Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Siebenundfünfzig"

Kafkaese Geheimdienstler

Rund ein Jahr nachdem in der Theater-Werkstatt des niederösterreichischen Landestheaters in St. Pölten eine der schrägen Satiren Franz Kafkas, „Der Prozess“ über die Bühne ging, spielt – noch bis Ende Mai 2025 – ein wahrhaft kafkaeskes Stück Real-Satire. „Siebenundfünfzig“, geschrieben und inszeniert vom Filmer Arman Tajmir-Riahi.
Mitten in der Nacht klopft die Hausmeisterin (Anna Stieblich) beim Protagonist:innen-Paar.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Siebenundfünfzig“

Nervig, aber rettend

So aufdringlich sie auch antanzt und sich anfangs umständlich ausdrückt, so rettend ihre Nachricht. Über mehrere Ecken habe sie erfahren, dass der Mann dieser Wohnung vom Inlandsgeheimdienst gesucht werde. Weshalb – dieser Vorwand wird erst später enthüllt. Also kann der Mann praktisch in letzter Sekunde abhauen.

Schon sind die „Geheimen“ an der Tür und durchsuchen die Wohnung. Und nicht nur an diesem Abend. Sie werden so etwas wie unheimliche fast Dauergäste, belagern und bedrängen die Ehefrau (Caroline Baas), zu verraten, wohin ihr Mann geflüchtet sei. Nicht selten devastieren sie dabei die Wohnung.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Siebenundfünfzig“

Mit Humor gewürzt

So krass und unverschämt ist, was sich zugetragen hat und auf der Bühne abspielt, so schafft es Stück, Inszenierung und Schauspiel der Darsteller:innen die an Absurdität grenzende Szenerie so rüberzubringen, dass gar nicht so wenig Raum bleibt für Lachen. Wofür in erster Linie die „Geheimdienstler“ – Michael Scherff (Kommandant), Augustin Groz (Adjutant) und vor allem der mit fast gesichtsloser Maske agierende Tobias Artner – der übrigens auch den Ehemann spielt – gekonnt, teils fast slapstickartig, tollpatschig, sorgen.

Das Lachen bleibt allerdings immer wieder im Hals stecken – schwingt doch stets mit: Dem Ganzen liegt ein echtes Schicksal zugrunde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Siebenundfünfzig“

Wahrer Hintergrund

Der Autor und Regisseur hat vor Jahren eine Frau getroffen, der genau solches passiert ist. Nicht in den inszenierten und gespeilten Details, aber jedenfalls ist die Zahl verbürgt, die Riahi zum Stücktitel gewählt hat. Als er das gehört hatte, war für ihn schon klar, dass kann, ja muss ein Theaterstück werden, weil es sich kammerspielartig praktisch nur im Wohnzimmer und angrenzenden, oft nicht sich, sondern nur hörbaren Nebenräumen (Bühne und Kostüme: Ece Anisoğlu) abspielt.

Als die Betreffende auch zusagte, machte sich Arman T. Riahi, der schon als Schüler Kurzfilme gedreht hatte – wie sein Bruder Arash, mit dem er so manche der erfolgreichen bekannten Kinofilme drehte bzw. produzierte (u.a. Die Migrantigen, Everyday Rebellion“…) an die Umsetzung.

Bewusst nicht verortet

Details sind nicht nur zum Schutz der Frau, deren Privatsphäre über mehr als ein Jahr ständig missachtet wurde, verändert, sondern weil sich solches mittlerweile nicht nur im Iran, sondern auch in vielen anderen Ländern abspielen könnte – Stichwort Trumpistan, wo kürzlich eine Richterin vom Inlandsgeheimdienst FBI festgenommen wurde, weil die sich für einen von Abschiebung bedrohten Einwanderer eingesetzt hat. Deshalb ist die Inszenierung auch nirgends konkret verortet.

kijuku_heinz

Szenenfoto aus "Roma Industrie - Roma Slavery"

Beflügelnde historische Musiktheater-Performance

Hinter, zwischen und vor großen, langen, bunten Stoffstreifen, die an hängende Fahnen erinnern, murmeln vier Performer:innen, davor zaubert ein Live-Musiker (Adrian Gaspar) – übrigens die gesamten nicht ganz 1½ Stunden Melodien hervor.

Zu Beginn finden sich einige der erzählenden, erklärenden Texte auf einem Monitor als Übertiteln – auf englisch, wenn deutsch gesprochen wird und umgekehrt. Darüberhinau spielen Matea Novak, Franciska Farkas, Onur Poyraz und Maria Nicoleta Soilica auch noch auf Rumänisch und Romanes. Vieles dreht sich um die „Țiganiada“, eine Heldensaga von Ioan Budai-Deleanu (rumänischer Schriftsteller, Historiker, Theologe; 1760 – 1820). Nachdem der Titel wohl schon auf das diskriminierende Z-Wort hindeutet, erinnern die Schauspieler:innen immer wieder an ihre eigene Um-Nennung in Romiada, das die eine oder der andere dann doch wieder schnell „vergisst“ und erinnert werden muss.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Roma Industrie – Roma Slavery“

Das Original in Versform auf Rumänisch, an dem der Autor rund zwei Jahrzehnte arbeitete, wurde erst vor rund 100 Jahren veröffentlicht. Angelehnt an klassisch-antike heroische Epen dreht sich vieles um Rom:nja. Der walachische Fürst Vlad Țepeș (Pfähler) als „Dracula“ weltberühmt geworden, soll dieser fast immer und überall verfolgten Volksgruppe Freiheit und Land versprochen haben, wenn sie in seiner Armee gegen die Osmanen kämpfen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Roma Industrie – Roma Slavery“

Epos-Szenen und mehr

Rund um diese Legende baute Simonida Selimović (Text und Regie) die allerdings wahre Geschichte der Sklaverei von Rom*nja – in den rumänischen Fürstentümern sogar ganz offiziell rund fünf Jahrhunderte lang. Mit „Roma Industrie – Roma Slavery“ wurde das mittlerweile vierte Internationales Roma-Theater-Festival „E Bistarde – vergiss mein nicht“ des Romano Svato Theater Kollektivs, Verein für transkulturelle Kommunikation am Samstag (22. Juni 2024) im Dschungel Wien eröffnet. Das Stück ist auch noch am Sonntagabend zu erleben, das Festival geht bis 28. Juni 2024 – Details siehe Infobox am Ende.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Roma Industrie – Roma Slavery“

Szenen aus dem Epos werden erweitert, ergänzt, vermischt mit späterer Verfolgung nicht zuletzt durch den Holocaust. Aber auch mit Alltags-Szenen auch in der eigenen Community vorkommenden klischeehaften Geschlechterrollen mit deren Unterdrückung von Frauen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Roma Industrie – Roma Slavery“

Raben

Und Brückenschlägen zu „Satan“ fast in Dracula-Form. Samt der Erzählung, Satan hätte sich in einen Raben verwandelt, um auszuspionieren, was der Rat der Rom:nja als mögliche Widerstandselemente aushecken werde. Ein spannendes symbolischer Sub-Text. Ist das das rumänische Wort für Rabe „Cioară“ ein Schimpfwort für Rom:nja. Da diese Vögel besonders schlau und außerdem sozial sind, hat übrigens Pater Georg Sporschill das Hilfsprojekt in Hosman nahe von Sibiu „ciaoarii“ (Raben – Plural) genannt 😉

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Roma Industrie – Roma Slavery“

Legenden und Erzählungen – teils mit historischen Hintergründen aus dem vormaligen Jugoslawien bis hin zurück ins persische Reich bereichern die Performance ebenso wie der utopische Blick ins Jahr 2099 – und die Diskussion: Eigener Staat oder weil Nationalismus immer ausgrenzend wirkt, eher globale Weltbürger:innenschaft… Und trotz der realen Tragödien blitzt hin und wieder auch Humor auf.

Follow@KiJuKUheinz