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Szenenfoto aus "Alles gerettet" beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten
Szenenfoto aus "Alles gerettet" beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten
07.03.2025

„Alles richtig gemacht“ verteidigten sich die Verantwortlichen…

… dabei starben offiziell 384 oder 386 Menschen beim Brand des Wiener Ringtheaters (1881) vor allem auf den billigen Plätzen. Aus dem Text von Helmut Qualtinger und Carl Merz über den Prozess danach für einen TV-Film (1963) machte das aktuelle Wortwiege-Festival in den Wr. Neustädter Kasematten einen spannenden Theaterabend. Das Thema Verantwortung ist zeitlos.

Neben einem weißen, zarten Vorhang, der durch jede Bewegung leicht ins Wehen kommt, sitzt – im Video an die Wand projiziert eine Frau mit großer Handtasche, schmatzend, neugierig schauend und das Geschehen kommentierend. Bald gesellt sich am anderen Ende des Bühnenhintergrunds ebenfalls an die Wand „geworfen“ ein Mann mit Hut dazu. Die beiden sind eine Art Side-Kick für das folgende spannende, bedrückende und doch immer wieder von Humor und Sarkasmus durchbrochene Stück, das sich in der Mitte zwischen ihnen abspielt. Wobei die beiden als Video dann ohhen immer wieder verschwinden.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Qualtinger-Merz

„Alles gerettet!“ spielt sich hier in der mittleren der drei Röhren der Wiener Neustädter Kasematten – wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt – ab. Es handelt sich um einen für die Bühne adaptierten von Helmut Qualtinger und Carl Merz (berühmt u.a. für „Herr Karl“) geschriebenen TV-Spielfilm (1963 erstveröffentlicht, u.a. mit Attila und Paul Hörbiger) über den Wiener Ringtheaterbrand (8. Dezember 1881, Schottenring 7 – wo heute die Polizeidirektion Wien residiert). Dieser forderte offiziell 384, manchmal ist die Rede von 386, Todesopfer, informelle Berichte sprachen von bis zu 1000 Toten. Die beiden nahmen den Prozess, der immerhin schon wenige Monate nach der Katstrophe stattfand und bei dem auch führende Feuerwehr- und Polizeimänner angeklagt waren, zum Anlass für ihren dramatischen Text.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Genderfluid

Die Wortwiege (neuerdings mit dem Untertitel „Festival für Theaterformen“), die seit 2020 in der ehemaligen Befestigungsanlage der Stadtmauer (2019 für die damalige niederösterreichische Landesausstellung renoviert) hier regelmäßig Programm macht, hat das in Vergessenheit geratene Stück sozusagen ausgegraben, eine eigene Bühnenfassung, die sich ziemlich an den Originaltext hält, erstellt – und inszeniert (Regie: Anna Luca Krassnigg; künstlerische Mitarbeit: Ira Süssenbach). Wichtigste Abweichung: Etliche Männer aus dem Original und der damaligen Realität sind hier mit Frauenrollen, teils wiederum von Männern gespielt, besetzt; u.a. die eingangs erwähnte Gerichtskiebitzin Hromatka (die im Stück hier nie mit Namen genannt wird) mit Martin Schwanda; oder Zeugin Völkl (Vorgänger:in in der Ringtheater-Direktion) mit Jens Ole Schmieder, der wie auch seine Kolleg:innen Lukas Haas, Ida Golda, Isabella Wolf und Saskia Klar in etliche der Rollen als Zeug:innen bzw. Angeklagte schlüpfen; Schmieder vor allem auch als einer der Hauptangeklagten, Polizeirat Landsteiner.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Brand-Folgen

Ringtheaterbrand – dies ist in der Theaterszene Wiens und Österreich ein bekannter Begriff – strenge Sicherheitsbestimmungen sind darauf zurückzuführen. Die reichen vom Eisernen Vorhang, der vor Beginn eines Stückes Bühne und Publikumsraum großer Theaterhäuser trennt, ständig sichtbare Notbeleuchtung bis hin dazu, dass Mäntel und dergleichen bzw. Taschen und Rucksäcke an der Garderobe abzugeben sind, damit im Notfall, niemand auf der Flucht vor einem Brand über irgendetwas stolpert und die Nachfolgenden dann über diese Person.

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Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Aber was sich so wirklich am Abend des 8. Dezember 1881 abgespielt hat, kennt kaum wer. Dabei hatten Helmut Qualtinger und Carl Merz – ausgehend vom Prozess im Frühjahr 1882 und mit vielen Zitaten aus den Gerichtsakten – einen Fernsehfilm „Alles gerettet!“ geschrieben. Erst vor weniger als zehn Jahren gab es auch bei der Viennale und der Diagonale den Film „Sühnhaus“ der Journalistin und Filmemacherin Maya McKechneay über diesen Brand.

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Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Opfer auf den billigen Plätzen

Der Titel „Alles gerettet!“ bezieht sich auf eine Aussage, die dem obersten Polizisten beim Brand zugeschrieben wird. Und dies obwohl zahlreiche Menschen, die sich aus dem Theater retten konnten von Leichenbergen sprachen. Ausgelöst durch einen lichterloh brennenden Vorhang, der durch einen heftigen Luftzug bis hinauf in die vierte Publikumsgalerie geweht wurde, stand bald das ganze Theater in Flammen. Die Notbeleuchtung funktionierte nicht und so stolperten Menschen, die dem Feuer bzw. der Hitze entkommen wollten, fielen übereinander. Vor allem eben aus der vierten und dritten Galerie, also von den billigen Plätzen. Always the Same ;( – siehe Untergang der Titanic.

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Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Verantwortung?

Wer trägt Verantwortung, bzw. wer hat solche selbstlos aus eigenem Antrieb übernommen? Wer hat Hilfe verunmöglicht oder gar be- oder verhindert? Diesen Fragen wollte das Gereicht nachgehen. Das hier ausschließlich als vorgenommene Simmen aus dem Off zu hören ist: Präsident (Horst Schily), Staatsanwältin (Lena Rothstein), Rechtsanwalt Dr. Fialla (Helmut Jasbar), Rechtsanwalt Dr. Markbreiter (Franz Schuh), Schriftführerin (Julia Kampichler).

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Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Oft nicht einmal die Pflicht erfüllt

Während die meisten Zeug:innen schilder(te)n, wie lax oder gar kontraproduktiv Einsatzkräfte vorgegangen sein sollen, putzen sich die Angeklagten ab. Von sie hätten alles Mögliche getan bis zum Abstreiten der Vorwürfe ihrer Untätigkeit. Unterschiedliche, individuelle, teils karikierte Typen, die dennoch ein gesamtgesellschaftliches Panoramabild ergeben: Es sei nichts zu verhindern gewesen. Alles in Ordnung. Ohne dass dieser Satz fällt, entsprechen viele der „Verantwortungen“ dem Geist von „ich habe nur meine Pflicht erfüllt“ – damals oft noch viel weniger.

Obendrein hatte ein halbes Jahr davor im französischen Nizza ein Theater gebrannt und 200 Menschen das Leben gekostet. Daraus wurden Lehren gezogen und es gab bereits auch in Niederösterreich schon neue Brandschutzbestimmungen – die von Wien noch nicht übernommen worden sind.

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Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Anderes Verhalten möglich

Im Gegensatz dazu schildern einige der Zeug:innen, dass sie beherzt versucht hatten, trotz Flammen, trotz Rauch und trotz der Drohungen, da ja nicht hineinzugehen, es doch getan und wenigstens die eine oder den anderen gerettet zu haben. Womöglich waren gerade diese Aspekte der Grund, weshalb das kritische Erfolgsduo dieses – damals (Fernseh-)Stück geschrieben hatte.

Die fünf genannten Schauspieler:innen switchen bei ihren jeweiligen Rollenwechseln in immer wieder unterschiedliche Charaktere – sowohl als konkrete Personen als auch als stellvertretende Typ:innen in einem schrägen Bühnen- und teils auch Kostüm-Ambiente (Bühne: Andreas Lungenschmid, Kostüme: Antoaneta Stereva Di Brolio, Maske: Henriette Zwölfer).

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Szenenfoto aus „Alles gerettet“ beim Wortwiegefestival in den Wr. neustädter Kasematten

Herr Karl-Figuren

Die zwei Figuren aus dem Video sind inszeniert als typische „Herr-Karl“-Figuren. Martin Schwanda als Hromatka kommentiert das Prozessgeschehen in diesem Stil, bedauert selbst nicht in den Zeugenstand geholt zu werden. Kramt immer wieder in der Tasche, reicht dem Kollegen übers „Nichts“ hinweg ein „Wiener Zuckerl“, hält ein solches auch aus dem Film mit ausgestreckter Hand dem Publikum hin. Was die mit einer solchen Kette geschmückte Regisseurin und Co-Leiterin der Wortwiege, Anna Luca Krassnigg, am Premierenabend erklärt, war also keine Anspielung auf den aus Wr. Neustadt stammenden Bundeskanzler der sogenannten Zuckerlkoalition;). Hromatkas kongenialer Video-Partner (Film und Musik: Christian Mair) als Gerichtskiebitz:  Lukas Haas alias Schagerl, der auch als Zeuge aussagt, aber auch noch in der Rolle weiterer Zeugen sowie eines Angeklagten (Feuerwehr-Exerziermeister Heer) auftritt.

Das Krasse, das an diesem (mehr als zweistündigen) Theaterabend mitschwingt: Das war keine Fiktion, die dramatischen Szenen, die Zeug:innen schildern, haben tatsächlich stattgefunden. Und: Trotz offensichtlichen Bemühens des Gerichts: Die hohen Herren wurden alle freigesprochen, Haftstrafen für Beleuchter als Bauernopfer.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Alles gerettet!

Über den Prozess nach dem Wiener Ringtheaterbrand (8. Dezember 1881; Prozess Frühjahr 1882) mit vielen Zitaten aus den Gerichtsakten

Text (für ein TV-Spiel): Helmut Qualtinger & Carl Merz
Fassung: Wortwiege

Der Gerichtshof (voraufgenommene Stimmen aus dem Off):
Präsident – Horst Schily
Staatsanwalt – Lena Rothstein
Rechtsanwalt Dr. Fialla – Helmut Jasbar
Rechtsanwalt Dr. Markbreiter – Franz Schuh
Schriftführerin – Julia Kampichler

Schauspiel
Die Angeklagten:
Heer – Lukas Haas
Breithofer – Ida Golda
Jauner – Isabella Wolf
Nitsche – Saskia Klar
Dr. Landsteiner – Jens Ole Schmieder

Die Zeug:innen:
Pawlik – Saskia Klar
Völkl – Jens Ole Schmieder
Schagerl – Lukas Haas
Nötel – Jens Ole Schmieder
Dalmonico – Saskia Klar
Dr. Ranninger  – Jens Ole Schmieder
Schönach – Ida Golda
Lonsky – Isabella Wolf
Krichbaum – Lukas Haas
Frischauer – Ida Golda
Neswadba – Isabella Wolf
Klein – Saskia Klar
Dietl – Ida Golda
Winkler – Lukas Haas
Lamezan – Isabella Wolf
Hellmesberger – Lukas Haas, Ida Golda, Isabella Wolf, Saskia Klar

Eine Gerichtskiebitzin:
Hromatka – Martin Schwanda

Regie: Anna Luca Krassnigg
Künstlerische Mitarbeit: Ira Süssenbach
Bühne: Andreas Lungenschmid
Kostüme: Antoaneta Stereva Di Brolio
Maske: Henriette Zwölfer
Musik & Film: Christian Mair
Licht: Lukas Kaltenbäck
Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Regieassistenz: Julia Kampichler

Aufführungsrechte: Thomas Sessler Verlag

Wann & wo?

Bis 30. März 2025
Kasematten, Sala Media
2700 Wiener Neustadt, Bahngasse 27
Wortwiege -> Alles gerettet
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