Gehupe vor dem Theaterhaus im Wiener MuseumsQuartier. Schräge, bunte, diverse Typ:innen* sorgen fast für Kreischalarm beim Publikum. Und Aufregung bei einem Mitglied des MQ-Wachdienstes, der die Künstler:innen gar nicht weiterfahren lassen will. Wobei, die haben ihr Ziel erreicht, steigen, nein eher springen aus dem Auto, tanzen, wälzen sich tänzerisch über den Boden, laden die Zuschauer:innen ein, gleich mitzuswingen…
Bevor sie im großen Saal die Hütte zum Kochen bringen. In teils unglaublichen never ending akrobatischen Tanzbewegungen schütteln sie pure Lebensfreude und schier endlose Kraft aus ihren Körpern. Energie, die sie – immer wieder Einzelnen aus dem auf dem Boden umsitzenden, später -stehenden direkt senden.
Zu den fünf Tänzer:innen von Collectif Ouinch Ouinch – Marius Barthaux, Karine Dahouindji, Elie Autin, Adél Juhász, Collin Cabanis – muss mindestens noch die Live-Djane Maud Hala Chami aka Mulah genannt werden, die nicht nur die Regler bedient, sondern wie eine Dirigentin einerseits agiert und andererseits nicht selten auch hinter ihrem Elektronik-Pult mittanzt.
Die gute Stunde mitreißender Tanzperformance geht übrigens nahtlos in eine Mittanz-Party über, die den Abschluss des Festivals Skin #4 im Dschungel Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum, bildete – und sehr ansteckend und kraftspendend ist.
Eines der Gastspiele aus der Schweiz nimmt Anleihe bei einem uralten Nationalsport, einer speziellen Form des Ringens. Ein anderes lud ein zu einem autofiktionalen Himmel- und Höllenritt; außerdem Splitter vom Performance-Parcours.
Ein großer Kreis, gut zwei Handbreit hoch mit Sägespäne ausgelegt, der an eine Zirkusmanege – ohne Begrenzung – erinnert ist die Kampftanz-Fläche für „Dr Churz, dr Schlungg und dr Böös“, eines der Gastspiele aus der Schweiz beim aktuell – noch bis 18. März 2023, das genannte Stück nur noch am 15. März, 19 Uhr – laufenden vierten Skin-Festival im Dschungel Wien.
„Schwingen“ heißt ein Kampfsport aus dem deutschsprachigen Teil der Schweiz, entstanden im 13. Jahrhundert, mit Aufschwung gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die beiden Kämpfer – fast durchwegs Männer, die ersten Frauenschwingvereine wurden erst vor rund 30 Jahren gegründet – fassen dem Gegner mit einer Hand an eine spezielle kurze Überhose (der Sport wird häufig auch „Hosenlupf“ genannt) und versuchen den jeweils anderen zu Boden zu bringen – mit einem von rund 300 Würfen, die alle Namen tragen – der Titel des Stücks von Landholz Productions und Johanna Heusser , von der das Konzept und di Choreografie stammt, hat nichts mit Doktor-Titeln zu tun, sondern ist eine Schweizer Mundartversion von „der“ vor der jeweiligen Wurfbezeichnung.
David Speiser und Julian Voneschen, die beiden Performer in dem nicht ganz einstündigen Stück, führen unzählige der Hosenlupfe aus, fast tänzerisch wirken sie. Dabei habe man sich sehr wohl an die echten Würfe gehalten, so die Choreografin in einem anschließenden Talk über „kritische Männlichkeit(en)“ mit Eric Big Clit (Drag King und Performer*in) und Dorian Bonelli (Performer und Veranstalter „Queer Playfight“). „Wir wollten diesen Sport nicht parodieren oder ihm zynisch begegnen“.
Und trotz der kämpferischen Atmosphäre schwebt weder Aggression, ja nicht einmal Konkurrenz im Raum. Das Fragen, ob alles gut sei, bevor das Ringen beginnt, gehört dazu, die mitunter anklingende Zärtlichkeit ergibt sich vielleicht eher daraus, dass es doch eine Performance und kein Wettkampf ist. Und das Stück beschränkt sich nicht nur auf die „Schwinger“-Szenen. Nach etlichen ersten Würfen wird ein Schulaufsatz über die Menschheitsgeschichte aus 1975 eingesprochen – und da auf Schwyzerdütsch auch mit englischen an die Wände projizierten Untertiteln – mit einem Loblied auf Kämpfe.
Irgendwann unterbrechen die beiden Kampftänzer bzw. tänzerischen Kämpfer das „Schwingen“ und bauen aus Teilen der Unmengen an Sägespänen – eine halbe Tonne ist aufgeschüttet – eine Berg- und Tal-Landschaft durch die sie Theaterrauch wabbern lassen – idyllische Schweiz sozusagen.
Ihr stark körperliches Agieren im „Ring“, ausgehend von klassisch männlichen Klischees bot dann eine ideale Ausgangsbasis für den oben genannten Talk. Das gesamte Festival – nicht nur in seiner vierten Ausgabe – beschäftigt sich ja mit den sozusagen unter die Haut gehenden Fragen verschiedenster Identitäten, der Auseinandersetzung mit Zuschreibungen und dem „Ringen“ um das (Aus-)Brechen von/aus Rollen- und Geschlechter-Klischees.
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Leider nur ein einziges Mal zu sehen, nein erleben, war ein weiteres Gastspiel aus der Schweiz beim aktuell – noch bis 18. März 2023 – laufenden Skin #4-Festival: „Pseudologia Phantastica“ von „Les Mémoires d`Helène“. Die nicht ganz zweistündige Show war ein – dem Trio auf der Bühne ebenso wie dem Publikum – offensichtlich Spaß machender Himmel- und Höllen-Ritt zwischen Beruf/Bühne und Privat-Beziehung.
Momo und Ben lernen einander bei einem Festival kennen. Er schon anerkannter, staatlich geprüfter Staatsschauspieler mit Hang zu Exzentrik und Experimental gibt einen Hamlet Globi – für das nicht mit der Schweiz vertraute Publikum wird erklärt, dass es sich bei Globi um einen bekannte – Wikipedia schreibt „die erfolgreichste“ – Kinderbuchfigur handelt – „eine Art Papagei-Mensch“ (Wikipedia). Sie, staatenlose Privatschauspielerin, ergriffen von seiner Performance zittert ihrem eigenen Auftritt entgegen. Von dem er sich sehr berührt zeigt.
Und dann spielen Martina Momo Kunz und Benjamin Spinnler – unterstützt von Live-Musik mit unterschiedlichsten Blech-Blasinstrumenten durch von und mit Victor Hege einen Mix aus Anklängen aus der Wirklichkeit mit fantasievollem Re-enactment. Fotos projiziert via Overhead-Projektoren, was einen Retro-Charme versprüht, zeigen u.a. Reisen in die Mongolei und nach Bolivien, Videos zeugen von echten Auftritten der Stücke „Highlight“ und „Ygdrasil“, die sie auf der Bühne wiederum sehr schräg, fast persiflierend inszenieren.
Krasse, beängstigende Brüche stellen sich ein, wenn das Duo über die eigene Beziehung spielt – von überkommenen Geschlechterklischeerollen bis zu Gewalt, unterschiedlichste, ja gegensätzliche Erwartungen in Sachen Kinderwunsch usw. kommen dabei heftigst ins Spiel. Und zeigen, dass selbst im 21. Jahrhundert und unter ach so aufgeschlossenen und offenen Menschen uralte Beziehungsmuster noch lange nicht überwunden sind.
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Eine lange, schmale Papierbahn bildet die Spielfläche für Shirin Farshbaf bei ihrer Performance „Metaphor“. Laaaange liegt sie am einen Ende auf dem Rücken, den Kopf und ihre Haare in einer flachen, großen Schale mit Wasser. Am anderen Ende des Weges ein Blumenstock. In Suuuuper-Zeilupe dreht sich die Tanz- und Performance-Künstlerin um die eigene Achse, füllt den Mund mit Wasser, dreht den Kopf in Richtung Blumentopf, schlängelt sich und kriecht genau dort hin. Eeeeeewig lang dauert ihre „Reise“. Es könnten Anklänge an ihren Weg aus dem Iran nach Österreich sein. Es könnte auch die nach Wasser dürstende Pflanze sein, die endlich ein bisschen vom kostbaren Nass abbekommt.
Auch sehr bewegend die Performance von Dejan Klement. Er nur in Unterhose auf einem Sessel, grelles Licht. Fast wie in einer argen (filmischen) Verhör-Szene. Hinter ihm kauert ein Kollege. Zu Sätzen – in englischer Sprache – wie „du bist frei, sein zu dürfen, wer du willst“, „ich möchte, dass du glücklich bist“, „so wie du bist, bist du perfekt“… kommt mal schneller dann mit mehr Abstand ein „but“ (aber) und der nächste Strumpf über den Kopf gezogen. Immer schwerer und mühsamer wird das Atmen – „so wie die passiv-aggressiven Aussagen LGBTQIA* Personen im wirklichen Leben das Atmen erschweren“ wollte/will der Künstler damit aufzeigen.
Dritter Abend des Skin #4-Festivals im Dschungel Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum, das sich insgesamt – noch konzentrierter und in dem Fall im oberen Alterssegmente (Jugendliche und junge Erwachsene) – der Maxime Gleichberechtigung aller Menschen in ihrer Vielfalt, widmet, stand vor allem im Zeichen von Queerness.
Die recht junge Film-Doku „Rebel Dykes“ (aus 2021) spannt einen historischen Bogen, vor allem zur kämpferischen, feministischen Lesbenszene der 1980er und 90-er Jahre in und um London. (Regie: Siân A Williams und Harri Shanahan). Mit – teils recht verwackelten – Orioginalaufnahmen, rückblickenden und reflektierenden Interviews sowie Animations-Szenenl, untermalt von prominentem Sound-Track von Bands wie The Petticoats, Sister George, Poison Girls, The Brendas, Well Oiled Sisters, The Sleeze Sisters, Sluts from Outer Space, Amy and the Angels, Mouth Almighty oder den Gymslips, werden nicht zuletzt Protestaktionen geschildert, die (zu) wenig bekannt sind wie eine kurzzeitige Besetzung des renommierten Senders BBC oder eine Abseil-Aktion im Oberhaus des britischen Parlaments House of Lords).
Ausgehend und anschließend an den Film im kleineren Saal des Theaterhauses diskutierten
Lena Jäger ( Projektleitung Frauen*Volksbegehren), Tino Dungl (offene Kinder- und Jugendarbeit), Nathalie Rettenbacher (Queerfeministin, Comedian) und Paul*A Helfritzsch (Philosoph*in) mit dem Publikum nicht zuletzt über die gesellschaftlichen Rückschritte in Sachen Gleichberechtigung aller Menschen. Kinder oder Jugendliche hätten noch immer nicht überall in Österreich die Möglichkeit sich zu outen, wenn sie nicht herr-schenden Normen entsprechen. Dafür brauche es mehr erreichbare Anlaufstellen und Beratungseinrichtungen. Vor allem aber müsste Vielfalt und Diversität anerkannt und akzeptiert werden – so der Tenor. Und dazu braucht es noch etlicher Kämpfe, wie auch der zuvor gesehene Film zeige.
Es sollten/dürften Streits um Begrifflichkeiten nicht überhand nehmen, sondern die gemeinsamen Ziele in den Vordergrund gerückt werden – war eine weitere Quintessenz der Diskussion.
Wieviel und welchen Anklang Vielfalt bei vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen findet, bewies übrigens anschließend Drag_Lab. Das vor zwei Jahren von Metamorkid und Dopa Mania ins Leben gerufene Format der Open Stage (offene Bühne) für Menschen, sich selbst vor Publikum in einer kurzen Performance zu präsentieren so wie sie wollen, sprengte nicht nur fast den Rahmen des großen Saals im Dschungel Wien. Knallvoll – nicht nur die Publikumsreihen, viele Zuschauer:innen bevölkerten selbst die seitlichen Bühnenränder. Und enthusiastischer Applaus – nicht nur nach den Auftritten, oft auch dazwischen und Kreisch-Alarm wie er sonst nur von Pop-Konzerten bekannt ist. Die Hütte drohte immer wieder fast zu Platzen angesichts der Freude über die Diversität der Performances/Performer:innen*.
Fotos, Animationen, Objekte aus geflochtenen Haaren, TikTok-Videos, gefilmte Performances bearbeitet mit Computerprogrammen, Schrift-Installationen – alles rund ums Thema menschlicher Körper. Die Ausstellung „Body was made“ (Körper werden gemacht) im Foyer von Dschungel Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum im MuseumsQuartier, sowie in den Studioräumen vor der Bühne 3 begleitet das aktuelle Festival Skin #4. Wie auch die drei vorangegangen Ausgaben drehen sich Theater, Tanz, Performance, Diskussionen und nicht zuletzt die Ausstellung rund um Diversität, Geschlecht (Sex /Gender), Feminismus, Queerness… – kuratiert von Justina Špeirokaitė und Ale Zapata der Diversität fördernden Initiative „Question Me & Answer“.
So auch die Objekte unterschiedlichster Formen bildender Kunst. In Fotos von Gemälden aus dem Kunsthistorischen Museum Wien sind zentrale Figuren durch Fotos von Sarah Tasha Hauber ersetzt. Im Vorjahr durfte sie ein Monat lang den TikTok-Kanal des Museums übernehmen (takeover), um so für Irritationen eingelernter Betrachtungen klassischer Gemälde zu sorgen.
.:.::.Sisi.:.::.. bespielt eine ganze Wand mit der Projektion eines via Computer-Software sich verändernden menschlichen Körpers. Die Künstler:in * arbeitete mit einer auf Künstlicher Intelligenz basierenden Software will in einem Forschungsprojekt den Einfluss von Bilderkennungssystemen von Instagram-Fotos auf die ungleichgewichtige Repräsentation von Menschen untersuchen.
Wie ein reines Naturfoto wirkt eines der großformatigen Bilder Ciwan Veysel – bis sich bei längerer Betrachtung herausstellt, dass da ein nacktes Hinterteil im Wasser – und dessen Sonnenlichtbrechungen und -spiegelungen – fotografiert wurde. „Mir ist es um die Akzeptanz eines queeren Körpers gegangen. Sehr viele Jahre hatte ich Schwierigkeiten und Probleme, bis ich Frieden damit schließen konnte, wie ich bin. Und das wollte ich in Fotos festhalten.“ Mit der Verbindung des Wasserlaufs im einen sowie des Gesichts und Oberkörpers zwischen Büschen am zweiten Foto stellte der Künstler das auch sozusagen in einen natürlichen Rahmen.
Bewegungen! Und was für welche! Beinahe unglaubliches Bewegungstheater zeigten zwei Produktionen nach der offiziellen Eröffnung der vierten Ausgabe des Skin-Festivals im Dschungel Wien.
Gleich nach Eröffnung der Ausstellung – die noch bis zum Ende des Festivals (18. März 2023) läuft – sowie Reden, u.a. der Schweizerischen Botschafterin, legten Fa-Hsuan Chen, Martina De Dominicis, Tanja Marín Friðjónsdóttir und Susanne Schneider mit ihrem Stück „Vis Motrix“ (Latein, übersetzt: treibende Kraft). Das heißt lange Zeit bewegten sie sich nicht viel. Klitzkleineste, fast unmerklich hoben sie die eine oder andere Körperpartie vom Tanzboden ab, auf die sie lagen. Um dann in den Vierfüßler-Stand zu gehen – allerdings rücklings.
Ihre Fortbewegungen erinnern an Roboter, die einer Art vierbeinigem Tier nachgebildet sind – ein Mix aus menschlichen und mechanisch-maschinellen Abläufen. So eroberten sie – oft synchron, dann wieder gegenläufig, die gesamte Tanzfläche (Choreografie: Rafaële Giovanola). Lange, als müssten sie gegen vom Boden ausgehende Widerstände sich in Bewegung setzen, dann diese Energie nutzend kreuz und quer fast zu rasen.
Die meisten Szenen der rund 40-minütigen Performance tanzte das Quartett immer mit beiden Armen und Beinen im Bodenkontakt. Erst in den letzten Minuten versuchten sie sich in aufrechte Position zu begeben, um das kurzzeitige Aufbäumen ebenso rasch zu beenden und wieder in den extrem unbequemen „Vier-Füßler“-Stand zu gehen und so bis zu Ende zu tanzen und das zu erzeugen, was die Gruppe CocoonDance (Deutschland) im Programmzettel „Bilder einer posthumanen Zukunft“ nennt.
Ein paar Cans stehen einsam auf dem weißen Tanzboden. Von oben hängen einige Mikrophone. Dann kommt sie, erobert den Raum – und das Publikum: Tamara Gvozdenović, schnappt sich die erste Dose und sprüht (mit Kreide-Spray) einen schwarzen Pfeil zu einer der Zuschauer:innen, die u-förmig angeordnet vor den Wänden sitzen. „Against Richard III., Michelangelo, Sigmund Freud, Vanille-Eis, Bubble-Tea, Muppet Shows und Rotkäppchen…”
Gegen alle, alles, jede und jeden – berühmte Persönlichkeiten, Gruppen von Menschen, Gewohnheiten, Dinge. Es fällt dir kaum etwas oder wer ein, gegen die/den/das die Tänzerin in unglaublicher Körperbeherrschung den Raum durchrasend, tanzend, mitunter auch langsam auftritt, ankämpft, auf den Boden sprayt, sich selbst besprüht (Choreografie: Tabea Martin).
Im letzten Viertel ihrer rund ¾-stündigen Performance sprayt sie ein großes rotes NO auf den Boden, dann „Time“ (Zeit) – um dem No ein W anzufügen und dazwischen „it is“ worauf wir den Spruch lesen können: Jetzt ist es Zeit. Also ist „morgen“ doch nicht „abgesagt“, wie der Stücktitel „Demain est annulé“ nahelegen würde.
Oder doch? Gegen Ende des Stücks schwemmt die Tänzerin, die immer wieder auch fast Beatboxend die von der Decke hängenden Mikrophone be-spricht, -schreit, mit Hilfe eines langen Wasserschlauchs so manches von dem weg, das sie zuvor auf den Boden gesprayt hatte. Und duscht sich komplett, sodass ihr Gewand waschelnass ist – wie auch ein Teil des Tanzbodens, auf dem sie dennoch nach wie vor die Balance meisterinnenhaft hält – selbst den widrigen Verhältnissen zum Trotz, die sie selber geschaffen hat.
Widerstand für ein mögliches Morgen ist also doch möglich. Es bedarf allerdings einiger Anstrengungen 😉
„Riot im Oikos“ (Aufstand im Haus(halt) ist die erste der Performances beim aktuell laufenden vierten Skin-Festival im Theaterhaus für junges Publikum im Wiener MuseumsQuartier, dem Dschungel Wien. Sieben Künstlerinnen laden ein auf eine kompakte, performative Zeitreise durch rund 2500 Jahre Kampf von Frauen* gegen ihre Unterdrückung – und damit aber auch für allgemeine Menschenrechte und immer wieder auch gegen Krieg(e).
Die Bühne „wächst“ sich auch auf die Publikums-Tribünen im Saal 3 des Theaterhauses aus (Bühne: Caro Wiltschek). Hier stehen viele Bäumchen, Kräuter und andere Pflanzen in Blumentöpfen. Zentral auf der Bühne eine Art Gewächshaus – als Symbol für ein enges Häuschen in das Frauen oft gesperrt, reduziert werden. Das dann ganz unironisch oftmals noch als ihr „Reich“ bezeichnet wird. Noch sind die meisten drinnen. Davor beginnt Anna Gaberscik in der Rolle einer antiken griechischen Magd – und später durchgängige zeitreisende Erzählerin – die Anekdote vom berühmten Philosophen Thales von Milet zum Besten zu geben. Er hatte seinen Blick in den Himmel auf die Sterne gerichtet und sei angeblich dabei gestolpert und in einen Brunnen gefallen. Männer hätten sozusagen den Blick fürs Große, aber nicht für das Naheliegende, das Leben.
Dass Frauen aber sich nicht nur ins Haus oder den Garten drängen ließen und ebenso sich mit großen Gedanken beschäftigten, auch wenn viel zu viele dieser nicht so bekannt werden durften/wurden – diese Bildungslücken schließen die Genannte sowie ihre Kolleginnen Guadelupe Aldrete, Shahrzad Nazarpour, Berenice Pahl und Julischka Stengele, die in Rollen von Kämpferinnen der Epochen Antike, Mittelalter, erster feministischer Welle (um 1900), zweiter Welle (ausgehend von den 68er:innen) schlüpfen: Ninon de l’Enclose/ Sojourner Truth/ Marcela Lagarde/ Lysistrate; Myrina/ Nawal El Saadawi/ Jane Austen/ Chadidscha bint Chuwailid, Aspasia von Milet/ Betty Friedan/ Olympe de Gouges/ Emmeline Pankhurst sowie Katharina die Große/ Sappho/ Simone de Beauvoir/ Clara Zetkin. Mal von der Bühne rund um das Häuserl, dann wieder in verschiedenen Ecken des gesamten Raumes – an vier Stellen gleichzeitig für jeweils kleine Publikumsgruppen, zu denen die Zuschauer:innen per Farbpunkt zu Beginn eingeteilt werden (nicht wie im Programmheft nach eigener Wahl; auch das dort angekündigte Eingreifen ins Geschehen findet nicht statt).
Xéna N.C., queere Rapperin und Olivia Jacques, die gemeinsam mit Berenice Pahl (von ihr stammt auch das Konzept) Regie führte, leiten die jeweiligen Epochen und zentralen Themen rappend und singend ein. Nicht nur dadurch lockert sich die Geschichtsstunde in Sachen Feminismus auf. Immer wieder sorgen die Performerinnen auch durch ihr Spiel, durch ihre Art der Vermittlung der Anliegen auch für humorvolle, ironische Elemente. Nicht zufällig nennt das Regie-Duo die eigene Gruppe „love2laugh“ (Liebe zu lachen).
Wenn‘s zur Gegenwart kommt, lösen sich die Rollen auf und das Kollektiv der sieben Performer:innen nennt zumindest schlagwortartig noch weniger bekannte feministisch Kämpferinnen in Lateinamerika, China, Indien – allerdings nicht in Afrika. Und es werden auch Differenzen aus dem feministischen Diskurs angesprochen. Als die Sprache auf die aktuellen Proteste im Iran kommt, fällt bald die Bewunderung dafür, dass Frauen Kopftücher abnehmen und verbrennen. Bis dies als doch sehr weißer, westlicher Standpunkt demaskiert wird. Die im Iran aufgewachsene Shahrzad Nazarpour weist darauf hin, dass es in Wahrheit um die Frage der Selbstbestimmung gehe. Frauen, die sich wohler fühlen mit Hijab oder ihn aus religiöser Überzeugung tragen wollen, sollen das auch tun dürfen, ohne von anderen Frauen dafür gescholten zu werden. Und dieses kurze Statement führte zu kräftigem, spontanem Beifall der mit Schüler:innen vollbesetzten Vorstellung, die Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… besuchte – am Vormittag des 8. März, des feministischen Kampftages, wie er in jüngster Vergangenheit öfter auch bezeichnet wird, weil „Frauentag“ A) häufig schon zum Marketingtool von Supermärkten und anderen Unternehmen benutzt wird. Und B) Der Stern hinter „Frauen*“ bewusst gewählt wurde, weil zwar schon Simone de Beauvoir geschrieben „man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, aber in der aktuellen Diskussion sich unter die vom Patriarchat Unterdrückten auch „Flinta*“ einreihen (Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-Binäre, Transgender, Agender – und auch da nochmals ein Stern für all jene die sich unter keinem der in den Buchstaben genannten Gruppen wiederfinden).
Am Ende stand der skandierte Spruch „No means No!“ – Nein heißt Nein – als deutlicher Sager gegen (sexuelle) Übergriffe. Und ein „Yes to togetherness!“ (Ja zu Zusammengehörigkeit).
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