Podiumsdiskussion, Musik und Märchen zum internationalen Roma-Tag im Wiener Porgy & Bess + Bonus-Konzert am 9. April 2023.
30 Jahre Anerkennung als Volksgruppe – das stand als Motto über der von „Voice of Diverstity“ (Stimme der Vielfalt) organisierten Veranstaltung zum internationalen Roma-Tag im Wiener Porgy & Bess; und wird über vielen Aktionen und Events in diesem Jahr stehen. Diese Anerkennung ist ein Erfolgserlebnis der Roma und Sinti in Österreich, die noch immer gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus kämpfen (müssen) – übrigens auch weiter darum, dass der Völkermord der Nazis an dieser Volksgruppe öffentlich gut sichtbar wird.
Da und dort Gedenktafeln an einstigen Zwangsarbeitslagern gibt es, aber seit Jahren wird – auch von so manch politisch Verantwortlich (Gewesenen) die Forderung nach einem zentralen Mahnmal für die Opfer des „Porajmos“ – das Romanes-Pendants zur Shoah an Jüd:innen – in Wien, nicht und nicht umgesetzt. Und es geht auch darum, neben dem Leid und der Verfolgung, die Leistungen, Kunst und Kultur einer breiteren Öffentlichkeit sicht- und hörbar zu machen.
Das waren unter anderem Elemente in einer Podiumsdiskussion zum 8. April 2023, an dem sich heuer zum 52. Mal die erste internationale Roma-Konferenz (in London) jährte. Übrigens beschlossen die knapp zwei Dutzend Delegierten damals schon die Ablehnung des Z-Wortes bzw. seines englischen Pendants Gipsy! Eine gemeinsame Hymne und Flagge dieser vielleicht internationalsten Volksgruppe wurden 1971 ebenfalls beschlossen – mehr siehe Info-Box.
Wie wenig – verbreitetes – Wissen es um Roma, Sinti, Lovara, Jenische usw. gab, illustrierte in der schon genannten Podiumsdiskussion – geleitet von Doron Rabinovici – beispielsweise Ursula Hemetek, langjährige Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie. Als sie das erste Mal in ihren Anfängen Ruža Nikolić-Lakatos singen hörte, begann sie an der Uni für Musik und darstellende Kunst am Institut nach Roma-Musik zu suchen und stöbern und fand lediglich ein paar Schallplatten aus Ungarn mit klassischer Z-Musik. Erst im privaten Archiv des Sprachwissenschafters Mozes Heinschink wurde sie fündig. Grundstein für ihre weiteren Forschungen.
Nicht viel anders war es Dieter Halwachs, Soziolinguist und langjähriger Leiter des Forschungsbereichs Plurilingualismus an der Grazer Uni beim Erforschen der Sprache Romanes ergangen. Selbst aus dem Südburgenland stammend und seine Herkunftssprache Hianzisch kaum beherrschend, schickte ihn sein Chef „ins Feld, zu den Leuten, um deren Sprache zu erforschen“.
Erika Thurner, langjährige Politik-Wissenschaftsprofessorin an der Uni Innsbruck, fasste den Prozess zusammen bis es 1993 zur Anerkennung der Roma und Sinti als sechste Volksgruppe in Österreich kam. Emmerich, genannt Charly, Gärtner-Horvath, war damals schon als Aktivist in einem der Roma-Vereine tätig und ist Vorsitzender des Volksgruppenbeirates. Die Vereinsstruktur sei damals auch wichtig für die Anerkennung gewesen, berichtete er. Politologin Mirjam Karoly, die mit einer Arbeit über den Anerkennungsprozess diplomierte, brachte u.a. in die Diskussion ein, dass die Europäische Union eine Roma-Strategie zur Inklusion entwickelt habe, wo Österreich sich mehr als ein wenig um die Umsetzung drücke.
Zwar wäre es heute, 30 Jahre nach der Anerkennung als österreichische Volksgruppe vielleicht nicht mehr so wie damals als in einem ORF-Beitrag Menschen nach Roma gefragt, nur mit „italienischer Name für Rom, oder Menschen, die in Wäldern leben“ geantwortet haben. Viel mehr als Musik falle vielen aber auch nicht ein. Leider gelte vielfach noch immer Ceija Stojkas Buchtitel (aus 1988!): „Wir leben im Verborgenen“.
Diese und andere Veranstaltungen in diesem 30-Jahr-Jubiläum wollen mit dazu beitragen, noch mehr aus dem Verborgenen herauszutreten. Übrigens feierte die HÖR – Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja, Sinti und Sintizze an diesem 8. April ihren ersten Geburtstag. Der erste Jugendverein dieser Volksgruppe trägt zu einem sehr selbstbewussten Auftreten bei.
Übrigens: Natürlich durfte Musik bei dieser Veranstaltung nicht fehlen, wenngleich sie den Roma, wie alle betonten, „nicht im Blut liege“. Aber Gitarren“gott“ Harri Stojka und Band – Geri Schuller (Keyboard, Klavier), Peter Strutzenberger (Kontrabass), Sigi Meier (Schlagzeug), Andi Steirer (Percussion) – sowie die Sängerinnen Patrizia Ferrara und als Gastsängerin kurz zuvor dazugestoßen Mariia Tarnavska, sowie am Ende auch Sissi Stojka – spielten auf und rissen das mehr als volle Porgy & Bess mit heftig-kräftigen, teils tanzbarem Roma-Jazz ebenso mit wie sie mit bluesigen Nummern tief berührten.
Dazwischen ließ die Schauspielerin Konstanze Breitebner, die den erkrankten Michael Köhlmeier vertrat, drei Roma-Märchen lebendig werden, allerdings recht heftige, arge, teils blutrünstige Märchen ganz ohne Happy End – die übrigens nicht typisch für Märchen dieser Volksgruppe sind.
In diesem Jahr gibt es übrigens gleich am Tag danach noch einen zweiten Abend: Alan Bartuš spielt am 9. April 2023 (ab 20.30 Uhr) ebenfalls im Porgy & Bess auf und präsentiert live seine CD „Born in Millenium“ feat. Gregory Hutchinson – mit ihm selbst am Klavier, seinem Vater Štefan Pišta Bartuš am Kontrabass und Gregory Hutchinson am Schlagzeug; übrigens Video-Lievestream – siehe Info-Box.
Am 8. April 1971 beschlossen 23 Vertreter*innen aus 9 Ländern bei der ersten internationalen Roma-Konferenz in London. Dabei sprachen sein sich gegen die Bezeichnungen Gipsy bzw. Zigeuner aus und setzten dem den Begriff Roma entgegen. 1990 bei der vierten Weltkonferenz in Serock (Polen) sprachen sich die Teilnehmer:innen dafür aus, den 8. April zum internationalen Aktionstag zu machen: „Opre Roma! Erhebt euch Roma!“
Dabei beschlossen sie unter anderem eine gemeinsame Hymne: „Đelem, đelem“ bzw. „Gyelem gyelem“ und eine…
… oben: blauer Himmel, unten: grüne Erde sowie ein rotes diese beiden Flächen verbindendes Chakra bzw. Speichenrad
Alan Bartuš – Borin in Millenium; feat. Gregory Hutchinson
Klavier: Alan Bartuš
Kontrabass: Stefan „Pišta“ Bartuš
Schlagzeug: Gregory Hutchinson
9. April 2023
20.30 Uhr
porgy.at -> events/11486/
Live-Stream: porgy.at/
„Porajmos“ – das Romanes-Pendant zur Shoah an Jüd:innen – ist auch fast acht Jahrzehnte nach dem Ende der faschistischen Diktatur der Nazi fast so etwas wie ein unsichtbarer Völkermord, dem rund eine halbe Million Menschen dieser Volksgruppen zum Opfer gefallen sind.
Spät, aber immerhin im April 2015 beschloss das europäische Parlament, der 2. August sollte zum europaweiten Gedenktag werden. Anlass ist die sogenannte „Z-Nacht“, in der im Vernichtungslager Auschwitz vom 2. auf den 3. August 1944 auf einen Schlag etwa 4300 Angehörige der Roma und Sinti ermordet worden sind. In Wien wird seit 2015 auf dem Ceija-Stojka-Platz (Wien-Neubau) dieser Mordnacht und dem Völkermord gedacht, immer wieder unter dem Motto: „Dikh he na bister – Schau und vergiss nicht“.
2004 hatte das ukrainische Parlament einen Gedenktag für den Völkermord an Roma beschlossen. Heute gibt es ihn offiziell in einigen Ländern, etwa Polen, der Slowakei und sogar Ungarn, in dem Roma heftig diskriminiert werden, ist es ein amtlicher Gedenktag. Anfang Februar 2023 hat der österreichische Nationalrat einstimmig den 2. August als internationalen Gedenktag ratifiziert.