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Szenenfoto aus "SagdochmalLuca"

Eine gebrochene Nase und viele Wahrheiten

Schon der erste Blick auf die Bühne (Imelda Kuntner) vermittelt, worum es im Stück „SagdochmalLuca“ geht: Da ist einiges durcheinander geraten. Zwei der Spinde in Schieflage. Links und rechts von mehreren Tribünen-Ebenen.

Ein Schrei

Luca, so heißt es, hat in der Garderobe der Turnhalle Luis mit einer Eisenstange die Nase gebrochen. Die beiden sind seit ewig freundschaftlich eng verbunden. Was wirklich passiert ist, hat niemand gesehen. Nur Luis’s Schrei war zu hören und danach zu sehen, wie Luca fürsorglich, fast zärtlich Blut aus Luis Gesicht gewischt hat. Schon als klar war, dass der Krankenwagen kommt, war Luca weg.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „SagdochmalLuca“

Dramapreis

Zehn (sehr) junge Schauspieler:innen, die meisten aus dem „Stall“ des Grazer Jugendtheaters taO! – Theater am Ortweinplatz, spielen dieses Stück, mit dem Lena Gorelik im Vorjahr den Retzhofer Dramapreis in der Kategorie „für junges Publikum“ gewonnen hat. Außer Luca (Ennio Resnik), Luis (Marlon Zaar) und Alessia (Ronja Abl), die mit beiden befreundet ist, haben die anderen sieben Spieler:innen keine Rollen-Namen. Immer wieder tritt die eine oder der andere in den Vordergrund – oder drängt sich ins Rampenlicht, um das Geschehene aus ihrer oder seiner Sicht zu erzählen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „SagdochmalLuca“

Viele verschiedene Sichtweisen

Und sie agieren dabei auch sozusagen als Regisseur:innen der jeweiligen Szene. In unterschiedlicher Art und Weise bitten sie die Mitschüler:innen – oder ordnen diesen an, wie und wo sie sich platzieren sollen, um den jeweiligen Ablauf durchzuspielen. Nicht nur den unmittelbar rund um den Nasen-Bruch, sondern auch von einem früheren Ausflug oder einer Party. Immer steht im Zentrum das Verhältnis von Luis und Luca – übrigens einer non-binären Figur. Was immer wieder zu Korrekturen von Kolleg:innen führt, wenn wer er oder ihn, also damit falsche Pronomen verwendet.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „SagdochmalLuca“

Immer anders

Aber welche Szene auch immer rekapituliert wird – stets fällt irgendeiner oder -einem auf – hoppla, du warst doch gar nicht dabei. Bist erst später dazugekommen. Naja, ganz so war das nicht. Luca und Luis sind doch eng befreundet, Luca kenne gar keine Aggression. Was Luca selbst in einer Situation aber Lügen straft. Und dann wiederum doch nicht, oder schon, oder…?

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „SagdochmalLuca“

Allgegenwärtig

Das spannende an dem gut gebauten Stück selbst – und der Inszenierung (Regie: Manfred Weissensteiner – taO!; Dramaturgie: Dagmar Stehring – Next Liberty) – ist eben dieses ständige Infrage-Stellen, was da nun wirklich passiert ist, oder viel mehr sein könnte – denn letztlich wird das echte Geschehen nie aufgeklärt. Wer hat was (nicht) gesehen? Mit fast jeder neuen Schilderung kann sich die Perspektive verändern … – Losgelöst von dem Ausgangs-Wickel im Stück steht „SagdochmalLuca“ so krass dafür, wie und was sich gerade in aufgeheizten Konflikten – potenziert durch Social-Media-Kommentare – abspielt – und dass es vielleicht nicht das Schlechteste wäre, nicht die erste oder lauteste Schilderung für bare Münze zu nehmen, sondern viele Seiten zu hören/sehen und zu hinterfragen – wer hat welche Wahrnehmung… Und könnte vielleicht das eine oder andere nicht den schon im eigenen Kopf vorgefassten Meinungen widersprechen?

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Compliance-Hinweis: Das Dramatiker:innen-Festival in Graz hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… zur Berichterstattung eingeladen.

Zwei der hier beschriebenen Kurz-Versionen sind beim Festival am Freitagvormittag im taO! zu sehen

Szenenfoto aus "Erwachsenenbeschiompfung" im TaO! - Theater am Ortweinplatz (Graz)

So, jetzt wisst ihr, was Jugendliche nervt…

„Ihr werdet heute Abend beschimpft werden…“ – so lautet der erste Satz, den die vier Schauspielerinnen dem Publikum entgegenschleudern. Na, das gerade nicht, sondern eher entgegen-sagen. Und nicht dem ganzen Publikum, sondern nur einer Hälfte der Zuschauer:innen – den Erwachsenen bzw. jenen, die vom jungen Theaterquartett zu solchen eingeteilt werden oder die sich als solche sehen/lesen. Und ja – die Leser:innen bei denen nun der Gedanke an das berühmte Theaterstück namens „Publikumsbeschimpfung“ auftaucht, haben Recht. „Erwachsenenbeschimpfung“ im Grazer taO! (Theater am Ortweinplatz) mit vier jungen – aus den Theaterwerkstätten kommenden – Schauspielerinnen (Franka Jauk, Emma Moser, Elena Trantow, Felicia Sobotka) ist davon mehr als inspiriert. Auch die Struktur und Eigenheit des Stücks, das damals für einen Skandal gesorgt hatte, wurde von Regisseur Simon Windisch, der gemeinsam mit dem Ensemble den Text entwickelte, übernommen.

Szenenfoto aus

Meta-Ebene

Übrigens: Obwohl im Titel und im ersten Satz, im Prinzip wurde im Original (1966, damals war der spätere Literaturnobelpreisträger 24 Jahre) und wird im eineinhalb-stündigen aktuellen Stück nicht wirklich beschimpft. Der Skandal ergab sich vielmehr aus der Form, dass nicht eine Geschichte mit Figuren erzählt wird. Neben fundierter, grundsätzlicher Kritik „wenn ihr über die Zukunft sprecht, meint ihr immer die Vergangenheit“ – praktisch ohne Schimpfworte, eher immer wieder einmal mit Irritationen, wird viel über diese nicht-klassische Form des Theaters – und übers Sprechen selber – gesprochen.

Szenenfoto aus

Aneinander vorbei

Und im Fall der „Erwachsenenbeschimpfung“ über die Nicht-Kommunikation zwischen den Generationen, das mangelnde Verständnis der Erwachsenen für Kinder und vor allem Jugendliche – nicht zuhören, aneinander vorbeireden, in vorgegebene, eigene Richtungen zu drängen versuchen…

Szenenfoto aus

Backstage auf einer Bühnenhälfte

Jetzt gibt es aber nicht nur erwachsene Zuschauer:innen – und oben war die Rede, pardon Schreibe von der Publikumshälfte. Was hat es damit auf sich?

Der Theaterraum ist geteilt, getrennt durch einen Gaze-Vorhang, der – je nach Beleuchtung – Durchsicht auf die andere Seite erlaubt bzw. verhindert (Bühne und Ausstattung: Rosa Wallbrecher). Die Jugendlichen sitzen sozusagen Backstage. Über Monitore sehen sie das Bühnengeschehen aus der Sicht der Oldies. Dort ziehen sich aber auch die vier Schauspielerinnen manches Mal um.

Hin und wieder bleibt die eine oder andere des Quartetts länger auf dieser Seite und gibt sozusagen Regie-Anweisungen an die Jugendlichen – wie sie auf die (chorischen) Monologe so reagieren sollten/könnten, wenn das Licht für die Erwachsenen die Durchsicht erlaubt. Von fadisiert bis Daumen hoch – was aber nicht die Performance der Schauspielerinnen kommentiert, sondern sozusagen die Erwachsenen in dem was ihnen gerade eben vorgehalten wurde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Erwachsenenbeschiompfung“ im TaO! – Theater am Ortweinplatz (Graz)

Denn ja, die (Vor-)vor-Generationen werden nicht nur kritisiert, sondern auch gelobt, etwa dafür, dass sie auf FCKW verzichtet haben, womit das Ozonloch sich wieder schließen konnte, oder dass sie Zwentendorf verhinderten – da wäre vielleicht das Wort Atomkraftwerk nicht schlecht gewesen, weil viele Jugendliche vielleicht mit dem Ortsnamen allein nicht so viel anfangen können. Und neben Bruno Kreisky, Ernst Jandl und Gorbatschow wäre vielleicht doch auch noch ein Dank an die eine oder andere Frau – wenn schon Anleihe bei Peter Handke hätte sich da die ebenfalls österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek angeboten. Oder war’s Absicht, um subtil männlich dominierte Geschichtserzählung zu kritisieren?

Doch ein paar Schauspiel-Szenen

Hin und wieder wird die gesprochene Textfläche durchbrochen – zum einen durch Emma Moser, die ihre Harfe heranschleppt und Songs – etwa „Wind of Change“ spielt oder – mit eigenem Text „Good old Hollywood is dying“ (Musik: Robert Lepenik und Ensemble). Bei Letzterem wechseln die vier die meiste Zeit in grauen Anzügen deklamierenden jungen Schauspielerinnen in weiße Anzüge. Elena Trantow wechselt gegen Ende flott hintereinander Kostüme und Altersdarstellungen – „sweet 16“, 21 sowie „very, very old“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Erwachsenenbeschiompfung“ im TaO! – Theater am Ortweinplatz (Graz)

Vorurteile zerlegen

Und sie zählen Vorurteile Erwachsener gegenüber Jugendlichen auf und nehmen diese auseinander, am wirkungsvollsten in einer der wenigen wirklich schauspielerischen Szenen, in der sie – vor der jugendlichen Publikumshälfte einen heftigen Streit spielen, den die Erwachsenen auf der anderen Seite des Vorhangs nicht sehen, sondern nur hören. Um dann in einer Art „Ätsch“ auf den Kopf zuzusagen, genau, das glaubt ihr von uns, aber nur gespielt!

Und dieses Aha-Erlebnis könnte auch für die anderen angesprochenen vielfältigen Themen gelten. Vielleicht? Hoffentlich 😉  Zumindest wurde/wird viel und dicht angesprochen, was Jugendliche bewegt und an Eltern, Lehrer:innen und anderen Erwachsenen nervt.

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