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Szenenfoto aus "WIR! Eine Solo-Show" im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

Schau- und Figurenspiel rund um Demokratie

Maschinengewehrfeuer, Lärm, Krach… ein Mann hetzt vom Seiteneingang im „Zirkus des Wissens“ auf die Bühne, rennt – um sein Leben. Vergeblich. Getroffen stürzt er zu Boden. Sekunden später steht er wieder auf, ruft – scheinbar zur Regisseurin – in Wirklichkeit zum Publikum, dass dies nur die Probe für eine Szene war, die auch gar nicht die erste des Stücks sei.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

„WIR! Eine Solo-Show“ heißt dieses und trägt noch den Untertitel „Sie müssen ja nicht meiner Meinung sein…“, womit klar wird, dass es irgendwie mit Demokratie zu tun hat. Andreas Pfaffenberger, der eben ein Solo spielt, hat es gemeinsam mit Martina Winkler entwickelt. Der scheinbare Widerspruch im Titel veranlasst manche Besucher:innen, es als Majestätsplural zu interpretieren, steht doch auch von Anfang an eine Papierkrone im Zentrum eines großen Podests auf der Bühne. Könnte sein, muss aber nicht. Er selber und das ‚Stück wolle das gar nicht vorgeben, möge jede und jeder den eigenen Schluss daraus ziehen, so Pfaffenberger in einer Spezialführung vor der Vorstellung – dazu mehr in einem eigenen Beitrag, der am Ende unten verlinkt sein wird.

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Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

Schau-, Puppen- und Schattenspiel

Der Solist schlüpft in gut mehr als zwei Dutzend Rollen – als Schau-, ebenso wie als Figurenspieler und spannt einen 2500-jährigen Bogen vom antiken Athen bis zur Gegenwart. Wird Letzteres doch immer wieder als „Wiege der Demokratie“ bezeichnet.

Volks-herrschaft, doch was war mit den Frauen Griechenlands? Die ebenso wie Sklaven und „Fremde“ kein Mitspracherecht hatten.

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Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

„Das Volk“

Ein Thema, das sich übrigens immer wieder durchzieht. Wichtige Stationen der Geschichte – antikes Rom, England im 13. Jahrhundert (King John), französische Revolution, Nordamerika mit der US-Verfassung, die mit den berühmten Worten „We the People of the United States…“ (Wir, das Volk der Vereinigten Staaten… beginnt, werden durch das Bühnenspiel – mit kleinem Papier-theater, Schattenspiel ebenso lebendig wie mit großem immer wieder auch bewusst überhöhtem Schauspiel. Der Kampf um Demokratie und Mitsprache gegen Monarchie, Diktatur und neuerdings wieder zunehmende autoritäre Bestrebungen wird als nie endendes Ringen durchgängig spürbar.

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Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

Volk, aber sind das alle?

Immer wieder auch mit so manchen mehr oder minder große Lücken. Wie schon eingangs bei der Athener Demokratie angemerkt, bleiben von dieser Mitbestimmung meist mehr oder minder große Gruppen ausgeschlossen. Selbst in der französischen Revolution wurde Olympe de Gouges, Verfasserin der „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ nach einem Schauprozess ermordet.

Zum Volk der US-Verfassung zählten offenbar jene Bevölkerungsgruppen, die seit Jahrtausenden hier lebten, die Indigenen, nicht. Bürgerliche Revolution 1848, Habsburgerreich – natürlich wieder nix…, Große Rückschläge – für (fast) alle durch die (austro-)faschistische Herrschaft in den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts – noch dazu mit dem Anspruch für „das Volk“ zu herrschen.

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Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

Permanenter Kampf

Der Kampf um Demokratie ist nie zu Ende. Selbst dann, wenn wirklich alle mitsprechen dürften, gelte es wachsam zu sein und gegen das Zurückdrängen von schon Erreichtem aufzutreten. Und Demokratie ist mehr als nur einmal alle paar Jahre wählen zu dürfen, es umfasst das ständige Aushandeln und Diskutieren um die Gestaltung des Zusammenlebens. Solches steht am Ende des knapp 1 ¼-stündigen Stücks im Zirkus des Wissens an der JKU, der Johannes-Kepler-Universität in Linz, als dezidiert ausgesprochener Appell da. Fast ein bisschen zu draufgedrückt und zu wenig vertraut auf das deutliche Spiel davor. Auch im Sinne von Demokratie-Bildung könnte der Erkenntnisprozess, sozusagen die Lehre daraus, dem Publikum selbst überlassen bleiben.

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Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

Noch lange nicht alle

Ein bisschen fehlt hingegen zumindest das Antippen, dass in Österreich bei den jüngsten Wahlen im Vorjahr und den künftigen gut ein Drittel der Bevölkerung von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen ist. Oft hier geboren, zumindest aber jahr(zehnte)lang hier lebend, arbeitend, Steuer zahlend, sehen sie sich dem restriktivsten Staatsbürgerschaftsrecht gegenüber, werden mitunter über mehrere Generationen zu „Fremden“ gemacht.

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Szenenfoto aus „WIR! Eine Solo-Show“ im Zirkus des Wissens an der JKU Linz

Eurozentrismus

Außerdem schmerzt das Ausblenden eines Gutteils der Welt, bleibt reduziert auf Europa und das von Europäern eroberte Nordamerika. Dabei war Vélez in Kolumbien 1853 die erste Stadt der Welt in der Frauen wählen durften. Auf den Cookinseln in der Südsee waren 1890 vier der fünf Häuptlinge von Rarotonga Frauen. Und dort konnten Frauen auch schon vor den Neuseeländerinnen wählen, wo deren Recht 1893 – vor allen Europäerinnen Gesetz geworden ist. Was in Europa erst im darauffolgenden Jahrhundert begann, in der Schweiz beispielsweise überhaupt erst viele Jahrzehnte später (landesweit 1971, im Kanton Appenzell Innerrhoden gar erst 1990).

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Schüler:innen des Bernoulli-Gymnasiums

Mehr kleinere Tests statt Schularbeiten, mehr (Indoor-)Spielplätze, billigere Preise…

„Wir würden gern auch öffentliche Schulen haben, in denen wir eine Lehrberuf erlernen und Matura machen könnten“, berichten Schüler:innen des Bernoulli-Gymnasiums in der Donaustadt Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… bevor das jüngste Kinder- und Jugendparlament im großen Festsaal des Wiener Rathauses beginnt. „In ein paar Privatschulen gibt’s das, wieso aber in keinem öffentlichen Gymnasium?“, wundern sich die Jugendlichen einer vierten Klasse dieser AHS nahe dem Donauzentrum im 22. Bezirk. Die von ihnen auf Frage des Journalisten genannten Wunschberufe: Gärtnerei, Tischlerei, jedenfalls was Handwerkliches, einige würden gern etwas im Medizin-nahen Bereich erlernen und ein oder zwei auch im IT-Sektor.

Weiters hatten sich diese Jugendliche überlegt: „Mehr kleinere Tests zu bestimmten Themen statt der großen Schularbeiten; statt Noten nur bestanden oder nicht bestanden; Kennenlerntage am Anfang des Schuljahres, um die Klassengemeinschaft zu stärken und mindestens fünf Ausflüge pro Schuljahr.“

300 junge Abgeordnete

Mittwochvormittag diskutierten rund 300 Kinder und Jugendliche (235 Kinder, 60 Jugendliche) des aktuellen Wiener Kinder- und Jugendparlaments in mehreren Arbeitsgruppen ihnen wichtige Themen und Forderungen. Und diese werden in die neue, die mittlerweile zweite, Kinder- und Jugendstrategie 2025 bis 2030 der Stadt Wien einfließen. Das versprachen neun Stadt- und Gemeinderät:innen, die mit den jungen Delegierten gegen Ende der Arbeitsgruppen diskutierten und verkündete nicht zuletzt der (noch?) Wiener Vizebürgermeister und für Kinder, Jugend, Integration, Bildung zuständige Stadtrat (Christoph Wiederkehr, der in Medien heftig als neuer Bildungsminister gehandelt wird).

„Eure Ideen sind nicht nur wichtig, sie sind entscheidend! Ihr seid die Architekt*innen, Drehbuchautor*innen und Komponist*innen dieser Stadt. Heute geht es darum, eure Stimme zu erheben, um Wien zur kinder- und jugendfreundlichsten Stadt der Welt zu machen. Gemeinsam gestalten wir eine Zukunft, in der eure Visionen gehört werden und echte Veränderungen passieren. Denn Wien braucht euch – eure Kreativität, euren Mut und eure Entschlossenheit“, so der genannte Stadt-, vielleicht künftig Bundes-Politiker.

Öffis bis nach Niederösterreich

Zurück zu jungen Delegierten mit denen KiJuKU.at gesprochen hat: Aus dem Gymnasium Geringer Gasse (Simmering, 11. Bezirk) sowie der VBS Schönborngasse (private Handelsakademie im 8. Bezirk, Josefstadt) berichteten die vier Schülerinnen Warisha, Anna, Shivani und Nepheli, die sich für verschiedene Arbeitskreise mit Kolleg:innen schulübergreifend vorbereitet hatten:

Für die Themen Klima und Natur wollen wir mehr autofreie Zonen in der Stadt, den Ausbau von Öffis auch über die Stadtgrenze hinaus nach Niederösterreich wie es u.a. die geplante Straßenbahnlinie 72 war, die bis nach Schwechat fahren sollte. Außerdem sollen Klimaförderungen ausgebaut und nicht eingeschränkt, aber sozial gerechter gemacht werden. Und Öffis sollen nur grünen Strom, also aus erneuerbaren Energien verwenden.

Blick auf Kinderdelegierte auf den roten Sesseln im Festsaal des Wiener Rathauses
Blick auf Kinderdelegierte auf den roten Sesseln im Festsaal des Wiener Rathauses

Frauenrechte

Ganz wichtig und engagiert sprachen alle vier, auch die für andere Arbeitsgruppen, über Frauenrechte. Von Gratis-Hygieneartikeln in den Schulen bis zu mehr Forschung wie sich Medikamente und medizinische Behandlung auf Frauen auswirken. Für mehr Sicherheit für Frauen in der Stadt soll es mehr öffentliche Beleuchtung geben und vielleicht in den Öffis auch eigene Safe Spaces.

Poltische Bildung und Ethik-Unterricht

Politisch Bildung sollte ein eigenes Fach sein, war die Forderung an die Arbeitsgruppe Bildung – wo andere dem widersprachen und meinten, die Belastung für Schüler:innen wäre ohnehin schon genug, da würde ein weiteres eigenes Fach den Stress nur erhöhen. Eine andere Forderung dieses Quartetts in Sachen Bildung: Ethik als verpflichtendes Unterrichtsfach schon in der Unterstufe und dafür Religion als unverbindliche Übung – um das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen.

Gesundes statt Süßgetränke

Gesundheit war das Thema der Kinder der Offenen Volksschule Wagramer Straße, die sich für die Eröffnungsrunde aller Delegierten in den ersten beiden Reihen der mittleren Stuhlreihen platziert hatten. „Statt Süßgetränken sollte es Automatin mit gesunden Sachen geben, zum Beispiel Obst“, vertrauen diese Kinder dem Reporter an.

Mehr Grün, Spielplätze, billigere Lebensmittel

Groß und breit ist die Palette der Forderungen und Themen von Jugendlichen der Mittelschule Gundäckergasse (Favoriten, 10. Bezirk): Mehr Grün und mehr Spielplätze, Gleichberechtigung, keine Kinderarbeit und Preise für Lebensmittel sollen billiger werden.

Mehr Indoor-Spielplätze für Schlechtwetter, Spielplätze auch für ältere Kinder waren noch weitere Wünsche, die in der Eröffnungsrunde im vollbesetzten großen Festsaal des Wiener Rathauses erhoben worden sind.

Gruppenfoto einer Klasse im großen Festsaal
Gruppenfoto einer Klasse im großen Festsaal

Beteiligungsprozess

Seit einigen Jahren bringen junge Stadtbewohner:innen in regelmäßigen wienweiten Kinder- und Jugendparlamenten, aber auch in Bezirken, ihre Ideen ein – so manches davon fließt in die Arbeit der Abteilungen der Stadt Wien auch ein. Die Diskussionsergebnisse vom Mittwoch werden am 10. April im selben großen Festsaal des Wiener Rathauses vorgestellt und wie schon erwähnt Teil der nächsten Kinder- und Jugendstrategie der Stadt.

Die Teilnehmer:innen des aktuellen Wiener Kinder- und Jugendparlaments haben sich im Herbst online für die Teilnahme am Parlament angemeldet, bereiteten sich seit Dezember in zwei Sitzungen intensiv auf ihre Themen vor. Die Kinder des Kinderparlaments – Vertreter:innen von einem Kindergarten und jeweils einer Klasse bis zur 8. Schulstufe – entwickelten ihre Anliegen in jeweils drei Workshops an ihren Schulen und im Kindergarten.

Grundlage für die Themenschwerpunkte waren die Ergebnisse einer von Wienxtra beauftragten Kinder- und Jugendstudie aus dem Vorjahr.

Beim Abschlusstermin im Wiener Rathaus am 10. April 2025 werden die gesammelten, verschriftlichten Themen an die Stadtregierung übergeben und sollen in weiterer Folge in die neue Kinder- und Jugendstrategie der Stadt Wien für die Jahre 2025-2030 integriert werden.  Dieser Prozess wird von der Koordinationsstelle Junges Wien (Wienxtra und Stadt Wien) geleitet. „Mit dem Kinder- und Jugendparlament schaffen wir eine Plattform, die jungen Menschen eine echte Stimme gibt. Ihre Anliegen werden gehört und fließen direkt in die Stadtpolitik ein“, so Benjamin Schmid, Leiter der Koordinationsstelle Junges Wien bei Wienxtra.

Zusammenfassende Forderungen vom aktuellen Treffen

Um die Vielfalt der Themen aus allen Lebensbereichen der jungen Generation zu berücksichtigen, waren für die Ausschüsse Vertreter:innen aller Geschäftsgruppen der Stadtregierung anwesend und hier die Zusammenfassung aus der Rathaus-Medien-Aussendung
* Arbeit und Wirtschaft – Stadtrat Peter Hanke/ Gemeinderätin Katharina Weninger
Senkung der Lebenserhaltungskosten, bessere Bezahlung für Zivildienstleistende, sichere Arbeitsplätze für Jugendliche und vieles mehr (uvm.)
* Demokratie, Teilhabe und Inklusion – Gemeinderätin Nina Abrahamczik
Erleichterter Zugang zur Staatsbürgerschaft, Wahlen für alle, verstärkte politische Inklusion uvm.
* Frauen, LGBTQI+, Gleichberechtigung – Stadträtin Kathrin Gaál
Präventionsarbeit gegen Gewalt, Gutscheine für Menstruationsprodukte, Frauen und Behindertenquoten in Betrieben uvm.
* Gesundheit und Soziales – Stadtrat Peter Hacker
Zukunft des Gesundheitssystems sichern, einfacherer Zugang zu psychischer Hilfe, kostenlose Verpflegung für Jugendliche und bezahltes Mittagessen für Lehrlinge uvm.
* Klima, Natur und Umwelt – Stadtrat Jürgen Czernohorszky
Sozial gerechte Klimaförderungen, bessere Mülltrennung in Wohnanlagen, Erhalt der Donauinsel als frei zugänglichen Naturraum uvm.
* Öffentlicher Raum und Mobilität – Gemeinderat Jörg Neumayer
Mehr autofreie Zonen, Ausbau von Fahrradwegen, mehr Grünflächen für Sport, Ausbau von Spielstraßen uvm.
* Bildung und Schule – Gemeinderätin Dolores Bakos
Mehr Demokratiebildung an Schulen, ein eigenes Schulfach für Berufsorientierung, Stärkenförderung an Schulen, Maßnahmen gegen Leistungsdruck uvm.
* Freizeit und Kultur – Gemeinderätin Marina Hanke
Mehr Sicherheit im Internet, Ausbau von Treffpunkten für Jugendliche und Spielplatz-Angebote, zugängliche und bezahlbare Sportmöglichkeiten uvm.
* Gemeinschaft und Sicherheit – Gemeinderätin Dolores Bakos
Maßnahmen gegen Rassismus und Mobbing, bessere Beleuchtung öffentlicher Plätze für mehr Sicherheit.

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junges.wien

Gruppenfoto der (meisten) Teilnehmer - und Workshopleiter - der interkulturellen "Tandem"-Trainings

Kindererziehung ohne Stock lernen

Bund, Länder, Gemeinden, Bezirke, Kollektivvertrag, MA für Magistratsabteilungen, AMS für ArbeitsMarktService… Mahmoud schreibt die Begriffe auf eines der großen weißen Blätter auf dem Flip-Chart. Manch andere Begriffe schreibt er auch in arabischen Schriftzeichen auf Dari, einer der am weitest verbreiteten Sprachen in Afghanistan.

Rund ein Dutzend Männer, die zu unterschiedlichen Zeiten aus diesem seit Jahrzehnten kriegsgebeutelten Land geflüchtet und irgendwann irgendwie in Österreich gelandet sind, absolvieren hier den vierten und letzten Teil des „interkulturellen Tandem-Trainings“, organisiert vom Verein „Neuer Start“ in Zusammenarbeit mit VIDC (Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation) und poika (Verein zur Förderung von gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht). Etwas das als Prävention offenbar viel breiter angboten werden müsste wie jüngste Gewalteskalation gezeigt hat.

In den Räumen der Gebietsbetreuung am Floridsdorfer Schlingermarkt (Wien, 21. Bezirk) erfahren sie in diesem Teil mögliche Wege in den Arbeitsmarkt, zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten usw.

Grafik zu den interkulturellen Trainings mit dem Titel
Grafik zu den interkulturellen Trainings mit dem Titel „Tandem“ als jeweils zwei Radfahrer:innen auf je einem Fahrrad

Geschlechterrollen, Gewalt(freiheit)…

Die ersten drei Module – jeweils vier Stunden und getrennt für Frauen und Männer, um auch durchaus sehr intime Fragen vertrauensvoll besprechen zu können – befassten sich mit Geschlechter(un)gerechtigkeiten, Gesundheit – von der körperlichen über psychische bis zur sexuellen, sowie schließlich mit Familie und Gewalt(freiheit).

Klar und verständlich, dass ein Journalist nur zum vierten Teil und da nur bei den Männern Zugang bekam. Aber zwei Teilnehmer sprachen auch sehr offen mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… über die anderen Themen.

Patriarchale Gesellschaft

„Bei uns in Afghanistan passiert Kindererziehung oft mit einem Stock in der Hand. Viele in unserem Land halten das für normal. Hier haben wir erfahren, dass das nicht richtig ist und Kinder Rechte haben, auch darauf anzuziehen, was sie wollen. Und wir als Eltern sie nicht zwingen sollen, das anzuziehen, was uns selber gefällt“, schildert Reshad Saway. Der 35-jährige Wirtschaftsuni-Absolvent (in Indien, wo er auch zwölf Jahre lang gearbeitet hat) kam mit einem Visum aus Pakistan, wo er zuletzt lebte, zu seiner hier lebenden Ehefrau. „Zu Österreich hatte ich schon früh einen emotionalen Bezug, weil mein Vater vor 30 Jahren hier ein Semester Physik studiert hat.“

Er komme aber aus einer streng patriarchalen Gesellschaft „und hier muss ich viel Neues lernen – die deutsche Sprache ist nur eines, viel schwieriger sind die Unterschiede im sozialen und kulturellen Leben zu begreifen – da hat dieser Kurs sehr viel geholfen“, sagt er zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… vor allem auf Englisch, „da fühl ich mich noch wohler als auf Deutsch“.

Er wisse schon, dass auch so manche Österreicher ihre Kinder nicht gewaltfrei erziehen, „aber hier wissen wahrscheinlich die meisten, dass es nicht in Ordnung ist. Wir sind in einer Tradition aufgewachsen, wo der Stock immer noch eher normal ist.“

Ab 2016 – nach Köln

Die interkulturellen „Tandem“-Trainings hat Shokat Walizadeh, Gründer und Geschäftsführer des Vereins „Neuer Start“, gelernter Zahntechniker (Top-Lehrling in Österreich) und mittlerweile Sozialarbeiter, 2016 ins Leben gerufen – „nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternach in Köln wollten wir Menschen aus Afghanistan helfen, ihre mitgebrachten traditionellen Geschlechterbilder zu hinterfragen, um ihr Verhalten verändern zu können“. Es sei ein bisschen mühsam, immer neu um die Finanzierung solcher Workshops ansuchen zu müssen und er hoffe, dass sie im kommenden Jahr wieder angeboten werden können – je vier Einheiten zu jeweils vier Stunden getrennt für Frauen und Männer – mit dem Angebot der parallelen Kinderbetreuung.

Screnshot Homepage
Screnshot Homepage „Neuer Start“

Viele Aktivitäten

„Neuer Start“ organisiert eine Vielfalt an Aktivitäten – über Kickboxen als Sport- und Gesundheitsförderung hat KiJuKU ebenso schon berichtet wie über die großen Sport- und Kulturfeste, die weit über die eigene Community hinausreichen und eine Begegnung verschiedenster Kulturen und Ethnien sind; Anfang August steigt ein Volleyball-Turnier – siehe Info-Box.

Deutsch via YouTube

Extra aus St. Pölten reiste Abbas Alizadah zu den interkulturellen Trainings an. „Ich lerne Deutsch mit YouTube, weil ich noch keine kostenlosen Kurse in Niederösterreich bekomme. Alles Geld, das ich hatte, habe ich für die ersten Kurse bezahlt, aber jetzt hab ich kein Geld mehr dafür“, schildert der 22-Jährige, der seit eineinhalb Jahren in (Nieder-)Österreich ist.

Täglich setzt er sich vormittags und abends zu fixen Zeiten (9 bis 11 und 21 bis 23 Uhr) mit dem Handy hin, um Deutsch aus dem Internet zu lernen.

Die Workshops hier am Schlingermarkt „haben viel gebracht. Erstens hab ich neue Leute und darunter auch Freunde kennengelernt. Zweitens hab ich viel über die Unterschiede in den Kulturen unserer beiden Länder gelernt, über Vorurteile. Und wir haben hier einen vertraulichen Raum, wo wir ganz offen über alles reden können. Drittens haben wir viele Informationen über Organisationen, Einrichtungen, Vereine und Projekte bekommen.“

Besonders gefallen habe ihm, dass es einen ersten Probetermin gegeben habe, wo Interessierte sozusagen reinschnuppern konnten, ob dieses interkulturelle Training ihnen zusagen oder nicht. Ihm hat es offenbar gefallen, „und ich war immer sehr pünktlich, auch wenn ich die weiteste Anreise hatte“.

Gruppenfoto der (meisten) Teilnehmer - und Workshopleiter - der interkulturellen
Gruppenfoto der (meisten) Teilnehmer – und Workshopleiter – der interkulturellen „Tandem“-Trainings…

Dann doch…

In der Schlussrunde mit abschließenden Bemerkungen der einzelnen Teilnehmer meinte einer, der schon länger in Österreich lebt, nicht genannt und auch nicht auf einem Foto sein wollte: „Ich hab vorher schon zwei Mal Nein zu diesem Kurs gesagt, als der jetzige Durchgang begonnen hat und Shokat wieder gefragt hat, hab ich gesagt: Naja, schaust dir das einmal an. Und es waren tolle Gespräche und Diskussionen in einem offenen, vertraulichen Raum, hat mir doch einiges gebracht.“

Fortsetzungswunsch mit „Einheimischen“

Er wünsche sich eine Fortsetzung, sozusagen Aufbau-Module, „da sollten dann aber nicht nur Afghanen, sondern auch Einheimische dabei sein, um mehr kulturellen Austausch zu haben“, schlägt er vor.

In diesen vier Workshops gab es immer nur einen Österreicher als einen Teil des Leiter-Tandems, beim KiJuKU-Besuch David neben dem schon oben erwähnten Mahmoud, der Sozialarbeiter bei „Rettet das Kind“ im Bereich gewaltbereiter Jugendlicher ist. Bei den Frauen leiteten Caro und Arezu die Workshops.

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Kundgebung gegen die Einschränkung des Rechts auf Bildung für Frauen in Afghanistan

Lasst afghanische Mädchen lernen!

„Let Afghan girls learn!“ (Lasst afghanische Mädchen lernen) steht auf dem zentralen Transparent neben dem Wiener Stephansdom. Darum herum haben sich einige Dutzend Menschen im Kreis gruppiert, darunter viele aus der afghanischen Community in Wien, aber nicht nur.

Sie demonstrier(t)en für Menschen- und insbesondere Frauenrechte. Kürzlich hatten die Taliban-Machthaber verboten, dass Frauen studieren dürfen – und weitere Bildungs- und andere Einschränkungen für Mädchen stehen im Raum.

Neben der schon zitierten zentralen Losung skandierten die Demonstrant:innen immer wieder auch „Brot – Arbeit – Freiheit / Noun – Kâr – Azadi“, für Frauen- und Menschenrechte, gegen die Geschlechter-Apartheid der Taliban, die seit eineinhalb Jahren wieder das Land be-herr-schen.

15-jährige engagierte Rednerin

Dass die Austro-Afghan:innen nicht allein sind, zeigte unter anderem eine Sprecherin der Initiative SOS-Balkanroute. Besonderes Aufsehen erregte eine kurze, bewegte Rede der erst 15-jährigen Wiener Mittelschülerin Maliha Banu Mazafari. Das Bildungsverbot für Frauen könne, so wies sie darauf hin, auch gar nicht mit der Religion des Islam und deren heiligen Buch Koran begründet werden. Immerhin habe Fatima bint Muhammad al-Fihri al-Quraysh, Tochter des Propheten Mohammed, die erste Universität gegründet.

Die eloquente Redner, die übrigens in diesem Schuljahr auch am mehrsprachigen Redebewerb „SAG’S MULTI!“ teilnimmt und die erste Runde schon erfolgreich absolviert hat, möchte „nach der Schule eine Lehre absolvieren und mich später selbstständig machen“, verriet sie Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… noch ein wenig zitternd nach ihrer Rede vor den Kundgebungs-Teilnehmer:innen. Seit neun Jahren lebt sie in Österreich, woher sie aus Pakistan geflüchtet ist, nachdem die Familie schon vorher Afghanistan verlassen musste.

Neben den genannten Forderungen und Losungen waren auch viele Plakate mit #StopHazaraGenocide zu sehen, einer internationalen Kampagne gegen die doppelte Diskriminierung und Verfolgung dieser vor allem in Afghanistan beheimateten Volksgruppe.

Auf einem der Türme des Stephansdoms hängt ein Transparent mit dem Spruch
Auf einem der Türme des Stephansdoms hängt ein Transparent mit dem Spruch „My Sister“ und einem Zitat aus dem Matthäus-Evangelium

Passendes Transparent am Dom

Übrigens: Hoch über den Kundgebungsteilnehmer:innen hing an einem der Trüme ein großes Transparent mit der Aufschrift: „My Sister“ und darunter dem Zitat aus dem Mattäus-Evangelium (Mt 25/4): „Was ihr für meine geringsten Schwestern und Brüder getan habt, habt ihr mir getan.“

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