Um rund 2500 Jahre nach vor gerückt, spielt diese „Antigone“-Version von Theater Wozek nicht mehr im antiken Griechenland, sondern rund um einen Konzern namens Theben und seiner korrupten und undurchsichtigen Machenschaften. Dennoch ist der Kern von Sophokles Tragödie erhalten, deutlich erkennbar. Und doch gleichzeitig eine zeitlose Auseinandersetzung zwischen einem despotischen auf die Fassade achtenden Herrscher und (s)einer aufrechten, kämpferischen Widersacherin (Konzept und Regie: Karl Wozek).
Antigone, Ödipus‘ Tochter, will ihren Bruder Polyneikes begraben. Kreon, der neue Tyrann Thebens, verbietet das, weil der Genannte gegen diese Machtübernahme seines Onkels gekämpft hatte. Polyneikes ist im tödlichen Streit mit seinem Bruder Eteokles wie dieser gestorben. Den einen ließ Kreon als Helden begraben, den anderen eben gar nicht. Und weil sich die Nichte nicht an Kreons Verbot hält, lässt er sich lebendig einmauern. In der Folge bringt sich deren Schwester Ismene um, ebenso deren Verlobter Haimon, übrigens Sohn von Kreon. Das veranlasst auch seine Mutter Eurydike, Kreons Ehefrau, ihrem Leben ein gewaltsames Ende zu setzen. Diese Tragödie von Sophokles wurde – laut Wikipedia – „wahrscheinlich im Jahr 442 v. Chr. uraufgeführt“.
Kreon, in dieser Version, die nach mehrtägiger Aufführung in der Theater Arche (Wien-Mariahilf) in den nächsten Wochen und Monaten im Burgenland, in Oberösterreich und Salzburg – auch in Schulaufführungen – zu erleben ist, herrscht nun wie eingangs schon erwähnt, über einen Konzern. Ein Gutteil von dessen Geschäften sind nicht gerade sauber. Der Boss (unverbindlich freundlich, unnahbar Niklas Zoubek) selber macht sich die Finger nicht schmutzig, dafür hält er sich einen mafiösen (Schläger-)Trupp, angeführt von Svetlana (Karoline Sachslehner) mit ihren Unterläufeln Jonas (Georg Müller-Angerer) und Pascal (Nicolas Hoser).
Die zuletzt genannten drei Schauspieler:innen schlüpfen im Verlauf der kurzweiligen, immer wieder auch amüsanten, aber auch emotional tiefbewegenden Vorstellung in weitere Rollen. So ist Karoline Sachslehner vor allem auch Antigones Schwester Ismene, darüberhinaus aber auch noch eine TV-Reporterin Rosalie, die eher eine Stichwortgeberin als Interviewerin Kreons und ihm den Raum für sein „Wir haben alles richtig gemacht“ gibt.
Nicolas Hoser spielt noch Ismenes Verlobten Hämon, der damit auch Sohn Kreons ist sowie den Kameramann fürs TV, eher ein Seitenblicke-Format. Georg Müller-Angerer mimt neben dem Bösewicht des Mafia-Trios vor allem Angelo, den Gute-Geist-Helfer Antigones, sozusagen die männliche Version der Sophokles’schen Amme. Und er steigt hin und wieder aus der ganzen Geschichte aus und schildert als eine Art Conférencier den Fortgang der Story.
Last but not least natürlich die Antigone-Darstellerin. Julia Wozek ist eine Wucht, die zwischen ständiger Kampfbereitschaft samt List, wie sie den Bruder doch noch bestatten kann, und tiefer Verzweiflung angesichts der despotischen Anordnung Kreons und des lange Zeit einsamen Widerstands pendeln kann. In den passenden Momenten samt echter Tränen auf der Bühne, die dir als Zuschauer oder Zuschauerin sehr nahe gehen können.
Besonders krass und stark der Wortstreit mit ihrem Onkel Kreon, wo sie diesen nahe an seine Grenzen bringt, wenn sie ihm auf den Kopf zusagt, dass er im Gegensatz zu ihr nicht (mehr) ehrlich agiert, sich für seine Geschäfte (die Macht) verbiegt. Und lässt damit vor allem in dieser Szene ganz ohne es an- oder auszusprechen Assoziationen zu aktuellen geschichtsträchtigen geopolitischen Szenen auftauchen.
Lediglich der Untertitel „ich weiß nicht, warum ich sterben will“ verwirrt ein wenig, vermittelt doch diese Antigone-Protagonistin zwar ihren Lebenswillen, aber auch ihre feste Überzeugung, alles, auch den Tod, in Kauf zu nehmen, um sich eben nicht verbiegen zu müssen.
Abseits von Kriegen ist Familie der gefährlichste Ort der Welt. Diese für viele (tödliche) Alltagserfahrung spiegelt sich auf Bühnen seit Jahrtausenden wider. Klassischer Fall sind antike griechische Dramen. Mit einem solchen Familien-Mord-Drama tourt das Wiener Volkstheater bis Ende Mai durch die Bezirke, meist in Volkshochschul-Sälen: „Elektra“, der Zusatz „The Show must go on“ verrät schon, dass nicht die antike Tragödie einfach 1:1 nachgespielt wird; abgesehen davon, dass es da schon verschiedene Versionen – Sophokles, Aischylos, Euripides gab, ja sogar bei Homer kam die Hauptfigur damals noch unter dem Namen Laodike vor.
Wie auch immer, zunächst die Grundgeschichte: Elektra, ihre Schwester Chrysothemis und ihr Bruder Orest beschließen, ihre Mutter umzubringen – aus Rache, weil die mit ihrem Liebhaber Ägisth den Vater der Geschwister, Agamemnon umgebracht hat. Und das wiederum dafür, dass dieser eine weitre Schwester der Kinder, Iphigenie den Göttern „geopfert“ hat, um Glück im Krieg zu haben. Ob er sie wirklich getötet hat oder den Göttern eine Hirschkuh unterjubelt hat, hängt von den antiken Versionen ab.
Wie auch immer, vor diesem Hintergrund startet das Geschehen auf der Wanderbühne – keine leichte Sache dank der unterschiedlich großen Bühnen und verschieden ausgestatteten Säle (Ausstattung: Jenny Theisen, Lichtkonzept und Musik: Max Windisch-Spoerk) mit dem Blick auf acht umgestürzte, fast wie riesige Mikado-Stäbe liegende Kunststoff-Nachgebilde griechischer Säulen. Also Zerstörung und Chaos gleich zu Beginn bevor noch die/der erste aufgetreten ist.
In knallgelben, ein wenig an Clown-Kostüme erinnernden Gewändern und lila Perücken, spielen Isabela Knöll (Elektra), Alina Schaller (Chrysothemis) und Til Schindler (Orest) aber nicht nur die mörderische Story selbst. Immer wieder treten sie aus ihren Rollen heraus, sprechen auch das Publikum an, zweifeln an dem, was sie spielen sollen. Und in den Rollen selbst, agieren sie als drei unterschiedliche Charaktere: Der Bruder versucht sich ganz rauszuhalten, haut für längere Zeit ab. Die titelgebende Figur drängt auf Durchziehen des Racheplans und ihre Schwester zweifelt, ob das letztlich was bringt, und nicht die Spirale der Gewalt nur fortgesetzt würde.
Was wohl – aus der Situation – zu vermuten, Jahrtausende zurückblickend sich bewahrheitet hat. Und dennoch lässt das Schauspiel-Trio das Publikum in das fast ausweglos erscheinende Dilemma eintauchen. Aber auch sich immer wieder erholen und gar nicht zu wenig lachen – über Situationskomik ebenso wie Wortwitz (Fassung und Regie: Felix Krakau nach wie es in der Ankündigung heißt ein bisschen Euripides, Sophokles und Hofmannsthal.
Mitunter brechen sie humorvolle Szenen in null komma nix durch heftige Momente. Etwa, wenn die Schauspieler:innen von der Bühne in den Saal springen, Zuschauer:innen durch direktes Ansprechen fast schocken, zum Opfer auffordern – gut, klar, ist gespielt. Aber die Passagen, wo sie ihren Geschwisterstreit und vertrackte Lage ihrer problematischen Familie wegrücken von der antiken Ausgangs-Tragödie, hin auf allgemeinere leider zeitlose familiäre Gewaltspiralen, lässt schon mitunter heftig schlucken. Da kommt wohl das Heimito von Doderer zugeschriebene Zitat in den Sinn: „Wer sich in Familie begibt, kommt darin um“.
Die Göttinnen – in langen weißen Kleidern, Aphrodite (Julia Gassner, die später zur Helena wird), Athene (Andrea Mačić) und Hera (Gabriele Weber, auch Co-Regie) – stehen beisammen, kleine Kelchlein in die Höhe gereckt. Sie warten aufs Anstoßen. Knapp daneben ein junger Mann mit metallen wirkendem Oberkörper-Panzer (Romanelli Alessio). Ein paar Treppen darunter ein langer schwarzer Laufsteg.
Gegenüber hängen zwei senkrechte Projektionsflächen mit eingeblendeten Statuen. Dazwischen – noch im Hintergrund – ein Mann im Rollstuhl, der später hin und wieder weiter nach vorne fährt und mit blinkendem Techno-Tablett agiert (Marcell Vala). Auf seiner Seite kommt wütend eine Frau hervor: Was die Göttinnen gegenüber feiern wollen, ist die Hochzeit von Thetis und Peleus. Und sie, Göttin Eris (Anna Fellner, später tritt sie immer wieder als Mundschenkin auf), ist als einzige nicht eingeladen. (Hat da das Märchen Dornröschen mit der 13. Fee die Inspiration her?)
So, da habt ihr einen goldenen Apfel! Den rollt Eris über den Laufsteg. Na also, gar nicht so böse! Oder vielleicht doch? Auf dem Apfel klebt, dass er der Schönsten gehören möge. Also Streit des Göttinnen-Trios. Und wer soll – und wonach – urteilen? Genau, der junge Mann, genannt Paris…
Soweit die Ausgangs-Szene von „Kassandras Geheimnis“, einer inklusiven Produktion von und im Theater Delphin (Wien-Leopoldstadt; 2. Bezirk). Die Theatergruppe hat diesen antiken griechischen Stoff um die Entstehung des zehn Jahre dauernden Kriegs zwischen Griechen und Trojanern um so manch eigene sehr fantasievolle Geschichten zu erweitern.
Zunächst zurück zur mythologischen Story: Paris entschied sich weder für die von Athene im Gegenzug angebotene Weisheit, noch die Macht, die Hera ihm als Bestechung in Aussicht stellte, sondern für Aphrodites Versprechen, die Liebe der schönsten (irdischen) Frau der Welt. Doch blöd, dass diese Helena schon mit dem griechischen König Menelaos verheiratet war. Und Paris ein Trojaner. Und so – zumindest der mythologischen Legende nach – kam’s zur Belagerung Trojas, natürlich Unmengen von Toten, Verletzten, Leid und was sonst noch alles zu Kriegen dazugehört.
Eine große tragische Person in dieser bekannten Geschichte: Kassandra (Iris Zeitlinger), die später zur sprichwörtlichen Figur wurde. Sie hatte zwar die Gabe, vieles vorauszusehen, aber als Rache von Gott Apollon dafür, dass sie sich von ihm nicht verführen ließ, sollte niemand ihren Weissagungen glauben…
Diese weithin bekannte Geschichte / Legende mischten die Schauspieler:innen des Inklusiven Theaters Delphin mit einer eigenen Fantasie /Utopie. Das Universum ist weitgehend kriegsfrei, nur da in irgendeiner Ecke des Alls, auf der Erde herrschen noch bewaffnete Auseinandersetzungen, stellt der Chef der Galaxie Starfisch fest. Mittels Künstlicher Intelligenz regiert Zeurelius (der schon oben genannte Marcell Vala). Um auch dort für Frieden zu sorgen, schickt er Möskin Odur (Judith Czerny) aus der Spezialeinheit von Melva auf die Erde.
Auch wenn aktuelle Kriege vielleicht oder wohl mitgemeint sein könnten, landet die Spezialperson inmitten des Trojanischen Krieges, versucht sich Vertrauen zu erwerben – vor allem beider Kurtisane Neaira (Hanna Schnitt), die halt alle und jeden gut „kennt“ und kommuniziert in unbeobachteten Momenten hin und wieder mit dem Chef via Leucht-Smart-Armband…
Gleichzeitig trachtet Kassandra auf einem anderen Weg den Krieg zu beenden – durch Sieg mittels einer Achilla, einer künstlichen Person, die sie aus einer Leiche mittels Zaubertinkturen zum Leben erwecken will. Wobei das Zusammenspiel mit Sklave Werwolf Fenris (Bianca Brucker) recht humorvoll, fast kabarettistisch angelegt ist und immer wieder für Lacher im Publikum sorgt, das in dem kleinen Theater in Wien-Leopoldstadt (2. Bezirk) links und rechts des Laufstegs sitzt.
Für mindestens ebenso viele Schmunzler bis Lacher sorgt das berühmte Trojanische Pferd, das hier auf einem Einkaufswagerl mit Holz, Drahtgitter und einem Kunststoff-Ross-Kopf in die Szenerie gefahren wird. Und sich zeitweise sozusagen als Figuren-Konkurrenz der aufrecht an einem Seil baumelnden Achilla gegenübersieht.
Möskin Odur entledigt sich letztlich der Verbindung zu Zeurelius und damit der totalen Kontrolle durch die KI – und großer Jubel für alle Mitwirkenden (Co-Regie, Bühnenbild, Visuals, Technik: Georg Wagner) nach knapp 1¼ Stunden.
Follow@kiJuKUheinz
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen