„Zucht – Neue Zeiten brauchen neue Körper“: Gastspiel aus dem Grazer Jugendtheater taO! im Wiener Off-Theater; nur noch heute, 30. März 2023.
Erst als alle sitzen geht das Licht im davor komplett dunklen Saal an, die vier Schauspielerinnen stehen, sitzen, liegen wie hingemalt. Lisa Oberleitner, die Einzige, die steht, beginnt als einzige zu sprechen. Erzählt, dass sie eben alle aus einem Gemälde seien. Oder sich in einem solchen befinden. Inspiriert von Claude Monets „Frühstück im Grünen“, das sie nicht 1:1 nachstellen (das sagt sie nicht), fühle sie sich doch ein wenig langweilig. Immer starr stehen zu müssen, in die gleiche Richtung zu schauen … befürchte auch, dass diejenigen, die sie anschauen sich fadisieren könnten…
So startet das – nach jahrelanger Pause wiederaufgenommene Stück „Zucht – Neue Zeiten brauchen neue Körper“ des Grazer Jugendtheaters taO! (Theater am Ortweinplatz), das derzeit ein Gastspiel im Wiener Off-Theater gibt. Nach der eingangs geschilderten Szene: Black. Licht. Alles sieht gleich aus. Fast. Der Wechsel zwischen finster und hell wiederholt sich fast ¼ Stunde lang. Bei genauerem Hinschauen sind Veränderungen zu bemerken, manchmal kleine, dann wieder größere. Sehr oft mit Kleidertausch oder -wechsel. Blitzschnell (da steckt ein Trick dahinter!)
Irgendwann beginnen nach einem Black die vier Schauspielerinnen – neben der genannten noch Carmen Schabler, Maria Prettenhofer und Anna Weber – aus dem Bild zu treten. Und dann ganz kräftig sehr körperlich zu performen, zu „pumpen“, ihre Körper zu „optimieren“, auf voll sportlich durchtrainiert. Immer wieder kehren sie ins Gemälde zurück. Aber auch davor und rundherum verfallen die vier regelmäßig von Bewegungen in Standbilder – mit unterschiedlichen eingeblendeten Übertiteln – von Shopping-Mädchen bis zu Soldatinnen. Anspielungen auf Krieg gibt es mehrere in diesen Szenen der (Selbst-)Optimierung zu Kampfmaschinen. Und den Bogen zu ebensolchen auch für den alltäglichen Kampf im Konsumismus.
Wieder einmal zurück im „Gemälde“ philosophieren sie über Gleich und Anders: Ab wann werden aus gleichen Dingen doch unterschiedliche. Und wie ist das, wenn trotz gleicher Äußerlichkeit sich das innere Gefühl ändert – sind sie dann trotzdem anders?
Trotz aller körperlicher Optimierung und tiefschürfender Reflexion irgendwas fehlt, meinen die vier. Irgendwas spüren wollen sie. So wie so manch Jugendliche sich ritzen, um doch etwas zu empfinden, bettelt erst die besonders drahtige Anna Weber, die bei den „Pump“-Standbildern fast jeden einzelnen Muskel zur Geltung bringt, um eine Watsch’n.
Zögerlich, fast widerwillig kriegt sie dann auch solche. Echte, keine gefakten Bühnen-Ohrfeigen. Da klatscht es richtig auf den Wangen. Nur kurz, denn die Rollen wechseln: Lisa Oberleitner wird von einer Mitspielerin gehalten, die beiden anderen kleschen links und rechts auf ihre Wangen ein. Ihr kommen Tränen – echte. Dennoch verneint sie die Fragen, ob’s weh tut. Unerträglich zum Zuschauen, allein das Geräusch tut beim Wegschauen weh. Muss auch den Zuschlagenden weh tun.
„Das war aber keine Vorgabe von der Regie“ (Miriam Schmid und Simon Windisch), sagen mehrere der Schauspielerinnen zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „das hat sich aus den Proben so ergeben, natürlich ist es sehr hart auch für uns, die hinhauen.“ Und die Geschlagene meint: „Bei den Proben hat sich herausgestellt, dass ich leicht wirklich zum Weinen gebracht werden kann. Wir haben dann einiges ausprobiert. Und bei Aufführungen ist es ganz unterschiedlich: Manche Leute müssen sogar rausgehen.“
Weniger offensichtlich, aber um nichts weniger brutal eines der jahrzehntelang gesungenen und gespielten Lieder von einem „schwarzbraunen Mädel“ und ihrer Vergewaltigung durch einen Unteroffizier.
Heftig und doch oder gerade auch deswegen sehens- und erlebenswert diese 1 ¼ Stunden des Gastspiels aus Graz. Alle vier Darstellerinnen kommen aus den einstigen Jugend-Werkstätten des Theaters am Ortweinplatz und sind aber ganz andere Studienwege gegangen, haben aber für diese Aufführungen wieder zusammengefunden und bringen nach ganz wenigen Wiederaufnahmeproben dieses extrem körperbetonte, exakte Spiel auf die Wiener Bühne.
taO! (Theater am Ortweinplatz, Graz) eine Koproduktion mit dem Theaterland Steiermark
Regie: Miriam Schmid und Simon Windisch
Spielerinnen: Carmen Schabler, Maria Prettenhofer, Anna Weber, Lisa Oberleitner
Regieassistent: Alexander Wychodil
Technik: Moritz Ostanek
30. März 2023
Gastspiel im Wiener Off-Theater: 1070, Kirchengasse 41
https://www.off-theater.at/info–zucht.html
Kartenreservierung: 0316 846 094
office@tao-graz.at