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Szenenfoto aus "Frau Zucke will die Weltherrschaft" im Theater der Jugend, Wien
Szenenfoto aus "Frau Zucke will die Weltherrschaft" im Theater der Jugend, Wien
18.02.2023

Wenn niemand dem wachen, energiegeladenen Mädchen glaubt…

Sehr schwungvolles Musical sehr frei nach „Hänsel & Gretel“ um Kinder, Energie und ignorante Erwachsene im Theater der Jugend in Wien.

Schwungvoll Rad schlagend entert Ursula Anna Baumgartner als Meg die Bühne. Der erste Auftritt, eher -sprung kraftvoll, energie-geladen. Und die hält sie die knapp mehr als zwei Stunden (eine Pause) auch durch. Und damit DEN Kern der Geschichte, der sich um Energie dreht.

Mit ebenso viel Power beginnt sie die arge Geschichte zu erzählen – im Schnellst-Sprech beginnt sie dem Publikum zu erzählen. „Mit wem redest du da?!“, schimpft die Mutter. Zweites Kernproblem angesprochen: Selbst die eigenen Eltern glauben der Tochter nicht, wenn sie ihr überhaupt zuhören.

Die Grundstory

Die böse Frau Zucker (sehr lustvoll gespielt von Isabel Weiken) hasst Kinder, „kocht“ sie aber mit Süßspeisen ein, so dass vernachlässigte Kinder gern diese Nachbarin aufsuchen. Und diese Person hat DIE Idee schlechthin, ein großes Problem der Welt(wirtschaft) zu lösen: Energie. Beides verbindet sie: Kinder haben – vielen Erwachsenen zufolge – zu viel davon. Die Welt(wirtschaft) zu wenig.

Die Kinderhasserin hat in Frau Dr. Giftig jene Wissenschafterin gefunden, die das Problem löst: In einer Art Duschkabine wird Kindern Energie abgesaugt. Dabei sterben diese nicht, sie werden „nur“ zu antriebs- und empathielosen Erwachsenen. So weit der Kern der Story – sehr frei nach „Hänsel und Gretel“ der Gebrüder Grimm – des 2011 in Berlin uraufgeführten Musicals, das nun im großen Haus des Wiener Theaters der Jugend seine vielumjubelte Österreich-Premiere feierte, aktuell angefeuert durch die seit einem Jahr massive Energie(preis)-Krise.

Einzige Seherin

Meg – von Margarete, sprich Gretel – leidet nicht nur daran, dass sie alles sieht, erkennt und ihr die Eltern (sehr glaubhaft Kathrin Hanak und Frank Engelhardt) nicht glauben. Selbst die anderen Kinder – Hansi (wunderbar tollpatschig und ignorant gespielt von Markus Törk) und Tinchen, die erstes Opfer der Verwandlung wird (sowohl als Kind als auch dann als Erwachsene: Beate Korntner) – scheinen nicht mitzukriegen, was da abläuft. Meg sozusagen als eine Art Kassandra (dazu übrigens eine wunderbare Inszenierung von Christa Wolfs Text im nahegelegenen Volkstheater/Dunkelkammer). Oder sie wollen’s nicht wahrhaben, ist Frau Zucker doch viel liebevoller zu ihm als er’s von seinem schlagenden Elternhaus gewohnt ist.

Weil sie niemand mitspielen ließ

Im weiteren Verlauf der Geschichte stellt sich heraus, dass Tinchen nicht wirklich das erste Opfer ist, schon davor wurde aus Kevin Zuckers und Doktorin Giftigs Helfer Herr Braasch (Uwe Achilles), der hin und wieder auch in seine Kinderrolle zurückfindet – vor allem als es Meg gelingt, die Tabletten, die fürs Vergessen zuständig sind, gegen einfache Zuckerln auszutauschen. Die Wissenschafterin Giftig, die ihren eigenen Hass auf Kinder damit speist, dass sie als hochbegabte Zehnjährige nie mitspielen durfte, wird übrigens gekonnt bitterböse von jener Nadine Aßmann gespielt, die sie schon vor mehr als zwölf Jahren die zu schnell erwachsen Gewordene verkörpert hatte.

Bleiben noch zu nennen: Martina Dorothea Sommersguter als Darstellerin der schlappen, überforderten, depressiven Mutter von Tinchen sowie Simon Stockinger als Pauli, „Babysitter“ von Meg, der als einziger ansatzweise an deren Geschichte glaubt, auch wenn er sie bei der Begrüßung stets despektierlich „Kröte“ nennt und sie ihm eher lästig zu sein scheint. Und der eine affärenartige Szene mit Megs Mutter Tessa kriegt – die vor allem fürs erwachsene Publikum gedacht ist. Aber wie alle Figuren – außer den Gegenspielerinnen Meg und Zucker – erlebt auch er eine Entwicklung zum Positiven. Wenngleich das Ende kein glattes „happy“ ist.

Raus aus den Rollen, rein ins Tanzen und Singen

Immer wieder treten die Protagonist:innen kurzfristig aus ihren Rollen heraus um mitreißend in gemeinsamen Choreografien auf den mehreren Ebenen der Bühne (Ausstattung: Daria Kornysheva) die mehr als ein Dutzend Songs (Musik: Wolfgang Böhmer, Leitung Orchesteraufnahme: Gerald Schuller, musikalische Einstudierung: Ursula Wögerer, Choreo: Nina Tatzber) zu singen und tanzen. Wofür es praktisch nach jeder Nummer Szenen-Applaus gibt – leider selbst beim inbrünstigen Kinderhasser-Song.

Gedankenblitz

Peter Lund, der sich die Geschichte ausgedacht hat und sie in Berlin an der Uni der Künste, wo er lehrt, mit Absolvent:innen gemeinsam entwickelte, hat auch in Wien Regie geführt. Ausgangspunkt für seine Geschichte sei wie er rund um die Premiere Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erzählt „tatsächlich dieser Gedankenblitz gewesen: Kinder haben so viel Energie und die Welt hat ein Problem mit Energie. Da waren wir damals schon sehr prophetisch.“ Im Stück lässt er Meg sagen: „In jedem Kind steckt so viel Energie wie in 400 Millionen Tonnen Roh-Öl.“

Kleine kritische Anmerkung: Im Gegensatz zur Berliner Version lässt er in der Wiener Inszenierung leider mehrmals bei Frau Zucker die Anspielung „Hexe“ einbauen. Womit wieder einmal die weisen, starken, verfolgten Frauen diskreditiert werden. Was ihm eigentlich gar nicht entspricht, war doch sein erstes Musical (1991) „Hexen“, das diese alles andere als böse sieht.

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Frau Zucker will die Weltherrschaft

von Peter Lund (Text) und Wolfgang Böhmer (Musik)
Ab 6 Jahren; Knapp mehr als zwei Stunden (eine Pause)

Regie: Peter Lund

Darsteller:innen
Meg: Ursula Anna Baumgartner
Tessa, Megs Mama: Kathrin Hanak
Stefan, Megs Papa: Frank Engelhardt
Pauli, Megs Babysitter: Simon Stockinger
Tinchen, Megs neue Freundin: Beate Korntner
Hansi, Tinchens Freund: Markus Störk
Frau Reschke, Tinchens Mama: Martina Dorothea Sommersguter
Frau Zucker: Isabel Weicken
Herr Braasch: Uwe Achilles
Frau Doktor Giftig: Nadine Aßmann

Ausstattung: Daria Kornysheva
Licht: Daria Kornysheva und Peter LundLeitung Orchesteraufnahme: Gerald Schuller
Musikalische Einstudierung: Ursula Wögerer
Sounddesign: Béla Fischer
Choreographie: Nina Tatzber
Dramaturgie: Britta Kampert
Regieassistenz und Inspizienz: Eva Maria Gsöllpointner
Hospitanz: Denise Sanna

Wann & wo?

Bis 6. März 2023
Renaissancetheater: 1070, Neubaugasse 36
Telefon: 01 521 10-0
tdj -> Frau Zucker