Bewegender Abend über die in Vergessenheit geratene Literatin Margarete Beutler (1876 – 1949) im kleinen, feinen Kellertheater „Experiment am Liechtenwerd“ (Wien-Alsergrund
„Liebst du mich?“, fragt die unvermittelt zwischen Vorhängen, Licht und Schatten, auf dem Boden herumliegenden Büchern auftretende Solo-Schauspielerin. Wirkt aufs erste, als würde sie die Frage ans Publikum richten, weshalb bei der Premiere auch eine Stimme halblaut „Ja!“ ruft.
Die wirkliche Antwort aber kommt von einer (männlichen) Stimme aus dem Off. Er liebe sie, wisse aber nicht warum, und quäle sich damit herum, dass er das Gefühl habe, seine Zuneigung würde nicht erwidert werden. Seine Stimme ist im Verlauf der rund 1¼ Stunden dann noch einige Male zu hören. Die Frau, um die sich alles dreht, die offenbar (nicht nur) ihm den Kopf verdreht hat ist – Margarete Beutler, immer wieder Grete genannt.
Alice Schneider verkörpert diese weitgehend in Vergessenheit geratene Literatin – sowohl Prosa als auch Lyrik und Theaterautorin – und Lebefrau ihrer Zeit (1876 – 1949). Stefanie Elias, neben dem jahrzehntelangen Direktor Erwin Bail die junge Co-Leiterin des ältesten Kellertheaters der freien Szene Wiens (seit 1956), Theater Experiment am Liechtenwerd (Alsergrund; 9. Bezirk), ist bei einer Ausstellung in München auf diese Literatin gestoßen – mehr dazu in einem Interview in einem eigenen Beitrag – am Ende dieses Beitrages verlinkt.
Stefanie Elias hat diesen – bis 20. Februar 2025 laufenden – Abend aus der Lebensgeschichte Margarete Beutlers und so manchen ihrer Texte zu einem schlüssigen, runden, immer wieder berührenden, manchmal mit Humor gespicktem, überraschenden Bogen konzipiert und inszeniert. Überraschung, weil Beutler mit vielen ihrer Gedanken, Ansichten und Verhaltensweisen ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus war: Eine selbstbewusste, emanzipierte Frau, die aber auch in Kauf nahm, lieber unter präkeren Verhältnissen leben und ihre Kunst betreiben zu können, als sich in Abhängigkeit – von Männern – zu begeben, um weniger ums Überleben kämpfen zu müssen. In ihren Texten beschreibt Beutler aber nicht nur ihr eigenes Leben, ihre Gefühle, ihre Gedanken zur Welt, sondern sie bezeichnet sich auch als „Sammlerin von Lebensgeschichten“, mit denen sie die Gesellschaft anschaulich und sozusagen im Kleinen das Große beschreibt. Immer wieder dringt durch, dass sie sich nicht unterkriegen lässt: „Muss möglichst häufig lieben und das Fasten anderen lassen!“
Alice Schneider ist auf der Bühne diese eigenständige, widersinnige, lebenslustige Frau von vor rund 100 Jahren und transportiert, ohne dass da irgendetwas aktuelles hinzugefügt werden müsste, dass diese Haltung heute rundum wieder bedroht ist. Erreichtes in Sachen Emanzipation da und dort weltweit zurückgedrängt werden. Diese gesellschaftspolitische Dimension wirkt aber nie und nimmer aufgesetzt, durchzieht einfach die gespielte Lebensgesichte. Die oft mit viel Licht und Schatten arbeitet – nicht zuletzt mit Hilfe eines beim älteren Publikum aus der Schulzeit bekannten für Jüngere seltsam anmutenden Overhead-Projektors (Co-Regie und Licht-Design: Andreas Seidl).
So manches der Stimmungen des Abends wird durch Musik (komponiert von Oliver Steger) ausgedrückt.
Ein beeindruckender Abend, der einem großen Zufall zu verdanken ist – wurden doch viele der Gedichte, Prosatexte und Theaterstücke Margarete Beutlers erst Jahrzehnte nach ihrem Tod von einem ihrer Enkel beim Ausmisten des Dachbodens entdeckt. Sie selbst hatte sich mit Aufkommen der faschistischen Herrschaft in Nazi-Deutschland in die innere Emigration zurückgezogen und ging auch nach 1945 nicht mehr mit ihren Texten an die Öffentlichkeit.
kijuku_heinz
Konzept, Regie, Off-Stimme: Stefanie Elias
Schauspiel: Alice Schneider
Musik: Oliver Steger
Off-Stimme: Paul Wiborny
Co-Regie und Licht-Design: Andreas Seidl
Bis 20. Februar 2025
Theater Experiment am Liechtenwerd: 1090, Liechtensteinstraße 132
theater-experiment -> leb wohl bohème
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