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Szenenfoto aus "Ragazzi del Mondo" von und mit aktionstheater ensemble

„Kinder“, was machen wir aus dieser Welt?!

Aus tragischem aktuellen Anlass muss das aktionstheater ensemble, das ab Donnerstag „Ragazzi del Mondo“ im Bregenzer Kosmos Theater (Details siehe Info-Box) spielt, jeweils eine Vorbemerkung – auf kleinen Plakaten im Foyer anbringen und damit’s niemand übersieht, auch vortragen, und die sei auch hier auszugsweise veröffentlicht: „Sämtliche Textpassagen, wie etwa die Tatsache, wie leicht es ist, in Österreich an Waffen zu gelangen, sind im Laufe des Probenprozesses entstanden und somit keine direkte Reaktion auf die jüngste Tragödie des Amoklaufs in Graz. Es handelt sich im Stück also um Reflexionen auf das allgemeine Zeitgeschehen.“ Samt dem Verständnis dafür, dass angesichts dieser Ankündigung, manche Besucher:innen das Stück unter diesen Voraussetzungen nicht anschauen können oder wollen.

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Szenenfoto aus „Ragazzi del Mondo“ von und mit aktionstheater ensemble

Psychologisches Gutachten Teil des Waffenverkaufs-Pakets

Gleich in der ersten Szene steht die Lust am Schießen, auch wenn’s „nur“ auf Feldhasen ist, zu der Touren in den USA einladen, im Zentrum. Und dazu Erfahrungen aus Recherchen in einem österreichischen Waffengeschäft. Dort bzw. auf der Homepage eines solchen Dealers ist 1:1 zu lesen, was – hoffentlich nicht mehr lange so gelten wird: In drei Stunden von null auf Waffe samt dem psychologischen Gutachten. Das war übrigens bisher in der Berichterstattung nach dem Massenmord an dem Grazer BORG noch kaum bis nicht zu vernehmen – und ebenfalls bislang offenbar noch kein Thema bei der angekündigten Verschärfung der Waffengesetze: Ein Unternehmen, das Waffen verkauft, sorgt auch gleich für das Gutachten!!!???

Die heftige und aufgrund der Aktualitäten – Graz sowie Krieg Israel-Iran – noch heftigere Eröffnungsszene lässt den Atem des Publikums stocken, auch wenn die Gruppe schon vorab das jüngste Stück als „theatralisches Gemälde über die Möglichkeit und Unmöglichkeit des Miteinanders vor der Kulisse internationaler Kriegsszenarien, unter anderem die gestiegene Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft“ ankündigte.

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Szenenfoto aus „Ragazzi del Mondo“ von und mit aktionstheater ensemble

Lust an Fetzereien

Und so fetzen sich Darsteller:innen heftigst – und verströmen dabei auch noch teils riesengroße Lust an gegenseitigen zumindest verbalen Verletzungen. Klar, jede und jeder im Publikum weiß, das ist „nur“ gespielt. Aber es wirkt über weite Strecken derart authentisch, dass es innerlich wehtut – und noch viel mehr, weil viele der Auseinandersetzungen allzu bekannt vorkommen, dass sie zum Spiegelbild dessen werden, was permanent – vor allem – auf Social Media abläuft; und dazu so manches das sich im analogen Leben abspielt: Trotz schier unendlich vieler Worte und Sätze findet Kommunikation miteinander selten statt – aneinander vorbeireden, die / den anderen ignorieren, überhören trotz oder eben auch wegen der Lautstärke…

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Szenenfoto aus „Ragazzi del Mondo“ von und mit aktionstheater ensemble

Jura Soyfer im „Weltuntergang“: Die Erde hat Menschen

Konnten Menschen zu Beginn ihrer Geschichte nur (über-)leben, wenn sie zusammenhielten, so scheinen wir alle nicht nur in Sachen Umgang mit der Umwelt, sondern auch miteinander ziemlich kräftig an der eigenen Auslöschung zu arbeiten. Dem Planeten selber wird’s überspitzt formuliert wurscht sein. Wie schon Jura Soyfer in seinem Stück „Der Weltuntergang“ den Planeten Saturn sagen lässt: „Er hat sich gedacht, ein Zusammenprall ist eh überflüssig. Die Menschen rotten einander sowieso über kurz oder lang aus!“ Als Die Sonne zur Versammlung der Planeten reif, um die Störung der Sphärenharmonie zu besprechen und die Erde als Verursacherin ausmachte, entschuldigt der Mond diese mit der Bemerkung: Die Erde hat Menschen.

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Szenenfoto aus „Ragazzi del Mondo“ von und mit aktionstheater ensemble

(Selbst-)Kritik

Das aktionstheater ensemble hat natürlich auch Kinder der EINEN Welt  (Ragazzi del mondo) wie immer gemeinsam entwickelt: Mastermind Martin Gruber mit dieses Mal Zeynep Alan, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Benjamin Vanyek (Schauspiel, Tanz und Text) sowie den Live-Musikern Andreas Dauböck (Drums, Klavier, Synthesizer, Looper, Gesang) und Pete Simpson (Gesang, Bass); und dazu noch Martin Ojster (Dramaturgie), Valerie Lutz und Martin Platzgummer (Bühne) sowie Luis Kaindlstorfer (Kostüme). Und wie ebenfalls praktisch immer zielt die Inszenierung darauf ab, dass sie die Zuschauer:innen nicht außen vor lässt und über „die anderen“ erzählt, sondern sich das Ensemble selbst sowie das Publikum in die „Selbst-)Kritik einschließt.

Und damit dies auch möglich ist, die Distanz, die vierte Wand durchbricht, weist trotz aller Heftigkeit auch „Ragazzi del Mondo“ die eine oder andere humorvolle Passage und Szene auf, auch wenn das Lachen dann – bewusst provoziert – nicht selten im Hals stecken bleibt.

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Szenenfoto aus „Ragazzi del Mondo“ von und mit aktionstheater ensemble
Szenenfoto aus "Wir haben versagt"

Entblößte toxische Männlichkeit und Schaumschlägerei

Die große Politik mit dem persönlichen Leben zu verbinden und in vielen „kleinen“ Beispielen die großen Zusammenhänge sicht-, hör- und spürbar auf die Bühne zu bringen. Ohne groß zu dozieren. Und schon gar nicht mit erhobenen Zeigefingern. Auch jenseits von Schuldzuweisungen. Mit kräftigen Portionen Selbstkritik in Form von (Selbst-)Ironie. Und das voller Spielfreude und -Lust, sehr oft mit großartiger Musik, die mehr als Hintergrund oder Begleitung ist. Alles samt Anstößen zur (Selbst-)Reflexion auch des Publikums. Das sind die starken politisch-persönlichen Stücke des aktionstheater ensembles.

Bei „Wir haben versagt“ Spielserie erst Dornbirn dann Wien – mussten Ensemble und Regisseur angesichts der aktuellen österreichischen politischen Ereignisse mehrfach Szenen und Dialoge adaptieren. Die Grundgeschichte – Rechtsruck samt aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgeholter sich wieder in den Vordergrund drängender toxischer Männlichkeit – hat sich aber „nur“ verstärkt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Mansplaining

Und so tritt daraus folgend Thomas Kolle splitternackt in Power- und Siegerposen ins Rampenlicht. Selbst notdürftig angezogen drängt er sich selbst dann, wenn andere ihre Szenen haben in den Vordergrund. Oder zumindest meint er alles einschätzen, kommentieren zu müssen bzw. verweist er mit vordergründig lobenden Worten Mitspieler:innen an Auftrittsorte im Hintergrund.

Gebärden

Doch gekonnt konterkariert die dieses Mal besonders entfesselt anarchisch spielende Zeynep Alan sein Mansplaining – sei es mit Zunge zeigen oder mit durchaus derben Kommentaren. Allein, der Typ lässt sich davon nicht im Geringsten beeindrucken.

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Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Grandios und durchaus fast einzigartig in der österreichischen Theaterlandschaft spielt Monica Anna Cammerlander über weite Strecken ausschließlich in österreichischer Gebärdensprache. Sie übersetzt aber nicht nur ihre Mitspieler:innen, sondern liefert daneben auch eigenständige Aufritte – und widerspricht damit im Vordergrund mitten auf der Bühne den „Sagern“ und textlichen Einblendungen von Mitspielern, dass Monica angesichts des Rechtsrucks gar nichts mehr sagte. Auch wenn diese Aussage wohl auch dem Gefühl der Sprachlosigkeit angesichts diverser Wahlergebnisse der vergangenen Monate entspricht.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Widerspruch

Als vielleicht offensichtlicher Widerspruch in sich tritt Benjamin Vanyek in Erscheinung. Erzählt von einem Artist in Residence-Aufenthalt in Sri Lanka – mit gleichzeitiger scheinbarer Welt-Offenheit und dennoch überheblichem eurozentristischen Gehabe.

Die vier Schauspieler:innen erhalten in vielen Szenen Verstärkung, Unterstützung, Gegenspiel von Danielle Pamp (Gesang) und Jean Philipp Oliver Viol alias YoucancallmeO (E-Gitarre und E-Geige). Letzterer spielt (Eigenkompositionen und berühmte arrangierte Leonard-Cohen-Songs) die allermeiste Zeit der rund 1¼-stündigen Performance in luftiger Höhe auf einer Art Baustellengerüst.

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Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Videos

Trump, Putin, Kim Jong Un, Kickl und Konsorten tauchen in Videos im Hintergrund immer wieder auf – und werden am Ende vom Video eines Schaumberges, der analog und real auf einem Podest im Bühnenhintergrund von Anfang an wabbert, überlagert (Bühne/Kostüme: Valerie Lutz; Video: Resa Lut; TikTok: Julius Hellrigl).

Berührend

Aktionstheater-ensemble-Aufführungen versprühen nicht nur trotz ihrer Ernsthaftigkeit viel Spielwitz und Humor, sie lassen sehr oft das eigene Publikum nicht außen vor – berühren, nicht selten auch nicht nur angenehm, weil die Performances als (An-)Klage immer wieder in kleinen und doch so großen Alltagsbeispielen, vermitteln: Wir alle, die für eine andere, offene, liberale, multikulturelle Gemein- sowie Gesellschaft eintreten, tun dies einerseits oft selbst nicht wirklich konsequent. Und vor allem oder genau dadurch können wir zu wenige andere Menschen davon überzeugen, so dass es überhaupt soweit kommen konnte, wie es jetzt ist.

Wiederaufnahme und Broadway

„Wir haben versagt“ – dann sicher mit einigen erforderlich werdenden Adaptionen – wird im Rahmen einer Trilogie in ca. einem Jahr wieder erst in Dornbirn (Spielboden) dann in Wien (Theater am Werk) zu erleben sein – gemeinsam mit dem Vorgängerstück „All about me – Kein Leben nach mir“ sowie dem nächsten Stück „Ragazzi del Mondo – nur eine Welt“ (Juni 2025) zu erleben sein.

Übrigens mit „All about me“ wurde das aktionstheater ensemble an den Broadway in New York (ATM Manhattan) eingeladen, wo im Oktober natürlich in englischer Sprache gespielt wird.

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Szenenfoto aus !All about me, kein Leben nach mir" vom aktionstheater ensemble

Gibt’s noch was anderes als das eigene Ich?

Ich, ich, ich – was kümmert mich der „Rest“? „All about me – kein Leben nach mir“, die jüngste Performance von aktionstheater ensemble – nach der Vorarlberger Aufführungsserie nun in Wien im Kabelwerk (Theater am Werk) zu erleben, verknüpft wie immer von sehr persönlichen Schicksalen ausgehende Gefühle mit mehr oder minder dezenten Querschlägen zur gesellschaftlichen Entwicklung – Texte: Martin Gruber, das Ensemble sowie in diesem Fall zusätzlich Wolfgang Mörth.

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Szenenfoto aus „All about me, kein Leben nach mir“ vom aktionstheater ensemble

Ich-AG, hinter mit die Sintflut…

Hinter Rechtsruck(erl) bzw. mit diesem verzahnt, ihn erst ermöglichend steckt Ent-Solidarisierung. Individualisierung auf die Spitze getrieben, weniger als Freiheit der/des Einzelnen, mehr als Rücksichtslosigkeit allen anderen gegenüber. Kein neues Phänomen, erinnert sei an die „Ich-AG“ des einstigen „viel zu schönen, schlauen“ blau-schwarzen Finanzministers etwa. Oder den in Abwandlungen Jahrtausende alten Spruch „hinter mir/uns die Sintflut“.

Szenenfoto aus !All about me, kein Leben nach mir
Szenenfoto aus „All about me, kein Leben nach mir“ vom aktionstheater ensemble

Rhythmisch-choreografisches Spiel

Rhythmisch, choreografisch haben Isabella Jeschke, Andreas Jähnert, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek ihre immer wieder herausragenden Solo-Auftritte aus der Gruppen-Choreo. Als Motor fungieren die überragenden Live-Musiker Andreas Dauböck (Schlagzeug, Stimme), Ernst Tiefenthaler (Ukulele), Emanuel Preuschl (Bass, elektronische Instrumente)​​​​ und Jean Philipp Viol (Geige). Wie immer mit teils extremen körperlichen Einsätzen. (Fast) alle in diesem Fall mit unterschiedlichen Clowns-Nasen – Närr:innen-Freiheit, die Wahrheit zu sagen/spielen?!

Szenenfoto aus !All about me, kein Leben nach mir
Szenenfoto aus „All about me, kein Leben nach mir“ vom aktionstheater ensemble

Seele aus dem Leib schreien, kotzen…

Tamara Stern zerreißt es schier, als sie ihren Ärger, ihre Wut, ihren Zorn vor allem über den Krieg im Nahen Osten auf hebräisch aus ihren Eingeweiden herausschreit. Thomas Kolle kommt das Speiben als Andreas Jähnert sich für den Vortrag eines Gedichtes bei Wirtschaftsbossen lobt. Da reckt’s etliche im Publikum – nur Augen zu oder Wegschauen stoppt das eigene Hochkommen-Empfinden. Und der Spruch: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“, schießt ins Hirn.

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Szenenfoto aus „All about me, kein Leben nach mir“ vom aktionstheater ensemble

(Zwangs-)Umarmung

Großartig auch Isabella Jeschke, die immer wieder darauf hinweist, dass die erzählten Geschichten der anderen (nicht nur) sie nicht interessieren könnten. Berührend vor allem aber ihre Abhandlung über Berührungen. Ob es möglich wäre, wen zu umarmen, die/der gar nicht da ist? Oder doch lieber eine/n Anwesende/n. Und so krallt sie sich Kirstin Schwab, die zuvor über die Verantwortung gegenüber (möglichen) Kindern intensiv verhandelt, und drückt sie an sich. Was der aber so ziemlich genau nicht behagt, wie sie mit ihrem Gesichtsausdruck wortlos sagt. Last, aber sicher but not least, sei Benjamin Vanyek

Szenenfoto aus !All about me, kein Leben nach mir
Szenenfoto aus „All about me, kein Leben nach mir“ vom aktionstheater ensemble

Mit seiner perfekt gespielten naiven Herzlichkeit und einer Art „Mutterwitz“ erwähnt. Wenn’s heftig werde, habe seine Mutter immer gesagt: Schlof di aus!“ Versöhnlich bringt er einen Kuchen mit Kerzen auf die Bühne – was zum Fress-Massaker samt Knabberzeugs aus einem XXL-Sackerl – und das auf den Boden gestreut und von diesem schleckend wird.

Wieder paradoxe Intervention?

Heftig der Schluss – die Bühne von den Musikern dominiert singen sie „I know, Future is gone, and the Heart filled with Stones“. Die Zukunft ist vorbei, Herzen mit Steinen gefüllt – sch… – sollten wir da nicht was dagegen tun?!

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Szenenfoto aus "Alles normal..." von aktionstheater ensemble

Paradoxe Intervention als mögliche Motivation zu Widerstand

Ein bissl deprimierend; Einstellung auf einen VoKaKi (für Volkskanzler Kickl ã Willkommen Österreich), was ist dann noch möglich? Rückzug eine Art innerer Emigration? Aufs Private – Schwanzlänge, Busengröße und Werbesprüche von Banken oder Telekom-Anbietern, Supermarktketten, die seit einigen Jahren fast mehr aufbauenden Inhalt versprechen als die von politischen Parteien: „Glaub an dich“, „Weil der Mensch zählt“, „Erleben, was verbindet“, „Nichts ins unmöglich“, „Gemeinsam Großes leisten!“, „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“….

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Szenenfoto aus „Alles normal…“ von aktionstheater ensemble

„Bunter Abend“

„Die Frage, die sich für uns stellt, wie gehen wir mit diesen großen Herausforderungen um. Beim aktionstheater ensemble heißt das, wie transportieren wir unsere Inhalte dergestalt, dass sie sozusagen, also auch nach der Übernahme des Volkskanzlers und seiner Helfershelfer, dass eben diese unsere Inhalte nicht ganz verloren gehen. Zu diesem Zwecke, haben wir, liebes Publikum, jetzt für Sie, ein schönes Programm zusammengestellt. Ein

schönes Potpourri, um nicht zu sagen, einen bunten Abend mit vielen schönen Überraschungen, der uns mit Mut und Zuversicht in diese neuen Zeiten führt. Und das war auch ganz wichtig, dass an diesem bunten Abend jede und jeder einfach sagen darf, was ihr oder ihm ganz besonders am Herzen liegt.“ Entsprechend das Ambiente – ein Teil des Publikums sitzt an Tischen mit Getränken, andere auf weichen Couches neben den üblichen Theatersitzen, farbenfrohe, heitere (Ki-generierte) Bilder in Landschaften auf großen Projektionswänden, happy Sound…

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Szenenfoto aus „Alles normal…“ von aktionstheater ensemble

Von „normal“ bis illiberal

Vom Text her könnte die neue 1¼-stündige Show „Alles normal – ein Salon d’amour-Stück“ von aktionstheater ensemble, die – nach der ersten Serie in Vorarlberg – nun auch in Wien im Theater am Werk/Kabelwerk Meidling zu erleben ist, niederschmetternd sein. Einstimmen auf fast dystopische Zustände, die als „normal“ ausgegeben werden, abfinden und sich irgendwie einrichten in einer autoritären Herrschaft einer illiberalen Demokratie? Die Vorbereitet wurde/wird, indem neue, das heißt eigentlich uralte, enge Normen zum „Normal“ verordnet werden.

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Szenenfoto aus „Alles normal…“ von aktionstheater ensemble

Innere Emigration oder Widerstand

Von Schauspiel (Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Isabella Jeschke, Thomas Kolle), Kampf um das Rampenlicht, Solo-„normal“-Texte (Elias Hirschl) und Musik (Monica Anna Cammerlander, Atanas Dinovski, Lisa Lurger, Daniel Neuhauser, Severin Trogbacher, Tobias Pöcksteiner) bzw. Gesang (Tamara Stern) – aus dem Ensemble des kleinen Orchesters schlüpfen einige mehrmals in Schauspiel-Rollen – ironisiert die Inszenierung (Martin Gruber, Texte: gemeinsam mit dem Ensemble) die Gefahr des Abgleitens in „Biedermeierlichkeit“.

Der Widerstands-Song „Bella Ciao“ angespielt, der zuletzt aber auch als inhaltsleerer Pop-Song durch den Äther ging, das jiddisches Lied „zog, zog, zog“ (sag, sag, sag) das konterkarierend zur Selfie-Queen, die auf Schönheit setzt, davon singt: Du bist schiach, aber es ist wurscht“…

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Szenenfoto aus „Alles normal…“ von aktionstheater ensemble

Könnte dennoch einen schalen Nachgeschmack der Traurigkeit hinterlassen trotz aller humorvoller, witziger Kombinationen scheinbarer unfreiwilliger Komik der „Normal“-Verfechter:innen aus der politischen Wirklichkeit. Mit der Hoffnung – zwischen den Zeilen und den Musiknoten – aus dem überzeugenden Spiel heraus eine Art paradoxer Intervention zu sein/erzeugen: Lasst es nicht so weit kommen, aber dafür müssen wir alle was tun – mehr als nur zu sitzen und gebannt wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange zu starren.

Um zu verhindern, dass wahr wird, was der FP-Chef auf der Heimattour im Vorjahr offen ankündigte: „Es wird rauschen, und es wird Verletzungen und Verwundungen geben – es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land.“ Dieses Zitat wanderte – im Gegensatz zu all den anderen (Werbe-)Sprüchen von rechts nach links über die großflächigen drei Seiten umfassenden Projektionswände.

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Szenenfoto aus „Alles normal…“ von aktionstheater ensemble

Nicht belehren

„Wir wollen den Leuten nie erklären, was sie tun sollen. Jede und jeder muss selber draufkommen“, so aktionstheater-ensemble „Vater“ Martin Gruber nach der umjubelten Premiere im Theater am Werk/Kabelwerk Meidling zu Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Oder wie am Tag nach der Premiere die langjährige Volkstheater-Direktorin Emmy Werner in einer TV-Diskussion (ORF, Im Zentrum) auf Elfriede Jelinek und ihr Anschreiben „gegen Gleichgültigkeit“ verwies.

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Szenenfoto aus „Alles normal…“ von aktionstheater ensemble

Rechtzeitig

Der erforderliche Widerstand kann sich auch nicht auf eine bloße Verhinderungskoalition des Pferde-Entwurmungs-Propagandisten beschränken, muss früher und breiter ansetzen – gegen die Spaltung von wir und die, „Normalen“ und „Abweichlern“. Vor einem ¼-Jahrhundert hat Erich Kästner 1958 anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennungen (10. Mai 1933) bei der Tagung des deutschen PEN (Poets, Essayists, Novelists) unter anderem gesagt: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluss meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.“

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Szenenfoto aus "Morbus Hysteria - Wir haben alle Recht" vom aktionstheater ensemble

Gespielter, getanzter, ironischer Kampf ums Rechthaben

Die Welt ist diesmal im jüngsten Stück vom aktionstheater ensemble ziemlich düster, vor allem ins schwarz-weiß-Tönen gehalten – von den projizierten Kulissen bis zu den Gewändern (Bühne/Kostüme: Valerie Lutz, Video: Resa Lut). Die Welt ist zersplittert, denn „Wir alle haben Recht“ wie es im Untertitel von „Morbus Hysteria“ heißt – noch bis 4. Juni im Werk-X-Wien-Meidling und ab Mitte Juni im Bregenzer Theater Kosmos, siehe Info-Box; übrigens Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… hatte schon vor eingier Zeit über eine probe des Stücks berichtet – Link am Ende des Beitrages.

Wobei „wir alle“ keine Gemeinschaft ist, eher jede und jeder für sich – in eigenen Bubbles, wie es sich in der wirklichen Welt vor allem im digitalen Raum abspielt 😉 Da prallen die rechthaberischen Positionen aufeinander, nicht um sie auszutauschen, zu diskutieren, sondern zu postulieren, hinzukleschen, mitunter sogar recht gewaltsam.

Fast alle Themen

Von versuchter, bemühter Interkulturalität bis zur Zur-Schau-Stellung wie wichtig einer/einem Diversität sei bis zum Zweifel daran, ob wirklich jede und jeder sich als das sehen können dürfe als was sie/er/they sich fühle, beispielsweise als Wal, Hase oder Wolf sowie vermeintlich schulterklopfendem „ja, der jüdische Humor…“ spannt sich der Bogen der angeschnitten, angespielten, (selbst-)ironisch durch den Kakao gezogenen Positionen des „Rechthabens“.

Das Team – schauspielend auf der Bühne Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern, Benjamin Vanyek und musizierend dieses Mal hinter dem Publikum, was den Dialog zwischen den unterschiedlichen Tönen über die Zuschauer:innen hinweg-schwabben lässt, – und Regisseur Martin Gruber entwickelt das Stück ja jeweils miteinander. Die Beteiligten bringen persönliche Erlebnisse und Erfahrungen ein, die in der gemeinsamen Arbeit zu einer runden Sache werden. Die übrigens fast immer sehr spontan wirkt, obwohl praktisch jedes Wort – samt seiner Betonung, jeder Schritt perfekt einstudiert sind – und trotzdem nichts an dieser Spritzigkeit verliert. Natürlich lebt – wie generell bei guten Theater – auch und gerade beim aktionstheater ensemble jeder Abend von der Durchbrechung der vierten Wand zum Publikum, bestimmt dessen Reaktion die Energie, den Flow der Aufführung, weshalb es hier – Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erlebte genau diese – keine sogenannte Zweite gibt. Dies ist ein Phänomen so mancher Theater, dass nach der darauf konzentrierten tollen Premiere die nachfolgende Vorstellung abflacht.

Alle wechselnd gegeneinander, eine Außenseiterin

Wechselnde Koalitionen der Streitenden spielen sich ebenso ab wie die fast durchwegs die Außenseiterin gebende Kirstin Schwab, die oft suchend, herumirrend und vor allem in einem fast durchgehenden 1 ¼-stündigen Workout auf und mit dem schwarz-grau lackierten Sitzball auf und ab springt, ob sitzend oder liegend.

Vielleicht ein wenig untypisch für das aktionstheater ensemble (das übrigens mit einer übersetzten Version von „Pension Europa“ im Sommer zu einem Gastspiel in London eingeladen ist), das mit der Art und Weise seiner Stücke zwar Haltungen vermittelt aber Positionen fast immer in Frage stellt und das Publikum damit anregen will, selber Antworten zu suchen, endet „Morbus Hysteria – Wir haben alle Recht“ mit dem letzten konsumkritischen Abschnitt mit einer rasant getanzten, gesungenen, gespielten Version des mehr als 50 Jahre alten7jungen Songs der Band Ton Steine Scherben „Macht kaputt, was euch kaputt macht“.

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Foto bei einer der Proben - nicht jener, die KiJuKU.at besuchte: Es sollen keien falschen optischen Eindrücke vermittelt werden, daher nur aus Besprechungssituationen

Bewegen und tänzeln bis der (Sprach-)Rhythmus passt

Über dem Eingangstor in der Wiener Kaiserstraße stehen die Buchstaben „Bienenhof“. Es duftet nicht nach Honig, Blüten und Blumen finden sich auch nicht. Aber neben dem Firmensitz einiger Geschäfte und Produkte rund um Honig geht’s zeitweise doch ähnlich zu wie in einem Bienenstock. Hier finden sich seit Jahrzehnten Proberäume des Theaters Heuschreck, das seit Jahrzehnten farbenfrohe Fantasie bei jungem Publikum und dessen älterem Anhang setzt. Und immer wieder mieten sich andere Theatergruppen hier in diesen Proberäumen ein. Derzeit das aktionstheater ensemble. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… durchquert die mehreren Höfe bis zum Ende und stapft die Stufen hinauf in den Proberaum, um ein paar Stunden dem Entstehungsprozess der jüngsten Produktion zuschauen und -hören zu dürfen. „Morbus Hysteria – Wir haben alle Recht“ hat Ende Mai im Werk X in Wien-Meidling Premiere – ausnahmsweise, sonst finden die Uraufführungen meist in Vorarlberg statt bevor die Spielserie in Wien steigt.

Rhythmus suchen und finden

Bevor jedoch auch nur ein Wort auf dem Tanzboden und einem weiteren mit Klebestreifen markierten Stück davor, die die originale Bühnentiefe markieren, fällt, bewegen sich die Schauspieler:innen durch den Raum. Nicht wahllos zum Aufwärmen, sondern gezielt, in Gruppen, synchron bewegen sich Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Benjamin Vanyek – Tamara Stern ist an diesem Probentag krank – diagonal übers Feld. Kirstin Schwab ist irgendwie gegenteilig unterwegs. Den Sitzball mit ihren Armen mal hoch, dann weniger hoch gehalten, schaut sie sich um. Sucht – nicht zielgerichtet. Blick sich um – hin und wieder verschreckt, verstört. Bringt Verwirrung zum Ausdruck. Zwischen „was ist mit denen los“ und „bin ich auf dem richtigen Weg?“

Irgendwie drängt sich der oben genannte Schriftzug über dem Hauseingang auf – Wo geht’s hier zur nächsten Blüte, um Nektar zu zapfen? Aber schnell weggewischt, denn das würde sicher genauso ablaufen, wenn das Ensemble woanders proben würde 😉

Gesamtkunstwerk

Mehrfach wiederholt das Ensemble die Schritte und Bewegungen – nicht in Form eines Einübens, sondern selber noch insgesamt suchend. In einer andere Szene sagt Kirstin einmal „also so, fühlt sich die Bewegung auf dem Ball jetzt für mich ganz falsch an“. Die Sitz-Folge auf den Bällen wird wieder geändert, jetzt wirkt’s stimmig.

Passt alles zusammen, stimmt ein gewisser Rhythmus? Denn das kennzeichnet – neben inhaltlicher Tiefe, Bissigkeit, Humor und Selbstironie – Stücke des aktionstheater ensembles meist in den bisherigen fast dreieinhalb Jahrzehnten.

Nach einigen Wiederholungen scheinen die Bewegungen und Gänge in dieser Szene ziemlich stimmig, nun das Ganze mit Musik. Die Live-Musiker:innen Nadine Abado, Andreas Dauböck, Pete Simpson unterlegen die Szene mit stimmigen Sounds, in anderen dominieren eher sie, geben Takt und Rhythmus vor – auch wenn es mitunter genau gegengleich läuft/laufen soll: Musik rauf, Bewegung runter und umgekehrt – die Gesamtenergie muss passen.

Stimmungsvolles Gruppenfoto als Sujet fürs kommende Stück
Stimmungsvolles Gruppenfoto als Sujet fürs kommende Stück

Miteinander

Kritischer, fördernder und fordernder teilnehmender Beobachter der Szenerie ist mittig vor dem Geschehen sitzend Martin Gruber, Mastermind und „Vater“ des aktionstheater ensembles, der jedoch stets ausstrahlt: Wir entwickeln das jetzt gemeinsam. Und tun dies sicher nicht nur, wenn ein Medium zu Besuch ist! Er ist übrigens wohl einer der ganz wenigen, die Regie führen, und doch bei (fast) jeder Aufführung auch anwesend ist – mit gemeinsamer Einstimmung vor dem Stück und gemeinsamer Reflexion danach.

Beim KiJuKU-Probenbesuch mit dabei noch Valerie Lutz, die für Kostüme und Bühne zuständig ist, „Resa Lut“, die Videos produziert, die eingeblendet werden, hin und wieder auch Martin Ojster (Dramaturgie), der nur immer wieder raus muss, um telefonisch das eine oder andere zu checken. Unmittelbar vor der Bühne am Boden sitzt Regie-Assistent Johny Ritter – vor sich auf dem aufgeklappten Laptop-Monitor den Test der aktuelle Stückfassung.

Denn irgendwann wird die Szene natürlich auch mit Text geprobt. Johny spricht jene Sätze ein, die von der erkrankten Tamara kommen würden und ganz selten hilft er bei „Hängern“ aus, die die eine oder der andere kurzfristig hat.

„Das hat ja schon eine Frau gesagt“

In der eingangs geschilderten Szene dreht sich der Text dann um die Erkenntnis, dass das was einer der Männer so groß hinausposaunt im Prinzip dasselbe ist, das Kirstin schon wenige Augenblicke vorher gemeint hat. Eine – noch immer – häufige Alltags-Erfahrung: Aussagen von Frauen werden häufig(er) ignoriert, sagt ein Mann das wenig später, wird ihm zugehört. Ähnliche Muster erleben auch andere an den Rand gedrängte Gruppen.

Hauseinang zum Probenraum
Im „Bienenhof“ „wohnt“ das Theater Heuschreck mit seinem Probenraum, den auch das aktionsetheater ensemble immer wieder nutzt …

Raus aus den Bubbles

Um Kommunikation, um die „Blasen“ (Bubbles), ums Recht-haben dreht sich das neue Stück. „Der Untertitel (wir haben alle Recht) war unser Ausgangspunkt“, sagt Martin Gruber am Beginn der Gesprächsrunde des Ensembles mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… in der Pause zwischen Proben-Einheiten. Und wie immer haben in dem Fall Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek eigene Beispiele eingebracht. Wenngleich nicht immer jede und jeder die eigenen Erlebnisse darbringt, die auch verändert werden können im Laufe der Proben. Das Beharren auf eigenen Positionen, das ich, ich, ich nur ich, das Diskurs, Diskussion, Austausch verunmöglicht, Gräben aufreißt, Solidarität verhindert, Populist:innen den Boden aufbereitet … das will das aktionstheater ensemble thematisieren. „Aber wir wollen auch keine fertige Antwort geben. Wir sind nicht diejenigen die sagen, was richtig ist. Nur wir haben Recht. Wir wollen Anstöße zum selber Nachdenken, zum Reflektieren des eigenen Verhaltens liefern“, so die Conclusio aus der Gesprächsrunde mit den Akteur:innen auf der Bühne und dem Regisseur.

Das Labile, das In-Bewegung-Sein – auch im Sitzen – wird dann nicht zuletzt in den Sitz-„Bubbles“ (!) zum Ausdruck kommen.

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Szenenfoto aus "Pension Europa 01" von aktionstheater ensemble

„Heimat ist, wo ich gut sch… kann“ und Show über (Selbst-)Inszenierung

„Die große Pension Europa Show“ heißt der aktuell im Werk X Meidling (Kabelwerk) laufende großartige, tiefgründige und streckenweise sehr witzige Abend vom „aktionstheater ensemble“. Das Stück „Pension Europa“ (aus 2014) trifft über viele Strecken genau so zu wie damals, wurde dezent aktualisiert – da reichen mitunter wenige Sätze, beispielsweise wenn die Sprache Russisch angesprochen wird – und schon ist der Bezug – ohne ihn auszusprechen – angesprochen (!)

Weil – auch mit teils anderer Besetzung – der Grundtenor der Gleiche, ja sogar der Selbe ist, sei hier erlaubt, weitgehend die eigene – damals noch im KiKu erschienene – Rezension zu zitieren:

Wo ist die Grenze? Zwischen Publikum und Bühne – in den großen Theatern leicht sichtbar. Vor Beginn trennt ein Vorhang sichtbar die Akteur:innen von den Zuschauer:innen. Bei vielen, den meisten kleinen Theatern fehlt der Vorhang. Der Blick auf die Bühne ist von Anfang an frei.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Pension Europa 01“ von aktionstheater ensemble

Hinterm „Vorhang“?

Was würde sich hinter einem imaginären Vorhang abspielen, bevor die Darsteller:innen in ihre Kostüme geschlüpft sind? Von ihrem ureigensten Metier, ihrer Profession ausgehend stellen fünf Schauspieler:innen (diesmal ist auch ein Mann dabei) vom „aktionstheater ensemble“ in „Pension Europa“ diese Frage. Sie sind noch in der Unterwäsche, ihre Kleidungsstücke auf der fahrbaren Garderobe. Die sechste voll in Robe knüpft zwar – nur hin und wieder – als elegante Opernsängerin mit englischen Arien (Aisha Eisa) an Diskursen der anderen fünf an, bleibt aber dennoch am Rande des Geschehens, eine Außenseiterin in einer Art Elfenbeinturm, die von anderen eher höflichkeitshalber angesprochen wird.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Pension Europa 01“ von aktionstheater ensemble

(Ent-)Grenzen

Grenzen aller Art – zwischen Ländern, Gesinnungen, Körpern und Gefühlen, Mensch, Göttern und Tieren (der Mythos von Hera/Zeus, Europa, Kuhherde und Stier) – werden in den rund 70 Minuten thematisiert, nicht nur kurz angesprochen, sondern oft tiefgehend. Nie aber in Form theoretischer Diskurse, sondern stets auf sehr praktische, persönlich berührende Beispiele runter gebrochen. Bildungsbürgerliches Gut-Sein-Wollen wird hinterfragt und aus Korn genommen: Vom Urlaub in Thailand mit Taxi-Rundfahrt zu Protestdemonstrationen (wogegen/wofür? Keine Ahnung!) bis zu „denen da unten helfen wollen“ bei der ägyptischen Revolution, „weil irgendwo musst du dich doch engagieren. Und außerdem gab’s grad billige Flüge“ samt erotischem Abenteuer, „jetzt will er zu mir flüchten, aber nein, da kann ich ihn nicht brauchen!“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Pension Europa 01“ von aktionstheater ensemble

Heimat

Wohl „ewig“ in Erinnerung bleiben wird der geniale Satz Tamara Sterns: „Heimat ist dort, wo ich am besten scheißen kann…“ Dort fühle sie sich zuhause, am wohlsten.

Dass Grenzen nicht so einfach zu ziehen seien, nicht so eindeutig wären, symbolisiert das Ensemble mit dem Spiel rund um den imaginären (Theater-)Vorhang am Beginn und der Vorstellung, „wenn das jetzt Regen wäre: Da gibt’s doch nicht so eine klare Linie, wo es noch regnet und gleich daneben nicht, der Übergang ist eher fließend.

Herzhaftes Lachen

Die Art und Weise wie Michaela Bilgeri, Isabella Jeschke, Kirstin Schwab, Benjamin Vanyek und die schon erwähnte Tamara Stern – immer wieder im kongenialen Zusammenspiel mit Sängerin Aisha Eisa und den Live-Musikern (Dominik Essletzbichler, Christian Musser, Daniel Neuhauser, Gidon Oechsner, Daniel Schober, Pete Simpson) dies zumeist in sehr ironischer, witziger, (selbst)verarschender Weise tun, ruft beim Publikum sehr oft spontanes herzhaftes, manchmal sogar brüllendes Lachen hervor. Und überwindet praktisch die ganze Aufführung lang, das was im Theater oft als sogenannte vierte Wand verhindert, dass der Funke überspringt.

Die große Show

Mit einer neuen Hauptdarstellerin steigt nach der Pause „Die große Show“. Babett Arens 60er soll gefeiert werden. Und dennoch wird sie von der Moderatorin des Abends, Michaela Bilgeri, die mehr als ein halbes Dutzend Mal ihre Kostüme wechselt, in den Hintergrund, an den Rand gedrängt. Obwohl sie ständig behauptet, „zur Seite getreten zu sein“ (der Spruch kommt doch bekannt vor, oder?!)

Zwei Gäste bereichern die Show. Raphael Macho, der einen eher unmotivierten Zauberer gibt, der Momente des Staunens bringen will – mit altbekannten Tricks, die dennoch hin und wieder überraschen. Und der als Stimme der Jugend vom Geburtstags„kind“ gefragt wird – aber dann doch nie zu Wort kommt.

Elias Hirschls Auftritt mit seinem Text übers Blutspenden als Mittel zur Überwindung der Gesellschaft – weil damit Menschen gerettet werden, egal welcher Geistes- und politischen Haltung sie sind – macht auch in der nun deutlich gekürzten Version recht nachdenklich.

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Pension-europa -> Stückbesprechung 2014 im Kinder-KURIER