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Szenenfoto aus "Kassandras Geheimnis" von Theater Delphin Basis 2

Trojanischer Krieg plus KI aus der Galaxie Starfish

Die Göttinnen – in langen weißen Kleidern, Aphrodite (Julia Gassner, die später zur Helena wird), Athene (Andrea Mačić) und Hera (Gabriele Weber, auch Co-Regie) – stehen beisammen, kleine Kelchlein in die Höhe gereckt. Sie warten aufs Anstoßen. Knapp daneben ein junger Mann mit metallen wirkendem Oberkörper-Panzer (Romanelli Alessio). Ein paar Treppen darunter ein langer schwarzer Laufsteg.

Gegenüber hängen zwei senkrechte Projektionsflächen mit eingeblendeten Statuen. Dazwischen – noch im Hintergrund – ein Mann im Rollstuhl, der später hin und wieder weiter nach vorne fährt und mit blinkendem Techno-Tablett agiert (Marcell Vala). Auf seiner Seite kommt wütend eine Frau hervor: Was die Göttinnen gegenüber feiern wollen, ist die Hochzeit von Thetis und Peleus. Und sie, Göttin Eris (Anna Fellner, später tritt sie immer wieder als Mundschenkin auf), ist als einzige nicht eingeladen. (Hat da das Märchen Dornröschen mit der 13. Fee die Inspiration her?)

Apfel der Zwietracht

So, da habt ihr einen goldenen Apfel! Den rollt Eris über den Laufsteg. Na also, gar nicht so böse! Oder vielleicht doch? Auf dem Apfel klebt, dass er der Schönsten gehören möge. Also Streit des Göttinnen-Trios. Und wer soll – und wonach – urteilen? Genau, der junge Mann, genannt Paris…

Soweit die Ausgangs-Szene von „Kassandras Geheimnis“, einer inklusiven Produktion von und im Theater Delphin (Wien-Leopoldstadt; 2. Bezirk). Die Theatergruppe hat diesen antiken griechischen Stoff um die Entstehung des zehn Jahre dauernden Kriegs zwischen Griechen und Trojanern um so manch eigene sehr fantasievolle Geschichten zu erweitern.

Weder Weisheit noch Macht…

Zunächst zurück zur mythologischen Story: Paris entschied sich weder für die von Athene im Gegenzug angebotene Weisheit, noch die Macht, die Hera ihm als Bestechung in Aussicht stellte, sondern für Aphrodites Versprechen, die Liebe der schönsten (irdischen) Frau der Welt. Doch blöd, dass diese Helena schon mit dem griechischen König Menelaos verheiratet war. Und Paris ein Trojaner.  Und so – zumindest der mythologischen Legende nach – kam’s zur Belagerung Trojas, natürlich Unmengen von Toten, Verletzten, Leid und was sonst noch alles zu Kriegen dazugehört.

Blinde Seherin

Eine große tragische Person in dieser bekannten Geschichte: Kassandra (Iris Zeitlinger), die später zur sprichwörtlichen Figur wurde. Sie hatte zwar die Gabe, vieles vorauszusehen, aber als Rache von Gott Apollon dafür, dass sie sich von ihm nicht verführen ließ, sollte niemand ihren Weissagungen glauben…

Künstliche Intelligenz

Diese weithin bekannte Geschichte / Legende mischten die Schauspieler:innen des Inklusiven Theaters Delphin mit einer eigenen Fantasie /Utopie. Das Universum ist weitgehend kriegsfrei, nur da in irgendeiner Ecke des Alls, auf der Erde herrschen noch bewaffnete Auseinandersetzungen, stellt der Chef der Galaxie Starfisch fest. Mittels Künstlicher Intelligenz regiert Zeurelius (der schon oben genannte Marcell Vala). Um auch dort für Frieden zu sorgen, schickt er Möskin Odur (Judith Czerny) aus der Spezialeinheit von Melva auf die Erde.

Auch wenn aktuelle Kriege vielleicht oder wohl mitgemeint sein könnten, landet die Spezialperson inmitten des Trojanischen Krieges, versucht sich Vertrauen zu erwerben – vor allem beider Kurtisane Neaira (Hanna Schnitt), die halt alle und jeden gut „kennt“ und kommuniziert in unbeobachteten Momenten hin und wieder mit dem Chef via Leucht-Smart-Armband…

Künstlicher Mensch

Gleichzeitig trachtet Kassandra auf einem anderen Weg den Krieg zu beenden – durch Sieg mittels einer Achilla, einer künstlichen Person, die sie aus einer Leiche mittels Zaubertinkturen zum Leben erwecken will. Wobei das Zusammenspiel mit Sklave Werwolf Fenris (Bianca Brucker) recht humorvoll, fast kabarettistisch angelegt ist und immer wieder für Lacher im Publikum sorgt, das in dem kleinen Theater in Wien-Leopoldstadt (2. Bezirk) links und rechts des Laufstegs sitzt.

Konsum-Pferd

Für mindestens ebenso viele Schmunzler bis Lacher sorgt das berühmte Trojanische Pferd, das hier auf einem Einkaufswagerl mit Holz, Drahtgitter und einem Kunststoff-Ross-Kopf in die Szenerie gefahren wird. Und sich zeitweise sozusagen als Figuren-Konkurrenz der aufrecht an einem Seil baumelnden Achilla gegenübersieht.

Möskin Odur entledigt sich letztlich der Verbindung zu Zeurelius und damit der totalen Kontrolle durch die KI – und großer Jubel für alle Mitwirkenden (Co-Regie, Bühnenbild, Visuals, Technik: Georg Wagner) nach knapp 1¼ Stunden.
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Szenenfoto aus "Kassandra 4D"

Nehmt die „blinde Seherin“ endlich ernst!

Grünlich-bläuliche Bubbles bewegen sich im Hintergrund über die Leinwand. Meist wandern abstrakte Muster, hin und wieder re-mixed mit konkreten Fotos, selten auch mit Wörtern über die grafisch-künstlerisch von Experimentalfilmer Erich Heyduck gestaltete Video-Kulisse hinter der Schauspielerin und dem Musiker.

Letzterer liefert Musik, Sound, Geräusche aus einem Live-Studio unterschiedlichster Tasten-Instrumente und Regler. Hin und wieder greift Georg O. Luksch zu einer „Pipe“, einem ein wenig klobig wirkenden Blasinstrument samt Knöpfen zu elektronischen Verzerrungen. Mit seinem analogen, elektronischen Tonstudio fast in Form eines Cockpits schafft er durchgängig die akustische Atmosphäre für „Kassandra 4D“, das er gemeinsam mit Rita Luksch entwickelt hat und nun live performt. Die Schauspielerin lässt Texte lebendig werden, schlüpft in die Rolle der mythologischen Titelheldin, switcht mühelos über rund viereinhalb Jahrtausende – mit verbalen Ausflügen Millionen Jahre zurück.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Kassandra 4D“

Mauern schließen auch ein

Und lässt – wie natürlich viele neuzeitliche „Kassandra“-Bearbeitungen seit Jahrzehnten – aktuelle Themen mitschwingen. War’s bei der DDR-Schriftstellerin Christa Wolf nicht zuletzt „die Mauer“, die Troja angeblich schützen sollte, so finden wir in der Quadrophonie-Version bald nach Beginn folgende Sätze: „Jedenfalls Priamos, unser Herrscher, König von Troja, mein Vater – doch er hat sich verschlossen vor meinen Warnungen. Will nichts hören von der Gefahr, die uns bedroht, uns auszulöschen droht! Ihr schließt euch ängstlich ein, die Mauer um unsere Stadt wird größer und größer, die Gräben tiefer und tiefer zwischen den Völkern. Die Fremden auf der einen Seite und wir auf der anderen. Griechen gegen Trojaner. Habt ihr das gewollt?“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Kassandra 4D“

Tanz auf dem Vulkan?

Zwischendurch lädt Rita Luksch einmal das Publikum ein, sich von den Sitzen zu erheben und zum Fest des Apollon mit ihr als neuer Priesterin zu tanzen. Das ist allerdings eher ein Tanz auf dem Vulkan oder der Titanic, haben wir doch schon davor von der Kassandra – in Vergangenheit und Gegenwart – düstere Vorhersagen erfahren; keine esoterischen durch Blicke in Glaskugeln oder via gelegter Karten usw., sondern „einfach“ aus der messerscharfen Analyse der Ereignisse. Die im einen Fall durch Machtgier zu unzähligen Todesopfern im Krieg zwischen Griechen und Trojanern führten und im anderen, im heutigen Fall zum möglichen Untergang der ganzen Menschheit.

Wobei zu letzterem kommen die heftigeren Fakten erst im Teil nach dem Tanz. Aber sie sind natürlich schon zuvor gegenwärtig. Die von Menschen angerichtete Klimakrise ist wohl mittlerweile jeder und jedem in irgendeiner Weise zumindest nicht entgangen. Auch wenn Rita Luksch vor allem gegen Ende vielleicht manch weniger bekannte Fakten – u.a. solche, die möglicherweise gerade noch Abhilfe schaffen könnten – rezitiert, wirkt das letzte Viertel doch zu sehr nach lehrhaftem Vortrag. Natürlich alles wichtig und richtig.

Fleisch-Facts

Eine Passage daraus: „Wenn wir Konsument*innen die Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung beachten und statt pro Person 60 Kilo Fleisch im Jahr nur die empfohlenen 19 Kilo verzehren, reduzieren wir unseren Fleischkonsum um zwei Drittel, so braucht es in Österreich 64 Millionen weniger Nutztiere. Damit werden große Flächen für eine Umstellung auf Biolandbau oder zur Aufforstung frei. So würden im Ernährungsbereich 28 Prozent der Treibhausgase eingespart.“

Es gäbe sicher noch viel mehr solcher Fakten, aber das bisschen Overkill, wirkt, als hätte das Duo gar nicht an die Kraft der eigenen zuvor so konzentrierten und doch ent-dichteten, der poetisch-atmosphärischen, Performance geglaubt, die das Publikum sinnlich in diesen Wahnsinn der Ignoranz gegenüber analytischen bzw. wissenschaftlichen Warnungen mitnimmt.

Wabbernde Sounds tröpfelnde Linsen

Das kongeniale Zusammenspiel von Musik bzw. Geräuschen, die zeitweise voll durch den Raum wabbern, und der Schauspielerin, die übrigens fallweise auch mit auf einer runden Rahmentrommeln und darauf „tröpfeln lassenden“ Beluga-Linsen musiziert sowie dem auf die Szenen abgestimmten Experimentalvideo nimmt mit auf eine Reise, die zwischen Faszination und kaltem Schauer pendelt. So schön und doch so arg, wie die große Mehrheit oder gar wir alle sehenden Auges ins Verderben rennen, das die blinde Seherin voraussagt.

War’s, weil es sich bei Kassandra um eine Frau handelt(e), dass die Herrscher ihr nicht glaubten? Das war wohl (mit) ein Grund, aber nicht der alleinige. Warnungen auch vieler männlicher Wissenschafter, die seit Jahrzehnten auf Folgen von Ressourcen-Vernichtung und Erwärmung der Erdatmosphäre hinweisen – wir wissen, was mit ihnen passiert (ist).

Kommt wieder

Premiere, bei der vielleicht trotz wunderbaren Zusammenspiels der Schauspielerin und des Musikers vielleicht der eine oder andere Blickkontakt oder körperliches Zusammenspiel noch besser gewesen wäre, war in der ersten Mai-Woche im Gleis 21, einem Veranstaltungsraum im gemeinschaftlichen (Wohn-)Projekthaus im neuen Sonnwendviertel beim Wiener Hauptbahnhof. Dort wird noch zwei Mal im Juni und dann im September gespielt, einmal auch im niederösterreichischen Wilhelmsburg – siehe Info-Box.

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Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Kassandra 4D“

Szenenfoto aus "Im Herzen der Krähen"

Von Krähenherzen, Wolfsmäulern und Frauengeschichte(n)

Zu atmosphärischen Gedichtzeilen, die – eingesprochen aus dem Off – über der Szenerie durch den Raum zu schweben scheinen, beginnen unten zu ebener Erd` Theaternebel-Wolken zu wabbern, erfüllen im Verlauf der 1 ½ Stunden immer wieder das Geschehen im Drei-Eck zwischen einem stilisierten Baum, einer Art Felsbrocken und einer Bushaltestelle. Alles in Weiß gehalten – wie unbeschriebene Blätter. Auf, vor, in und zwischen denen sich die Geschichte dreier Frauen „geschrieben“, pardon gespielt und erzählt wird. Ach, weiß ist auch noch ein Großteil des Bodens – aus zusammensteckbaren Quadraten, die über weite Strecken an eine Art eisige Struktur, später – umgedreht – eine glatte Fläche ergeben in „Im Herzen der Krähen“ von Kaśka Bryla im Werk X am Wiener Petersplatz.

Wenn sich die ersten Nebel lichten, …

… stellen sich der Reihe nach drei Frauen vor: Zunächst Sonja, die auf den Bus wartet, der nicht und nicht daherkommt. Julia Amme wirkt wie aus einer anderen Welt, entkleidet reibt sie sich mit realen Eisplatten und -Stücken ein.

Laila Nielsen als Lille würde gerne fliegen können. Irgendwie auch, weil sie das Mensch-Sein satt hat, sich sozusagen mit der Natur vereinen will, erklettert sie den angesprochenen Baum – hinauf zu den Krähen, die wie vielleicht auch nicht anders zu erwarten war, davonfliegen. Aber eine bleibt. Mit der freundet sie sich an, gibt ihr sogar einen Namen: Kassandra. Nach der „blinden Seherin“ aus der griechischen Mythologie, die die Zukunft vorhersagen konnte, der aber niemand glaubte.

Diese aber wird von einem Pfeil aus einer Armbrust getroffen. Abgeschossen von der dritten – noch lange nicht im Bunde: Esra mit Figurennamen, gespielt von Zeynep Alan. Den Vogel zu treffen wollte sie nie und nimmer, beteuert sie vielfach, es tue ihr leid. Sie wollte schlicht und ergreifend – und das in gedichthaften Worten – nur das Geräusch des fliegenden Pfeils in der Luft hören. Sätze, die sie mehrfach wiederholt. Leider ist es in diesen – große Stille erfordernden – Momenten nie ruhig genug, stören technische Nebengeräusche.

Nach Kassandras Tod

Jedenfalls konstatiert Sonja nach dem Vogeltod: „Die Welt ist jetzt eine andere!“ Und sie wandelt sich für das Trio – aus den drei Einzelnen wird eine Gemeinschaft. Miteinander buddeln sie – nur erzählt – ein tiefes Loch, begraben den Vogel. Und sehen sich obendrein miteinander der Bedrohung durch einen Wolf gegenüber. Der als Projektion – wie übrigens auch die Krähe vor ihrem Ende, die auf einem rotierenden Kreisel, der Vierbeiner auf der Rückwand – auftaucht. In dem Fall herangezoomt das Maul aufreißend, sozusagen gar das Publikum mitverschluckt. Aber nein, sie können sich retten – und nicht nur das. Schließlich trägt Sonja einen Wolfspelz-besetzten Mantel (Bühne und Kostüm: Elisabeth Schiller-Witzmann).

Zukunft und Vergangenheit

Nach den ersten gemeinsamen, teils innigen, Erlebnissen, versuchen Esra, Lille und Sonja ihre Wurzeln zu erzählen, nachdem sie ins Grübeln gekommen sind, wie Zukunft mit Vergangenheit zusammenhängt – und damit auch mit ihren Herkünften, die sie als Rucksack mittragen – nicht zuletzt und mitunter sogar vor allem über die Betrachtung und Schubladisierung der anderen zwecks „Hintergründen“.

Ping-Pong zwischen Autorin und Ensemble

Autorin Kaśka Bryla hat mit den Mitgliedern des Ensembles – nicht nur dem Schauspieltrio – ausführliche persönliche Interviews geführt, deren Ergebnisse sie in eine erste Fassung eines Teils des Stückes fließen hat lassen. Diesen Text hat sie dem Ensemble wieder vorgelegt, Meinungen, Ergänzungen usw. eingeholt und dann den Stücktext fertig geschrieben, den Alexander Bauer und Chris Herzog inszenierten (Dramaturgie: Angela Heide, Outside-Eye: Aïsha Konaté).

Viele Ebenen

Das Stück, das sich selbst „eine Überschreibung der Kassandra-Figur“ nennt, operiert nicht nur mit Schauspiel und eingespielten gedicht-ähnlichen sozusagen Meta-Texten, sondern auch mit Musik – bekannte Songs werden im Playback performt. Und dem Gedankenspiel, gäbe es eine bessere Zukunft, wenn die Vergangenheit umgeschrieben werden würde. Und inwiefern wäre es nicht nur eine gelogene neu geschriebene Vergangenheit, sondern wie viel davon ist tatsächlich eine – bislang nicht oder kaum erzählte – wirkliche Vergangenheit. Ist nicht Geschichtsschreibung immer eine der Herr-schenden? Und gilt es nicht auch, die verschüttete echte Vergangenheit freizulegen. Aber wo ist die Grenze zwischen der wahren und der erwünschten Geschichtsschreibung?

Auch wenn das Reinkommen ins Stück nicht gleich von den ersten Momenten an leicht ist – angesichts der angespielten verschiedenen Ebenen – nach kurzer Zeit kann leicht in die schwere und doch leichtfüßige – aber mit Tiefgang – gespielte Geschichte – eingetaucht werden – eine Produktion von Kunst und Lügen und Peira in Kooperation mit WERK X-Petersplatz sowie Theater im Ballsaal.

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"Störfall Kassandra" nach Christa Wolf in der Dunkelkammer im Volkstheater (Wien)

Wollen wir die Tatsachen nicht sehen?

Die Dunkelkammer des Volkstheaters ist vielleicht sogar der ideale Ort für die monologische Performance „Störfall Kassandra“. Nach den beiden gleichnamigen Bücher der widerständigen DDR-Schriftstellerin Christa Wolf hat Gitte Reppin den rund einstündigen Text des Abends kombiniert und verdichtet. Und sie rezitiert und spielt ihn auch. An manchen Stellen gespenstisch, beängstigend leider fast zeitlos.

Von radioaktiven Wolken und anderen Winden

Obwohl sich die Textstellen aus „Störfall“ historisch den katastrophalen Unfall im AKW Tschernobyl (26. April 1986, Ukraine, damals Teil der Sowjetunion) abarbeiten, lassen sie sich auch generelle Kritik daran lesen, dass Warnungen vor Gefahren für Menschen, jedwedes Leben und die Natur oftmals in den Wind geschlagen werden.

„Störfall Kassandra“ nach Christa Wolf in der Dunkelkammer im Volkstheater (Wien)

Und von „Winden“ und dem Transport radioaktiver Wolken durch diese schlägt der kombinierte Text die Brücke zu den Winden für die Segelschiffe der Griechen, die gegen Troja zogen. Und damit zu Kassandra, der blinden Frau mit der Gabe – durch Analyse der Gegenwart künftige Gefahren zu sehen. Der aber niemand glaubt.

„Kassandra, das ist kein Name, das ist eine Kampfansage, entschlossen, die Gemütlichkeit zu stören. Kassandra – das ist mein Kampfname, meinen anderen habe ich vergessen. Ich schrumpfe dahinter zusammen. Kassandra ist kein Mensch, Kassandra ist ein Programm. Kassandra zerstört auch mich. Mit jeder Prophezeiung zerstört sie mich.“

„Störfall Kassandra“ nach Christa Wolf in der Dunkelkammer im Volkstheater (Wien)

Dichte Texte

Im Zentrum eines Halbkreises aus vielen kleinen weißen Steinen – an den Seiten eng belegt, immer spärlicher werdend und schließlich nur mehr mit gedachter Schließung des Bogens (Raum: Jane Zandonai) – lässt die Schauspielerin (Regiemitarbeit: Barbara Seidl, Dramaturgie: Ulf Frötzschner) die Texte lebendig werden. Wenige, spärliche, dezent gesetzte Bewegungen, eingeblendete atmosphärische Bilder und Video-Sequenzen (Ulrike Schild) und eine „Verwandlung“ mit Umkleidung in einen goldglänzenden Overall sowie ebensolcher Schminke von Gesicht, Händen, Füßen und Haaren (Kostüm: Tina Prichenfried) unterstreichen lediglich das Gesagte, den dichten Text, der in diesem Fall eingebettet ist in einen fiktiven Dialog mit dem sterbenden Zwillingsbruder.

Mit-geteilt?!

Vielleicht eine – für viele – überraschende textliche, aber vor allem gedankliche Erkenntnis: Sowohl Atom als auch Individuum, ersteres aus dem Griechischen, das andere Wort lateinischen Ursprungs, bedeuten auf Deutsch unteil- oder wie es im Stücktext heißt „unspaltbar. Die diese Wörter erfanden, haben weder die Kernspaltung noch die Schizophrenie gekannt…“

Und nicht im Text, aber weitergesponnen: Was passiert eben, wenn Erkenntnisse nicht weiter (mit-)geteilt werden?!

„Störfall Kassandra“ nach Christa Wolf in der Dunkelkammer im Volkstheater (Wien)

Richtige Belichtung

Mahnung, Erkenntnisse von „Seher:innen“ und deren Warnungen vor fast schon mit Händen greifbaren auf die Menschheit und den Planeten zukommende Gefahren, eben nicht zu ignorieren. „Aus irgendwelchen Gründen steht der Glaube, dass es für alles und jedes eine technische Lösung gibt, immer wieder auf.“ Kommt das vielleicht bekannt vor?

Und der Text ist von globaler Betrachtung gekennzeichnet, so heißt es u.a.: „Das ist doch alles krank. Oder was muss noch passieren, als dass die Milch weggekippt wird, tausendliterweis, und man sich fürchten muss, mit den besonders gesunden Nahrungsmitteln die Kinder besonders schnell zu vergiften. Und auf der anderen Seite des Erdballs gehen die Kinder zugrunde, weil ihnen genau diese Nahrungsmittel fehlen.“

Und darum passt vielleicht auch die Dunkelkammer so gut: Erst mit der richtigen, wohldosierten Belichtung werden die – noch analog – fotografierten Bilder sichtbar.

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„Störfall Kassandra“ nach Christa Wolf in der Dunkelkammer im Volkstheater (Wien)