Was, wenn alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über Bord geworfen werden würden? „Der Weg zurück“ von Dennis Kelly („The Regression“) im Theater Drachengasse (Wien).
Dick in einer Jacke eingepackt, erinnert der erste-auftretende Schauspieler (Sebastian Thiers) an die Uralt-Werbung eines Autoreifenherstellers. Die hier braunen Wülste verleihen Stoßdämpfer-Atmosphäre. Solche will der Typ auch dem Bündel in seinen Händen angedeihen lassen, dem Baby. Unzählige Male versucht er der neugeborenen Tochter Dawn (Morgendämmerung) und vor allem sich selber einzureden „Du bist in Sicherheit“, um es in einer Schublade abzulegen.
Sein Monolog in dem er von der schweren Geburt, dem Tod Dawns Mutter dabei, zwischen einem verdorrten Baum und einem spiralförmigen Aufgang (Bühne, Kostüme: Sophie Baumgartner) auf ein Podest, ist naheliegenderweise zunächst noch von der eben erlebten Tragödie, der Sorge um das neue Leben gekennzeichnet. Doch dann kommen Ratschläge einer Freundin der verstorbenen Ehefrau, die er am laufenden Band zitiert. Am sichersten wäre es, alle „Strahlungen“ zu unterbinden. Also kein WLAN, keine elektronischen Medien, ja gar keine Elektrizität. Und ganz sicher nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse der Medizin vertrauen.
Das ist die Ausgangsbasis für Dennis Kellys „The Regression“. Der englische Originaltitel trifft den Kern des Stücks weit genauer als die deutsche Übersetzung (John Birke) „Der Weg zurück“. Letzteres könnte viel mehr und anderes sein als das, worum sich das bitterbös-satirische Stück (nicht ganz zwei Stunden) dreht: Rückschritte. Mit der zunehmenden Verunsicherung durch Häufung von Krisen verbreiten sich populistische „einfache“ Erklärungsmuster und Skepsis gegenüber allem und jedem. Impfung? Nein, du wirst ge-chippt.
Und so spielt sich im Stück – derzeit in einer Version im Wiener Theater Drachengasse zu erleben (Regie: Sandra Schüddekopf) – ein immer heftiger werdender Kreislauf, eine Spirale abwärts, vielmehr rückwärts ab. Neben dem schon Genannten spielen Alicia Peckelsen, Karoline-Anni Reingraber und Lukas David Schmidt die heftiger werdende Ablehnung von Wissenschaft, gründen aktionistische Gruppen, die vor Terror nicht zurückschrecken. Generation um Generation wird’s heftiger. Mit immer wieder witzigen Momenten, wo das Lachen fast gleichzeitig im Hals stecken bleibt. Und teils akrobatischen Auftritten aus ungewohnten Öffnungen der Bühnenwand.
Bis in – ein wenig geht die Übersicht verloren, es könnten Dawns Urenkel sei, in einer Art märchenhafter Sequenz ein Kind die Neugier und Wissbegierde wieder entdeckt.
Von Dennis Kelly
Übersetzung ins Deutsche: John Birke
Regie: Sandra Schüddekopf
Es spielen: Alicia Peckelsen, Karoline-Anni Reingraber, Lukas David Schmidt, Sebastian Thiers
Bühne, Kostüme: Sophie Baumgartner
Sound: Rupert Derschmidt
Rechte bei Rowohlt Theater Verlag, Hamburg
Bis 25. Mai 2024
Theater Drachengasse: 1010 Wien, Fleischmarkt 22/Drachengasse
Telefon: 01 512 13 54
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