Junger Afghane bietet eigene Abschiebung an, wenn dafür die Schwester herausgeholt wird. Interview mit 24-jährigem Vorzeige-Integrierten.
Nein zu den Taliban! Für Menschen- und da vor allem Frauenrechte! Die sind nun – trotz aller schönen Worte – bedroht, werden missachtet, mit Füßen getreten. Schon wurden die ersten Aktivist:innen und Journalist:innen getötet. Deshalb braucht es auch sichere Fluchtwege, Luftbrücken für bedrohte Aktivist:innen. Und natürlich keinesfalls Abschiebungen. Das forderten, verlangten, wünschten Hunderte Teilnehmer:innen einer weiteren Kundgebung – Samstagnachmittag am Wiener Ballhausplatz.
Ein Demonstrant wanderte still mit einem großen handgeschriebenen Plakat von einer Ecke der Kundgebung zur nächsten – mit einer aufrüttelnden Botschaft: „Meine Rückkehr nach Kabul im Gegenzug dazu Ausflug meiner 17-jährigen Schwester aus der Hölle der Taliban mithilfe des österreichischen Staats. Mein Leben gegen ihr Leben.“
Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … sprach nach dem Ende mit diesem Demonstranten. „Meinen Namen möchte ich noch nicht in einem Medienbericht sagen. Ich möchte eine Bewegung in die Wege leiten, dass sich mindestens 100 afghanische Männer anschließen und dasselbe fordern.“
Der junge Mann ist 24 Jahre, kam gegen Ende 2015 am ende seiner Flucht nach Österreich. „Ich habe mir schnell alles selber organisiert wie Deutschkurse, bin asylberechtigt, seit drei Jahren arbeite ich als Dolmetscher für Dari/Deutsch, habe mich also schon bald selbst erhalten und war nicht mehr auf finanzielle Hilfe vom Staat angewiesen.“ Er hatte sich begonnen, darum zu bemühen, dass seine Schwester auch nach Österreich kommen kann. „Aber jetzt wo die Taliban auch Kabul übernommen haben, ist keine Zeit mehr. Ich bin dankbar in Österreich in einer Demokratie leben zu dürfen, aber ich kann hier psychisch nicht mehr leben, wenn ich weiß, wie jetzt die Rechte meiner Schwester in Kabul nicht mehr gelten werden. Darum hab ich mich entschlossen, diesen Austausch anzubieten. Ich weiß, rechtlich ist das wahrscheinlich nicht möglich. Aber wenn sich andere anschließen und wir zum Beispiel 100 afghanische Männer sind, die so einen Austausch anbieten, vielleicht geht’s dann doch, dass diese Frauen herausgeholt werden. Ich kann doch nicht hier glücklich sein und leben, wenn ich weiß, was auf meine Schwester zukommen wird.“
Demonstrant:innen und vor allem viele der rund ein Dutzend Redner:innen verurteilten nicht nur die Machtübernahme des Landes durch die Taliban, sondern auch den offensichtlichen Deal der Westmächte mit ihnen – praktisch kampflos Afghanistan den Terroristen zu überlassen. Um das Schicksal der Menschen in Afghanistan nicht gleich wieder aus den Augen zu verlieren – und vor allem für die Rettung von Frauen- und Menschenrechtskämpfer:innen massiv einzutreten, findet nun laufend Kundgebungen und Demonstrationen statt – siehe (vorläufige) Liste unten.
Viele Demonstrant:innen hatten handgeschriebene Karton-Plakate und einige auch Stofftransparente zur Kundgebung mitgebracht. Von Afghanistan blutet, legitimiert die Terroristen nicht, Österreich soll Verantwortung zeigen, und Menschen retten statt abzuschieben – viele davon auf Englisch. „Stop Killing Afghanistan“. Etliche hatten auch Afghanistan-Flaggen mitgebracht oder umgehängt – die Taliban löschen auch dieses nationale Symbol des Landes aus. Oder „Taliban repräsentieren nicht Islam, sondern Terrorismus!“. An die österreichische Regierung adressiert „Es gibt keine Alternative für Menschenrechte“
Sprechchöre für ein freies Afghanistan – auf Dari sowie auf Deutsch – hallten immer wieder über den Platz. Bei manchen Reden hingegen war es fast mucksmäuschenstill, wenn Redner:innen, die selbst erst vor wenigen Jahren aus dem Land geflüchtet sind über die Sorge um ihre Verwandten in Afghanistan sprachen. Oder als Yahya Musavi ein selbst verfasstes Gedicht über die Erinnerungen seines Großvaters an ein blühendes, freies Leben in Afghanistan vortrug – ruhige Poesie – auf Dari, gemeinsam mit Sigrid Sprenger übersetzt, die die deutsche Version verlas.
Die Frauenrechtlerin Maryam Haidari, die am Donnerstag bei einer Kundgebung bewegt und berührend über die Bedrohung all der mühevoll erkämpften Errungenschaften gesprochen hatte, verlangte am Samstag von der internationalen Staatengemeinschaft, nicht mit den Taliban-Terroristen zu kooperieren.
Im Mai werde es in Brüssel ein zivilgesellschaftliches Tribunal – vorerst deutschsprachiger Länder – geben, um menschenrechtswidrige Abschiebungen und unterlassene Hilfeleistung von Regierungen anzuklagen, kündigte Michael Genner von Asyl in Not an.
Sonntag, 22. August 2021
17 Uhr, Stephansplatz
Dienstag, 24. August 2021
18 Uhr, Minoritenplatz
Donnerstag, 26. August 2021
18 Uhr, Stephansplatz
Samstag, 28. August 2021
16 Uhr, Stephansplatz
Aber schon ab 13 Uhr im Resselpark: Rojava Fest; Kurd*innen solidarisieren sich mit den Afghan*innen
