Militärisch gedrillte Selbst-Optimierung in einer kasernenähnlichen Anstalt mit möglichen Ausbrüchen? „nachtschattengewächs“ eine Kopoduktion der beiden Grazer Jugendtheater, die damit einen der beiden Retzhofer Jugend-Dramapreise umsetzen.
Vier Jugendliche auf extrem schräg gestellten, schmalen Bänken die an Turnsaal erinnern, ein Querbalken unten. Das sind die ungemütlichen, herausfordernden Betten von Joanna, Ivette, Jonas und Moritz. Die Gestelle dahinter in die Langbänke eingehängt sind, haben einen Hauch von Anmutung an Stockbetten. Uniformiert gekleidet die Zöglinge. Internat, eher militärische Drill-Einrichtung. Das schwappt in den ersten paar Minuten aus dem Bühnenraum des Theaters am Grazer Ortweinplatz in den Publikumsraum herüber. Joanna und Jonas – „natürlich“ strikt getrennt die Mädchen- und Burschenbereiche – herrschen über die beiden anderen Genannten Mit-Schüler:innen in Sachen Stromlinienförmigkeit.
So weit, kürzest gefasst, das Ambiente (Bühne und Ausstattung: Andrea Meschik sowie Musik: Robert Lepenik) in dem fünf Jugendliche (14 und 15 Jahre jung) das Stück „nachtschattengewächse“ im TaO!, dem Theater am Ortweinplatz, in allen emotionalen Höhen und Tiefen überzeugend spielen mit gelegentlich auch glaubhaften Auszuckern. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … hat die Generalprobe besucht.
Moritz (Felix Schwarz), treu-hündisch, vor allem unterwürfig ergeben und sozusagen seinem Kommandanten Jonas (Nils Kabon) jeden Wunsch von den Augen ablesend auf der einen Seite wobei er seinen „Chef“, der beschränkt zu sein scheint auf sein äußeres Erscheinungsbild, mit seiner zuvorkommend freundlichen Untertanen-Art mitunter auch um den Finger wickelt.
Ivette (Michaela Neuhold) hingegen geißelt sich in Worten selbst, wie unperfekt sie ist, wie viel sie noch an sich arbeiten müsse, dass sie noch Erinnerungen haben und generell überhaupt … „Gedankendisziplin“ herrscht sie Joanna (Hannah Höfler) an, die schon in den Entwicklungszielen dieser Anstalt weiter zu sein scheint. So das Credo dieses absolut gefühls-ge-lockdownten dystopischen „Boot-Camps“. Und doch lässt Ivette – und nicht zuletzt deren Darstellerin – mehr zwischen den Zeilen aufblitzen, dass ihr doch was an Erinnerungen an das Leben (draußen und davor) liegt.
Irgendwie scheinen sich alle vier in diese „Bildungseinrichtung“ begeben zu haben, um „komplett“, „ganz“ zu werden. Was sie definitiv werden oder schon vielmehr ziemlich sind: Fertig. Nicht im Sinne von Perfektion, sondern von (sich selber) fertig- und niedermachen. Die Oberen die Untergeordneten, die davon schwärmen, dass sie ohnehin schon in der obersten Etage sind. Noch viel mehr aber durch die verinnerlichten Regeln, Regeln, Regeln. Die sie weniger als Einschränkung, viel mehr als Leitplanken ihres stetig angestrebten glatten vorgezeichneten Lebensweges empfinden.
Apropos, ist da noch ein Funken von etwas, das sich so nennen könnte. Nun, zumindest drei von ihnen haben Geheimnisse, die Gefühle erkennen oder wenigstens erahnen lassen. Das sei hier aber sicher nicht verraten, Überraschungsmomente sollen keineswegs vorweggenommen zu werden. Auch nicht, wer von dem Quartett offenbar völlig „blutleer“ zu agieren scheint. Glaubhaft, so wie ihre drei Kolleg:innen. Und doch ist da noch anderes zu spüren. Wurde sie so (seelisch) verletzt, dass sie einen unsichtbaren Panzer um sich herum braucht?
Oder sind es die Mauern, in denen sie sich eingesperrt haben möglicherweise auch Schutzwände vor einer unübersichtlicher werdenden, angstbesetzten, feindlichen Welt da draußen?
Pardon, eines sei doch noch preisgegeben, weil es ohnehin schon angedeutet war, im Ankündigungstext steht und sich aus der Besetzungsliste ergibt: Spät aber doch materialisiert sich ein „Gerücht“ über das die vier hin und wieder sprechen, ein Neuer taucht auf. Henrique (Timon Koiner) unterscheidet sich schon rein äußerlich – keine uniforme Kleidung, er bringt Farbe ins Spiel. Und Fragen sowie immer wieder auch Erzählungen ans „draußen“. Die Regeln deren Einhaltung sie von ihm verlangen sind ihm so ziemlich wurscht. Und doch kommt es gar nicht so zum Knatsch. Links liegen lassen, irgendwie vor allem nicht Ernst nehmen – ist doch ein bekanntes, allseits beliebtes Herrschaftsmittel, das oft wirkungsvoller ist als die Auseinandersetzung. Dabei müsste vielleicht an der eigenen Haltung mehr überlegt, gar hinterfragt werden.
Und doch setzt er mit seiner gar nicht kämpferischen, eher lässigen Art der Ablehnung dieses Systems so manchen Prozess in Gang. Und dann öffnet er ganz einfach eine Wand und spaziert hinaus. Was tun die anderen? Das – ist ja wohl klar – ist hier ganz sicher nicht zu lesen 😉 Aber selbst wenn es kein Happy end geben sollte, die Kasernen-Schule jagt solche Schauer über den Rücken, dass kaum jemand solch ein Leben wollen würde, oder?
„nachtschattengewächse“ ist eine Koproduktion der beiden Grazer Jugendtheater TaO! Und Next Liberty. Das Stück ist die szenische Umsetzung (Regie: Manfred Weissensteiner, Dramaturgie: Dagmar Stehring) eines der beiden Stücktexte, die im Vorjahr den erstmals in der Kategorie für junges Publikum vergebenen renommierten Retzhofer Dramapreis gewonnen haben. Graz hat den Text von Johannes Hoffmann realisiert, jener von Till Wiebel („Funken) erlebte seine Uraufführung im Berliner Theater an der Parkaue (Februar 2022); mehr zum Preis samt Interviews mit den beiden Preisträgern unten in verlinkten Beiträge aus dem Juni 2021.
Von: Johannes Hoffmann, eines der beiden Siegerstücke des Retzhofer Dramapreis 2021 in der Kategorie „Für junges Publikum“
Regie: Manfred Weissensteiner
Es spielen:
Henrique: Timon Koiner
Ivette: Michaela Neuhold
Joanna: Hannah Höfler
Jonas: Nils Kabon
Moritz: Felix Schwarz
Dramaturgie: Dagmar Stehring
Regieassistenz: Carmen Schabler
Musik: Robert Lepenik
Bühne und Ausstattung: Andrea Meschik
Video: HENX
Technik: Lorenz Meiler
Verlag: Felix Bloch Erben
Eine Koproduktion mit dem Next Liberty
21. bis 30. April 2022
9./10. Juni 2022 (im Rahmen des sechsten Dramatiker|innenfestivals Graz)
TaO! Theater am Ortweinplatz: 8010 Graz, Ortweinplatz 1
Telefon: 0 316 84 60 94
nachtschattengewaechse/
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