Märchen-Adaptionen boomen wieder. Diverse Rotkäppchen- und Wolf-Geschichten neu interpretiert wuseln über Theaterbühnen, eine bemühte Schneeweißchen- und Rosenrot-Version spielte u.a. beim Wiener Kultursommer, der Märchensommer Poysbrunn knüpft sich seit Jahren bekannte Erzählungen – meist aus der Grimm’schen Sammlung vor, teatro, eine Company, bei der sehr viele äußerst talentierte Kinder und Jugendliche mit Profis die Bühne teilen, nimmt hin und wieder auch Märchen als Basis für deren Musicals, heuer beispielsweise Cinderella nach Schneewittchen im Vorjahr.
Und nach „Rotkäppchen rettet den Wolf“, legt nun das Duo Petra Piuk (Text) und Gemma Palacio (Illustration) ein zweites gelungenes „Nicht-Märchen“ vor: „Josch der Froschkönig“.
Jessica König – so heißt die (menschliche) Hauptfigur – im Gegensatz zum Märchen hat sie immerhin einen Namen, dort ist sie ja nur die jüngste Königstochter. Und als die Autorin beginnt, das Original in wenigen Sätzen zusammenzufassen, macht sich Jessica nach den ersten beiden Sätzen schon einmal mit einem „Stopp… können Märchen nicht einmal anders anfangen?“ Und so beginnt nach einer Stammbuchseite über Jessica, auf der du erfährst, dass sie Prinzessinnen-Märchen NICHT mag und Profi-Fußballerin beim FC St. Pauli (Hamburg, Deutschland) werden will, die Geschichte mit „Es ist… heute. Genau jetzt.“ (Ein paar Seiten weiter gibt’s für jene die das Märchen „Der Froschkönig“ aus der Grimm’schen Sammlung nicht kennen, doch eine Zusammenfassung.)
Also, passend zur aktuellen Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (Sommer 2023), geht Jessica mit ihrem Fußball aus der Wohnung auf einen Hügel im Park. Und plötzlich springt der Ball bergab, landet in einem kleinen Teich und dort hüpft ein Frosch auf diese Kugel. Er beginnt mit ihr zu reden, sie versteht ihn! Angeblich, so erzählt er ihr, war sein Ur-ur und so weiter, sieben Generationen zurück der bekannte Märchenfrosch. Aber so wie Jessica ist auch Josch, so stellt er sich vor, kein Freund solcher Geschichten. Und außerdem scheint er sich in den Märchenwelten auszukennen, die besagte Prinzessin hätte wollen eigentlich Goldschmiedin werden und aus der berühmten Kugel Schmuckstücke herstellen wollen…
Wie auch immer, die beiden freunden sich an, Jessica wird vorübergehend zur Fröschin und wandert mit ihm zur Moor-Blubber-Party, wo die verschiedensten Frösche aus aller Welt antanzen. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn dort steigt wirklich Party mit DJane Katja aka Frog Queen. Dazu gibt’s im Buch eine Doppelseite einen Spielplan. Diesen findest du nochmals vergrößert als Beilage zu diesem Bilderbuch mit Zeichnungen im Comic-Stil, du checkst dir Würfel und Spielfiguren und kannst so mit anderen gleich dazwischen oder erst nachdem du das Buch durchhast den Weg zur Party mitspielen.
Auf den Seiten rund um die Party werden – in Form der Gäst:innen – so manche spannenden und oft wenig bekannten Froscharten vorgestellt – vom pfefenden aus Puerto Rico über den weitest springenden aus Südafrika, einen fliegenden aus Thailand bis zum riesigen Goliath aus Kamerun (Zentralafrika) bis zum winzigsten („siebenkommairgendwas Millimeter“) aus Papua-Neuguinea (Pazifik wird zum australischen Kontinent gezählt). An dieser Stelle – oder im Anhang – hätten die genannten Arten schon noch ein wenig mehr an Sachinformation vertragen.
Natürlich kommt Jessica wieder zurück – aus ihren Träumen (?) und landet in Menschengestalt auf dem Ausgangshügel. Jetzt hat sie den Mut, die anderen Fußballspielenden Kinder zu fragen, ob sie mitkicken darf.
Was aber ist hinter dem Wald? Oder, was war davor und was kommt danach – nicht in Sachen Wald, sondern vor dem erzählten Märchen, also vor dem „es war einmal“ und was vielleicht danach – zwischen Happy End und dem vielleicht noch heute leben?
Viele Märchen sind weit verbreitet, so manche werden – zumindest seit Jahrzehnten – interpretiert, meist psychologisch oder psychotherapeutisch. Und immer wieder hinterfragt, nicht zuletzt was die transportierten Rollenklischees betrifft.
Am vielleicht am kürzesten und einprägsamsten fragt die mittlerweile bekannte Kabarettistin Malarina in einem ihrer Programme: Wenn Rapunzels Haare so stark sind, dass sie daran einen Mann raufklettern lassen kann, um von ihm befreit zu werden, warum hat sie dann nicht ihre starken lange Haare verwendet, um die Enden oben in der Turmstube festzubinden und sie als Kletterseile zu verwenden, um die Turmmauer hinab auf den Boden zu gelangen, die Haare abzuschneiden und sich damit selber zu befreien?!
Beim Wiener Kultursommer trat das Kollektiv WienMaschin mit seiner neuesten freien Märchenadaption „Wild wild Roses“ auf – gesehen neben dem Fußballplatz des ASK Erlaa in der Liesinger Meischlgasse – auf: „Wild wild Roses“ hat sich nach „Max & Moritz -Kellergeheimnisse“ nun „Schneeweißchen und Rosenrot“ aus der Grimm’schen Sammlung vorgeknöpft. Nach anfänglichem, streckenweise ein wenig abgehobenem, Philosophieren über Nichts und den Wald, schlüpfen nach und nach Anna-Eva Köck in die Rolle des Schneeweißchens, Johanna Hainz in die der Schwester Rosenrot sowie Sonja Kreibich in jene der Mutter (Regie und Text: Aline Sarah Kunisch, die in dem Fall auch für Musik, die Thomas Käfer zusammengestellt hatte, eingesprungen ist und die vom hinter Handtüchern versteckten Computer abspielte).
Immer wieder hinterfragt vor allem Schneeweißchen ihre Rolle, die ganze Geschichte, tanzt mitunter sozusagen auch aus der Reihe und von der Bühne ins Publikum – auf der Suche nach dem Sinn, sich selbst und wer weiß was noch. „Ich fühl’s nicht!“ als Feststellung, zweifelnd, ja ärgerlich bis zum Auszucken. Als Basis, aus den Märchenrollen auszubrechen.
Und doch die fast einstündige Aufführung ein wenig entrückt – nicht zuletzt von den wenigen Kindern im Publikum. Aber mit einer Party mit Konfetti- und einer roten Rauchbombe am Ende rund um den Hit „Ich gehör nur mir“ aus dem Musical „Elisabeth“, dessen erste Zeilen lauten: „Ich will nicht gehorsam, gezähmt und gezogen sein/ Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein/ Ich bin nicht das Eigentum von dir/ Denn ich gehör‘ nur mir…“