Der Text der Siegerin beim ersten Bewerb „Literatur in einfacher Sprace“ von Capito Wien.
Von Claudia Schäfer
„Katharina!!!“
Meine Mutter ruft mich.
„Katharina!!!“
Ich kann sie hören.
Obwohl ich meine Kopf-Hörer auf den Ohren habe.
Meine Mutter ist lauter als meine Musik.
„Ich bin der Verlierer. Ich bin der Verlierer.“ singt LUNA.
Ich fühle mich auch manchmal wie ein Verlierer.
Hier oben auf unserem Berg-Hof.
Hier oben in den Bergen.
Hier oben mit meiner Familie.
Mit Mama und Papa.
Und Bruno, unserem Hund.
Und niemandem sonst in der Nähe.
Im Sommer kommen manchmal Wanderer auf unseren Berg-Hof.
Wir verkaufen ihnen ein Käse-Brot.
Oder ein Speck-Brot.
Und dazu eine Limonade.
Manche Wanderer trinken auch ein Glas frische Milch von unseren Kühen.
„Katharina!!!
Kannst Du mir mal antworten? Bitte?“
Mamas Stimme wird lauter.
Ich muss ihr eine Antwort geben.
Sonst gibt es Ärger!
„Was ist denn?“ rufe ich zurück.
„Wir haben keine Hefe mehr“ sagt meine Mutter.
Sie ist in mein Zimmer gekommen.
„Na und?“ sage ich.
(„Das ist mir doch egal!“ denke ich)
„Heute ist Donnerstag.
Am Wochenende soll die Sonne scheinen.
Viele Wanderer kommen auf den Berg.
Und ich muss Brot backen.
Und jetzt habe ich keine Hefe mehr.“
„Ich habe auch keine Hefe“ sage ich.
(Aber ich weiß schon, was jetzt kommt…)
„Katharina!“ Meine Mutter hört sich streng an.
„Bitte tu mir einen Gefallen:
Geh runter ins Dorf und hole mir 3 Hefe-Würfel“:
„Spinnst du?“ brülle ich.
Ich bin sauer!
So habe ich mir den Nachmittag nicht vorgestellt!
Der Weg runter ins Dorf dauert 1 Stunde!
Dann noch in den Laden und wieder zurück!
Und ich wollte einfach nur chillen!
Chillen und Musik hören.
„Katharina! Du gehst ins Dorf und besorgst die Hefe.
JETZT!“
„Verdammt nochmal!“ brülle ich.
„Ich hab keinen Bock mehr auf diesen Berg-Hof!
Ich will in der Stadt wohnen!
Ich ziehe aus!“
„Ja, ja. Zieh Du ruhig aus.
Aber erst, wenn Du 18 Jahre alt bist.
Das dauert noch 2 Jahre.
Und jetzt holst du mir bitte die Hefe!“
Meine Mutter!
Ihre Stimme!
Ich weiß, wann sie es ernst meint!
Ich stehe vom Bett auf.
Gegen meine Mutter verliere ich.
Ich bin ein Verlierer.
Wie LUNA schon singt.
Ich habe schlechte Laune.
Ich habe sehr schlechte Laune.
„Gib mir Geld für die scheiß Hefe!“ maule ich.
„KATHARINA! Du sollst keine schlechten Wörter sagen!“ sagt meine Mutter.
Und sie gibt mir 10 Euro.
„Du kannst dir im Dorf auch etwas kaufen“ sagt sie.
Ich sage nichts.
Ich ziehe meine dicke Winter-Jacke an.
Und meine Schnee-Schuhe.
Es ist Februar und gestern hat es noch geschneit.
Bei uns auf dem Berg liegt viel Schnee.
„Katharina, bitte sei vorsichtig und bleib auf der Straße.
Gehe nicht den Weg durch den Wald!
Hast du gehört?
Das ist zu gefährlich bei diesem vielen Schnee.“
Ich sage nichts.
Und gehe los.
Natürlich gehe ich die Abkürzung durch den Wald!
Das ist viel kürzer als über die Straße.
Und ich will ja auch bald wieder in meinem Zimmer sitzen.
Und chillen.
Und überhaupt:
es gibt oben auf dem Berg gar keine Straße!
Es gibt nur einen Weg!
Eine Straße hat einen Mittel-Streifen.
Und einen Geh-Weg an der Seite.
Oder einen Rad-Weg.
Unsere Straße hat nur kleine Steinchen.
Und der Weg durch den Wald ist kürzer.
Ich bin in einer halben Stunde im Dorf unten.
Bald liegt unser Hof hinter uns.
Der Wald beginnt.
Meine Mutter kann mich nicht mehr sehen.
Ich biege in den Wald ab.
Es liegt viel Schnee und ich rutsche oft aus.
Das tut aber nicht weh, denn der Schnee ist weich.
Nach 10 Minuten höre ich etwas.
Ich bleibe stehen.
Äste knacken.
Ein Reh springt auf mich zu.
Was ist das denn?
Rehe springen nicht auf Menschen zu.
Rehe rennen vor Menschen weg!
Auf der anderen Seite rennen 2 Hasen aus dem Wald.
Ich verstehe das nicht.
Was ist denn mit den Tieren los?
Ich stehe ganz still und höre in den Wald.
Mir ist ein wenig unheimlich!
Ich habe schon oft Rehe gesehen.
Und Hasen natürlich auch.
Aber das sind scheue Tiere.
Sie haben Angst vor den Menschen!
Und dieses Reh und die beiden Hasen sind fast auf mich drauf gelaufen!
Und was ist das für ein Geräusch?
Zuerst rauscht es.
Ganz laut wie Wasser in einem Wasserfall.
Ich höre einen Vogel piepsen.
Er piepst ganz laut.
Ich glaube, er hat Angst.
Nach dem Rauschen kommt das Donnern.
Es donnert wie bei einem schlimmen Gewitter.
Aber es gibt keine Blitze.
Es ist kein Gewitter.
Was ist das nur?
Nun bekomme ich auch Angst!
Das Donnern wird immer lauter.
Immer lauter und lauter.
Und es kommt immer näher.
Den Vogel höre ich nicht mehr.
Ich bekomme Panik.
Was soll ich nur machen?
Der Weg ins Dorf ist noch weit.
Und nach Hause ist es auch noch weit.
Ich bin genau in der Mitte vom Weg.
Das Donnern ist jetzt ganz nahe.
Und unheimlich laut.
Es ist eine Schnee-Lawine!
Der viele Schnee auf dem Berg hat sich durch die Sonne gelöst.
Und donnert jetzt als eine Schnee-Lawine ins Tal.
Und ich bin mitten drin!
Eine Lawine ist sehr gefährlich.
Sie ist sogar lebens-gefährlich!
Mir bleibt nicht viel Zeit.
Ich gehe auf meine Knie.
Und mache mich ganz klein.
Ich nehme den Kopf nach unten.
Meine Hände halte ich vor meinen Mund und meine Nase.
So hat es mir mein Vater gezeigt.
„Du musst etwas Platz vor deinem Mund lassen.
Damit du noch Luft bekommst.
Sonst musst du ersticken.“
So hat es mir mein Vater erklärt.
Die Schnee-Lawine ist jetzt über mir.
Überall ist Schnee.
Wo ist oben?
Wo ist unten?
Ich weiß es nicht mehr.
Mein Herz schlägt wie wild.
Ich habe Angst.
Ich habe Todes-Angst!
Es wird still um mich.
Ich sehe nichts.
Überall ist Schnee.
Ich muss ruhig bleiben!
Ich habe wenig Luft zum Atmen.
Mit den Fingern grabe ich vor meinem Mund im Schnee.
Ich denke nach:
was hat mein Vater mir gesagt?
„Wenn du unter eine Schnee-Lawine kommst musst du ruhig bleiben.
Die Männer der Berg-Rettung wissen,
wenn eine Schnee-Lawine runtergekommen ist.
Und sie gehen sofort los.
Sie haben lange Stöcke dabei.
Diese stecken sie in den Schnee.
Und sie haben Lawinen-Hunde dabei.
Ein Hund kann viel besser riechen als ein Mensch.
Ein Lawinen-Hund riecht, wenn ein Mensch unter dem Schnee begraben ist.
Der Lawinen-Hund gräbt an der Stelle mit seinen Pfoten.
Und die Lawinen-Retter helfen ihm und können dich so finden.“
Erst vor kurzem hat mein Vater mir das erzählt.
Wir saßen gemütlich auf dem dicken Teppich vor dem Holz-Ofen.
Und wir tranken eine Tasse heißen Tee.
Und nun bin ich unter einer Schnee-Lawine.
Mir ist kalt.
Ich spüre meine Finger nicht mehr.
Ich bekomme kaum noch Luft.
Ich kann mich nicht bewegen.
Ich bin müde.
Ich will schlafen.
Aber ich darf nicht einschlafen!
Wenn ich einschlafe, muss ich sterben unter dem Schnee!
Wieder versuche ich mich zu bewegen.
Aber es tut alles so weh.
Und es ist so dunkel und so kalt!
Etwas kratzt an meinem Kopf.
Was ist das?
Aua!
Etwas reißt mir an den Haaren!
Ich sehe ein Licht.
Und eine Pfote.
Eine Hunde-Pfote.
Die Pfote macht mir mit den Krallen einen langen Kratzer in Gesicht.
Das Blut aus dem Kratzer läuft mir über die Wange.
Ich muss husten.
„Wir haben sie“ sagt eine Männer-Stimme.
„Sie lebt“ sagt eine andere.
„Ich habe dir doch gesagt:
Bleib auf der Straße“. Sagt meine Mutter.
Noch nie habe ich mich so über die Stimme meiner Mutter gefreut wie jetzt!
…
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