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Doppelseite aus dem Buch "Die größte Freundschaftsgeschichte der Welt"

„Keiner kann über mich bestimmen!“

Die Geschichte spielt zwar auf versschneiten Berghängen und Wäldern, aber kürzlich ist das rund 100-seitige Buch aus dem Vorjahr nun auch als Hörbuch erschienen; auch wenn mit Elias Emken eine einzige Person die komplette Geschichte liest bzw. erzählt, scheint es phasenweise ein mehrstimmige Hör-Erlebnis. Und die Jahreszeit tut nichts zur Sache.

Am Anfang steht ein Streit unter Schneehasen. Das heißt nur einer, der kleine, neugierige, mutig Timidus probiert mit einem großen stück Baumrinde „Schneerutschen“, was dem Chef der Hasengruppe namens Bruno so gar nicht gefällt. Das mache nur Feinde auf die Kolonie der im Schnee getarnten Langohren aufmerksam.

„Dein Rufen war aber eigentlich viel lauter als mein Rutschen“, lässt Autor Michael Engler den Helden des Buches sagen; Barbara Scholz lässt Timidus wie auf einem Skateboard über Hügel flitzen.

Doppelseite aus dem Buch
Doppelseite aus dem Buch „Die größte Freundschaftsgeschichte der Welt“

Ganz allein, wie soll das gehen?!

Als das aufgeweckte Hasenkind dann noch wissen will, der da im Wald Krach macht und einen Baum umknickt, verbannt der Oberhase Timidus. Keine oder keiner seiner Freund:innen steht im bei. „Ein kleiner Hase, ganz allein in der Wildnis. Wie soll das gehen?“, fragte er. Da wurde es still. So still, dass man beinahe die Schneeflocken fallen hören konnte.“ Diese vier kurzen Sätze beschreiben das nun einsetzende Gefühl des Ausgestoßen-Seins, der drohenden und dann beginnenden Einsamkeit.

Timidus findet eine eigene Höhle – und kommt drauf, nun keppelt niemand mehr mit ihm, er kann tun und lassen, was er will. „Niemand!“, rief er laut und froh. „Keiner kann über mich bestimmen!“

So kann er seiner Natur, dem neugierigen Erkunden, nachkommen. Unter anderem checkt er: Es gibt nicht nur Hasen und deren mögliche Feinde, sondern noch ganz schön viel andere Tiere – am Boden und in der Luft.

Doppelseite aus dem Buch
Doppelseite aus dem Buch „Die größte Freundschaftsgeschichte der Welt“

Natürlich…

Aber allein ist er trotzdem. Bleibt es natürlich nicht, immerhin heißt das Buch ja „Die größte Freundschaftsgeschichte der Welt“ – und auch wenn fast jede Seite, manche sogar sehr üppig illustriert ist, das kann’s für 100 Seiten ja nicht gewesen sein.

Ohne allzu viel zu verraten, findet Timidus schon bald neue Freund:innen – andere Tiere, sogar solche, die ihm sein bisheriges Leben unter der Fuchtel von Bruno als Feinde genannt worden waren. Wer das sind, das sei hier sicher nicht gespoilert – nur so viel noch: Auch diese Tiere wurden aus ihren Familien bzw. Herden verstoßen, weil sie nicht so ticken wie ihre Artgnoss:innen. Der mehrmals bei näheren Begegnungen fallende Satz dazu: „So passen wir doch sehr gut zusammen…“.

Die Gemeinsamkeit der Außenseiter:innen ist dann dennoch nicht immer einfach, schweißt aber so zusammen, dass bald auch der Wunsch, doch zu seiner Kolonie zurückkehren zu können, verblasst. Immerhin Freund:innen können sich die unterschiedlichen Tiere aussuchen, im Gegensatz zur Familie, in die sie hineingeboren wurden und die sie verstoßen hat.

Und das macht Mut für alle Ausgestoßenen und stärkt die Lust, auch scheinbare Feind:innen kennen zu lernen.

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Szenenfoto aus "Anders" im Wiener Theater Akzent

Ob Felix oder Anders – sei du selbst

Ein bissl genervt von den vielen Anhänger:innen, die ihm bis zum Schlafzimmerfenster folgen, ruft der Messias in dem filmischen Monty-Python-Komödien-Klassiker „Das Leben des Brian“ diesen zu: „Ihr braucht mir nicht zu folgen. Ihr braucht niemandem zu folgen. Ihr seid alle Individuen…“ Da ruft einer aus der Masse: „Nein, ich nicht!“

Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen; zu sich selbst zu stehen; Menschen nicht abzulehnen, nur weil sie jeweils vorgegebenen Normen nicht entsprechen; Akzeptanz von Vielfältigkeit, von Unterschieden, von (scheinbar) Fremdem… – das sind seit „ewig“ Themen in vielen Kinder- und Jugendbüchern. Für sehr junge Kinder sei nur kurz an die Mira-Lobe-Klassiker „Die Geggis“ oder „Das kleine Ich-bin-ich“ erinnert.

In Jugendbücher-, -stücken- und filmen spielen diese Themen mindestens so oft eine wichtige Rolle. Außerdem heißt es doch rundum, nicht zuletzt „die Wirtschaft“, ja die Gesellschaft brauche Leute, die kreativ sind, neue Lösungen zumindest suchen, „out oft he box“ denken.

Ein Autor, der etliche Bücher darum kreisen lässt, ist Andreas Steinhöfel (u.a. die Buchserie rund um „Rico, Oskar und…“). Sein Buch „Anders“ (vor rund zehn Jahren zum ersten Mal erschienen), das schon den entsprechenden programmatischen Titel trägt, wurde jüngst in einer – für das Mainzer Staatstheater dramatisierten Fassung (Anne Bader, Katrin Maiwald) – im Wiener Theater Akzent (Auf den Punkt. Kulturverein, Regie: Florian Wischenbart) zwei Mal aufgeführt – hoffentlich folgen noch weitere Vorstellungen, wo auch immer.

Die Grundstory

Anders hieß anfangs Felix Winter. An seinem 11. Geburtstag erleidet er knapp hintereinander zwei heftige Unfälle, landet im Koma – 263 Tage (genauso lange war seine Mutter mit ihm schwanger gewesen. Als er wieder aufwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern. Dafür hat er eine neue Fähigkeit: Er kann bei Menschen Erkrankungen erkennen, von denen diese (noch) nichts wissen. Und er wurde ziemlich distanzlos und schleudert seinem jeweiligen Gegenüber die eigene Meinung voll ins Gesicht. Und weil er nun anders ist – obwohl er es gar nicht vergleichen kann – nennt er sich ab einem gewissen Zeitpunkt Anders. Was nicht alle akzeptieren, beispielsweise tut sich die Mutter mehr als schwer damit.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Anders“ im Wiener Theater Akzent

Einer hofft, dass der Gedächtnisverlust bleibt

Ein Mitschüler und dessen besten Freund mit denen damals noch Felix oft gemeinsam unterwegs war, freut sich, dass der nunmehrige Anders durch seine Amnesie von einem dunklen Geheimnis des Trios nichts mehr verraten kann.

Alles weder aus dem Buch noch aus dem Stück sei hier natürlich nicht verraten. So viel aber schon, dass Anders offenbar selbstbewusster, stärker und offener geworden ist als es Felix war. Nicht nur, weil damit so manche Menschen in seinem Umfeld nicht klar kommen, sondern weil auch er zeitweise überfordert ist, sieht er eines Tages kaum noch einen Ausweg… Gespoilert werden darf wohl doch, dass es sozusagen ein Happy End gibt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Anders“ im Wiener Theater Akzent

Vielschichtig und -seitig

Das Buch von Steinhöfel ist natürlich mit seinen rund 230 Seiten vielschichtiger, weist Nebenstränge und -Figuren auf, die in der Bühnenversion gar nicht vorkommen. Zeichnet sich durch viele scheinbar abschweifende, aber tiefgründige Gedanken Jugendlicher übers Heranwachsen sowie die Beziehung zu Eltern, Lehrer:innen, Mitschüler:innen, zu Ehrlichkeit und Verletzlichkeit und vieles mehr aus. Auf einer Ebene und in einer Sprache, wie sie viele Jugendliche sich fast tagtäglich stellen.

Vielseitige Schauspieler:innen

Trotz dieser Vielschichtig- und -seitigkeit bringt die Bühnenversion in dieser Inszenierung die wesentlichen Stränge und Gedanken mit in das eineinhalbstündige Stück. In der Wiener Fassung spielt lediglich Damyan Andreev, der Anders / Felix großartig glaubaft verkörpert „nur“ eine Rolle. Seine Kolleg:innen Maximilian Modl, Lisa-Carolin Nemec, Adrià Just-Font und Birgit Linauer switchen von Vater zu Freund, Ärztin zu Lehrerin und obendrein Marionettenspielerin für ein schräges Huhn, gefährlicher Freund zu ehemaligem Nachhilfelehrer, Mutter zu neugieriger Nachbarin – und alle vier jeweils Erzähler:innen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Anders“ im Wiener Theater Akzent

Jede/r kriegt Fokus-Momente

Neben szenischem Spiel, rückt immer wieder die eine oder andere Figur in den Fokus, per Kamera und Projektion in Nah-Aufnahme wird deren Sichtweise auf die Ereignisse ins Zentrum gerückt (Bühne & Videodesign: Vanessa Eder Messutat). Manches Mal führt das Runter- und Rauffahren der Projektionswände allerdings fast zu Unterbrechungen des Geschehens.

Fraglich ist, ob es in einer der wohl ernstesten Szenen wirklich notwendig war, dass sich der Hauptdarsteller neben seiner seelischen Entblößung auch körperlich bis auf die Unterhose entblättert. Erwartbar führte dieses bei den jugendlichen Zuschauer:innen zu Gelächter, was die Stimmung gerade dieser heiklen Momente doch recht störte

Singer-Songwriter

Mit Laurin Orlando Franek und Noah Fida baut diese Inszenierung noch zwei junge Musiker ein, die immer wieder zwischendurch auftreten und zum Teil selbst geschriebene Songs zu eigener Gitarrenbegleitung singen – die eine Meta-Ebene zur Handlung einziehen, teils kommentierend, teils hintergründig, teils erweiternde Gedanken.

Und auch wenn seit einigen Jahr(zehnt)en betont wird, wie wichtig, eigene Wege, Eigenständigkeit, Vielfalt, Kreativität sind, herrscht doch immer wieder Druck auf Uniformität, die häufig mit Gemeinschaft „verwechselt“ wird. Fremde und Fremdes wird wieder mehr zu Feindlichem, Abweichungen in der schulischen Praxis oft eher bestraft als gefördert…

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Titelseite des Jugendromans
Titelseite des Jugendromans „Anders“
Doppelseite aus "Boris, Babette und lauter Skelette"

„Aber du bischt doch gar nicht andersch“

Ob das Sams, E.T. oder anderen Fantasiewesen beziehungsweise höchst außergewöhnliche Kinder wie Pippilotta Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf – sie alle machen Kindern Mut, Anders-Sein mindestens zu akzeptieren, ja sogar wie im Fall von Pippi vielleicht als Vorbild zu nehmen.

In eine sehr witzige Geschichte verpackt auch Tanja Esch auf 150 Comic-Seiten Diversität, die nicht immer von allen gut geheißen wird in „Boris, Babette und lauter Skelette“. Hauptfigur ist das Kind Boris mit einer Mutter (Tine), die im Home-Office ständig am Computer ist, und ihrem Sohn praktisch nie zuhört und einem liebevollen, fürsorgenden, kochenden Vater (Yaris) sowie einem chaotischen, handwerklich sehr geschickten Opa (Taio).

„Gruschel schuper!“

Schon nach wenigen Seiten aber dreht sich alles um Babette, ein gelbes, sprechendes und obendrein sehr schlaues Tier, dessen Gattung niemand kennt. Eigentlich lebt es bei der 16-jährigen Lynette, die im selben Haus wie Boris wohnt. Babette liebt Grusel so sehr, dass es ohne monsterartiges Umfeld – oder eben Skelette – fast eingeht, weswegen es ein Familiengeheimnis ist. Jetzt geht aber Lynette für ein Jahr nach London und will Babette dem Boris anvertrauen. Der wiederum darf kein Haustier haben.

Klar, dass er sich doch breitschlagen lässt und es unter seinem Hochbett versteckt. Auch klar, dass das irgendwann auffliegt – und so manche Konflikte und riesiges Chaos auslöst. Bis hin zur Abschiebung ins Tierheim – samt anschließender Befreiung durch Boris und zwei seiner Freund:innen (Jette und Jesko).

In diese kapitelweisen Abenteuer verpackt die Autorin und Illustratorin szenischen Witz – und so „nebenbei“ eben die Akzeptanz von Verschiedenheit (Diversität), die ja auch Teil von Boris‘ Familie ist. Weshalb Opa Taio und Babette sich besonders gut verstehen. „Ich weiß, wie es sich anfühlt alleine zu sein und niemanden, um sich zu haben, der so ist wie man selbst. Als ich Ende der Siebziger nach Deutschland kam, habe ich mich ganz ähnlich gefühlt. Ich war überall der einzige Schwarze… Also ich weiß, was es bedeutet, anders zu sein.“ – „Aber du bischt doch gar nicht andersch.“ – „Für manche Leute leider schon.“

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Titelseite des Kinder-Comic-Buches
Titelseite des Kinder-Comic-Buches „Boris, Babette und lauter Skelette“
Doppelseite aus dem Bilderbuch "Heut, da bin ich eine Maus"

Von Maus bis Elefant – du kannst alles sein

Seit mehr als 50 Jahren wandert ein kleines, buntes Wesen in Reimform durch eines der wohl bekanntesten Bilderbücher Österreichs und sucht – auch in vielen verschiedenen Sprache – wer es ist: „Das kleine Ich bin ich“ (Verlag Jungbrunnen). Vor einigen Monaten ist ein anderes Bilderbuch erschienen, das auch damit endet, dass du sozusagen du bist – sprich, die Hauptfigur ich!

Davor aber schlüpft sie in die verschiedensten (Tier-)Rollen und Stimmungen bzw. Gefühle, ist sozusagen jeden Tag anders. Klein und schnell auf der ersten Doppelseite, die dem Buch auch den Titel gab: „Heut, da bin ich eine Maus“ (Edition 5Haus), Giraffe, Affe, Flamingo – als das fühlt sich die Hauptfigur auf den folgenden jeweils Doppelseiten – immer mit sechs Gedichtzeilen und bunten computergenerierten Illustrationen. Später mal ein Wal ebenso wie danach ein kleines Fischlein und gegen Ende ein Elefant. Doch halt, nicht ganz.

Kiri Rakete & Franziska Höllbacher
Kinderliedermacherin Kiri Rakete & Autorin/Illustratorin Franziska Höllbacher

Denn auf der letzten Doppelseite versammelt die Autorin und Illustratorin in Personalunion, Franziska Höllbacher noch einmal alle zuvor aufgetauchten Tiere, in die sich ihre Hauptfigur – ein Kind mit lila Leiberl und roter Brille -, verwandelt, um zu enden „Heut, da bin ich ich allein.“

Niemand?

Wobei die gereimten Zeilen hier leider damit beginnen „Heut, da will ich niemand sein…“ Und der Schluss, „ich bin niemand“ scheint ja doch nicht in der Absicht der Autorin und Illustratorin zu liegen – da wurde wohl dem Reimen zuliebe nach „niemand“ so etwas wie „anderer“ geopfert worden zu sein.

Song

Höllbachers Bilderbuch regte die Kinderliedermacherin Kiri Rakete an, daraus einen eigenen Song zu machen. In den baut sie nicht nur die Gedichtzeilen und Geschichten aus dem Buch ein, sondern erweitert das Lied noch um andere Geschichterln. „Gleich beim ersten Lesen und Staunen hörte ich ein Lied – nein, eigentlich einen Beat! Ein Buch, das tanzt und singt: Probier dich aus!“, zitiert der Verlag sie.

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Buchcover des Bilderbuchs
Buchcover des Bilderbuchs „Heut, da bin ich eine Maus“