aufmüpfige Anne, die von Juliette Khalil wunderbar verkörpert wird. Die es auch am Ende schafft, den im Titel beschriebenen Moment herzustellen, der echt zu Tränen rührt – als es heftig von draußen klopft und das bekannte Ende einläutet. Mit den – mit Ausnahme von Otto – tödlichen Enden gehen die Hauptdarsteller:innen ab – durch den Mittelgang, mitten durchs Publikum. Und kommen den Zuschauer:innen damit noch einmal sehr nahe.
„Anne Frank“ als Musical? Wirkt vielleicht aufs erste (fast) unmöglich. Die tragische Geschichte einer durch Tod in einem Konzentrationslager der Nazis verhinderten großen Schriftstellerin?
„teatro“, eine engagierte Initiative, bringt seit mehr als 20 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Profis bekannte klassische Stoffe von Schneewittchen bis zum Zauberer von Oz, aber auch bei uns weniger bekannte wie „Little Women“ als Musicals auf die Bühne – vor allem in Mödling. Ende Jänner 2023 traut die Gruppe sich – und dem Publikum – zu, eine Geschichte rund um die jugendliche Verfasserin des wohl berühmtesten Tagebuches in literarischer Qualität ein Stück zu spielen, singen und tanzen. Premiere ist am internationalen Holocaust-Gedenktag, dem 27. Jänner (Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau) in der Stadtgalerie Mödling – Details siehe Info-Block am Ende des Beitrages.
Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… war bei Proben, konnte dabei allerdings lediglich die intensive Arbeit an zwei Szenen miterleben, daher kann nichts Genaueres über das fertige Stück „Musiktheater würde ich es in dem Fall nennen, nicht Musical“ (so Regisseur und Librettist Norbert Holoubek) gesagt, pardon geschrieben, werden. Und: Beim Probenbesuch war die Juliette Khalil, die Darstellerin der Hauptfigur verhindert.
Beide Szenen waren/sind aus dem ersten Teil, sozusagen der Vorgeschichte, jener Zeit, in der die Familie Frank noch (lange) nicht im Hinterhaus der Prinsengracht 263 versteckt leben musste, ja sogar aus einer Zeit, in der Annelies Marie Frank, ja selbst ihre ältere Schwester Margot noch nicht geboren waren. Denn das Stück setzt vor und mit der Hochzeit der Eltern, einer arrangierten Ehe ein.
Und damit einer jüdischen Zeremonie und Fest mit Tanz und Spaß. Wie müssen die Schauspieler:innen stehen, sich drehen, so dass auch das Tuch, das über das Brautpaar gespannt werden soll/muss richtig hoch gehalten werden kann, ohne zu verkrampft zu wirken. Wer kommt von wo und geht wohin ab. Wie gestalten sich die Übergänge, die Tänze. Wie bewegt sich der Rabbi. Und wie spielt das Geschehen auf der Bühne mit dem des Orchesters zusammen – bei der Probe vertreten „nur“ durch den musikalischen Leiter, Arrangeur und Spieler am Keyboard Walter Lochmann.
Berühmt geworden ist Annelies Marie tragischerweise erst nach ihrem Tod als Anne – eben durch ihr Tagebuch. Eine Vertraute der Familie, Miep Gies, die zu jenen gehörte, die die Familie heimlich im Versteck in Amsterdam mit Lebensmittel, aber auch mit Literatur versorgte, hatte die verstreuten Papierblätter und das Tagebuch aufgesammelt und verwahrt, nachdem jemand das Versteck verraten haben musste und alle in Konzentrationslager abtransportiert worden waren. Vater Otto überlebte als einziger der Kernfamilie. Ihm übergab Miep das Geschriebene und er veröffentlichte das Tagebuch seiner Tochter – in der ersten Version allerdings gekürzt. Er ließ jene Einträge der Tochter aus, in der sie sich besonders heftig über ihre Mutter geärgert hatte. Mit Anne unterschrieb die 13- bis 15-Jährige ihre Einträge, die sie als Art Briefe verfasste – an ihre Vertraute Kitty, wie sie ihr Tagebuch nannte, das sie sozusagen als vertraute Freundin ansah.
Erst Jahre nach Otto Franks Tod erschien eine authentische Fassung des Tagebuchs (6. Juli 1942 bis zum 4. August 1944), in dem Anne selbst noch etliche Einträge überarbeitet hatte. Grund: Ursprünglich eben „nur“ als privates Tagebuch geschrieben, dem sie alles anvertrauen konnte, das sie bewegte, hatte sie im Frühjahr 1944 im englischen Rundfunk die Rede des niederländischen Exil-Bildungsministers gehört, der seine Landsleute bat, alle schriftlichen Unterlagen wie auch Tagebücher zu sammeln, um nach dem hoffentlichen Kriegsende diese Zeit dokumentieren und aufarbeiten zu können, also auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
An die Hochzeit, die viel später geprobt wurde, schließt sich eine Szene an, in der das künftig Drohende sich anbahnt. Dazwischen aber sorgt ein Spruch für Heiterkeit. Beim winterlichen Spaziergang laufen die Schwestern Margot und Annelies voraus, es kommt zum Disput, ob es nicht schon Frühling sei, wo doch schon die ersten Blumen aus der Erde wachsen. Den kommentiert Vater Otto mit „Gott weiß alles, aber Anne weiß alles besser“. Hannah, eine überlebende Klassenkollegin von Annelies Frank aus dem „Joods Lyceum“ (Jüdische Lyzeum) zitiert diesen Satz ihrer Mutter über die Mitschülerin Annelies in dem Buch „In einer Klasse mit Anne Frank“ von Theo Coster (aus dem Niederländischen übersetzt von der bekannten Autorin Mirjam Pressler).
Später treffen die Franks – noch in der Zeit in Frankfurt am Main – auf jubelnde Frauen. Die können sich fast nicht einkriegen. Eine neue Zeit breche an, alles werde sich zum besseren ändern, denn Hitlers Partei habe die Wahlen gewonnen… Ihre Gegnerschaft, ja ihre eigene Bedrohung als Jüd:innen trauen sich da die Franks gar nicht mehr zu sagen. Der Moment ist ein heikler bei den Proben. Wie kommen die Sorgen, die Ängste, die sie hier nur andeutungsweise spürbar werden lassen dürfen zum Ausdruck? Und wie wird verhindert, dass nach dem Jubelsong der Nazibefürworterinnen nicht – wie oft nach jedem Song – Beifall des Publikums aufbrandet? Abmarsch in militärischer Formation und Schritt schlägt der Regisseur vor – in der Hoffnung, dass damit die Zuschauer:innen auch den Schockmoment spüren.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen