Wunderbare, humorvolle, musikalische, rhythmische Kombination aus Schau- und Puppenspiel rund um „Romeo und Julia“ beim Theaterfestival „Luaga & Losna“ in Vorarlberg.
Ein ziemlich altes Büro – noch mit Wählscheiben-Telefon – wird zum Ort, in dem die vielleicht bekannteste „Liebesgeschichte“ der Welt von einer Schau- und Puppenspielerin sowie einer Musikerin erzählt wird. Und wie! Selbst bei Zuschauer:innen, die mit einem „nicht schon wieder Romeo und Julia“ in die Vorstellung beim Festival „Luaga und Losna“ in den Nenzinger Ramschwagsaal gegangen sind, hellte sich Stimmung und Miene schon in den ersten Minuten auf.
Aus den verschiebbaren Schrankwänden des Archivs (Bühne: Maurus Leuthold) holt sie eine Kiste nach der anderen – mitunter daraus auch Puppen in Comic-Stilen – hervor. Humorvolle Distanz und Ironie zum Stoff durchzieht die 1 ¼ Stunden, räumt die Ehrfurcht, mit der oft an diese Geschichte herangegangen wird, beiseite. So erzählt die Archivarin von so „heiligen“ Gegenständen der Sammlung wie Haarbüschel Shakespeares, die er sich ausgerissen haben soll, als er beim Verfassen der Balkonszene nicht weiter kam. Außerdem beherbergt die Sammlung Bleistiftstummel – Reste jener Stifte, die DER dramatische Dichter schlechthin beim Schreiben des Stücks stets abgekaut hatte. Sie kramt aber auch Schätze hervor wie Dosen und Etuis mit Angstseufzern von Darstellerinnen der Julia vor deren jeweils erstem Auftritt sowie Aufsätze von Schüler:innen über DAS klassische Liebesdrama, u.a. mit der kürzestmöglichen Fassung eines Jugendlichen: „Love = Death“ (Liebe ist Tod) …
„Frau Linzer“, jahrzehntelange Archivarin im „Institut für anrührende Liebesgeschichten“, wirft zunächst ihre aus der Generalüberholung zurückgekommene automatisierte Kollegin Hanka Robowsky an. Sie versorgt sie mit Strom, worauf die auf ihrem Cello zu spielen beginnt. Melodien und Geräusche – passend zu den jeweiligen Stimmungen. Sowohl des Geschehens in diesem verstaubt wirkenden Büro als auch bei der häppchenweise – auch immer wieder in kleinen eingespielten animierten Filmen – erzählten klassischen Shakespear’schen Geschichte.
Die Puppen bespielen eine sehr große Bandbreite rund um die tragische Love-Story. Da ist die Figur einer alten Frau aus der Theatergruppe eines Senior:innenheims. Elisabeth setzt an: „Es war die Nachtigall und nicht die – Amsel, nein, die war es nicht, Fink …“ Die offenbar schon vorhandene Demenz lässt ihre Sätze immer frühzeitig beenden. Als Gegenpart vielleicht Yuki, die frisch-fröhlich, redegewandte goscherte Jugendliche, die den Mythos – gepackt in Jugendsprache – entzaubert: Was soll denn das für eine Liebe sein. 14 Jahre, einmal sehen, unsterblich verliebt sein, gleich heiraten??? Nach dem Motto: Was soll der Sch…
In (übersetzter) Shakespeare’scher Sprache erzählen die in animierte Filme (Video: Lars Wolfer, Sebastian Ryser) abgewanderten Puppen in mehreren zwischendurch eingestreuten Szenen wie schon oben erwähnt die Original-Geschichte, um die herum sich auch die live auf der Bühne zu erlebenden Szenen zwischen Kisten etwa „der flüchtigen Dinge“, eingeschickte Liebesbriefe usw. abspielen. Eine angeblich legendäre Julia-Darstellerin taucht aus einer solchen Kiste ebenso auf wie ein genauso berühmter Regisseur. Der zeichnet sich vor allem durch seine autoritäre kommandierende Brüllkraft aus.
Eine Art Gegenspielerin zur goscherten Yuki stellt der schüchterne „Verlierer“-Typ Sven da, ein Romeo-Darsteller einer Schultheatergruppe. Dem’s die Red‘ verschlagt, wenn Lucia, eine Mitschülerin, in die er hoffnungslos verliebt ist, auftaucht. Brief um Brief, den er nächtens schreibt, zerreißt er am Morgen. Er traut sich nicht, seiner Angebeteten die Liebe zu gestehen – spürbar nicht zuletzt, weil er die Enttäuschung nicht ertragen möchte, die er vermutet. Das lässt die Figurenspielerin zwischen den gesagten Zeilen wohl durchklingen. Übrigens jede Figur, auch wenn alle im Comic-Style, ein schon als Puppe individueller Charakter – gebaut von Johannes Eisele.
Genial switcht Frauke Jacobi, künstlerische Leiterin des Figurentheaters St. Gallen (Schweiz), das in einer Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (Deutschland) dieses Stück entwickelt hat (Regie: Sebastian Ryser), zwischen Schauspiel als Archivarin, die zwischendurch auch Sehnsucht nach Zuneigung spüren lässt und kunsthandwerklich perfekter Puppenführung samt der dazu passenden Stimm(lag)en. Die Livemusikerin Lorena Dorizzi sorgt nicht nur für die tolle Musik sowie die schier unmöglichsten Geräusche, die sie mit Hilfe von Stricknadeln und anderen Gegenständen den Saiten ihres Cellos entlockt, sondern gibt auch eine wunderbare (Fast-)Roboterin.
Vielleicht würde dieses Stück noch einen Zusatz im Titel zu „Romeo und Julia“ ganz gut vertragen können, der schon auf das Setting hinweist, das sich mit Geschichten rund um diesen Klassiker sowie generell um Theater-Hintergründe sowie Liebesgeschichten generell hindeutet – ohne natürlich so lange zu sein. Jedenfalls ist es ein höchst amüsantes, vergnügliches Stück Theater. Einziger Wermutstropfen: Auch in dieser – wie vielen anderen – Romeo-und-Julia-Inszenierungen oder Verfilmungen bleibt als Schluss: Tragischer Tod der Liebenden – und Shakespeares eigentlicher Schluss ausgespart: Versöhnung der beiden verfeindeten Familien in Verona, weil sowohl die Capulets als auch die Mantagues endlich schnallen, dass ihre Feindschaft sie beide das Leben ihrer Kinder gekostet hat. Was übrigens der vielleicht wohl bessere Kern an diesem mehr als 400 Jahre alten Stoff ist als die Liebesgeschichte selbst.
Wobei der Schluss des hier besprochenen Stücks sich gar nicht auf den Klassiker bezieht, sondern auf den schon genannten Sven. Und der ist super – sei aber nicht verraten, vielleicht hast du/haben Sie ja noch irgendwann irgendwo die Gelegenheit dieses Meisterwerk zu erleben.
Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde von Luaga & Losna zur Berichterstattung nach Nenzing eingeladen.
nach William Shakespeare
Figurentheater St. Gallen / Schweiz und Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin / Deutschland
1 ¼ Stunden; ab 12 Jahren
Regie: Sebastian Ryser
Spiel: Frauke Jacobi
Live-Musik (Cello): Lorena Dorizzi
Figuren: Johannes Eisele
Bühne: Maurus Leuthold
Video: Lars Wolfer, Sebastian Ryser
Musikalische Leitung: Stefan Suntinger
Das gesamte Programm findest du hier