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Szenenfoto aus "Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause" von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Jahrzehnte alt, aber leider brand-aktuell

Wäre nicht so manch unfreiwillig komische Passage – in den Texten, aber noch viel mehr im Schauspiel der Mitwirkenden – könnte es einem die 1 ¼ Stunden des organischen Mixes zweier alter Elfriede-Jelinke-Texte („Das Lebewohl“/ 2000 und „Wolken.Heim“/ 1988) fast nur kalt den Rücken runterlaufen. Und leider nicht nur als historische Erinnerung, obwohl die Ausgangs-Originaltexte 24 bzw. 36 Jahre alt sind. Das ist wohl das Erschreckendste an den analytisch sezierenden, rhythmisch, teils chorisch, mit Wiederholungen arbeitenden Texten der Literatur-Nobelpreisträgerin: Ausgehend von konkreten jeweils aktuellen politischen Ereignissen oder Sagern, legt sie das jeweils Strukturelle im Hintergrund offen. Und das überdauert nicht selten den aktuellen Anlass.

Ansonst könnte ja gelächelt werden über das seinerzeitige „Bin schon weg“, „bin wieder da“ Jörg Haiders, der den Rechtspopulismus (nicht nur in Österreich) schon vor der Jahrtausendwende zu einer Hochblüte getrieben hatte. Bezogen auf seinen Rückzug auf Kärnten, um die erste Schwarz-Blaue Regierung 2000 zu ermöglichen der Drittplatzierten ÖVP das Kanzleramt überließ, um die eigene Politik durchsetzen zu können, beispielsweise.

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Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Indirekt aktuelle Bezüge

Solches sprechen Jelinek-Texte aber auf einer Art Meta-Ebene und damit auch noch allgemeingültiger an. „Warum bitte sind all diese fremden Leute, die wir nicht persönlich kennen, weil sie sich selber mitsamt den Wurzeln ausgerissen haben, warum bitte sind die überhaupt noch da? – Die sollten doch längst weg sein, als Entwurzelte.“ Und schon schießt dem rezensierenden Zuschauer „Remigration“ oder „Leitkultur“ ein – weit über die seinerzeitigen Rechts-Extremen hinaus von der einstigen politischen Mitte gefordert.

Theater-Geburtstage

Die beiden Texte verwob Karl Baratta, der schon früh Jelinek-Texte auf Bühnen inszenierte, für das Theater Arche in Wien-Mariahilf. Mit „Das Lebewohl.Wolken.Heim
Und dann nach Hause“ begeht dieses Theater seinen eigenen fünften Geburtstag, aber auch gleichzeitig den 40. Gründungstag des Vorläufers „Theaterbrett“ – von Nika Brettschneider und Ludvík Kavín, den Eltern des heutigen Arche-Co-Leiters Jakub Kavín; der übrigens schon als Kind auf dieser Bühne den Kleinen Prinzen gespielt hatte.

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Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Unterläufel als Antreiber

Nun schlüpft er, Haare frisch geschoren, in eine der „Buberl“-Rollen des „Schattenkanzlers“ J.H. Den Hass gegen Fremde, Andere und nicht zuletzt Journalist:innen – „geschirrt gehören sie unters Joch“ übersetzt Jelinek Haiderisches „Aufräumen in den Redaktionsstuben“ ins Literarische. Sein Co. in der Rolle der Handlanger/Vollstrecker des Anführers: Eckart Schönbeck. Gegenseitige Stichwortgeber einer-, Aufgansler andererseits. In der Rolle des irgendwie zwischen Diabolischem, multipler Persönlichkeit, scheinbar Chaos stiftendem aber mit zielgerichtetem Plan Agierenden glänzt mit immer wieder aufgesetztem Lächeln Manami Okazaki (Co-Leiterin von Theater Arche).

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Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Be-greifbarer

Die beiden dichten, tiefschürfenden, die hintergründigen politischen Strukturen freilegenden Texte werde durch die Aufteilung auf die Schauspieler:innen und ihr szenisches Spiel viel (be-)greifbarer und können so in ihrer Dichtheit leichter aufgenommen werden.

Ergänzt werden die beiden genannten zwei bzw. drei Jahrzehnte alten und doch so erschreckend aktuellen Texte durch einen aus dem Vorjahr, vorgetragen von der 13-jährigen Amelie Kanon, die schon davor Tanz-Auftritte in unterschiedlichen Stilen im Hintergrund bei den vier Türen an der Bühnen-Rückwand hatte. „Dieses Land braucht junge Männer und Frauen, die das Herz am rechten Fleck haben, die sich trauen, oft gegen den Strom zu schwimmen, die sich auch trauen, etwas auszusprechen, wofür man vielleicht nicht von allen geliebt wird“, heißt es da unter anderem. Und was wie ein Offenlegen von Elfriede Jelinek sein könnte, stammt original von „Österreichs Jugend, die vorangeht“ vom Bundesjugendtag de RFJ (Ring Freiheitlicher Jugend) 2023.

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Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Ausgebreitet

Wie auch schon zu Haiders Zeiten ging’s – und geht’s heute genauso – nicht nur um Rechtspopulismus, sondern – durchaus auch offenen – Rechts-Extremismus. Nur heute schon weiter verbreitet. Ob heute in Österreich ein Landeshauptmann noch zurücktreten würde, wenn er von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im 3. Reich“ sprechen würde?

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Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Aus der Geschichte lernen?

Dazu fällt der oftmals – mitunter abgewandelt – zitierte Satz von Ingeborg Bachmann aus ihrem Roman „Malina“ (derzeit dramatisiert im Wiener Volkstheater) ein: „Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“ Den sie sich übrigens bei Antonio Gramsci ausgeborgt hat, der schon 1921 in „Ordine Nuovo“ schrieb: „Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewusstseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“

Der trotz des Ernsts der Texte und noch mehr der Lage immer wieder auch von Humor aus Texten und Schauspiel durchzogene Abend ist ab 1. März wieder – mehrmals bis fast Mitte Mai (siehe Info-Block) im Theater Arche zu erleben.

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Szenenfoto aus "NICHTS Was im Leben Wichtig ist" im Theater Arche (Wien)

Intensive, heftig gespielte Sinn-Suche

Der einst heftig umstrittene (Jugend-)Roman „Nichts“ von Janne Teller erlebt in einer sehr jungen Inszenierung im Wiener Theater Arche eine Auferstehung – gespielt von Jugendlichen und sehr jungen Erwachsenen, inszeniert vom Co-Leiter des Theaters.

Vor fast einem ¼-Jahrhundert (2000) im dänischen Original erschienen, wurde das Buch erst zehn Jahre später ins Deutsche übersetzt – und mit dem Untertitel „Was im Leben wichtig ist“ gleich als eine Art pädagogischer Gebrauchsanleitung versehen.

Die Story

Die Grundgeschichte: Ein Schüler der 7A (im Stück der 7 D) im kleinen fiktiven dänischen Ort Tæring (was übrigens Korrision, also zersetzen, zerfressen, sozusagen kaputtgehen wie verrosten bedeutet) namens Pierre-Anthon, beginnt alles und das offen in Frage zu stellen. Welchen Sinn macht es, zu lernen, zu leben, wenn wir doch am Ende alle sterben – und das nach kurzer Zeit, verglichen mit der Existenz der Erde. Noch dazu leben im täglichen Einerlei, Trott… Er setzt sich in eine. Zwetschgenbaum nahe der Schule und bespuckt die Mitschüler:innen.

Diese wollen ihn erst vom Baum schießen, bis sie die Idee haben, ihn nur dann herunterzubekommen, wenn sie ihm beweisen, dass es doch Sinn und Bedeutung im Leben gibt, in ihrer aller, in jeder/jedem einzelnen von ihnen. Und so lässt die Autorin die (Ex-)Klassenkolleg:innen einen „Berg aus Bedeutung“ in einem alten, stillgelegten Sägewerk errichten. Jede und jeder muss etwas opfern, das ihr/ihm wirklich wichtig ist. Und das wird heftig.

Wowh…

Wobei hier das Stück – fast ließe sich sagen natürlich – gleich anfangs vom Original abweicht, um später sehr wohl wieder dort zurückzukehren. Das erste was alle – und zwar gleichermaßen auf den Berg legen: Ihre Handys. Und das löste die stärkste Reaktion in den 1¼ Stunden im erwachsen dominierten Publikum aus – von Erstaunen mit „wowh“s bis zu verhaltenem Jubel darüber, dass (ihre) Kinder sich von Smartphones trennen können. Obwohl sie das selbst wahrscheinlich auch kaum zustande brächten und höchstwahrscheinlich auf der Bühne Dummies verwendet wurden.

Doch danach geht’s erst so richtig zur Sache, lässt Janne Teller – und die Theaterversion – Schritt für Schritt die Sache eskalieren. Denn nach teuren Schuhen, zu denen die Erzählerin Agnes (Livia Andrä) die Mutter erst monatelange überreden musste, dem geliebten gelben Fahrrad von Hans (Adria Just-Font) usw. müssen beispielsweise Gerda (Viktoria Ginzel) ihren Hamster Oskar sowie Marie Ursula (Kieran Foglar-Deinhardstein) schon ihre blauen Zöpfe, darbringen. Schon da scheinen glaubhaft Bühnentränen zu fließen.

Heftigst

Und es wird heftiger, wenn es noch intensiver an die körperliche Integrität geht. So soll Jan-Johann (Jakob Köllesberger), der das Stück schon vor Beginn mit Gitarre und Beatles-Songs u.a. „Here comes the Sun“ und „Let it be“ einleitet, seinen rechten Zeigefinger opfern. Sophie (Lena Hergolitsch), die am intensivsten versucht, mit Pierre-Anthon (Max Melo, der die Stufen zwischen den Publikumsreihen hinaufgeht und auf einem einsamen Sessel Platz nimmt) zu diskutieren, wird gar – es wird verbrämt ausgedrückt – ihrer „Unschuld“ beraubt, also eigentlich vergewaltigt. Was ihr noch mehr raubt, ihre ganze Empathie-Fähigkeit. Sie muss, um zu überleben, einen emotionalen Panzer errichten und kann nur mehr eiskalt (re-)agieren.

Meister:innen-haft

Gerade die Szenen, in denen Darsteller:innen weinen spielen oder gar die logischen und doch fast unaushaltbaren Schreie, mitunter auch lautlose sind höchst berührend und professionell gespielt. Solche könnten ur-leicht ins peinliche kippen. Tun sie hier aber nie und nimmer.

Schul-Kontext

Alle schon Genannten und dazu noch Elizabeth Dorner (als Die hübsche Rosa und Theresa Gerstbach (Die fromme Asta), wobei fast alle immer wieder kürzestfristig auch in weitere Nebenrollen aus dem Roman schlüpfen, sind noch bzw. waren bis vor Kurzem Schüler:innen des polyästhetischen Zweiges im BORG (BundesOberstufenRealGymnasium) Hegelgasse 12 (Wien-Innere Stadt) – mit Ausnahme von Adria Just-Font (Hans). Nach Einmietungen von Bühnenprojekten dieses Zweiges hatte Jakub Kavin, Co-Leiter von Theater Arche, als Regisseur im vergangenen Schuljahr mit einer ganzen Klasse ein Bühnenstück erarbeitet („Sommernachtstraum“), heuer steht – in derselben Konstellation – „Lysistrate“ auf dem Programm. Jetzt – bis 9. Dezember 2023 (Details siehe Info-Box) handelt es sich eine kleine Gruppe sehr leidenschaftlicher junger Schauspieler:innen, die in diesem Metier teils auch ihre berufliche Zukunft sehen.

Fraaaagen

Trotz der immer heftiger werdenden Opfergaben und des noch ärgeren Schlusses – alles soll nicht gespoilert werden, und jene, die den Roman kennen, wissen’s ohnehin – stehen auch in dieser Inszenierung wie in Janne Tellers Roman die Fragen, die Suche nach dem im Zentrum, was für jede/n Einzelnen einer- und die Gesellschaft insgesamt andererseits im Leben Sinn macht, bringt, stiftet. Und hat nicht

„Ich sehe es als eine Art modernes Märchen. Ich will gar nicht mit Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität argumentieren: Ich finde am wichtigsten, dass Literatur ihre eigene Logik hat. Weil sie nicht abgebildete Realität ist, kann sie uns Einsichten in unsere eigene Wirklichkeit vermitteln. Wie ein magischer Spiegel. Während ein realistischer Spiegel uns nur die Oberfläche zeigt“, sagte Janne Teller in einem Interview mit Susanne Gaschke in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ kurz nach Erscheinen der deutschen Übersetzung dieses Romans (5. August 2010, Link zum gesamten Interview weiter unten). Auf die Frage der Journalistin, weshalb denn nicht Erwachsene eingreifen, wenn Pierre Anthon die Schule verweigert.

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zeit.de -> janne-teller-interview

Szenenfoto aus "Weltuntrgang" in "Theater Arche", Wien

Wen kümmert schon der Weltuntergang

Der seit Jahrzehnten verselbstständigte Witz eines Gesprächs zwischen Planeten und Sternen im Weltall, wonach die Erde darüber klagt, dass sie Menschen hat und die „Kolleg:innen“ sie trösten, das gehe vorbei, stammt ursprünglich aus Jury Soyfers „Der Weltuntergang“ (aus dem Jahr 1936!).

Das Theater Arche zeigt eine schwungvolle Inszenierung mit tänzerischen und Gesangs-Passagen sowie Bezügen zur Gegenwart und Zitaten einer Reihe weiterer Autor:innen aber auch von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens derzeit in seinem Haus in Wien-Mariahilf – nach einer Aufführungsserie im oberösterreichischen Traun im Frühjahr – unter dem Titel „Prof. Guck sucht das Glück“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Weltuntrgang“ in „Theater Arche“, Wien

Jandls „schtzngrmm“

Schon während des Publikumseinlasses spielt Ruei-Ran „Algy“ Wu – mit dem Rücken zu den Zuschauer:innen – aber einem spiegelnden Instrument auf seinem Piano klassische Hits wie Frank Sinatras „Fly me to the moon“. Und dann geht’s los mit einem (sprach-) choreografierten Art sprachlichem Babel aus Texten von Ernst Jandl, aus dem nicht zuletzt „schtzngrmm“ immer wieder besonders hervorstach eine Buchstabenkombination, die sich bei mehrmaliger Wiederholung leicht im Kopf zu… – genau, womit wir auch schon bei der alles anderen als friedfertige Menschheit sind, die das Universum aus dem Gelichgewicht zu bringen droht. Weswegen der Rat der Planeten samt Sonne beschließt, Komet Konrad loszuschicken. Durch einen Zusammenstoß, soll die Erde von ihren Plagegeistern befreit werden – so die Grundstory Soyfers Stück. Das er dann allerdings nicht so enden lässt, denn noch hat, oder will, er Hoffnung verbreiten. Berühmt auch Jura Soyfers Schilderung der Widersprüchlichkeit im „Lied von der Erde“: „Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde/ Voll Leben und voll Tod ist diese Erde“.

… dann halt auf zum Mars

Das war dem Regisseur Jakub Kavin, der gemeinsam mit Dramaturgin Jana Schuller-Frank und dem Ensemble das Stück bearbeitet hatte, zu pathetisch. Und so endet dieser „Weltuntergang“ in der Theater Arche damit, dass sich der Komet Konrad in die Erde „verguckt“ hat, wunderbar getanzt und gesungen von Manami Okazaki.

Diese Inszenierung ist überhaupt eine grandiose, liebevolle, vielfältige runde Sache mit unterschiedlichsten ineinander greifenden und übergehenden Elementen – Schauspiel, Gesang, Tanz und vor allem dem humorvollen Spirit des besonders satirisch talentierten Jura Soyfer. Der Einbau von Texten andere Autor:innen – Jandl war schon, die anderen sind in der Infobox genannt – ist ebenso organisch gelungen wie die Herstellung aktueller Bezüge mit zum Brüllen komischer Persiflagen in Form der „Geistesgrößen“ Ronald Tramp (Markus Pol) und Iron Trust (Georg Behma-Kreuzbauer), die gemeinsam mit Präsident Xe Jenpeng (Multitalent Ruei-Ran „Algy“ Wu) beschließen: Wurscht, wenn die Welt untergeht, wir hauen ab auf den Mars.

Vielsprachig

Dieser Präsident, vom Musiker gespielt, der zwischendurch auch schon in die Rolle eines fotografierenden Journalisten beim Treffen diverser Staatsoberhäupter schlüpft, tritt auch in einer wichtigen Verhandlung in Sachen drohender Weltuntergang mit Allgemeinplätzen zwischen Sicherheit und Balance auf. Dabei verwendet er seine Erstsprache Mandarin-Chinesisch. Sein Gegenüber, Präsident Amazon Nengege (Futurelove Sibanda) spricht ähnliche Floskeln und Phrasen auf IsiNdebele. Georg Beham-Kreuzbauer und Michaela Khom „übersetzen“ in (deutsche) Lautsprache, während im Hintergrund Markus Pol – theatral vergrößert und überhöht – in Österreichische Gebärdensprache übersetzt. Eine Szene großen „Kinos“ mit etlichen Anklängen an reale TV-Bilder von Politiker:innen-Treffs – übertroffen vielleicht nur noch von der oben angesprochenen über das Mars-Trip-Trio.

Übrigens bringt Okazaki schon in einer früheren Szene ihre Erstsprache japanisch ins Spiel.

Ignoranz und Krisengewinn

Alle Akteur:innen auf der Bühne kehren immer wieder von den unterschiedlichsten Rollen in ihre angestammten Himmelskörper-Figuren zurück, hinreißend vor allem Futurelove Sibanda als Venus und Manami Okazaki als Komet Konrad.

Margot Binder (u.a. Mond) tritt vor allem als die Wissenschafterin (bei Soyfer männlich) Professorin Guck auf, die verzweifelt versucht, Beamt:innen und Entscheidungsträger:innen vom drohenden Weltuntergang und vor allem von der eigenen Erfindung, diesen verhindern zu können, zu informieren, in die Gänge zu bringen. Und treffen auf Ignoranz bei den einen – symbolisiert durch die berühmten drei „äffischen“ Handhaltungen Augen, Ohren bzw. Mund zuhalten. Sowie gar Abwehr bei den anderen – denn so manche Unternehmen profitieren gut und übermäßig: Wenn die Welt bald untergeht, dann erst recht noch schnell: Kaufen, kaufen, kaufen…

Geschichte und ihre Lehren

Bitterböse ist vor fast einem Jahrhundert entstandene Stück mit gar nicht allzu vielen Aktualisierungen leider noch immer oder gar noch aktuell(er). Wie schon Ingeborg Bachmann im Roman „Malina“ (1971), der derzeit dramatisiert im Volkstheater läuft, schreibt, dass die Geschichte lehrt, aber keine Schüler hat – was allerdings Antonio Gramsci schon 50 Jahre ähnlich formulierte: „Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewußtseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler“, zitiert aus marxists.org -> gramsci -> italspan

Weshalb auch der sarkastische Song von K.I.Z. ft. Henning May nicht fehlen darf mit den Songtext-Zeilen: „Und wir singen im Atomschutzbunker: Hurra die Welt geht unter“.

Jura Soyfer…

… wurde 1912 in Charkiw (heute Ukraine) geboren, maturierte in Wien im Gymnasium Hagenmüllergasse, kam – mit nur 27 Jahren im Konzentrationslager der Nazis in Buchenwald ums Leben (1939). In seinen wenigen Lebensjahren schrieb er – neben Gedichten – etliche Theaterstücke, die sich sozialkritisch und satirisch mit seiner Gegenwart – und der drohenden Zukunft auseinandersetzten, darunter nicht zuletzt „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang“. Dieses wurde im Frühjahr 1936 uraufgeführt und nach wenigen Vorstellungen abgesetzt.

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Szenenfoto aus "Skriker" im Theater Arche (Wien)

Mystisch-düsteres Horromärchen über Abgründe

In einem mystisch, meist dunklen Ambiente mit sehr aufwändigem Bühnenbild spielen Schauspieler:innen und solche, die gerade ihre Ausbildung dazu machen das düster, teils Angst machende „Horror-Märchen“ namens „Skriker“ – eine Koproduktion von Yellow Cat Theatre mit der Open Acting Academy-Konservatorium für Schauspiel.

Apfel, Tierköpfe und Fluss zur Unterwelt

Wenige Tage spielt(e)n 18 Darsteller:innen die rund zweistündige Geschichte im Wiener Theater Arche. Im Schwedischen würde Skriker für Schreien stehen, aber die britische Autorin Caryl Churchill siedelte ihre (vor rund 30 Jahren geschriebene) sehr wandelbare Fee in einer schottischen mystischen Fantasiewelt an, einer Art Jenseits. Und paarte sie mit Märchen- und anderen Versatzstücken – von der Stiefmutter, die Schneewittchen mit einem Apfel vergiften will über Shakespeares Sommernachtstraum mit einem Menschen mit Tierkopf bis zur griechischen Mythologie mit dem Fluss Styx als Grenze zwischen Lebenden und Toten.

Dies- und Jenseits

In dieser Inszenierung (Regie: Colleen Rae Holmes) – 2017 war eine andere Version im Kosmos Theater zu sehen – wird die titelgebende Figur von drei Schauspielerinnen gespielt, die zeitweise im Trio, sehr oft aber abwechselnd allein und in immer neuen Gestalten in Erscheinung treten: Nadja Kruselburger, Pia Schiel und Matea Novak. Die beiden Hauptfiguren im Diesseits sind Josie (Jasmina Eder) und Lily (Julia Wiehart). Erstere war schon „drüben“ – irgendwie als Sühne für eine böse Tat womit sie sozusagen in den Bann der Skriker gekommen ist. Diese Last will sie abschütteln und auf Lily, die ein Kind erwartet, übertragen.

Großes Ensemble

Der Kampf der beiden – gegeneinander einer- und gegen die Inbesitznahme durch die Jenseits-Feen andererseits – steht im Zentrum des fast zweistündigen, emotional fesselnden Abends, der für so manche Schreckmomente sorgt. Die genannten fünf Darsteller:innen werden von gut einem Dutzend weiterer in vielen kleinen und größeren Rollen ergänzt – manche mit Tierköpfen, dominierend dabei der sehr oft präsente Wachhund aus dem Jenseits (Christian Georgita). Alle einzelnen Rollen, ihre Funktion sowie ihre Darsteller:innen zu nennen, wäre hier vielleicht zu verwirrend – sie alle machen aber erst aus dem doch lange dauernden Stück einen kurzweiligen Abend, ob sie nun nur kurz auftreten, spielen oder tanzen.

Echter kleine Flusslauf

Mehr als bemerkens- und erwähnenswert ist allerdings die vielleicht aufwändigste Bühne, die je in diesem Theater – noch dazu nur für wenige Vorstellungen – aufgebaut wurde: Die düstere, mystische Landschaft mit knorrigen Bäumen, Erde und einem kleinen Flusslauf – mit echtem Wasser – und viel Müll. Denn das jenseits, das Reich des Todes winkt nicht nur für individuelle böse Taten, sondern der ganzen Menschheit dafür, wie sie den Planeten zerstört.

Wobei dieses Jenseits, getrennt durch den Wasserlauf, vielleicht auch „nur“ das schlechte Gewissen, die eigenen dunklen Abgründe sind?! Das würde erklären, weshalb Lily beispielsweise verwundert ist über Josie, die von ihrem urlangen Aufenthalt in der anderen Welt spricht, ihre Abwesenheit aber kaum bis gar nicht wahrgenommen haben will.

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Szenenfoto aus "Ein Sommernachtstraum" der 7 D, BORG Hegelgasse im Theater Arche (Wien)

Traumhafter „Sommernachtstraum“

Fast zwei Stunden durchwegs pure Spielfreude, ein kompletter – hin und wieder auch mit original-englischen Passagen – „Sommernachtstraum“ William Shakespeares – gespielt von Jugendlichen. Sie alle sind Schüler:innen der 7D des polyästhetischen Zweiges des BORG (BundesOberstufenRealGymnasiums) in der Wiener Hegelgasse 12 – wem das nun bekannt vorkommt, ja, genau, es gab hier auf dieser Site schon einen Probenbericht samt Interviews mit einigen der Jugendlichen – Link hier unten

Liebeswirren

Nun aber gehen die Aufführungen echt über die Bühne im Theater Arche (Wien-Mariahilf), mit dem sie auch in Kooperation erarbeitet worden sind. In nicht ganz zwei Stunden (eine Pause) erzählen, nein spielen, die fast zwei Dutzend Jugendlichen die ganze Geschichte mit ihren teils schon recht verwirrenden vom Elfenkönig Oberon (Yannic Schober) im Kampf gegen seine Ehefrau, Titania angezettelten Liebeswirren. Diese soll sich in das nächstbeste Wesen, am besten ein tierisches Monster, verlieben, wenn sie ihre Augen aufmacht, die Oberon mit Liebestropfen beträufeln lässt.

Puck- und Titania-Trio

Sein Gehilfe Puck wird in dieser Inszenierung (Regie: Co-Arche-Direktor Jakub Kavin, Schauspiel-Unterricht Lehrerin Ute Bauer) von drei Jugendlichen miteinander und gleichzeitig, manchmal synchron, aber immer mit unterschiedlichen individuellen Noten gespielt: Kieran Foglar-Deinhardstein, Theresa Gerstbach und Finja Sturm. Gleiches gilt übrigens auch für Titania, in deren Rolle Mia Aimet, Zoë Falkner und Amelie Strolz schlüpfen – und sich in den zum Esel verwandelten schauspielenden Handwerker Zettel verwandeln. Dessen Darsteller Christopher Rohlfing strotz nur so vor komödiantischem Talent.

Viele Lachmomente

Dies vor allem in einer der weiteren Ebenen des Shakespeare’schen Stückes. Zettel und die anderen Handwerker:innen – Nora Gaugg als Schlucker, Elena Feigl als Schnock, Lisa Mair als Flaut und Emily Valant als Schnauz (die jetzt genannten spielen auch Titanias Elfen wo sie noch um Alisya Fabian verstärkt werden) – sollen mit der Tragödie von „Pyramos und Thisbe“ für eine theatrale Einlage bei der Hochzeit von Theseus (Viktoria Ginzel) und Hippolyta (Daria Tayel) sorgen. Zettel will fast alle Rollen an sich reißen, spielt den Alleskönner und sorgt im „Probenprozess“ für die „Tragödie“ für kräftige Lacher fast auf dem laufenden Band.

Er liebt mich, er liebt mich nicht …

Eine weitre zentrale Ebene des Stücks sind die angerichteten Liebeswirren um das Paar Hermia und Lysander (Flora Oswald-Ulreich) einerseits. Und andererseits um Helena, die unsterblich in Demetrius (Elizabeth Dorner) verliebt ist, der aber von ihr genau gar nichts wissen will. Das soll durch die Liebestropfen geändert werden. Aber Schreck, „natürlich“ passiert auch hier dem Kobold, hier natürlich dem entsprechenden Trio, ein „Versehen“: Neben Demetrius, der übrigens nach einem adeligen Versprechen Hermia, die Tochter des Egeus (Linnea Paulnsteiner) heiraten soll, wird auch Lysander eingetropft – und beide sehen als Erstes jeweils Helena, verlieben sich in sie. Und die denkt und fühlt, sie würde von beiden verarscht. Als obendrein Hermia auszuckt, dass ihr Lysander sie nun verachtet, vermutet Helena gar ein Trio-Komplott, das sie an den Rand des Wahnsinns bringt.

Geteilte Rollen

Sowohl die Rolle der Helena als auch die der Hermia teilen sich jeweils zwei Schülerinnen – abwechselnd in verschiedenen der Vorstellungen. In jener, die Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… besuchte waren dies Lena Hergolitsch (in den anderen spielt Lelia-Sidonie Herbeck die Helena) und Vicencia Amon-Lavnick (die andere Hermia spielt Mirandolina Wissgott).

Und trotz großartiger Ensemble-Leistung muss einfach die genannte Hermia-Darstellerin extra erwähnt werden, die insbesondere in dieser heftigen Szene, da sie die entwürdigende Ablehnung durch ihren Liebsten, erlebt und ausflippt, spielt Vicencia Amon-Lavnick großartig auf, lässt den Atem der Zuschauer:innen stocken, wenn sie zu Boden geschleudert wird. Und bewahrt dennoch ihre Würde – insbesondere im Abgang, bei dem sie unabsichtlich gegen einen der Bäume – die zum Glück aus hängenden dünnen Stoffsäulen bestehen (Bühne: Johannes Hierzenberger und Martin Kaar) rennt und spontan reagiert als wär’s geplant.

Live-Musik und Tanz

Die Schüler:innen spielen aber nicht nur, zu Livemusik (einer der Lehrer: Florian Ehrlinger) gibt es immer wieder auch getanzte Szenen (Choreografie: Lehrerin Manuela Bayer). Und auch das beherrschen die Jugendlichen. Klar, sie besuchen einen Schulzweig, bei dem Theater und Kunst einen Schwerpunkt bilden. Doch mit dieser „Ein Sommernachtstraum“ können sie durchaus mit anderen professionellen Produktionen sehr gut mithalten.

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Szenenfoto aus "Unter dem Fußboden" nach Daniel Wissers Texten im Theater Arche (Wien)

Verbirgt sich etwas „unter dem Fußboden“ oder hinter Zeitungsmeldungen?

Der gesamt Bühnenboden im Theater Arche ist mit Zeitungspapier (Ausstattung: Clarisse Maylunas) bedeckt. Fast plakativ, wird doch darauf „Unter dem Fußboden“ gespielt. Und dieses Stück aus minimalen literarischen Episoden baut auf Daniel Wissers gleichnamigem Buch auf. Dort versammelt er meist sehr skurrile Kürzest-Geschichten im Stile chronikaler Zeitungsmeldungen – vom Weltrekord im Fahnenmast-Sitzen bis zu einem Künstler, der nur im Dunklen malt, jemandem, der jahrelang nicht spricht und vieles mehr.

Im vor vier Jahren erschienen Buch versammelte Wisser knapp mehr als 100 solcher Miniaturen, bei denen immer wieder Zweifel aufkommt, ob sie wirklich nur erfunden sind oder doch wahr sein könnten. Manche haben zumindest wahre Kerne. Der Autor lässt bewusst offen, welche und was wie ist/sein könnte. Und immer wieder ergänzt er auf seiner Homepage neue solcher „Meldungen“ – und verlinkt kreuz und quer – manche Figuren ziehen sich durch, tauchen immer wieder auf. Aber auch über Stichworte kommen Leser:innen dann zu Miniaturen mit ähnlichem Thema.

Der verschwundene Redakteur

Dennoch war es nicht leicht vorstellbar, wie daraus ein Stück werden kann. Ist es aber geworden. Und das wunderbar. Zum einen hatte Regisseur Karl Baratta den Einfall, den immer wiederkehrenden Zeitungskorrespondenten Huitzinger als „roten Faden“ anzulegen. Wisser hatte über den unter vielen „Meldungen“ jene verfasst: „Es begann damit, dass niemand bemerkte, dass Huitzinger verschwunden war. Erst nachdem die Sekretärin der Abendblätter feststellte, dass Huitzinger seit sieben Jahren an keiner einzigen Redaktionssitzung teilgenommen und keinen Artikel mehr geschrieben hatte, begann man seine Abwesenheit wahrzunehmen…“

Ein Zusatztext

Stanislaus Dick, Manami Okazaki, Elisabeth Prohaska und András Sosko verschmelzen immer wieder als Zeitungs-Leser:innen mit den szenisch gespielten „Nachrichten“ bzw. schlüpfen in die eine oder andere der phantastischen, sehr oft eher bedauernswerten oder genial scheiternden Figuren. Jakub Kavin spielt den Alk-trinkenden nicht gerade angenehmen Chefredakteur, der Huitzinger anblafft. So sehr, dass gut zu verstehen wäre, wenn sich der wirklich aus dem Staub gemacht hätte. Kavin spielt aber seine zweisprachige Stärke aus, verleiht seinem Deutsch immer wieder tschechischen Akzent und rezitiert – als einzigen Fremdtext – das in Kunstsprache verfasste Nonsensgedicht „Monolog des verrückten Mastodon“ von Paul Scheerbart (Pseudonyme Kuno bzw. Bruno Küfer), angeregt dadurch, dass Daniel Wisser in seinen Miniaturen einen Wissenschafter namens Scheerbart vorkommen lässt – wobei auch der besagte Dichter ein perpetuum mobile erfinden wollte:
Zépke! Zépke!/ Mekkimápsi – muschibróps./ Okosôni! Mamimûne ……./ Epakróllu róndima sêka, inti …. windi …. nakki; pakki salône hepperéppe – hepperéppe!!/ Lakku – Zakku – Wakku – Quakku — muschibróps./ Mamimûne – lesebesebîmbera – roxróx – roxróx!!!/ Quilliwaûke?/ Lesebesebîmbera – surû – huhû (Monolog des verrückten Mastodons, Paul Scheerbart 1902)

Multi-Musik

Der genialste Einfall allerdings ist ein gar nicht textliches verbindendes Glied: Ruei-Ran „Algy“ Wu erfand während der Proben Musik, die der Tausendsassa live auf Klavier, Keyboard, 1/10-Geige und Bandoneon (eine spezielle Harmonika) spielt – mal nur kurze Unterbrechung, dann wieder Untermalung zu Gesangseinlagen von Manami Okazaki, Stanislaus Dick und András Sosko.

Ein weiterer Regie-Einfall (Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer), der sich als eine weitere Klammer des immer wieder stark zum Lachen anregenden Abends erweist: So manche der Textminiaturen alias Zeitungsmeldungen werden vielfach, jeweils von anderen der Schauspieler:innen, wiederholt. Meist dennoch tonlich, stimmlich, szenisch anders gefärbt, womit trotz des Wissens um die Pointe keine Langeweile aufkommt.

Zwillinge?

Nochmals zurück zum Huitzinger: „Das Gerücht machte die Runde, dass man Huitzinger in einer ohnehin sensiblen Phase seines Lebens in einer Redaktionssitzung ausgelacht hatte, weil er die Zwillinge Ginzburg nicht nur nicht miteinander verwechselt, sondern sie auch gar nicht für Geschwister gehalten hatte. Huitzinger hatte versucht sich zu retten, indem er sagte: »Die beiden sind aber auch besonders zweieig.« Doch auf diesen Satz folgte wieder nur lauteres und noch länger anhaltendes Gelächter.“ Übrigens veränderte Wisser die Formulierung im Internet auf „die beiden wirken eher wie zwei Einlinge!“. Und dazu hat er seine kürzeste Miniatur verfasst, die im Stück vielfach gespielt wird:

Der siamesische Einling

„Er dachte, er wäre nicht allein auf zur Welt gekommen, der siamesische Einling. Dachte er aber nur.“

Unter dem Fußboden

Was es mit dem Titel seiner Kürzest-Geschichten – und damit auch des Stücks – auf sich hat, können wir einem dazu dezidiert verfassten Text entnehmen: „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Gegenstände, die auf dem Fußboden liegen, auf Gegenstände hinweisen, die sich unter dem Fußboden befinden. Und doch hat die Mehrheit der Menschen Angst davor, dass die Hörner des Teufels durch den Boden stoßen, längst verlegte belegte Brote oder Tramezzini auftauchen oder Vergrabenes oder Verstecktes wieder sichtbar werden könnte. Die Menschen sehen in den Gegenständen unter den Fußböden und Rasenflächen meist unheilvolle Dinge, die Katastrophen, Unglücke, Tod oder Verdammnis bringen. Nur wenige sehen wirklich nur das, was sich tatsächlich auf dem Fußboden befindet. …“

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Titelseite von Daniel Wissers
Titelseite von Daniel Wissers „Unter dem Fußboden“

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Puck mal 3 – Schüler:innen spielen Shakespeares Sommernachtstraum

Lysander muss heute ersetzt werden. Die Spielerin dieser Rolle fehlt an diesem Nachmittag, das heißt eine der beiden. Denn diese Figur wird von zwei Darsteller:innen verkörpert, ebenso wie die der Hermia, in die er verliebt ist. „Dafür sind alle drei Puks da!“, frohlocken die Schüler:innen der 7D des BORG (BundesOberstufenRealGymnasiums) für Musik und Kunst Hegelgasse 12 (Wien) gegenüber dem Regisseur.

Jakub Kavin ist kein Lehrer, sondern Co-Leiter von Theater Arche. Die Schule, die u.a. den Zweig Polyästhetik hat, in dem vielfältige Kunstsparten kombiniert und unterrichtet werden, hat seit dem vergangenen Schuljahr eine Kooperation mit dem genannten Theater in der Mariahilfer Münzwardeingasse, das jahrzehntelang als Theaterbrett bekannt war.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Zweisprachig

Die Aufführungen von „Ein Sommernachtstraum“ werden auch dort über die Bühne gehen. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… durfte eine der Proben im Festsaal der Schule besuchen. Bis zu den Aufführungen sind noch viele Wochen. Und dennoch flutscht die Durchlaufprobe schon einigermaßen. Mal sind da Sätze zu leise, zu schwach, dann kommen dort Passagen zu schnell herausgesprudelt. Letzteres mitunter im Englischen. Gespielt wird diese Parade-Verwirrungskomödie mit mehreren Handlungsebenen (unter anderem ein Theaterstück im Stück, gespielt von schauspielenden Handwerkern) von William Shakespeare zwar vorwiegend auf Deutsch, aber immer wieder sind auch Sätze in der Sprache DES Theaterautors, dessen Stücke auch fast 400 Jahre später noch zu den wohl meistgespielten auf den Bühnen der Welt gehören.

Besonders spielfreudig – und damit offenkundig die Idealbesetzungen – die Pucks. Dieser Kobold, soll mit magischen Mitteln die Pläne seines Chefs, des Elfenkönigs Oberon verwirklichen, die dieser im Clinch mit seiner Ehefrau Titania ausheckt.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Lustig, einen Macho zu spielen

Nach der Probe durfte kijuku.at fünf der jugendlichen Schauspieler:innen interviewen.
Elizabeth Dorner, spielt Demetrius. Auf die Frage, ob sie sich diese Rolle ausgesucht habe oder die zugeteilt worden wäre, antwortet sie: „Ein bisschen von beidem. Am Anfang wollte ich eher Helena oder Hermia spielen. Die waren schon vergeben und Demetrius ist auch eine coole Rolle wegen seinem Mach-mäßigen Gehabe.

KiJuKU: Wieso finden Sie das cool?
Elizabeth Dorner: Ich bin eine sehr liebe Person, aber ich hab halt oft diesen „Resting Bitch Face“ (ungewollt herablassenden Gesichtsausdruck) und es gibt heutzutage auch noch genug Jungs mit dieser Haltung, zuerst nehm ich die eine, dann die andere… Es ist auch lustig zu spielen.

KiJuKU: Warum haben Sie sich überhaupt für den Theaterzweig entschieden?
Elizabeth Dorner: In meiner alten Schule wusste ich in der vierten, ich muss dort unbedingt weg. Ich hab damals schon in einem Chor gesungen und bei der Sommeroper Klosterneuburg mitgemacht. Es hat mir sehr gut gefallen, auf der Bühne zu stehen. Dann hab ich eine Schule gesucht und diese gefunden und die taugt mir sehr.

KiJuKU: Das ist auch Ihre Berufspersektive?
Elizabeth Dorner: Ja, ich will auf jeden Fall probieren ins Reinhardt-Seminar für Schauspiel zu kommen und wenn das nicht klappt, eine andere Schauspielschule besuchen. Bühne oder Film. Wenn ich auf der Bühne bin, bin ich in meiner Rolle und mein Privatleben und alles andere ist ausgeblendet und ich kann mich in der Rolle ausleben.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Auf der Bühne und im Leben …

Kieran Foglar-Deinhardstein, spielt „ein Drittel vom Puck“.
KiJuKU: Was heißt, ein Drittel vom Puck?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Das heißt, dass wir drei immer gleichzeitig auf der Bühne stehen und eine Rolle verkörpern aber in drei verschiedenen Ausprägungen. Wir haben uns den Text aufgeteilt, so dass jede und jeder von uns immer nur einen Teil, ein, zwei Sätze hintereinander sagen. Wir sind eine Rolle, aber drei verschiedene Personen.

KiJuKU: Sie haben sich dieses Drittel Puck ausgesucht, oder war das überhaupt von Anfang an klar, dass diese Figur sozusagen dreifach auftritt?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Nein. Wir wurden der Reihe nach durchgefragt, welche Rolle wir am liebsten spielen würden. Zuerst mussten wir jede und jeder jeweils drei Rollen aufschreiben, die wir gerne spielen würden. Es wurde uns versprochen, dass wir eine davon bekommen. Als wir gefragt wurden, welche wir am liebsten spielen würden, haben wir alle drei den Puck gewählt. Dann gab’s die Entscheidung, weil das ohnehin eine große Rolle ist, dass die eben aufgeteilt wurde. Dadurch, dass diese Szenen ja im Feenwald spielen, kann auch ein bisschen weg von Realität gespielt werden.

KiJuKU: War Puck Ihre erste Wahl – und wenn ja, warum?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Ja, ich weiß nicht genau. Ich hab den Sommernachtstraum schon vorher gekannt und ich fand den Charakter vom Puck, dieses komplett Verrückt-Sein sehr lustig zu spielen. Ich hab den Text dann noch einmal durchgelesen und es war die Rolle, die mich am meisten angesprochen hat, weil man da die Realität komplett wegschmeißen kann, komplett herumspringen und wahnsinnig sein darf. Das find ich sehr faszinierend.

KiJuKU: Ist das etwas, das Ihrem Naturell entspricht oder genau nicht?
(Alle Umstehenden lachen teils heftig.) Kieran Foglar-Deinhardstein: Naja, schon, ich bin vielleicht nicht ganz so extrem, aber ich bin schon eher ein bisschen ein Springinkerl. Außerdem spiele ich gerne extreme Rollen.

KiJuKU: Nur auf der Bühne?
(Hörbares Schmunzeln des Umfeldes.) Kieran Foglar-Deinhardstein: Auf der Bühne geh ich sehr gerne in das Übertriebene. Aber ich bin auch im echten Leben ein bisschen eine überdrehte Person, rede gern und viel auch mit meinen Händen, habe lila Haare und gelbe Augenbrauen. Dadurch, dass ich auch von meiner Persönlichkeit sehr präsent bin, ist es auch auf der Bühne einfacher für mich, das zu übertragen.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

KiJuKU: Hatten Sie das schon immer, dass sie Rollen spielen wollten – auf der Bühne und im realen Leben?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Unterbewusst ja. Aber in der Volksschule wollte ich Delfin-Forscherin werden bis ich draufgekommen bin, dass ich Angst davor habe, unter Wasser zu sein. Dann ist mir relativ schnell klar geworden, dass Schauspielen etwas ist, das ich gern mag. Ich hab meine kleinen Geschwister immer wieder dazu gezwungen, mit mir Theaterstücke aufzuführen.

KiJuKU: Gezwungen?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Naja, ich wollte halt, sie sind jünger und ich hab halt gesagt: Wir machen jetzt ein Theaterstück.

KiJuKU: Das waren eigene, selber erfundene Stück?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Ja, die hab ich mir immer ausgedacht. Ich weiß nicht, wie gut die waren, aber wir haben halt gespielt. Ab der 1. Klasse Gymnasium hab ich gewusst, dass ich auf eine Schule wechseln will mit Schauspiel-Schwerpunkt.

KiJuKU: Und es ist auch Ihr Berufswunsch?
Kieran Foglar-Deinhardstein: Jahaa, ich weiß nicht, wie viel ich schon sagen darf, aber ich hab schon für nach der Matura ein bisschen was in diese Richtung und das wäre jedenfalls der Weg, den ich gerne gehen würde – alles mit Schauspiel.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Und noch ein Drittel Puck

Theresa Gerstbach spielt ein zweites Drittel Puck.

KiJuKU: War das auch Ihre erste Wahl?
Theresa Gerstbach: Ja.

KiJuKU: War das anfangs gewöhnungsbedürftig – eine Rolle von drei Leuten gleichzeitig gespielt?
Theresa Gerstbach: Wir waren alle drei am Anfang ein bisschen skeptisch. Dann waren wir – die ganze Klasse – auf einer Projektwoche für unser Stück. Da haben wir zum ersten Mal dann zu dritt diese Rolle gespielt, uns eingewöhnt und gemerkt, dass das eigentlich gut funktioniert. Wir haben einen Weg gefunden, uns da alle einzubringen – jede/r den eigenen Charakter reinzubringen und trotzdem zusammen diesen Puck zu spielen. Nach ein paar Tagen hat es mir ur-Spaß gemacht, mit den anderen gemeinsam diese Rolle zu spielen und ich find’s jetzt sehr cool.

KiJuKU: Warum haben Sie sich den Puck ausgewählt?
Theresa Gerstbach: Am Anfang war ich mir gar nicht sicher, wen ich spielen will, habe Puck, Hermia und Helena aufgeschrieben, den Puck aber an erster Stelle, weil ich find, das ist so eine interessante Rolle. Diese Figur hat so viele Seiten, macht das was er will.

KiJuKU: Sie wollten auch schon immer auf der Bühne sein?
Theresa Gerstbach: Meine Mama hat schon früh gesagt, dass ich auf die Bühne gehe, weil ich immer so laut war und mich dargestellt habe. In meiner Unterstufe hatten wir Schulspiel und Stücke gespielt. Das hat mir extrem Spaß gemacht, ich konnte mich da voll reinleben und dann wusste ich, das möchte ich einmal auch als Beruf machen. Deshalb hab ich nach einer Schule gesucht, die das fördert.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Komm vom Tanzen und Singen

Vicencia Amon-Lavnick spielt eine zweite Hermia.

KiJuKU: Ist das so wie es drei Pucks gibt?
Vicencia Amon-Lavnick: Nein, das ist eine Doppelbesetzung wie Helena, die werden abwechselnd gespielt.

KiJuKU: Und diese Rolle war Ihre erste Wahl?
Vicencia Amon-Lavnick: Ich glaub ich hatte Helena, Hermia und weiß nicht mehr wen noch. Dann gab’s sogar schon drei für Helena, dann dachte ich, ich nehm die Hermia.

KiJuKU: Sind Sie zufrieden damit und auch damit, dass sie nur jede zweite Vorstellung spielen?
Vicencia Amon-Lavnick: Nicht hundertprozentig, weil man ja mit allen alles spielen würde, aber doch, dass ich überhaupt spielen kann.

KiJuKU: Hatten Sie auch schon sehr früh Lust auf Schauspiel?
Vicencia Amon-Lavnick: Bei mir hat das zuerst mit dem Tanzen und dann mit dem Singen begonnen. Ich bin auch schon sehr früh in Film- und Schauspielkurse gegangen. Ich wurde in meiner alten Freundesgruppe auch immer als die kindischere angesehen, weil ich verschiedene Rollen spielen wollte.

KiJuKU: War Bühne sozusagen ein früher Wunschtraum?
Vicencia Amon-Lavnick: Ich würd sagen eher Film, aber auf jeden Fall Schauspiel. Für Filme war ich schon bei einigen Castings und einmal konnte ich auch schon in einer Szene wirklich spielen. Auf der Bühne bin ich schon das fünfte Jahr bei der Youth Company vom Performing Center Austria und dieses Jahr haben wir auch ein Konzert. Was mir besonders an der Youth Company gefällt ist, dass sie in Englisch singen. Ich fühl mich generell im Englischen wohler.

Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares
Szenenfoto aus Proben zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Schüler:innen des Polyästhetik-Zweiges des BORG Hegelgasse 12

Macht Spaß, schlimme Seite und Macht rauszulassen

Yannic Schober spielt Oberon

KiJuKU: Warum haben Sie sich den Feenkönig ausgesucht?
Yannic Schober: Er ist der Böse in dem Stück und ich wollte einen Bösen spielen.

KiJuKU: Warum?
Yannic Schober: Weil’s Spaß macht, die schlimme Seite rauszulassen, so richtig die Wut zu spüren – das mag ich.

KiJuKU: Sind das Dinge, wo Sie sich manches Mal denken, ich würde jetzt gerne wütend sein und nun hab ich auf der Bühne die Möglichkeit, das zu dürfen?
Yannic Schober: Es fällt mir auch gar nicht schwer, die Energie dann so raufzubringen und das rauszulassen. Außerdem hat es schon etwas, so einen Hof-Status zu haben wie der Oberon. Ich mag es auch, diese Macht zu spielen.

KiJuKU: Auch an Sie diese Frage, ob Sie schon immer Theater spielen wollten?
Yannic Schober: Auch, weil meine Eltern das machen und damit schon immer von Klein auf im Theater war.

KiJuKU: Aber geht einem das nicht genau deswegen vielleicht auch auf die Nerven, weil das schon die Eltern gemacht haben oder machen?
Yannic Schober: Gibt es auch, aber ich mag das eben, ich hab schon als Kind gern Theater gespielt und mir Stücke ausgedacht.

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