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Doppelseite aus dem Buch "Ein Zimmer für mich allein" von Frauke Angel - mit Feinheiten wie mitten im Buch Kapitel "Minus Eins"

„Wenn ich kein eigenes Zimmer krieg, zieh ich aus…“

Zwei Tage umfasst das (Tage-)Buch der Elli Lohrengel. 363 Tage und neun Jahre ist sie alt/jung als das Buch „Ein Zimmer für mich allein“ beginnt. Und am Ende nach knapp mehr als 130 Seiten feiert sie Geburtstag – das heißt sie wird gefeiert – ihr Zimmer geht über. Nein, nicht ihr eigenes, sondern jenes, das sie mit den Brüdern Otto und Willi teilen muss. Mit dem eigenen Zimmer, das sie sich zum Geburtstag wünschte und als Ultimatum stellte, wenn nicht, „dann ziehe ich aus“ wurde es nichts. Oder doch irgendwie?

Obwohl die Spannung – insgesamt und immer wieder dazwischen – auch nicht schlecht ist, geht’s darum gar nicht – zumindest in erster Linie. Die Autorin Frauke Angel schildert das ganze Buch aus der Sicht der noch Neun- und eigentlich ja fast wirklich schon Zehnjährigen. Leben in einer großen Wohnhausanlage, unterschiedlichste Typ:innen – sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen, Diversität in Bezug auf Sprachen, Herkünfte, soziale Hintergründe, aber auch (politische) Ansichten…

Kapitel Minus Eins…

Und sie lässt Elli und ihre Zwillingsfreundin Nursemin immer wieder über die Träume, Schriftstellerinnen zu werden, reden, reflektieren und das „Tagebuch“ sozusagen als erstes Werk Ellis, benannt nach der verstorbenen britischen Queen Elizabeth benannt, vor den Augen der Leser:innen entstehen. Mit vielen Tipps der vielbelesenen „Nursi“. Und so Kniffen wie mittendrin Kapitel Null, Minus Eins und sogar Minus Zwei. Mit Geschichten, die schon vorher passiert sind -anstelle von Rückblenden. Oder solchen, die Elli erlebt und noch gar nicht mit ihrer Schwester im Geiste geteilt hat. Die Mädchen sind übrigens die Checkerinnen der Story – und im offenbar riesigen Bau.

Dieses Buch ist eine äußerst kurzweilige Lektüre – mit so manchen tiefergehenden Ebenen als Einblicke in unterschiedliche Familien und Gesellschaftsschichten; Letzteres so „nebenbei“. Gemeinsam mit den beiden Mädchen erlebst du aber auch ganz schön spannende Abenteuer. Und rätselst wahrscheinlich über eine früh angedeutete geheimnisvolle Erika, die als Geburtstagsgeschenk winkt – ältere Leser:innen können sich’s wahrscheinlich bald denken 😉

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Titelseite des Buches
Titelseite des Buches „Ein Zimmer für mich allein“ von Frauke Angel
Doppelseite aus Band 1 von "Ninja Kid"

Loser wird Held

Unsportlich, uncool und noch so manch andere nicht gerade vorteilhafte Bezeichnungen findet Nelson Kane für sich selbst, schreibt die neben sein Spiegelbild und bezeichnet sich selbst als Nerd. Aber mit einem Unterton zwischen den Zeilen und in den Bildern, dass er darauf nicht gerade stolz ist.

Natürlich muss sich was ändern – gäbe es sonst ein Buch mit mehr als 180 Seiten noch dazu mit dem Titel „Ninja Kid“ und dem Untertitel „Vom Nerd zum Ninja!“? Und dies höchstwahrscheinlich als Auftakt einer Serie; im Buch selbst ist dies zwar nicht vermerkt, auf der Verlagsseite findet es sich – allerdings wie viele andere Bücher auch – gar nicht. Websites großer Buchhandelsketten kündigen das mit Manga-artigen Zeichnungen illustrierte Buch allerdings schon als Band 1 an.

Die Story setzt an jenem Tag ein, als dieser Nelson Kane gerade seinen zehnten Geburtstag feiert – und er sich darüber wundert, dass er nicht so tollpatschig wie sonst auch immer, sondern mit unglaublicher Körperbeherrschung Stürze vermeidet und doch vorkommende Ungeschicklichkeiten schon mit den nächsten Moves wieder ausbügelt.

Und so vertrauen ihm Mama und Oma an, dass er – nach dem frühzeitigen rätselhaften Verschwinden seines Vaters, des letzten Ninjas auf Erden, nun dessen Nachfolge antreten darf/kann/muss. Und das heißt: Welt retten. Allerdings müsse er da noch viel lernen und üben. Und außerdem die Tatsache möglichst geheim halten.

Doppelseite aus Band 1 von
Doppelseite aus Band 1 von „Ninja Kid“

Killerspinne

Das erste Abenteuer aber tut sich schon beim nächsten Schulausflug in den Wald auf – der Angriff einer Tyranno-Spinne. Klar, dass Nelson, da seine erste Mission bestehen muss/darf/kann. Dass – ist eh klar, das Wie sei nicht verraten.

Auf der letzten Seite manifestiert sich dann, dass es wohl weitergehen wird, heißt es dort doch: „Was zum?! Irgendwas sagte mir, dass diese Ninja-Kid-Sache noch viel verrückter werden würde als gedacht!“

„Ninja Kid“ ist ein Mix aus Manga-artigen Zeichnungen, einer abenteuerlichen Geschichte und dem Erfolgsmodell der mit wenig leicht und schnell lesbarem Text in verschieden großen Schriften und vielen Illustrationen auskommenden Tagebücher scheinbarer Loser. Mit der auch dezidiert ausgesprochenen Botschaft: „Du kannst es … versuchen beginnt im Kopf und im Herz.“

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Titelseite von Band 1 von
Titelseite von Band 1 von „Ninja Kid“

Bildmontage aus einem Foto von Preisbüchern und einem von Jurorin Katherina Braschel

„Ich mag politische Texte, die sich etwas trauen“

Katherina Braschel arbeitet als freie Schriftstellerin und Kulturveranstalterin. Sie schreibt darüber hinaus für die Literaturmagazine „Radieschen“ und „Morgenstern“ und gibt Schreib-Workshops, unter anderem im Literaturhaus Wien. Dieses Jahr war sie Teil der Jury für die Exil-Literaturpreise – Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… hat darüber bereits zwei Teile veröffentlicht – Links dazu am Ende dieses Beitrages.
Mit KiJuKU spricht in Braschel über ihr Leben als Autorin, was einen guten Text ausmacht und wieso Tagebuchschreiben nichts für sie ist. Das Interview führte Stefanie Kadlec, Schülerin im Maturajahr, die hier seit einigen Monaten Journalismus-Luft schnuppert.

KiJuKu: Wie bist du zum Schreiben gekommen, war das schon sehr früh?
Katherina Braschel: Meine Mutter hat sehr viel Wert darauf gelegt, dass ich viel lese und deswegen waren wir auch viel in Bibliotheken, wo ich dann sehr viel Zugang zu Büchern bekommen habe. In der Schule hatte ich Glück mit meinen Lehrpersonen, die mich immer unterstützt haben und auch schon in der Volksschule gesagt haben: Das ist eine tolle Kurzgeschichte. Schreib noch eine. Ich habe in der Schule auch Schreibworkshops besucht und das Schreiben ist mir immer geblieben. Eine Zeit lang war ich mehr im Theaterbereich, also in der Off-Szene, aber das Schreiben war immer da. Ich habe 2019 beschlossen, es auch hauptberuflich zu machen. Ich glaube, es war schon immer da, dadurch weil es auch immer schon meine Ausdrucksform war.

KiJuKu: Du bist in der Jury der Exil-Literaturpreise, wo du Texte lesen und aussuchen musst. Wie sucht man einen Text aus und wann ist ein Text gut?
Katherina Braschel: Eine Jury wird nach verschiedenen Qualifikationen zusammengestellt, aber man kann versuchen, es nach objektiven Kriterien zu machen. Das haben wir auch versucht und hoffentlich gut hinbekommen, aber letztlich sind es auch subjektive Kriterien. Ich fand es total spannend, so viele Texte zu lesen und unterschiedliche Zugänge zu bekommen. Wir hatten auch Texte, wo wir uns in der Jury gar nicht einig waren. Für mich ist ein Text gut, wenn er mich noch länger beschäftigt. Er muss mich irgendwie berühren, er kann mich auch wütend machen und er kann mich auch angreifen. Ich mag es auch, wenn Leute sich in ihren Texten etwas trauen, die Formen sprengen oder erweitern. Bei diesem Preis ist es ein bisschen selbstverständlich, aber ich mag auch politische Texte, die sich etwas trauen.

KiJuKu: Was hast du als Autorin schon veröffentlicht?
Katherina Braschel: Ich habe 2020 das Buch „Es fehlt viel“ in der Edition Mosaik veröffentlicht. Das war ein experimenteller Band, also die Buchhandlungen tun sich schwer es irgendwo hinzustellen und es lag meistens bei Lyrik. Es ist vielleicht auch ein bisschen eine Hilflosigkeit, ich finde es ist keine Lyrik. In dem Buch ging’s um Dokumentieren, da habe ich experimentell gearbeitet und Zitate, Mitgehörtes auf der einen Seite in den Text eingeflochten und auf der anderen Seite Beobachtungen und Reflexionen. Das klingt jetzt ein bisschen trocken, aber es ist auch schwer zu erklären. Es ist ein Text, der sich ums Dokumentieren dreht und um die Frage, wozu man eigentlich das Recht hat zu dokumentieren.

KiJuKu: Schreibst du auch Tagebuch?
Katherina Braschel: Nein, ich habe oft versucht damit anzufangen, aber ich glaube ich bin dazu nicht genug gnädig mit mir selbst. Ich habe dann permanent ein schlechtes Gewissen, wenn ich einen oder mehrere Tage auslasse. Eine Zeit lang habe ich jeden Tag in ein Notizbuch einen Satz geschrieben. Das hat gut funktioniert und das lese ich auch jetzt manchmal noch gerne durch, weil’s auch ein Satz ist und es macht Freude und das ist auch etwas, was man leicht einhalten kann.

KiJuKu: Hast du irgendeinen Lieblingssatz?
Katherina Braschel: Ein Satz, der nie unwichtig sein wird: Kein Mensch ist illegal.

Stefanie Kadlec, 18

Bildmontage aus einem Standbild des Animationsfilms und einem Bild aus der Graphic Novel "Wo ist Anne Frank"

Kitty aus Annes Tagebuch wird lebendig und eigenständig

Das Tagebuch der Anne Frank gehört zu den bekanntesten Büchern der Welt, es ist in mehr als 70 Sprachen übersetzt worden. Die Aufzeichnungen stammen von der 13- bis 15-jährigen Annelies Marie Frank. Den Großteil hat sie zwischen Juli 1942 und August 1944 geschrieben als sie mit ihrer Schwester, den Eltern und einer weiteren Familie in einer geheimen Wohnung im Hinterhaus des Büros ihres Vaters auf engstem Raum und tagsüber ganz, ganz leise leben musste. Dort konnten sie sich vor der (Juden-)Verfolgung durch die Faschisten, die auch die Niederlande besetzt hatten, verstecken.

Aus der Graphic Novel
Aus der Graphic Novel „Wo ist Anne Frank“

In so manchen Tagebucheintragungen schildert sie die schrittweise Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung, das Untertauchen, den Weltkrieg. Vor allem aber beschreibt sie das Leben unter solch beengten Verhältnissen, ihre Gefühle, auch die Wickel mit ihrer Mutter sowie erste Verliebtheit, die sich zwischen ihr und Peter, dem Sohn der anderen Familie entwickelte. Und das alles auf hohem literarischem Niveau.

Titelseite der Graphic Novel
Aus der Graphic Novel „Wo ist Anne Frank“

Einen Teil selbst überarbeitet

Wobei Anne wie sie sich lieber nannte einen Teil der Tagebucheintragungen nochmals überarbeitet hat, nachdem sie im Radio die Ansprache des niederländischen Ministers Gerrit Bolkestein aus dem Exil in London gehört hatte. Er hatte seine Landsleute aufgefordert, Briefe, Tagebücher und anderes zu sammeln und aufzuheben, um nach einem hoffentlich baldigen Kriegsende den schrecklichen Alltag dieser Zeit dokumentieren zu können.

Anne hatte von Beginn an sich vorgestellt, das Tagebuch wäre eine sehr enge Freundin, der sie alles anvertrauen könne. Und sie nannte es Kitty – so hätte sie gern geheißen, schreibt sie in einem Eintrag. In anderen beschreibt sie, wie diese Kitty aussieht und ihre Persönlichkeit.

Kitty live

Das inspirierte Ari Folman, der schon zuvor möglichst nah am Original Annes Tagebuch in eine graphische Erzählung gepackt hatte, zu der Idee, diese Kitty zum Leben zu erwecken, sie in der Gegenwart aus dem Buch entsteigen zu lassen. In der Zusammenarbeit mit Lena Guberman wurde daraus die Graphic Novel „Wo ist Anne Frank“ – und die sozusagen „nur“ begleitend zum Animationsfilm. Für den lieferten Künstler:innen aus 15 verschiedenen Ländern die rund 159.000 einzelnen Zeichnungen, die zu den bewegten – und bewegenden – Bildern wurden. Der Film ist das Ergebnis einer umfangreichen rund zehnjährigen intensiven Arbeit – sehr getreu am Tagebuch der viel zu früh in einem KZ zu Tode gekommenen jungen, vielleicht jüngsten weltbekannten Schriftstellerin. Und dennoch mit den in Anne Franks Sinn ausgedachten Szenen und Gedanken ihres sozusagen zweiten Ichs, Kitty. Und auch in ihrem Geist hergestellten Bezüge zu Kindern und Jugendlichen, die heute verfolgt werden.

Im Anne-Frank-Haus – das einstige Versteck ist seit Jahrzehnten ein Museum, in dem u.a. das Original-Tagebuch liegt -, ist sie für alle anderen unsichtbar. Doch das wird ihr zu eng, sie flüchtet auf die Straße, vor allem sucht sie nach Anne. Die ist ja nicht mehr im Haus – und im Tagebuch kann Kitty natürlich nicht finden, was mit ihr nach der Verhaftung der beiden Familien im Hinterhaus passiert ist.

In die Stadt trifft Kitty nicht zuletzt auf Menschen, die in der Jetztzeit verfolgt werden, flüchten mussten, unter anderem aus Ländern in denen Krieg herrscht. Vor allem mit Awa, einem jüngeren Mädchen, ist sofort eine tiefe Verbindung da.

Hin und her „reisen“

Immer wieder switcht die Geschichte zurück ins Tagebuch, aus dem dann auch Anne selbst lebendig wird und mit Kitty spricht, ihr Herz ausschüttet. In einer Szene beginnt Kitty mit ihrer Erfinderin zu streiten, warum Anne ihr rote Haare ausgedacht hat und überhaupt habe sie das Gefühl, sie sei nicht so schön wie ihre (Be-)Schreiberin.

Und dann switcht Kitty wieder in die Jetztzeit. Lange Zeit weiß sie übrigens nicht, dass Anne wie ihre Schwester Margot und die Mutter Edith im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben gekommen ist. Das konnte ja nicht im Tagebuch stehen, das bei der Festnahme der Versteckten durch die Nazis im Hinterhaus übrig geblieben ist und von einer Helferinnen, Miep Gies gerettet werden konnte.

In die Gegenwart holen und Brücken schlagen

Zum einen wollte Ari Folman wie er im Nachwort zu dieser Graphic Novel schreibt, die Geschichte von Anne Frank sowie des Holocaust, der systematischen Verfolgung von Jüd:innen durch die Nazis, der 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche zum Opfer gefallen sind, in die Gegenwart holen. Und gleichzeitig auch die Brücke schlagen zu Menschen, die heute verfolgt werden, flüchten müssen – und immer wieder auch in den scheinbar sicheren Ländern gar nicht sicher sind, sondern nicht selten auch wieder abgeschoben werden. Dafür lassen sich Buch und Film einen besonderen dramaturgischen Kniff einfallen: Kitty stiehlt das Original-Tagebuch und droht: Entweder Awa und die anderen dürfen bleiben oder sie werde das Tagebuch vernichten, denn, so sagt Kitty: „Anne hat das Tagebuch nicht geschrieben, damit ihr sie verehrt oder Brücken, Theater, Schulen und Krankenhäuser nach ihr benennt. Nein, die einzelnen Seiten sind nicht wichtig. Wichtig ist die Botschaft an Millionen von Kindern, die das Tagebuch lesen: tut was ihr könnt, um eine einzige Seele vor Unheil zu bewahren. Schon eine einzige Seele, eine einzige Kinderseele ist so viel wert wie ein ganzes Leben!“

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Szenenfoto aus dem Musiktheater "Anne Frank" der Gruppe "teatro": Der 13. Geburstag Annes, an dem sie das Tagebuch bekommt, das traurige Berühmtheit erleben sollte

Zu Tränen rührend, aber auch viele heitere Momente

Derzeit nur noch bis 2. Februar (2023, dann aber nochmals im November) ist eine sehr berührende, ja am Ende sogar zu Tränen rührende, aber nie auch nur ansatzweise rührselige Musiktheater-Version rund um „Anne Frank“ zu sehen, hören, erleben. In der Stadtgalerie Mödling spielt ein Ensemble aus Profis und Jugendlichen der Musical-Gruppe teatro im ersten Teil sozusagen eine teils fiktive Vorgeschichte.

Hier auf dieser Seite war schon ein Probenbericht und ein Interview mit dem Regisseur, der auch das Textbuch geschrieben hat zu lesen/sehen (Fotos, Videos); Zu diesen geht es hier unten:

Vorgeschichte

Wie die Eltern Elisabeth Holländer und Otto Frank verheiratet worden sind, wie Margot und Annelies Marie zur Welt kamen, aufwuchsen. Frauen, die über die Machtübernahme Hitlers jubelten und gar nicht mitbekamen, was dies für Leute wie die Franks bedeuten würde, sind schon in diesem ersten Teil eine Szene zum Innehalten, dazu, den Atem stocken zu lassen – so präzise, genau, heftig und doch nicht plakativ spielt das Ensemble diese Szene.

Koffer packen, als Jüd:innen hoffen die Franks – und viele andere – zunächst in Amsterdam sicher zu sein. Angst. Immer diese Angst, die Margot und ihre Schwester, die sich lieber Anne nennt/genannt wird und als solche berühmt werden wird. Was sie sich von Anfang an wünscht. Allerdings wird sie das nie miterleben können.

Mit 13 begann sie ihr Tagebuch. Da noch in Freiheit, wenngleich schon mit etlichen Einschränkungen. Die deutschen Faschisten hatten auch dieses Land besetzt, Jüd:innen durften vieles nicht mehr, nicht einmal in ihre Schulen gehen, sondern nur in eigene Schulen. Aber auch das nicht lange. Das konnte sie – mit wenigen anderen Dingen mitnehmen, als es hieß, ab in ein geheimes Versteck, das der weitblickende Vater schon vorbereitet hatte. Er versucht selbst in den ärgsten Situationen Zuversicht zu verbreiten – oft gewürzt mit Humor und Witzen.

Szenenfoto aus dem Musiktheater
Szenenfoto aus dem Musiktheater „Anne Frank“ der Gruppe „teatro“: Die Franks müssen flüchten

Szenen aus dem Tagebuch

Die ständige Bedrohung, die Furcht, doch entdeckt werden zu können, die Enge, das sich gegenseitig auf die Nerven gehen spielen natürlich in vielen Tagebucheinträgen eine große Rolle. Fast ein Dutzend solcher Einträge werden szenisch gespielt, gesungen und mitunter sogar getanzt auf der Bühne der Mödlinger Stadtgalerie lebendig.

Aber nicht nur die ganz traurige, sondern immer wieder auch die pubertär-wütenden Auseinandersetzungen vor allem mit der Mutter, aber auch beginnende Verliebtheiten mit dem Sohn der mit-versteckten Familie van Pels (im Tagebuch mit dem Pseudonym van Daan belegt) wurden im Textbuch vom Regisseur herausgegriffen.

Jüdische Kultur sowie Pubertät

Wie er im ersten Teil jüdische Kultur auf die Bühne bringen wollte, so im zweiten Teil vor allem Gedanken, Szenen, Probleme einer Pubertierenden, die auch in anderen, besseren Umständen und Zeiten stattfinden könnten. Hier allerdings unter den Bedingungen ständiger Bedrohung und zwangsweise Aufeinander-Pickens.

Großartige Ensemble-Leistung

Ob jene, die immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen wie Nicolas Vinzen – als Rabbi oder Herr Pfeffer (im Tagebuch Albert Dussel, der als später achter Mitbewohner ins Hinterhaus einzieht – oder die zentrale Familie Frank, die einzigen, die immer in ihren Figuren bleiben – das Ensemble auf der Bühne – und die Musiker:innen im Stock drüber auf der Galerie liefern ein bewegendes – knapp mehr als zweistündiges (eine Pause) Gesamtkunstwerk: Benjamin Oeser als Vater Otto, Veronika Rivó als Mutter Elisabeth, die den Ärger und teils auch Hass ihrer jüngeren Tochter fast stoisch nimmt – „Liebe lässt sich eben nicht erzwingen“ -, Anna Fleischhacker als die brave, mustergültige Schwester Margot und dann die springlebendige, himmelhoch jauchzende und dann wieder zu Tode betrübte, aufgeweckte, kecke, freche, aufmüpfige Anne, die von Juliette Khalil wunderbar verkörpert wird. Die es auch am Ende schafft, den im Titel beschriebenen Moment herzustellen, der echt zu Tränen rührt – als es heftig von draußen klopft und das bekannte Ende einläutet. Mit den – mit Ausnahme von Otto – tödlichen Enden gehen die Hauptdarsteller:innen ab – durch den Mittelgang, mitten durchs Publikum. Und kommen den Zuschauer:innen damit noch einmal sehr nahe.

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Probe der Hochzeits-Szene der Eltern von Anne und Margot

Anne Frank als Musiktheater

„Anne Frank“ als Musical? Wirkt vielleicht aufs erste (fast) unmöglich. Die tragische Geschichte einer durch Tod in einem Konzentrationslager der Nazis verhinderten großen Schriftstellerin?

„teatro“, eine engagierte Initiative, bringt seit mehr als 20 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Profis bekannte klassische Stoffe von Schneewittchen bis zum Zauberer von Oz, aber auch bei uns weniger bekannte wie „Little Women“ als Musicals auf die Bühne – vor allem in Mödling. Ende Jänner 2023 traut die Gruppe sich – und dem Publikum – zu, eine Geschichte rund um die jugendliche Verfasserin des wohl berühmtesten Tagebuches in literarischer Qualität ein Stück zu spielen, singen und tanzen. Premiere ist am internationalen Holocaust-Gedenktag, dem 27. Jänner (Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau) in der Stadtgalerie Mödling – Details siehe Info-Block am Ende des Beitrages.

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… war bei Proben, konnte dabei allerdings lediglich die intensive Arbeit an zwei Szenen miterleben, daher kann nichts Genaueres über das fertige Stück „Musiktheater würde ich es in dem Fall nennen, nicht Musical“ (so Regisseur und Librettist Norbert Holoubek) gesagt, pardon geschrieben, werden. Und: Beim Probenbesuch war die Juliette Khalil, die Darstellerin der Hauptfigur verhindert.

Probenbesuch

Beide Szenen waren/sind aus dem ersten Teil, sozusagen der Vorgeschichte, jener Zeit, in der die Familie Frank noch (lange) nicht im Hinterhaus der Prinsengracht 263 versteckt leben musste, ja sogar aus einer Zeit, in der Annelies Marie Frank, ja selbst ihre ältere Schwester Margot noch nicht geboren waren. Denn das Stück setzt vor und mit der Hochzeit der Eltern, einer arrangierten Ehe ein.

Und damit einer jüdischen Zeremonie und Fest mit Tanz und Spaß. Wie müssen die Schauspieler:innen stehen, sich drehen, so dass auch das Tuch, das über das Brautpaar gespannt werden soll/muss richtig hoch gehalten werden kann, ohne zu verkrampft zu wirken. Wer kommt von wo und geht wohin ab. Wie gestalten sich die Übergänge, die Tänze. Wie bewegt sich der Rabbi. Und wie spielt das Geschehen auf der Bühne mit dem des Orchesters zusammen – bei der Probe vertreten „nur“ durch den musikalischen Leiter, Arrangeur und Spieler am Keyboard Walter Lochmann.

Das Tagebuch

Berühmt geworden ist Annelies Marie tragischerweise erst nach ihrem Tod als Anne – eben durch ihr Tagebuch. Eine Vertraute der Familie, Miep Gies, die zu jenen gehörte, die die Familie heimlich im Versteck in Amsterdam mit Lebensmittel, aber auch mit Literatur versorgte, hatte die verstreuten Papierblätter und das Tagebuch aufgesammelt und verwahrt, nachdem jemand das Versteck verraten haben musste und alle in Konzentrationslager abtransportiert worden waren. Vater Otto überlebte als einziger der Kernfamilie. Ihm übergab Miep das Geschriebene und er veröffentlichte das Tagebuch seiner Tochter – in der ersten Version allerdings gekürzt. Er ließ jene Einträge der Tochter aus, in der sie sich besonders heftig über ihre Mutter geärgert hatte. Mit Anne unterschrieb die 13- bis 15-Jährige ihre Einträge, die sie als Art Briefe verfasste – an ihre Vertraute Kitty, wie sie ihr Tagebuch nannte, das sie sozusagen als vertraute Freundin ansah.

Erst Jahre nach Otto Franks Tod erschien eine authentische Fassung des Tagebuchs (6. Juli 1942 bis zum 4. August 1944), in dem Anne selbst noch etliche Einträge überarbeitet hatte. Grund: Ursprünglich eben „nur“ als privates Tagebuch geschrieben, dem sie alles anvertrauen konnte, das sie bewegte, hatte sie im Frühjahr 1944 im englischen Rundfunk die Rede des niederländischen Exil-Bildungsministers gehört, der seine Landsleute bat, alle schriftlichen Unterlagen wie auch Tagebücher zu sammeln, um nach dem hoffentlichen Kriegsende diese Zeit dokumentieren und aufarbeiten zu können, also auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Zurück zu den Proben

An die Hochzeit, die viel später geprobt wurde, schließt sich eine Szene an, in der das künftig Drohende sich anbahnt. Dazwischen aber sorgt ein Spruch für Heiterkeit. Beim winterlichen Spaziergang laufen die Schwestern Margot und Annelies voraus, es kommt zum Disput, ob es nicht schon Frühling sei, wo doch schon die ersten Blumen aus der Erde wachsen. Den kommentiert Vater Otto mit „Gott weiß alles, aber Anne weiß alles besser“. Hannah, eine überlebende Klassenkollegin von Annelies Frank aus dem „Joods Lyceum“ (Jüdische Lyzeum) zitiert diesen Satz ihrer Mutter über die Mitschülerin Annelies in dem Buch „In einer Klasse mit Anne Frank“ von Theo Coster (aus dem Niederländischen übersetzt von der bekannten Autorin Mirjam Pressler).

Heikler Moment

Später treffen die Franks – noch in der Zeit in Frankfurt am Main – auf jubelnde Frauen. Die können sich fast nicht einkriegen. Eine neue Zeit breche an, alles werde sich zum besseren ändern, denn Hitlers Partei habe die Wahlen gewonnen… Ihre Gegnerschaft, ja ihre eigene Bedrohung als Jüd:innen trauen sich da die Franks gar nicht mehr zu sagen. Der Moment ist ein heikler bei den Proben. Wie kommen die Sorgen, die Ängste, die sie hier nur andeutungsweise spürbar werden lassen dürfen zum Ausdruck? Und wie wird verhindert, dass nach dem Jubelsong der Nazibefürworterinnen nicht – wie oft nach jedem Song – Beifall des Publikums aufbrandet? Abmarsch in militärischer Formation und Schritt schlägt der Regisseur vor – in der Hoffnung, dass damit die Zuschauer:innen auch den Schockmoment spüren.

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