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Szenenfoto aus "Unter dem Fußboden" nach Daniel Wissers Texten im Theater Arche (Wien)
Szenenfoto aus "Unter dem Fußboden" nach Daniel Wissers Texten im Theater Arche (Wien)
01.04.2023

Verbirgt sich etwas „unter dem Fußboden“ oder hinter Zeitungsmeldungen?

Daniel Wissers (un-)wirkliche literarische Miniaturen in einer szenisch-musikalischen Performance im Theater Arche.

Der gesamt Bühnenboden im Theater Arche ist mit Zeitungspapier (Ausstattung: Clarisse Maylunas) bedeckt. Fast plakativ, wird doch darauf „Unter dem Fußboden“ gespielt. Und dieses Stück aus minimalen literarischen Episoden baut auf Daniel Wissers gleichnamigem Buch auf. Dort versammelt er meist sehr skurrile Kürzest-Geschichten im Stile chronikaler Zeitungsmeldungen – vom Weltrekord im Fahnenmast-Sitzen bis zu einem Künstler, der nur im Dunklen malt, jemandem, der jahrelang nicht spricht und vieles mehr.

Im vor vier Jahren erschienen Buch versammelte Wisser knapp mehr als 100 solcher Miniaturen, bei denen immer wieder Zweifel aufkommt, ob sie wirklich nur erfunden sind oder doch wahr sein könnten. Manche haben zumindest wahre Kerne. Der Autor lässt bewusst offen, welche und was wie ist/sein könnte. Und immer wieder ergänzt er auf seiner Homepage neue solcher „Meldungen“ – und verlinkt kreuz und quer – manche Figuren ziehen sich durch, tauchen immer wieder auf. Aber auch über Stichworte kommen Leser:innen dann zu Miniaturen mit ähnlichem Thema.

Der verschwundene Redakteur

Dennoch war es nicht leicht vorstellbar, wie daraus ein Stück werden kann. Ist es aber geworden. Und das wunderbar. Zum einen hatte Regisseur Karl Baratta den Einfall, den immer wiederkehrenden Zeitungskorrespondenten Huitzinger als „roten Faden“ anzulegen. Wisser hatte über den unter vielen „Meldungen“ jene verfasst: „Es begann damit, dass niemand bemerkte, dass Huitzinger verschwunden war. Erst nachdem die Sekretärin der Abendblätter feststellte, dass Huitzinger seit sieben Jahren an keiner einzigen Redaktionssitzung teilgenommen und keinen Artikel mehr geschrieben hatte, begann man seine Abwesenheit wahrzunehmen…“

Ein Zusatztext

Stanislaus Dick, Manami Okazaki, Elisabeth Prohaska und András Sosko verschmelzen immer wieder als Zeitungs-Leser:innen mit den szenisch gespielten „Nachrichten“ bzw. schlüpfen in die eine oder andere der phantastischen, sehr oft eher bedauernswerten oder genial scheiternden Figuren. Jakub Kavin spielt den Alk-trinkenden nicht gerade angenehmen Chefredakteur, der Huitzinger anblafft. So sehr, dass gut zu verstehen wäre, wenn sich der wirklich aus dem Staub gemacht hätte. Kavin spielt aber seine zweisprachige Stärke aus, verleiht seinem Deutsch immer wieder tschechischen Akzent und rezitiert – als einzigen Fremdtext – das in Kunstsprache verfasste Nonsensgedicht „Monolog des verrückten Mastodon“ von Paul Scheerbart (Pseudonyme Kuno bzw. Bruno Küfer), angeregt dadurch, dass Daniel Wisser in seinen Miniaturen einen Wissenschafter namens Scheerbart vorkommen lässt – wobei auch der besagte Dichter ein perpetuum mobile erfinden wollte:
Zépke! Zépke!/ Mekkimápsi – muschibróps./ Okosôni! Mamimûne ……./ Epakróllu róndima sêka, inti …. windi …. nakki; pakki salône hepperéppe – hepperéppe!!/ Lakku – Zakku – Wakku – Quakku — muschibróps./ Mamimûne – lesebesebîmbera – roxróx – roxróx!!!/ Quilliwaûke?/ Lesebesebîmbera – surû – huhû (Monolog des verrückten Mastodons, Paul Scheerbart 1902)

Multi-Musik

Der genialste Einfall allerdings ist ein gar nicht textliches verbindendes Glied: Ruei-Ran „Algy“ Wu erfand während der Proben Musik, die der Tausendsassa live auf Klavier, Keyboard, 1/10-Geige und Bandoneon (eine spezielle Harmonika) spielt – mal nur kurze Unterbrechung, dann wieder Untermalung zu Gesangseinlagen von Manami Okazaki, Stanislaus Dick und András Sosko.

Ein weiterer Regie-Einfall (Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer), der sich als eine weitere Klammer des immer wieder stark zum Lachen anregenden Abends erweist: So manche der Textminiaturen alias Zeitungsmeldungen werden vielfach, jeweils von anderen der Schauspieler:innen, wiederholt. Meist dennoch tonlich, stimmlich, szenisch anders gefärbt, womit trotz des Wissens um die Pointe keine Langeweile aufkommt.

Zwillinge?

Nochmals zurück zum Huitzinger: „Das Gerücht machte die Runde, dass man Huitzinger in einer ohnehin sensiblen Phase seines Lebens in einer Redaktionssitzung ausgelacht hatte, weil er die Zwillinge Ginzburg nicht nur nicht miteinander verwechselt, sondern sie auch gar nicht für Geschwister gehalten hatte. Huitzinger hatte versucht sich zu retten, indem er sagte: »Die beiden sind aber auch besonders zweieig.« Doch auf diesen Satz folgte wieder nur lauteres und noch länger anhaltendes Gelächter.“ Übrigens veränderte Wisser die Formulierung im Internet auf „die beiden wirken eher wie zwei Einlinge!“. Und dazu hat er seine kürzeste Miniatur verfasst, die im Stück vielfach gespielt wird:

Der siamesische Einling

„Er dachte, er wäre nicht allein auf zur Welt gekommen, der siamesische Einling. Dachte er aber nur.“

Unter dem Fußboden

Was es mit dem Titel seiner Kürzest-Geschichten – und damit auch des Stücks – auf sich hat, können wir einem dazu dezidiert verfassten Text entnehmen: „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Gegenstände, die auf dem Fußboden liegen, auf Gegenstände hinweisen, die sich unter dem Fußboden befinden. Und doch hat die Mehrheit der Menschen Angst davor, dass die Hörner des Teufels durch den Boden stoßen, längst verlegte belegte Brote oder Tramezzini auftauchen oder Vergrabenes oder Verstecktes wieder sichtbar werden könnte. Die Menschen sehen in den Gegenständen unter den Fußböden und Rasenflächen meist unheilvolle Dinge, die Katastrophen, Unglücke, Tod oder Verdammnis bringen. Nur wenige sehen wirklich nur das, was sich tatsächlich auf dem Fußboden befindet. …“

Follow@kiJuKUheinz

Titelseite von Daniel Wissers
Titelseite von Daniel Wissers „Unter dem Fußboden“

INFOS: WAS? WER? WANN? WO? + BUCH-INFOS

Unter dem Fußboden

Theater Arche, 1 ½ Stunden,

Text: Daniel Wisser
Regie: Karl Baratta
Es spielen: Stanislaus Dick, Jakub Kavin, Manami Okazaki, Elisabeth Prohaska, András Sosko
Musik: Ruei-Ran „Algy“ Wu
Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Ausstattung: Clarisse Maylunas
Regie-Mitarbeit: Natascha Sulz

Wann & wo?

1., 19., 21., 22. April 2023
2. bis 5. Mai 2023
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse
Reservierungen
Telefon: 0660 474 09 28
eMail: office@theaterarche.at

Theater Arche -> Unter dem Fußboden

Buch-Info

Text: Daniel Wisser
Unter dem Fußboden
130 Seiten
Klever Verlag
17 €
klever-verlag -> unter-dem-fussboden/

danielwisser.net -> unter-dem-fussboden/