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Kinder mit Roma-Fahne

Neben Trauer auch Enttäuschung und Wut

Obwohl schon vor zwei Jahren vom Parlament einstimmig beschlossen, seit dem Vorjahr dann offiziell als Gedenktag durch die damalige Bundesregierung eingeführt, bleibt das wirkliche Gedenken am 2. August an die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944, in der im Vernichtunslager Auschwitz mehr als 4000 Rom:nja und Sinti:zze ermordet wurden, zivilgesellschaftlichen Organisationen der Volksgruppe der überlassen.

Wie im Vorjahr legten für das offizielle Österreich – heuer einen Tag vor dem Gedenktag – Vertreter des österreichischen Parlaments – gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Volksgruppenbeirates und seinem Stellvertreter Kränze in der Krypta im äußeren Burgtor nieder.

Zivilgesellschaft

Und so gedachten wieder, auf Initiative von HÖR (Hochschüler*innenschaft) Österreichischer Roma und Romnja und Romano Centro, in Reden und musikalischen Beiträgen sowie mit vielen Sonnenblumen und Kerzen der Ermordeten am Ceija-Stojka-Platz in Wien-Neubau vor der Kirche Altlerchenfeld. Die 2013 verstorbene Frau, die drei Konzentrationslager mit Müh und Not überlebt hatte, war die erste die das Schweigen über die Verbrechen an ihrer Volksgruppe in Bildern, Gedichten, Erlebnisberichten brach. Und gut zwei Jahrzehnte lang in Schulen ging und fuhr, um als Zeitzeugin darüber aufzuklären bzw. viele Workshops auch vor allem im siebenten Bezirk, im Amerlinghaus abhielt.

Junge Aktivist:innen

Aber auch im elften Jahr dieser Veranstaltung – das Europäische Parlament hatte schon bzw. erst 2015 den 2. August zum Gedenktag erklärt – ging es nicht „nur“ um historisches Erinnern daran, dass rund eine halbe Million Angehöriger dieser Volksgruppen im Porajmos (Pendant zur Shoah an Jüd:innen) vernichtet wurden. Der schon jahrhundertelang davor vorhanden und auch nach dem Faschismus nachwirkende Rassismus ist Thema der Reden vor allem junger Aktivist:innen. Und so stellten der aktuelle Präsident Santino Stojka, Urenkel von Ceija, und die Vizepräsidentin Pia Thomasberger auch den Zusammenhang mit anderen diskriminierten Gruppen her – sowie die Solidarität mit den Antifaschist:innen, die in der für die slowenische Volksgruppe bedeutendsten Gedenkstätte, dem Peršmanhof in Železna Kapla / Bad Eisenkappel (Kärnten / Koroška), erst Tage davor von Polizeieinheiten überfallen wurden.

Erinnerungsarbeit

Nuna Stojka, Schweigertochter von Ceija, die sie 22 Jahre bei ihren Schulbesuchen begleitet hatte, las aus einem der Bücher der Pionierin der Aufklärungsarbeit, „Wir leben im Verborgenen“ über die grauenvollen Lebensumstände im KZ. Sie schloss ihre Rede – traditionell mit dem Spruch „Amentsa khetane, sam zurale!“ – Wir gemeinsam, nur gemeinsam sind wir stark!“

Trauer, Enttäuschung, Wut

Sladjana Mirković, erste Präsidentin der HÖR, drückte nicht nur ihre Trauer angesichts des Gedenkens aus, sondern auch ihre Enttäuschung und Wut – darüber, dass es das Jahr für Jahr von Politiker:innen versprochene zentrale Mahn- bzw. Denkmal an den Porajmos und die rund 90 Prozent österreichischer Angehöriger der Volksgruppe, die ermordet wurden, NOCH IMMER NICHT gibt. Enttäuscht ist sie auch „darüber, dass Österreich seine antiziganistische und rassistische Tradition selbstbewusst weiterlebt und eine der meistverfolgten Minderheiten Europas künstlich spaltet und gegeneinander ausspielt, indem es uns in autochthon und allochthon, in inländisch und ausländisch teilt.“

Sonnenblumen

Die vielen Sonnenblumen bei der alljährlichen Gedenkveranstaltung basieren übrigens auf dem in einem Gedicht ausgedrückten Gedanken Ceija Stojkas:

e kamesgi luludschi – die sonnenblume

die sonnenblume ist die blume des rom.
sie gibt nahrung, sie ist leben.
und die frauen schmücken sich mit ihr.
sie hat die farbe der sonne.
als kinder haben wir im frühling ihre zarten,
gelben blätter gegessen und im herbst ihre kerne.
sie war wichtig für den rom.

wichtiger als die rose,
weil die rose uns zum weinen bringt.
aber die sonnenblume bringt uns zum lachen.
Ceija Stojka (1933 – 2013), veröffentlicht in „Die Morgendämmerung der Worte. Moderner Poesie-Atlas der Roma und Sinti. (Die Andere Bibliothek)

Musikalische Erweiterung

Musikalisch gab es in diesem Jahr eine beeindruckende Erweiterung. Neben traditionellen Roma-Liedern der Gruppe Amentsa Ketane, trat das Coriolanus Ensemble, ein Kammerorchester, mit Kompositionen von Adrian C. Gaspar auf. Der dies auch als praktisches Gegenbeispiel zum gängigen Klischeebild verstehen will.

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Jugendliche begleiten jüngere Schüler:innen durch die selbst gestaltete Antirassismus-Ausstellung

War die englische Queen rassistisch?

„Darf ich deine Haare anfassen?“ „War die Queen rassistisch?“ „Was für eine Mischung bist du?“ Was ist überhaupt Rassismus? Ist es okay, jemanden nach deren oder dessen Herkunft zu fragen? Ist der Spruch „ich steh eh auf deiner Seite“ nicht eigentlich voll super?

Diese und viiiiele weitere Plakate hängen an Glaswänden in einem der Gänge des Schulzentrums (AHS und HAK/HASch) Geringergasse (Wien-Simmering). Schüler:innen des (Real-)Gymnasiums haben vor Monaten eine Antirassismus-Ausstellung gestaltet. Schulsprecherin Aanab Mohamed hatte u.a. darüber beim Kinder- und Jugendparlament Ende März im Wiener Rathaus berichtet. Und so wollte Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… diese sehen und was und wie damit in der Schule umgegangen wird. Nun war es – endlich – so weit.

Entstanden in Projektmanagement

Anna, Felix, Johanna, Lea und Warisha aus sechsten Klassen haben – gemeinsam mit weiteren Mitschüler:innen – im Rahmen des Freifaches Projektmanagement unter anderem diese Ausstellung gestaltet. Dafür hatten sie vor allem Anleihe bei dem Buch „War das jetzt rassistisch? – 22 Antirassismus-Tipps für den Alltag“ mit Beiträgen von rund eineinhalb Dutzend Autor:innen, herausgegeben von „Black Voices“, genommen (siehe Info-Box am Ende). Und sie hatten sich darauf vorbereitet, als Guides durch die Schau Dutzender Plakate, die Fragen stellen, zu weiteren Gedanken und Gesprächen anregen, zu führen.

Viel gewusst, aber neue Details

KiJuKU.at durften die Schüler:innen der 2 d in der ersten Juni-Woche begleiten, die von den genannten fünf Jugendlichen – teils in kleineren Gruppen durchgeführt wurden. Und danach in der Klasse noch Fragen stellen. Insgesamt, so die Zweitkläss’ler:innen „haben wir schon vorher viel über Rassismus gewusst“, aber beispielsweise meinten sowohl Karol als auch Adrian, „das mit Asian Rassismus war mir vorher nicht so bewusst“. Marko ergänzte: „Viele Details waren schon neu!“

Rewan fand neu, „dass Menschen die Frage, „darf ich deine Haare anfassen“, stören könnte“. Anja nannte sehr interessant, ob und wie es möglich ist jemanden zu fragen, woher sie oder er kommt, ohne dies böse zu meinen. Ilma sieht nach dem gemeinsamen Durchwandern der Ausstellung und dem darüber-reden, dass so manch einzelne Schimpfwörter oft „nur“ Teil eines größeren abwertenden Zusammenhangs sind.

Jan zeigte sich besonders beeindruckt von der Grafik mit dem Eisberg. Wie bei einem solchen sind Hass, Ausgrenzung, Hetze und gar Gewalt „nur“ der kleine sichtbare Teil von Rassismus. Unter der Oberfläche machen struktureller und institutioneller Rassismus den viel größeren Teil aus, auf dem der sichtbare aufbaut.

Jugendliche begleiten jüngere Schüler:innen durch die selbst gestaltete Antirassismus-Ausstellung
Die fünf jugendlichen Guides dieses Vormittags beim Lokalaugenschein von KiJuKU.at

Viel Interesse von Schüler:innen

Zurück zu den fünf jugendlichen Guides: Die meinen, dass die meisten Schüler:innen, die sie durchführen ziemlich interessiert und meist ohnehin schon offen für Vielfalt seien. Bei manchen Klassen wäre es ein wenig schwierig gewesen, sie zu Fragen und Gesprächen zu motivieren. „Aber vor allem fühlen wir uns schon geehrt, dass wir andere Schüler:innen durch so ein wichtiges Thema begleiten und einiges dazu erklären dürfen.“

Befremdliches von einigen Erwachsenen

Wirklich anstrengend aber wären nur manche Führungen für Erwachsene von außerhalb der eigenen Schule gewesen, beispielsweise bei einem Rundgang mit Direktor:innen anderer Schulen, wo das N-Wort gefallen sei oder jemand meinte, uns in Sachen Kopftuch belehren zu müssen…

Zurück zur Queen

Zurück zum Anfang, weil möglicherweise die Frage mit der verstorbenen englischen Königin vielleicht irritieren könnte – da ging es um die Debatten rund um die Ehe von Elizabeths Enkel Harry mit Meghan und so manchen Hinweisen, dass diese, nur weil Person of Color, nicht gleichwertig behandelt worden wäre. Aber auch darum, dass jemand, nur weil sie oder er sich nicht (ganz) korrekt verhält, noch lange nicht grundsätzlich ein schlechter Mensch wäre. Und durchaus jede und jeder dazulernen könne, lange verinnerlichte Alltags-Rassismen zu erkennen, zu hinterfragen und abzulegen.

„Auf deiner Seite“?

Und das mit „ich steh eh auf deiner Seite“ – naja das bedeutet ja dann wohl doch ein wir und ihr, die einen und die anderen statt des Ziels einer Gemeinschaft, eines wir über alle Unterschiede hinweg, welcher Art auch immer. Das oben schon genannte Buch – mehr in der Info-Box unten – beginnt im Inneren schon auf der sogenannten Vorsatzseite. In gelber Schrift steht auf schwarzem Papier: „Sei Teil der Bewegung. Sei Teil der Veränderung. Allyship starts here.“ (Verbündet-Sein beginnt hier)

Weit mehr

Die genannte und beschriebene Antirassismus-Ausstellung ist wiederum „nur“ Teil einer umfassenden Schau zu Menschenrechten – mit teils ausgeborgten professionellen Ausstellungstafeln zu diskriminierten, marginalisierten Gruppen – sei es ethnisch oder in Sachen sexueller Orientierung- von Kärntner Slowen:innen über Burgenland-Kroat:innen Rom:nja , LGBTQIA+…

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Ttitelseite des Buches
Ttitelseite des Buches „War das jetzt rassistisch?“
Simonida Selimović eröffnete das 3. EBistarde-Festival inhaltsstark

Von realer Diskriminierung zur Utopie

Mit „Land ohne Land“ (Puv bi puv) wurde Anfang November die dritte Ausgabe des Rom:nja-Kulturfestials „E Bistarde /vergiss mein nicht“ eröffnet. Für Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… zwackte sich die Co-Erfinderin, Kuratorin, Regisseurin, Podiumsdiskutantin und Vielfach-Checkerin Simonida Selimović zwischendurch ein Viertelstündchen für ein Interview ab.

KiJuKU: Der Titel des Stücks deutet schon an, dass diese wahrscheinlich internationalste Volksgruppe der Welt kein eigenes Land hat. Ein wichtiges Element spielt die Inhaftierung des Protagonisten Aca in Serbien in der Corona-Zeit. War dies einer der Ausgangspunkte für das aktuelle Stück?
Simonida Selimović: Nein gar nicht. Schon als wir „Roma Armee“ 2017 fürs Maxim-Gorki-Theater in Berlin entwickelt haben (das dann auch im Wiener Volkstheater gespielt wurde) ist mir diese weiterführende Idee eingefallen. Ein Land zu besitzen heißt ja auch, es verteidigen zu müssen. Außerdem, warum sollten die Roma auf der ganzen Welt in dieses eine Land wollen? Warum überhaupt ein Land als Bestandteil einer Identität?
Viele haben mehrere Identitäten, ich zum Beispiel bin Romni, bin in Serbien geboren, in Österreich aufgewachsen, bin also neben Romni auch ein Stück weit Serbin und auf jeden Fall Wienerin. Und darüber hinaus reise ich gerne, liebe es, mir andere Kulturen anzuschauen – also Weltbürgerin, eine universelle Identität.

Riesen-Applaus nach dem Eröffnungsstück
Riesen-Applaus nach dem Eröffnungsstück „Land ohne Land“

KiJuKU: Und die Corona-Geschichte?
Simonida Selimović: Ach ja, da gab’s ganz arge Geschichten, das was wir im Stück anspielen ist dagegen harmlos. In Rumänien wurde beispielsweise eine Romni mit Kind von einem Busfahrer verprügelt als sie einsteigen wollte. Aber nicht er, sondern sie wurde verurteilt, weil er behauptet hat, sie habe ihn verflucht. Und man wüsste ja, Flüche von Roma können Wirklichkeit werden. In einer anderen Stadt durften hochschwangere Rom:nja nicht in eine Geburtsklinik um ihr Kind zur Welt zu bringen. In Ungarn, Rumänien, Polen, Serbien war es ganz schlimm: Einsperren, oft auch Wasser abgesperrt – weil sonst alles mit Corona verseucht würde. Die Roma wurden als „Überträger:innen“ gebrandmarkt – bei einer weltweit verbreiteten Seuche. Bitte was sollte das – darum haben wir es ziemlich harmlos eingebaut.

KiJuKU: Die Verbindung von analogem Spiel und Szenen im digitalen Raum war auch von Anfang an als Idee da?
Simonida Selimović: Diese zweite Ebene kam mit dem Wunsch, eine Welt zu bauen, in der alle gleichberechtigt sind, agieren und teilhaben können – egal von welcher Ecke der Welt aus. Alle Roma, Romn:ja, Sinti, Sinti:zze und so weiter würden sich sozusagen digital registrieren – anonym, weil sie in vielen Ländern ja noch immer gewalttätig verfolgt werden. Es wäre ein Staat in der Cloud, in der wir Weltbürger:innen sind – aber eine nachgewiesene Existenz haben, also auch zahlenmäßig sichtbar sind. Kein Staat könnte dann sagen, nein, in unserem Land haben wir keine Roma. Und jede und jeder Einzelne wäre dann aber in der analogen Welt in dem Land in dem sie/er sich aufhält, berechtigt zu wählen, zu partizipieren.

Simonida Selimović eröffnete das 3. EBistarde-Festival inhaltsstark
Simonida Selimović eröffnete das 3. EBistarde-Festival inhaltsstark

KiJuKU: Du hast auch das Programm kuratiert/ausgewählt, wonach?
Simonida Selimović: Zum Teil hab ich die Stücke angeschaut, zum anderen Künstler:innen eingeladen, deren Arbeit ich gut kenne.

KiJuKU: Es gibt hier jetzt ein „temporäres Mahnmal“, ist das die „Antwort“ darauf, dass es das seit Jahren versprochene zentrale Mahnmal für die Opfer des Porajmos (Gegenstück zur Shoa an Jüd:innen) noch immer nicht gibt, obwohl in der Nazizeit rund eine halbe Million Angehörige der Volksgruppen der Roma ermordet wurde?
Simonida Selimović: Ich habe die bildende Künstlerin Luna De Rosa gebeten, einen Roma-Wagen künstlerisch zu bearbeiten – dazu gibt es demnächst hier einen eigenen Beitrag samt Gespräch mit Rosa.
Drinnen gibt es eine Installation sowie eine Performance von Laura Moldovan, sozusagen ein Handlesen 2.0 – auch dazu demnächst mehr.

Palikera, Hvala lepo, Grazie mille, Mulțumesc Tusen Tack, Vielen Dank

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Hier unten geht’s zu einer Besprechung des Eröffnungsstücks

Simonida Selimović eröffnete das 3. EBistarde-Festival inhaltsstark
Simonida Selimović bei ihrer inhaltsstarken Eröffnungsrede