Die Zuschauer:innen sitzen zum Teil schon auf ihren Plätzen im Theater Akzent, andere kommen noch in den großen Saal. Da ertönt eine Lautsprecherdurchsage, die aufs Erste verwirrt: „Wir bitten Sie nun, sich zum Ausgang zu begeben…“
Bitte wie?
„… das Museum schließt in fünf Minuten“.
Aha… Genau, die folgende eineinhalbstündige, abwechslungsreiche, spannende, berührende Tanz-Performance heißt ja „Aus dem Rahmen tanzen“. Ausgehend von Bildern und Objekten in einigen Wiener Museen ließen sich die Tänzer:innen der inklusiven Studios von „Ich bin O.K.“ gemeinsam mit Schüler:innen des Theresianums, Studierenden der MUK (Musik- und Kunstuni der Stadt Wien) sowie der Vitalakademie und den Choreograf:innen inspirieren – von einer solchen Probe in einem Museum hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… schon berichtet – Link am Ende des Beitrages. Die Mitwirkenden sowie die nächsten Vorstellungen sind ncoh weiter darunter in der Info-Box ganz am Ende des Beitrages.
Nun also auf der großen Bühne unterschiedlichste Tänze – klassische, zeitgenössische, Hip*Hop, Breakdance bis zu abschließenden Walzern nach berühmten Melodien von Johann Strauss, dem viele Veranstaltungen im Jahr 2025 – 200 Wiederlehr seines Geburtstages – gewidmet sind.
Zu Beginn ziert eine riesige Vergrößerung des Gemäldes „Die bösen Mütter“ von Giovanni Segantini aus dem Museum Belvedere die gesamte Bühnenbreite im Hintergrund. Auf einem recht vertrockneten Baum in einem offenbar zugefrorenen See „wächst“ eine Frau wie ein Ast aus dem Stamm hervor. Als alle sitzen, beginnt die sich scheinbar zu bewegen. Nun nicht die Frauenfigur im Bild selbst, aber in ähnlicher Position eine Tänzerin ein einem Video aus diesem Bild heraus auf der Projektionswand. Die hebt sich kurz, und eine nun leibhaftige Tänzerin in einem Kostüm im Baum-Design erobert tänzerisch die gesamte Bühne.
Sie bleibt nicht allein, ihr gesellen sich weitere Tänzer:innen hinzu und aus den „bösen Müttern“ wird ein ganz anderes Bild im Hintergrund: „Blühender Mohn“ von Olga Wisinger-Florian. Diese „Frühlingserwachen“-Szene geht über in Wetter (in en April-Aufführungen wird Vulkan-Feuer folgen), später in gewaltigen Seegang eines Ozeans – viele der Fotos von Gemälden durften animiert werden – was Bild im Hintergrund mit den Bewegungen der Tänzer:innen im Vordergrund fallweise wie zu einem einzigen Gesamtkunstwerk zusammenfügt.
Neben figuralen Landschaftsdarstellungen hatten sich Tänzer:innen und Choreograf:innen aber auch in manchen Museen abstrakte Bilder oder Installationen ausgesucht, von denen sie sich zu ihren Bühnen-Bewegungen inspirieren lassen wollten. Für eine Szene („Making-of“ Auf hoher See) stand sogar ein Stummfilm Pate.
Neben Live-Musik (Martin Burk – Kontrabass, Fabian Pollack – Gitarre, Valentin Duit – Schlagzeug), erklangen bei vielen Szenen auch bekannte hitverdächtige Nummern aus der Sound-Anlage, unter anderem „Sweet Dreams“ von Eurythmics zum Foto „Tiny für Hollywood gekleidet“ (Galerie Westlicht).
Manche Szenen wurden von ganz wenigen, die meisten aber von etlichen bis vielen Tänzer:innen ohne und mit Behinderungen gemeinsam getanzt – voller Energie, Leidenschaft, Lust und meist im synchronen Gleichklang oder so die Choreografie es erforderte als gegenseitige ergänzende Bewegungen. Die eine oder der andere kokettierte dabei noch zusätzlich mit dem Publikum.
Ein gänzlich neues „Museums“-Erlebnis, wobei die jeweiligen Tänzer:innen teilweise schon – inspiriert von den ausgewählten Kunstobjekten – in den jeweiligen Museen performt haben oder noch werden.
Als Mizzi mit Papa, der sie vom Kindergarten abholt, nach Hause geht, bleibt sie an einem Haus stehen. Fasziniert lauscht sie der Musik, die daraus erschallt und lugt durch die Fensterscheiben – auf tanzende Kinder. Das möchte sie auch.
Im Foyer des Tanzstudios wird sie zu einer Schnupperstunde eingeladen und lädt begeistert am nächsten Morgen ihre Freund:innen Nala, Linus und Charlotte ein, da mit ihr hinzugehen. Doch anderntags folgt die große Enttäuschung: Die eine will nicht, weil sie rosa nicht mag, der andere, weil er glaubt, dort der einzige Bub zu sein und die dritte findet sich nicht schlank genug – bzw. meint das ihre Mutter…
Natürlich räumt das Bilderbuch „Mizzi tanzt mit – Ballett und Tanz für alle“ (Text: Rebekka Rom; Illustration: Anna Horak) mit den angesprochenen Vorurteilen auf – ergibt ja schon der Untertitel. So nebenbei wird Mizzi dann nicht nur Ballett, sondern auch Hip*Hop tanzen.
Obendrein sind in diesem Bilderbuch Erklärstücke über wichtige Tanzschritte und -haltungen im Ballett eingebaut und schon viele der Bilder vermitteln die Vielfalt, die in diesem Studio möglich ist – bis hin zum Rollstuhl-Tanz.
Somit ein weiteres schönes Buch, das deutlich macht, ob Ballett oder andere Tänze – jede und jeder darf und kann mitmachen. Auch wenn „Mizzi tanzt mit“ – samt Untertitel „Ballett & Tanz für alle“ so tut, als wäre das etwas ganz Neues und müsste erstmals erklärt werden: Es gab / gibt schon eine Reihe von Bilder- und Jugendbüchern zu diesem Thema – siehe Links unten zu einigen solcher Buchbesprechungen sowie Umsetzung in Theaterstücken.
Übrigens: Seit mehr als 40 Jahren gibt es „Ich bin O.K.“, ein Projekt, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam tanzen und immer wieder Tanztheater auch auf großen Bühnen aufführen – siehe Link zur Reportage über einen der Teile der diesjährigen großen Performance „Aus dem Rahmen tanzen“.
Weiße Papierbahnen liegen auf dem Boden vor Bildern von Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol. Letzterer scheint sogar himself auferstanden zu sein – zumindest erweckt die graue Perücke diesen Eindruck. Nun sitzt der junge Mann auf einem der fünf Sessel vor den Bildern. Neben ihm erinnert eine junge Frau mit ihrer Perücke an eines der Warhol-Bilder an der Wand, an Marilyn Monroe.
Die beiden setzen sich in Bewegung, tanzen auf den Papierbahnen. Noch tauchen sie bei dieser Probe jeweils einen ihre Schuhe nicht in die Schüssel mit eingefärbten Schwämmen. Dies werden sie – wie drei weitere ihrer Kolleg:innen aus den Tanzstudios des Kultur- und Bildungsvereins „Ich bin O.K.“ – wohl bei den drei Aufführungen hier im Heidi-Horten-Museum in der Wiener Innenstadt Ende Jänner nahe der Oper tun.
Ihre Tanzschritte ergeben dann ein buntes Muster auf dem Papier. Damit nehmen sie ein – vielleicht gar nicht so leicht auffallendes Detail aus dem großen Bild Collaboration (1984/85) der eingangs genannten bildenden Künstler auf. Wobei die fast unscheinbaren Spuren von Schuh-Abdrücken dort eher wirken, als wäre damals wer achtlos über eine Ecke des Kunstwerks, das offenbar auf dem Boden lag, drüber gegangen.
Die Tänzer:innen und Choreograf:innen des inklusiven Studios, das übrigens seinen Sitz in jenem Hof hat, in dem auch dieses Museums liegt, ließen sich von mehreren Kunstwerken auf allen Ebenen der Collection inspirieren und tanzen sozusagen aus dem Rahmen. Wobei so manche der Kunstwerke gar nicht in Rahmen hängen
Station 2 etwa sind bunte runde Scheiben, die von Licht bestrahlt Schatten an die Wände werfen und gleichzeitig spiegeln (Olafur Eliasson, Your Welcome Reflected, 2003). So ruhig wie sich die von der Decke hängenden Scheiben hin und wieder langsam leicht drehen, so bewegt bewegen sich die Tänzer:innen – meist eng an den Wänden entlang.
Einige der Tänzer:innen aus den einzelnen Gruppen, die rund um, zwischen oder vor den Kunstwerken agieren, lösen sich am Ende der jeweiligen etwa zehnminütigen Performances und dienen – wortlos, „nur“ durch ihre Bewegungen als Guides für das Publikum zur nächsten Station – auch über die Stufen zur folgenden Ebene.
Tänze rund um große Discokugeln (John M Armleder, Global Domes XII, 2000) mit kleinen solcher glitzernden Kugeln, Breakdance aus der Dunkelheit zum Licht (Tony Oursler, Talking Light, 1996/2014) bzw. meist fast zeitlupen-artige tänzerische Bewegungen, die bunte Schatten werfen (Olafur Eliasson, Your Uncertain Shadow (colour), 2010) sind weitere Stationen der insgesamt rund 50-minütigen Performance. Diese wird Ende Jänner drei Mal in diesem Museum aufgeführt – zu vielfältiger Musik, weniger bekannter und große All-Time-Hits wie Monroes „I Wanna Be Loved By You“ oder „Staying Alive“ von den Bee Gees – Details siehe Info-Box.
Die anderen Museen und Sammlungen, die „Ich bin O.K.“-Tänzer:innen und ihre Choreograf:innen inspirierten, hängen im Theater Museum, im Belvedere, in der Albertina Modern, der Galerie Westlicht und eben der Heidi Horten Collection, in der diese Reportage gemacht werden durfte.
Sarah-Ann Neugebauer und Marie Keller stehen mit fetten Kopfhörern auf den Ohren vor einer der seitlichen Türen des gerammelt vollen Publikumssaals im Theater Akzent. Als Geschwister Laskera und Lesina beginnen sie zu schwingen. Offenbar hören sie tanzbare Musik. Der große rote Bühnenvorhang ist noch zu. Nun kommt Musik – offenbar jene, die die beiden schon über ihrer Kopfhörer vernommen hatten, auch aus den Lautsprechern, die beiden tanzen durch die Gänge zwischen den Zuschauer:innen-Blöcken, nähern sich der Bühne, auf der ein gelbes Seil wie eine Schlange liegt. Die beiden betreten die Bühne, der Vorhang öffnet sich und gibt die Blicke frei.
In der Mitte auf einem Podest steht eine weißgekleidete Frau mit urururur….langen „Haaren“, goldgelben, die sich links und rechts auf der Seite der Bühne bis zum vorderen Bühnenrand über den Boden schlängeln. Sara Willnauer stellt sich als Hüterin der Zeit vor – begleitet von etlichen ebenfalls weiß gekleideten Tänzerinnen und Tänzern. Das Spiel kann nun voll beginnen. „Der Goldene Faden“ heißt die aktuelle Produktion der inklusiven Tanzstudios „Ich bin O.K.“, die am Welt-Down-SyndromTag (21. März) ihre erste Aufführung vor Publikum erlebte, die Vorpremiere vor viiiielen Schülerinnen und Schülern. Die spendeten immer wieder spontan auch zwischendurch Szenenapplaus. Und nach rund eineinhalb Stunden als manche schon das vermeintliche Ende empfanden „Zugabe! Zugabe!“-Rufe. Was die Tänzer:innen insofern gaben, weil das Stück noch eine ¼ Stunde weiterging.
Die beiden – eingangs genannten – Geschwister führen durch das Stück, das die Kinder und Jugendlichen in einem wochenlangen Prozess selbst entwickelt hatten. Alles dreht sich um Streit. Immer und immer wieder geraten – ausgehend von Königin (Stephanie Platzer) und König (Severin Neira) Kinder, Hofstaat und alle aneinander, mehr oder minder heftig. In einer langen, abenteuerlichen Reise gelangen die Geschwister, die selber auch anfangen zu streiten in ein Labyrinth, das sie durchqueren müssen, um den magischen Kristall zu finden. Mit dem können Streithansl und -Gretl, sprich Königin und König, sie grün, er lila gekleidet, in die Zukunft schauen, wie sie der Streit zu Gewalt und Krieg weiterentwickeln würde.
Doch so schnell lernen sie nicht daraus. Es kommt zu mehreren Rückfällen ins alte Verhaltensmuster bis sie … – natürlich gibt es ein Happy End – gefeiert mit einem Friedensball, nachdem das Monarch:innen-Duo sich zuvor noch einmal gestritten hat ob Friedensfest oder Versöhnungsball. Ach ja, und die Geschwister befreien die beiden auch von ihren Kronen, die nun reihum alle paar Augenblicke wer anderer auf dem Kopf trägt – kein herrschendes Paar mehr, sondern gemeinsam bestimmen alle mit.
Weitere Aufführungen bis 30. März sowie zwischen 17. und 23. April 2023 im Theater Akzent – siehe im ausführlichen Info-Block, in dem auch alle Mitwirkenden auf und viele hinter der Bühne angeführt werden.
Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… hat schon ausführlich von einer Probe berichtet – zu diesem Bericht und einem Interview mit einer Darstellerin, die in mehrere Rollen schlüpft, hier unten.
Demnächst tanzen sie auf der Bühne des Wiener Akzent-Theaters als wilde Tiere, Mitglieder des Hofstaates, im Ballkomitee und als Teil des langen Drachenkörpers in „Der Goldenen Faden“ des inklusiven Tanztheaters „ich bin o.k.“ auf (KiJuKU berichtete über Proben daran – Link dazu am Ende des Beitrages). Ab Freitag spielen sie Hauptrollen in einem Kinofilm: Johanna Ortmayer, Raphael Kadrnoska und Magdalena Tichy. Wobei in „Lass mich fliegen“ schlüpfen sie nicht in andere Rollen, sie sind zwar auch bei Tanzproben zu sehen, aber sie wurden in erster Linie in filmischen Interviews zu sehen, wo sie über Freundschaft, Liebe, ihr Leben und ihre Zukunftswünsche gefragt werden. Die beiden Erstgenannten zum Beispiel leben seit mehreren Jahren zusammen, wollen heiraten und Kinder kriegen.
Magdalena Tichy sagt darin von und über sich: „Die Bühne ist mein Leben“ und ihre Eltern würden sie „Diva oder manchmal auch Rampensau“ nennen, „ich steh gern im Mittelpunkt“. Und sie schreibt gern Gedichte, u.a. diese Zeilen:
„Mein Kopf dreht sich. Gedanke ist zerstreut. Im Sturm. Ich bin eine Feder. Der Wind dreht und wendet mich. Der Wind ist die Freiheit. Lass mich fliegen. Ich will nicht am Boden liegen bleiben.“
Daraus hat sich Drehbuchautorin und Regisseurin Evelyne Faye den Titel ausgeborgt. Zwei weitere Protagonistinnen sind Andrea Halder, ebenfalls eine junge Erwachsene, die über sich und ihr Leben, ihre Wünsche, ihre Forderungen erzählt und das sehr junge Kind Emma Lou Faye-Horak – genau der Name lässt vermuten: Sie ist Tochter der Filmerin, eines von drei ihrer Kinder.
Andrea Halder hat ein Zertifikat als Betreuerin älterer Menschen mit Demenz-Erkrankung. Das wolle sie auch als Beruf ausüben. „Aber keiner will mich, immer nur auf Probe oder ehrenamtlich“.
Hindernis für eine Anstellung ist eine Diskriminierung, wie sie auch die anderen genannten Protagonist:innen in verschiedenen Bereichen trifft und wogegen vor allem Magdalena Tichy kämpferisch auf- und eintritt: „Ich will, dass die Leute mich so sehen, wie sie andere Leute ansehen und nicht als „Down Syndrom Mensch“ – ich hasse diese Etikettierungen.“ Genauso die Schublade „Behinderung“. Nicht zuletzt deswegen will sie auch für eine Selbstvertretung als „Kund:innen-Rätin“ kandidieren, wo sie sich auch gegen andere Arten der Ausgrenzung und für Gleichstellung stark machen will: „Eheschließung, und auch die sexuelle Vielfalt sollte damit eingeschlossen werden, auch lesbische, schwule, polyamore Beziehungen, das wird immer tabuisiert“, sagt sie im Film in einer Besprechung.
Die schon genannte Andrea Halder sagt auf die Frage, wie die Welt verändert werden könnte unter anderem „Wir können so viel geben, wenn uns die anderen machen ließen. Nur wegen Vorurteilen lassen sich viele nicht auf uns ein und sehen nicht das Potenzial in uns.“
Sie gibt aber auch humorvoll einen „Geheim“-Tipp, der ihren Eltern einst eingefallen ist, weil sie als Kind immer wieder von Angeboten ausgegrenzt worden ist, wenn Kurs- oder Workshop-Leiter:innen erfahren hätten, dass sie Down-Syndrom habe. Statt zu betteln oder drohen, hätten sie folgende Taktik ausgetüftelt: „Anmelden – anzahlen – abstellen – abhauen.“ Das Abhauen bezog sich auf die Eltern. Andrea konnte sie die jeweiligen Workshops, Kurse usw. besuchen – und deren Leiter:innen kamen auch rasch drauf, dass dies auch alles andere als ein Problem war.
In dem vor zehn Jahren von Erwin Wagenhofer veröffentlichten Film „Alphabet“ war übrigens einer der Protagonisten Pablo Pineda Ferrer. Der spanische Lehrer, Schauspieler und Autor war – laut Wikipedia – der erste Europäer mit Down-Syndrom, der ein universitäres Studium absolvierte.
Im nicht ganz 1 ½-stündigen Film „Lass mich fliegen“ begegnet die Kamera (Bildgestaltung: Michael Schindegger) den genannten Protagonist:innen auf Augenhöhe. Und verwirklicht damit das, was Aktivist:innen aus unterschiedlichsten Bereichen von Menschen, die behindert werden, sagen: „Nicht ohne uns über uns!“
Trotz der seit eineinhalb Jahrzehnten gültigen UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist dies übrigens – im Gegensatz zu vielen Beteuerungen von Inklusion – noch immer oft nicht der Fall.
Im Medienheft zum Film erklärt die Regisseurin Evelyne Faye: „Einen wesentlichen Anstoß haben meine eigenen Fragen zu Emma Lous Leben, Zukunft und ihrer Lebensqualität geliefert. Von ihrer Geburt an war ich mit einer Dynamik konfrontiert, die ich bei meinen anderen beiden Kindern nicht erlebt habe. Seitens von Ärzt:innen oder Therapeut:innen wurde mir sehr rasch erzählt, wie sie sein wird, was sie wird machen können und vor allem was sie nicht wird machen können. Emma Lou ist nun zehn und ich habe den Eindruck, in jeder Lebensphase wird mir über sie viel erzählt, anstatt dass man zunächst einmal hinschaut, wie sie ist, welche Persönlichkeit sie hat. Als sie geboren wurde, wurde mir mitgeteilt, dass sie sich mit Down-Syndrom so und so entwickeln würde. Sie hatte noch nicht mal die Chance gehabt, sich zu zeigen, da wusste man schon über ihre Zukunft Bescheid.“
Kleine – kritische – Anmerkung: Obwohl der Film sich sehr wohltuend und durchgängig von dieser weit verbreiteten Defizit-Beschreibung total entfernt und eben genau die genannten Protagonist:innen über sich selbst – ausführlich – zu Wort kommen lässt, finden die sich auf dem Plakat zum Film NICHT genannt, sondern nur Menschen hinter der Kamera und rundum, die den Film ermöglichten und produzierten.
„Wo ist denn dein Kopf?“, „Ihr könnt noch nicht gehen, ihr müsst noch tot bleiben!“, „Bist du ein Wolf oder ein Gepard?“ Sätze wie diese, die vielleicht aufs Erste verwirrend klingen würden, schwirren an diesem Sonntag durch den großen Turnsaal im Evangelischen Gymnasium in Simmering in unmittelbarer Nähe der Gasometer und der gleichnamigen U3-Station. Die Schule, die übrigens einen neuen Zweig mit Musik- und Schauspielausbildung anbietet, öffnet derzeit über einige Wochen hindurch den Turnsaal für die Tänzer:innen der inklusiven „Ich bin O.K.“-Studios.
Mit Hochdruck, aber nie mit Drill, wird hier für das Stück „Der Goldene Faden“ geprobt. Immerhin ist schon am 21. März Premiere im Theater Akzent. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… darf an einem solchen Sonntag ein paar Stunden die Arbeit an einigen Szenen beobachten – und fotografieren bzw. filmen.
Zunächst steht der Krieg von Wölfen gegen Geparde auf dem Programm. Wie kommen die beiden Gruppen von den beiden Seiten der Bühne – der Rand ist mit einem Klebestreifen markiert – aufeinander zu. Welche Tanzbewegungen symbolisieren den Kampf. Wie nehmen sie die glänzenden zu Türmen aufgebauten Kartons um sie als „Waffe“ einzusetzen. „Aber Vorsicht, die dürfen dabei nicht kaputtgehen“, kommt die Warnungen von einer der Langbänke vor der Sprossenwand. Und wie „sterben“ sie gekonnt im Kampf, ohne dass sich wer wehtut…
Nach drei Probedurchläufen stellt sich Zufriedenheit bei Attila Zanin ein, der in dem Fall wegen Ausfällen selber als Wolf mitkämpfen muss.
Nun geht’s an Teile von Riesen-Szenen, bei denen Hana Zanin-Pauknerová, die das Stück inszeniert, den Überblick bewahrt, sacht und sanft die Tänzer:innen dirigiert: Königin und König (Stefanie Platzer und Severin Neira) streiten. Die Hüterin der Zeit (Sara Wilnauer) mit 1000 Jahre langen goldenen Haaren und ein Drache (Elena Halkias) aus. Mehreren Tänzer:innen sind die Hoffnungsträger:innen für Frieden. Aber so leicht lassen sich die Streitparteien nicht darauf ein, ziehen viele andere mit den Sog der bösartigen Auseinandersetzungen. Ein leuchtender riesiger „Kristall“ (eine Kugel, die per Fernbedienung die Farbe des Lichts ändern kann) spielt auch noch eine Rolle. Einzelne der langen Haare helfen die Zeit zurück zu drehen, die Kugel ermöglicht den Blick in die Zukunft – also das Verderben der gewaltigen Streitereien…
Da braucht’s schon einige Stunden, bis das so einigermaßen „sitzt“, das heißt viel mehr im richtigen Fluss abtanzt.
Viel mehr aus der Geschichte, von der einzelne Szenen in den verschiedenen Tanzgruppen erarbeitet worden sind, bevor sie zum gemeinsamen roten, pardon goldenen Faden zusammengesponnen worden sind, sei nicht verraten. Allerdings ein paar zentrale Zeilen aus einem der Lieder: Wir alle sind verschieden, wir alle sind uns gleich./ Streiten macht uns ärmer, nur Vergeben macht uns reich.“
Und der beste Weg dahin: „Damit Streit erst gar nicht entstehen kann, sollten wir versuchen, einander gegenseitig besser zu verstehen. Einander aussprechen lassen. Einander aufmerksam zuhören. Nicht mit halbem Ohr. Sondern aus ganzem Herzen.“
In einer anderen Szene, so viel darf gespoilert werden – nicht zuletzt, weil dies auch im Interview mit einer Tänzerin zur Sprache kommt -, geht’s auch um eine Art „Zauber“-Mittel bei der Streitbeilegung: „Lacht, aber bleibt respektvoll. Macht einander keine Vorwürfe. Sagt nicht, was der andere denken und fühlen sollte. Sprecht über eure eigenen Gefühle und Bedürfnisse.“
Zu einem Interview mit Antonia Bögner, die in unterschiedlichen Rollen tanzt und spielt, geht’s hier unten – zu Infos wer was tanzt/spielt und wann und wo die Aufführungn stattfinden ganz am Ende in der großen Info-Box.
KiJuKU: Seit wann tanzt du bei und mit „Ich bin o.k.“?
Antonia Bögner: Seit 2010 – eigentlich, aber das war lange so eine Art hop on – hop off. Ab 2019 aber dann ständig und regelmäßig
KiJuKU: Da kam dann ja leider bald Corona und Lockdowns; wie war das in dieser Zeit?
Antonia Bögner: Sehr anstrengend.
KiJuKU: Habt ihr dann über Online-Videos getanzt?
Antonia Bögner: Ja, und Zoom-Meetings. War halt nicht schön.
KiJuKU: Was war das Nicht-Schöne daran?
Antonia Bögner: Das Zusammenkommen im Studio ist mir sehr abgegangen. Bei uns ist es normalerweise so, dass wir uns am Anfang alle fest umarmen, das konnten wir so ja nicht. Das Persönliche hat dann einfach gefehlt.
KiJuKU: Wie kam’s zum jetzigen Stück?
Antonia Bögner: Am Anfang hieß es noch „Geschichtenbaum“. Jede Gruppe hat sich ein Thema ausgesucht. Das war dann zuerst ziemlich riesig und wurde dann zusammengefasst und auf „Der goldenen Faden“ umbenannt.
KiJuKU: Du spielst wen oder was?
Antonia Bögner: Die Königin – in der einen Gruppe. Wir haben zwei, eine orangene und eine rote, die jede ein paar Vorstellungen spielt und tanzt.
KiJuKU: Hast du dich dafür gemeldet oder wurdest du für diese Rolle gefragt?
Antonia Bögner: Das war lustig, weil der Christoph und ich haben ja bei der Opernball-Eröffnung mitgetanzt. Dadurch hat sich gezeigt, dass wir tänzerisch eh gut harmonieren und so sind wir das Königs-Königinnen-Paar geworden.
KiJuKU: Du spielst und tanzt aber auch mit der andere, der roten, Gruppe, heute hab ich dich bei den Proben als Raubtier gesehen?
Antonia Bögner: Es gibt den Krieg zwischen den Wölfen und Geparden. Ich bin Springerin, das heißt, wenn wer ausfällt, spiel ich einen der Geparde. Und ich spiel auch noch in der Humor-Szene mit. Da spiel ich zuerst, dass ich grantig bin. In dieser Szene wird uns Grantigen aber gezeigt, dass wir das Leben auch mit Humor nehmen können, sollen, dürfen, müssen.
KiJuKU: Ist das Switchen von zuerst grantig und dann fröhlich spielen leicht oder schwierig oder was ist das Leichtere?
Antonia Bögner: Das Leichtere ist das Fröhlich-Sein.
KiJuKU: Wie und was musst du machen, um auch das Grantige gut zu spielen?
Antonia Bögner: Das ist schon schwer. Ich muss halt überlegen und im Kopf an eine Situation denken, in der ich echt grantig war.
KiJuKU: Das Rauskommen ist dann einfach?
Antonia Bögner: Durch das Lachen aller rundum komm ich dann raus aus meinem Grant-Spiel.
KiJuKU: Gibt es Szenen, die dir besonders wichtig sind?
Antonia Bögner: Dass man das Leben mit Humor nimmt und nicht immer grantig ist.
KiJuKU: Machst du selbst das im echten Leben sowieso?
Antonia Bögner: Kommt drauf an.
KiJuKU: Gibt’s Situationen, wo du jetzt eher mit Humor drangehst?
Antonia Bögner: Glaub ich eher nicht.
KiJuKU: Du tanzt jetzt schon einige Jahre, was bedeutet Tanz für dich? Ist es nur ein nettes Hobby oder mehr?
Antonia Bögner: Es ist definitiv mehr.
KiJuKU: Und zwar?
Antonia Bögner: Ich mach’s hobbymäßig sehr, aber will auch tiefer eintauchen, mich tänzerisch auch weiterentwickeln.
KiJuKU: Hat das Tanzen auch Auswirkungen für dein Alltagsleben?
Antonia Bögner: Erstens ist es sehr gut für das Körperliche, weil ich da meinen Körper besser wahrnehme, verstehe, wie sich der Körper bewegt. Für die Fitness ist es auch gut. Und es macht Spaß. Wenn ich zum Beispiel grantig oder wütend bin, kann sich das durch Tanzen lösen.
KiJuKU: Gibt’s dann in deinem Alltagsleben Situationen, in denen du grantig bist und es in deinem Kopf Click macht und du dir sagst, jetzt könnt ich eigentlich tanzen?
Antonia Bögner: Das gibt’s oft. Ich hör gern und oft Musik. Und in so einer Situation stell ich mir dann vor, wie ich da jetzt tanzen würde.
KiJuKU: Das heißt, du musst dann gar nicht tanzen, sondern die Vorstellung allein hilft schon?
Antonia Bögner: Genau.
KiJuKU: Neben Tanz machst du aber bei „Ich bin O.K.“ auch noch etwas?
Antonia Bögner: Ja, ich betreue Social Media und betreibe den Instagram-Account gemeinsam mit Werner Schuster. Ich versuch, jeden Tag was zu posten, geht nicht immer. Ich bin hauptsächlich auf Storys und Reels fokussiert, weil es dadurch Persönlicher ist als nur Fotos zu posten.
Hier unten geht’s zu einer Reportage vom Probenbesuch – mit mehr als 150 Fotos und drei Videos.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen