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Szenenfoto aus "Brennendes Haus"

Nachwuchspreise für „Brennendes Haus“ und „Die Düntzer Rhapsodie“

„Wie viele Perspektivwechsel, Stimmungswechsel, Themenwechsel, Rhythmuswechsel passen in eine zwanzigminütige Aufführung? Willkommen zur Familienaufstellung im Brennenden Haus: Ein Esstisch, ein Bild an der Wand und drei Menschen. Wie die Möbel scheinen sie zwischen eichenbraun, mehlbeige und staubgrau zu changieren. Text und Spielweise wirken zu Beginn fast modellhaft distanziert. Nach und nach stellt sich alles als viel konkreter und persönlicher heraus als zunächst angenommen“, so beginnt die Begründung der Jury im 16. Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse (Wien) mit der sie ihre Entscheidung für „Brennendes Haus“ gefällt hat.

„Überraschung als Prinzip“

Julia Engelmayer, Leitende Dramaturgin Landestheater NÖ, Johanna Figl, Kuratorin der Stadt Wien, und Tobias Herzberg, Künstlerische Leitung Schauspielhaus Wien setzen ihre Begründung für die Kurzversion des genannten Stücks von Kristin Buddenberg, Anaïs Clerc, Alexander Gerlini, Amelie von Godin, Marie Nadja Haller und Skye MacDonald wie folgt fort: „Bei aller Verdichtung ist Raum für Verschwiegenes und Unaussprechliches zwischen den Figuren, die verhärtet und zugleich zärtlich miteinander umgehen. So stringent die Dramaturgie zunächst wirkt, so klug spielt sie mit der Wahrnehmung des Publikums. Die Überraschung als Prinzip: So klarsichtig die Argumentation einer Figur auch sein mag, so emotional wird kurz darauf das Spiel. So ernsthaft ein Moment sich hochschraubt, so komisch setzt die Regie den nächsten Bruch. Auf diese Weise entsteht nicht nur ein Ausschnitt, sondern ein ganzer Kosmos dreier Generationen – über das, was sie trennt und was sie verbindet. Unterhaltend, verstörend, abstrakt und konkret, dass es ein Vergnügen ist, dabei zuzusehen.“

Genau deswegen wollen die Juror:innen mehr davon, nämlich ein abendfüllendes Stück – der Preis beim Nachwuchsbewerb ist die Weiterentwicklung eines solchen – mehr davon sehen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Düntzer Rhapsodie“

Publikumspreis

Jeden Abend an dem die vier 20-Minuten-Fassungen neu enstehender Stücke zu sehen waren, durfte auch das Publikum abstimmen. Und die meisten stimmen vielen auf „Die Düntzer Rhapsodie“ von Barbara Angermaier, Bianca Braunesberger, Marika Rainer, Kasija Vrbanac Strelkin, Ivan Strelkin.

Ausgabe 17: „Automaten mit Fell“

„Ob Fell, Federn, Schuppen, ob Schnauze, Schnabel, Sackkiefer, ob herrschaftliche Menagerie oder Tierhortung: Nicht erst seit der Corona-Pandemie nimmt die Haustierpopulation stetig zu. …“ so startet der Text für die Ausschreibung des 17. Nachwuchsbewerbs des Theaters Drachengasse in der Wiener Innenstadt. Das Motto lautet Automaten mit Fell“ – und diese erklärenden Sätzen sind durchaus vonnöten, ich hätte beispielsweise bei diesem Thema eher daran gedacht, wie Roboter sozusagen haustierisch verpackt werden könnten 😉

„Haustiere zwischen Statussymbol, repräsentativem Ziergegenstand und schnell verfügbarem Trostautomat zur emotionalen Wiederherstellung des vereinzelten spätkapitalistischen Subjekts“ – spannt das Theater den inhaltlichen Bogen auf, zu dem es Stück-Skizzen und Entwürfe für zehn Vorstellungen von 20-Minuten-Versionen beim nächsten Festival – 12. bis 31. Mai 2025 – zeigen will.

Einreichungen sind bis einschließlich 4. November 2024 zu richten an:
newcomer@drachengasse.at
oder per Post an
Theater Drachengasse, 1010 Wien, Fleischmarkt 22, Kennwort: Newcomer

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Szenenfoto aus "Die Düntzer Rhapsodie"

Orte wo du nicht sein willst, was du aber dennoch mitnimmst

Blockflöte spielend marschiert Barbara Angermaier auf die Bühne, ihre Kollegin Marika Rainer zieht hinter ihr einen bunten, zeltartigen, mit Lichterketten und Kuschelfiguren übersäten Handwagen hinter sich. So symbolisieren die beiden ihr Dorf, das fiktive Düntz mit seinen 733 Einwohner:innen – im Jahre 1995. Das heißt jetzt dann – zumindest für länger um eine weniger. Denn alle sind gekommen, um Martha zu verabschieden, die mit dem Bus in die große Stadt fährt – um dort zu bleiben. Traurig vor allem für die 16-jährige Claudia. Ihr ist – wie teils auch ihrer Schwester Daniela – das Dorf nicht nur zu eng. Und in der Stadt gäbe es doch „alles – Menschenrechte und sogar Internet“. Wobei, letzteres naja – 1997 waren erst sechs Millionen Computer weltweit mit diesem verbunden.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Düntzer Rhapsodie“

Wie auch immer, „Die Düntzer Rhapsodie“ (Text, Choreografie: Bianca Anne Braunesberger; Text, Regie: Ivan Strelkin; Bühnenbild: Kasija Vrbanac Strelkin) ist eines von vier 20-Minuten-Stück-Entwürfen beim 16. Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse (Wien). „Stadtplan oder Wanderkarte“ lautet das Motto zu dem 210 Theatermacher:innen zwischen 19 und 47 Jahren 66 Projekte eingereicht hatten. Das Theater wählte vier aus, die nun – bis 1. Juni 2024 – ihre Szenen (jeweils rund 20 Minuten) spielen. Eine Jury wählt am Ende eines der vier aus, das – dotiert mit 10.000 € daraus ein abendfüllendes Stück weiter entwickeln kann, das in der nächsten Saison eine Aufführungsserie hat – same procedure as every year.

Die „Rhapsodie“, die an dem 4-Stücke-Abend erst als zweites an der Reihe ist, steht hier nur zu Beginn, weil sie das Thema Gegensätze oder/und Gemeinsamkeiten von Stadt und Land am plakativsten darstellt. Wie und was weiter mit Claudia und Martha passiert – lass dich überraschen, wenn du den Abend „Stadtplan oder Wanderkarte“ besuchst.

10 Plätze, die du wirklich nicht besuchen willst…

… stellt die Produktion „Drained“, die den Abend eröffnet, als Spruch über ihr Stück, in dem auf einem Rasenteppich mit einigen Löchern – etwa für zwei weiße Plastiksessel und ein ebensolches Tischerl sowie einem alten Röhren-Fernsehgerät Clemens Maria Riegler, Katharina Rose und Pia Zimmermann (Text: Hannah K Bründl, Regie: Anne Mulleners) rund um das (Über-)Leben zwischen Vergangenheit und fast aussichtsloser Zukunft philosophieren und spielen. Ausgangspunkt: Ansiedlung von Arbeiter:innen für das AKW Manhattan-Projekt rund um einen Flusslauf in Washington State (USA). Mittlerweile Tristesse gespeist von Arbeitslosigkeit, Armut und Zudröhnen durch Drogen. Kann es da noch Leben, zwischenmenschliche Begegnungen geben?

Nicht nur ein abstraktes Bild…

… von einem brennenden Haus hängt an der Wand. Dessen Titel ergibt sich erst im Spiel aus der (Nicht-)Begegnung und den nicht geführten Gesprächen zwischen der weggezogenen Tochter mit Vater und dem Großvater (Marie Nadja Haller, Skye MacDonald, Alexander Gerlini; Text: Anaïs Clerc; Regie: Amelie von Godin) der die Patschen streckt. Poetische Halbsätze fiktiver Dialoge – oder solcher, die sich die eine oder andere Seite gewünscht hätte. Was aber trägt sie – trotz Weggehens in die weite Welt – aus der Enge des „brennenden Hauses“ (weiter) in sich?

Auch da brennt’s

Schon der Titel des vierten Stücks deutet ebenfalls auf Feuer hin: „Zünzle“. Flammen züngeln, Rauch, viel Rauch – und das durch einen langen, großen Schlauch, der von der Schauspielerin Marie Cécile Nest zunächst wie ein breiter Armreifen hin und her getragen wird, bevor er ausgerollt zur riesigen Riesenschlange wird (Text, Dramaturgie, Regie: Kaija Knauer; Dramaturgie, Regie: Ilario Raschèr; Ausstattung: Leonard Schulz).

Spielort: Ein Wald – mit Aufzählung der unterschiedlichsten Bäume – und immer wieder dazwischen schwebend der Metapher vom Stammbaum. Und so brennen nicht nur Bäume, sondern flammt auch Wut auf. Und „Zünzle“ lässt das Bild entstehen, dass im Dickicht mit Hilfe von Feuer eine Lichtung gebrannt werden könnte…

Der Bewerb

Zum 16. Mal hatte das Theater Drachengasse (Wiener Innenstadt) Künstler:innen zum Nachwuchsbewerb eingeladen. Das vorgegebene Motto lautete „Stadtplan oder Wanderkarte“ und es ging um die Auseinandersetzung mit Gegensätzen bzw. Gemeinsamkeiten von Stadt und Land.
210 Theatermacher:innen (fast zwei Drittel Frauen – 65%, 34 % Männer, 2% divers; Durchschnittsalter 29 Jahre – von 19 bis 47 Jahre) reichten bis 6. November 2023 66 Projekte ein. Das Theater wählte vier aus, die derzeit – bis 1. Juni 2024 – an einem Abend jeweils rund 20 Minuten zeigen. Eine Jury – Julia Engelmayer, Johanna Figl, Tobias Herzberg – vergibt am Ende einen Preis. Die 10.000 € dienen dazu aus der Kurzversion ein abendfüllendes Stück entwickeln zu können. Das Publikum kann jeden Abend über sein favorisiertes Stück abstimmen – das Projekt mit den meisten Stimmen bekommt den mit 1000 Euro dotierten Publikumspreis.

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Grafische Bilder zum 16. Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse (Wien)
Grafische Bilder zum 16. Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse (Wien)
Szenenfoto aus "Auf der Palme"

Was brodelt unter der Oberfläche…

Wuuuut – Lust an dieser. Sie auszuspielen, auszurasten, auszuzucken, mit dem Kopf durch die Wand oder aus der Haut fahren zu wollen, die Wände hochzugehen … kurz und gut „Auf der Palme“ nannte das siebenköpfige Kollektiv – Bianca Bauer, Flora Besenbäck, Janina Lenauer, Nadine Mathis, Naima Rabinowich, Jana Resetarits, Viviane Tanzmeister – die lustvolle, mitreißende Viertelstunde im Dschungel Wien.

Die Performance war eine von fünf sozusagen Stück-Entwürfen, die gegen Ende der (Wiener9 Semesterferien im Theaterhaus für junges Publikum im Wiener Museums-Quartier zu erleben waren. Drei der Kurzversionen waren für ein Kinder- (und Familien-), zwei für ein jugendliches Publikum gedacht.

Suche nach Neuem

Auf der Suche nach neuen Stücken für Kinder bzw. Jugendliche hat der Dschungel Wien das vorige Format für Nachwuchskünstler:innen verändert. Nach mehreren Jahren „Try Out!“, bei dem bestehende Gruppen Kurzversionen vorspielten und eine professionelle Jury auswählte, was zu nachmittags- oder abendfüllenden Stücken werden soll, startete unter der neuen künstlerischen Leitung (Anna Horn) „Magma“, inspiriert von dem vulkanischen Begriff heißen schmelzenden Gesteins, das an die Oberfläche dringen kann und sich dort wieder verfestigt, beginnt die Entwicklung neuer Stücke nun schon früher. In Kooperation mit dem Drama Forum (Graz) werden Autor:innen, Schauspieler:innen, Performer:innen zu realen, analogen Treffen eingeladen. Dort bilden sich aufgrund der vorgebrachten Ideen und Konzepte Produktionsgruppen, die – unterstützt von Mentor:innen eben ¼-stündige Szenen jeweils künftig möglicher Stücke erarbeiten.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Auf der Palme“

Auf die Palme gebracht…

„Auf der Palme“ war eines von drei sozusagen „Teasern“ für mögliche Stücke für Kinder, angegeben ab 6 Jahren, eher aber schon für Vorschulkinder und ihre Familien geeignet – Lust und Recht auf Wut – sozusagen der sprichwörtliche Vulkanausbruch -, aber auch Umgang mit ihr und Übergang vom Aus- und Abreagieren zu Entspannung. Und schöne gespielte Szenen aus Wortbildern rund um Wut. Apropos Spannung – diese Gruppe platziert auf der Bühne eine „Insel“ mit Palme, die von hinter dem Publikum von diesem mit erhobenen Armen Reihe für Reihe nach unten weitergereicht wird. Die Palme selbst hängt da noch schlaff nach unten und wird von einer der sieben Performerinnen – alle im MA48-orangen Monturen – mit einem lautstarken Kompressor mit Luft befüllt. So laut, dass die auf der Insel entspannende „Urlauberin“ wütend wird 😉

Ober und unter Wasser

Eine völlig neue Sprache bringt Stefanie Altenhofer in „Donaustadt“ ins Spiel: Gurgelisch. Als „Donauweibchen“, Figur einer Sage und Statue im Wiener Stadtpark verbindet sie die Welt über und unter Wasser. Letztere, auf deren Spuren sich die junge Forscherin Frieda Fischer (Sarah Zelt), die für ihre Leidenschaft sogar die Schule verlässt, spielt sich in auf der Bühne platzierten kleinen Modellen ab, die per Handykamera auf die große Wand projiziert werden. Die im Programm angekündigte „feministische Neuschreibung einer Donausage“ ist allerdings offenkundig erst für die Weiterentwicklung gedacht (Text: Natalie Campbell; Modelle für die Unterwasserwelten und Kostüme: Petra Schnakenberg.

Neue Regeln für die 64 Felder?

Weiße Linien ergeben 64 Felder – genau Schach. Die weißen Felder sind jeweils von kleinen weißen Quadraten in der Mitte dieser Felder des Spielbretts gekennzeichnet. Vier Figuren stehen – und warten auf ihren Einsatz. Aller gehören zum Team Schwarz: Dame (Pooneh Mojtaba, die auch für die Bühne verantwortlich zeichnet), Turm (Marie-Theres Auer; Text), Läufer (Ivan Strelkin; Regie) und Pferd bzw. Springer:in (Rebekka Pichler; Choreografie). Und dann steht da auf Feld e8 ein mit schwarzem Samt verhülltes Ding. Lange Zeit unbeachtet, zeihen die genannten Figuren ihrer Wege. Der Läufer beklagt, dass er nie weg kommt von seinen diagonal zu ziehenden Feldern. Er ist derjenige auf den schwarzen Feldern, kann also nie auf ein weißes. Irgendwann bemerken die Vier, dass es da auch noch die – als Figuren wirklich stehenden Bauern gibt, aber dass der König fehlt, drehen das scheinbar verhüllte Ding um: Thron, Korne, aber kein König. Und so krönen sie sich reihum zur herrschenden Figur, beginnen die Sinnhaftigkeit der – bestehenden – Regeln zu diskutieren…

Komische Bewegungen und Geräusche…

Da hängen zwei in senkrecht zu Art Kuschelsitzen baumelnden Hängematten. Zögernd kommt ein Dialog zustande – „wie war Mathe?“. Und irgendwie lassen die beiden Schauspieler:innen von Anfang an aber mitschwingen – es geht doch um mehr. Rika (Selina Rudlof) übernimmt den aktiveren Part, Tom (Marko Jovanović) ist der Verschlossenere, der sich in dem Tuch fast verkriecht. Langsam spricht Rika an, worum’s wirklich geht – um Videos, die sie anderntags am Handy angeschaut haben. Mit so „komischen Geräuschen und Bewegungen“… In „Zunder“ spielen die beiden – an der Schwelle zwischen Kind und Jugendlichen die Verwirrtheit an, die es auslöst wenn sie zum ersten Mal (online) Pornos sehen. Und dass sie eigentlich, obwohl Rikas Mama das sagt, damit mit niemandem wirklich darüber reden können. Und schaffen es, trotz der peinlichen und sprachlosen Momente, die sie miterleben lassen, so manche Passage mit Humor und Witz einzubauen. (Text: Rachel Müller; Regie: Manuel Horak; Bühne/Kostüme: Sophie Eidenberger; Requisite: Fabian Tobias Huster).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Eurydike & Persephone“

In der Unterwelt und in Social Media

Eurydike, von einer Schlange gebissen, landet in der Unterwelt. Tot sein will sie (Nora Wahl) noch lange nicht. Und da trifft sie auf Jasmin Weißmann als Persephone (oft auf Kore oder Kora genannt) mit Pfeil und Bogen. Sie, die oft weniger bekannte Göttin des Totenreiches – Hades hatte sich in sie verliebt und sie von Zeus sozusagen zugesagt bekommen. Wer fragt schon eine Frau, selbst wenn sie Göttin ist – übrigens Tochter von Zeus und dessen Schwester Demeter und vom eigenen Vater geschwängert.

„Eurydike & Persephone“ lässt die Männer eher außen vor, nur Orpheus kommt via eingespielter TikTok-Videos (Marco Jovanović) kurz vor. Im Zentrum steht die Begegnung der beiden Frauen – beide unfreiwillig hier. Doch während Eurydike mit ihrem Schicksal hadert, hat sich Persephone damit abgefunden. Gelingt es Ersterer die Zwangsverheiratete Mit-Herrscherin über die Unterwelt (Regie und Konzept: Sophie Berghäuser; Text und ebenfalls Konzept: Sebastian Galyga) zum Widerstand zu bewegen? Das deutet sich in der ¼ Stunde an – wäre dann aber gegebenenfalls Aufgabe für die Weiterentwicklung. Und – so die Ankündigung – würde wohl noch die in Social Media inszenierte Trauer Orpheus ein ausbaufähiges Thema sein.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Eurydike & Persephone“

Live-Feedback

Nach jeder dieser Performances hatte das Publikum die Möglichkeit für kurzes Live-Feedback, was eher zögerlich genutzt wurde. Dschungel Wien und Drama Forum (Graz) boten aber mehrfach an, auch nachträgliche Rückmeldungen liebend gern entgegenzunehmen. Diese Rückmeldungen sollen mit die Basis für die Auswahl sein, welche der – in diesem Fall – fünf Projekte zu Vollversionen weiterentwickelt werden sollen.

Dramatiker:innen-Börse

Übrigens: Das Internationale Theaterfestival für ein junges Publikum im Westen Österreichs, in Vorarlberg „Luaga & Losna“ (Übersetzung: schauen und hören) lädt zum 28. Mal Autor:innen zur Dramatiker:innenbörse ein. Bis 31. März 2024 können Autor:innen sowohl fertige Stücke, als auch Szenen in Rohfassung einreichen und sich damit um eines von zehn Stipendien (Festival-Aufenthalt plus Taggeld) bewerben.

Wer ausgewählt wird, stellt dann beim 36. Festival im Juni (18. bis 22.) in Nenzig Text-Auszüge in szenischer Lesung vor – mit Diskussion und Feedback der anwesenden Theatermacher:innen.

Die Dramatiker:innen-Börse geht auf Diskussionen bei einem der ersten „Luaga & Losna“-Festivals (1988 gegründet) zurück, wo Theaterleute klagten, es gäbe zu wenig neue Stücke und Autor:innen, sie würden schreiben, und keine/r wolle die Texte spielen. Was Erstere konterten, viele der Texte seien nicht spielbar. Und so entstand diese Begegnung mit Austausch…

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luagalosna -> dramatiker-innenboerse

Szenenfoto aus "Titanic oder wie tief kann man sinken"

Hin- und herspringend über Untergänge und Höhenflüge

Ein helles schräges aufgemaltes Viereck sticht aus den schwarzen Wänden hervor. Das Licht geht aus, noch aber sind schwätzende Menschen im Publikum zu hören. Die Schauspielerin lugt vorsichtig ums Eck. Als es endlich ruhig ist – tatatata – entert Alicia Peckelsen die Bühne. Freut sich riesig, da zu sein. Zwischendurch stellt sie sich ebenso schräg hin wie das Viereck. „Titanic oder wie tief kann man sinken“ steht nun auf dem Programm. Es ist das siegreiche Projekt des vorjährigen (15.) Nachwuchsbewerbs. Aus den vier 20-Minuten-Performances wählte die Jury – und in diesem Fall auch das Publikum – die Story um das gesunkene „unsinkbare“ Schiff aus. Im Zentrum stand – bzw. steht irgendwie auch noch immer – die Inspiration durch die James-Cameron-Verfilmung 1997 mit dem Liebespaar Rose und Jack.

In meist sehr schrägen – auch in gerader aufrechter Position (!) – Szenen schlüpft die Solistin, eine wahre Rampensau im besten Sinn des Wortes, in teils skurrilen Dialogen in die Rolle der einen und des anderen. Lässt die aufkommende Liebesgeschichte am untergehenden Schiff fast satirisch erscheinen, erobert damit nicht nur die Bühne, sondern die hinter den Publikumsreihen etablierte Bar samt Gläsern mit geknickten Stielen und das an der Wand stehende Piano.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Titanic oder wie tief kann man sinken“

So und so viele Minuten nach Eisberg

Über rein verbale Schilderungen lässt sie vor den geistigen Augen der Zuschauer:innen das dunkle, kalte Meer auftauchen. Zur „Untermalung“, sorgt sie für Geräusche der Schaumkronen der Wellen via Sekt-prickeln direkt vor dem Mikrophon. Ein bisschen Kälte-Feeling verursacht sie durch Öffnen der Tür neben der Bühne, so dass die Winterluft in den Publikumsraum einziehen kann.

Die Tragödie selbst manifestiert sich in Schrifteinblendungen via Diaprojektor: Beginnend von 21 Minuten nach Eisberg bis am Ende mehr als 60 Minuten nach dem Zusammenprall. Alle paar Minuten springt sie in die Liebes-Dialogszenen. Oder ganz, ganz andere.

Szenenfoto aus
Meist voll im Action-Modus

Tauchboot zum Titanic-Wrack

So baut Peckelsen (Regie: Lea Marlen Balzer, Dramaturgie: Sarah Heinzel, Bühne: Henry Boebst) die antike griechische Sage von Daedalus und Ikarus ebenso ein wie die reale Geschichte vom Tauchboot Titan, mit dem im Juni des Vorjahres neben einem Tiefseeforscher vier Superreiche hinunter zum Wrack der Titanic tauchen wollten. Der 19-jährige Suleman Dawood, der mit seinem Vater, einem pakistanisch-britischen Geschäftsmann im U-Boot saß, das letztlich implodierte, wird mittels fiktiver Telefonate vor dem Tauchgang zum Protagonisten für dieses Unglück in der Nähe des untergegangenen als unsinkbar gegoltenen Schiffs vor 112 Jahren.

Szenenfoto aus
Alicia Peckelsen spielt „das einzige Lied, das ich kann“, die Titelmelodie der Serie „Sherlock“

Mögliche angestoßene Fragen

Womit sich der Kreis der „alles machbar“-Tragödien schließt. Und sich – vielleicht – manche danach auch noch Fragen stellen, die im Stück gar nicht angesprochen werden: Wieso sind es immer die Unfälle der eher Reichen, die weltweit bewegen? Ob Titanic – wo die Schicksale der ärmeren Passagiere in den unteren Decks kaum Thema waren? Oder beim Tauchboot im Vorjahr wo es große, aufwändige Suchaktionen gab, während im Mittelmeer sogar Rettungsversuche für Menschen, die aus klapprigen Booten über Bord gehen, kriminalisiert werden?

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Bildmontage aus Szenenfotos der vier Kurz-Stücke im Finale des Nachwuchsbewerbs des Theaters Drachengasse (Wien)

Düstere und skurrile Kurzstücke zu „gestohlener Zukunft“

Zwischen einer Art verschmierter Scheiben, auf die sich später schön Zitate kritzeln lassen unterhalten sich auf abgehoben-philosophisch wirkende Art drei Protagonist:innen, die ihre Diversität schon im angehängten x an ihre Figurennamen zum Ausdruck bringen: Dantx, Beatrix und Virgilix. Erst- und Letztgenannte* unschwer erkennbar, angelehnt an Vorbilder. Der live an zwei der Scheiben geschriebene Spruch „Durch mich geht man zur Stadt der Schmerzen ein“, Beginn des Verses, der mit „durch mich geht man hinein zur ewgen Qual;

durch mich geht man zu den Verlorenen“ fortgesetzt wäre, stammt aus Dante Alighieris „Göttliche Komödie“. Und ist jetzt aktuell Teil von „Warum wurden wir in dieser lächerlich schönen Welt geboren und nicht in einer anderen?“, einer der vier Kurzfassungen von Stücken, die für den Nachwuchsbewerb im Theater Drachengasse (Wien) ausgewählt worden sind.

Die nunmehrige 15. Runde dieses Bewerbs stand/steht unter dem Motto „Die gestohlene Zukunft“. 53 Projekte mit insgesamt 192 Beteiligten (fast zwei Drittel Frauen, 2 % Divers) hatten sich mitunterschiedlichste Konzepten zu dieser Frage beworben. Jedes Jahr dürfen aus der Schar der Bewerber:innen vier Projekte 20-minütige Fassungen vor Publikum spielen – das übrigens einen mit 1000 € dotierten Preis vergibt. Die professionelle Jury kürt ebenfalls ein Stück, das den zehnfachen Betrag bekommt, um eine abendfüllende Version zu erarbeiten, die in der Folge-Saison aufgeführt wird.

Ausstellung überschwemmt

Zurück zur oben beschriebenen Produktion eines Kollektivs von dem wie bei den meisten anderen Projekten nicht leicht zu durchschauen ist, wer auf der Bühne und wer im Hintergrund aktiv ist. Im ersten der vier kurzen Stücke mit dem oben genannten langen Titel haben Paula Kläy, Max Lamperti, Emma Meyer, Max Oravin, Alma Luise Rothacker, Ruben Sabel, Laura Schroeder, Guido Wertheimer und Basil Zecchinel ein düsteres Szenario eines eher philosophischen Diskurses geschaffen, in den die reale Umweltkrise über die Erzählung einer weggeschwemmten Ausstellung in ihr Leben bricht.

Titanic

Viel zu viel Wasser im Schiff, das auseinanderbricht – aber nicht aus Umweltgründen – bringt „Titanic oder wie tief kann man sinken“ Ausgehend von der filmischen Umsetzung des Dramas vor 111 Jahren zeigt Alicia Peckelsen mit wenigen Mitteln auf der Bühne – vor allem kurzen (Halb-)Sätzen, die via Overheadprojektor an die Leinwand projiziert werden -, vermeintliche Gedanken der zentralen Crew 21, 22, und so weiter Minuten nach dem Zusammenprall des „unsinkbaren“ Schiffes mit dem Eisberg. Eine Arbeit der Schauspielerin gemeinsam mit Lea Marlen Balzer und Sarah Heinzel (Regie und Dramaturgie). Die filmische zentrale Liebesgeschichte wird hier humorvoll persifliert.

Newton fällt der Apfel nicht auf den Kopf…

Das skurrilste Stück des Abends mit sehr vielen Lach-momenten liefert das Projekt „anti.aging.apfel“ von Juli Mahid Carly, Julian Moritz, Sar Adina Scheer, Dominik Tippelt. Ein Kosmetikkonzern – irgendwie in der Zukunft angesiedelt und doch wieder gar nicht so futuristisch forscht an „ewiger Verjüngung“ – oder will diese vielmehr verkaufen. Im Drag-Milieu angesiedelt mit Figurennamen, die an bekannte heutige Makren- und Produktbezeichnungen erinnern (Masc for Mascara) erfinden sie die „Wundermaschine“ – schaut aus wie ein heutiger Mikrowellenherd – und irgendwas läuft schief. Das Ding entpuppt sich als Zeitmaschine in die Vergangenheit. Die beeinflussen sie und Newton fällt der berühmte Apfel nicht auf den Kopf, weshalb er die Schwerkraft nicht entdecken kann…

Sehende Kassandras

Als Art – sehende – Kassandras agieren drei Frauen im vierten Kurz-Stück des Nachwuchsbewerbes. Sie hätten es schon immer gewarnt – vor der Umweltkatastrophe – sagen die drei in „Zu Küsten oder: Wir standen uns die Beine in den Arsch“ (von Carolina Braun, Marie Eick-Kerssenbrock, Anna Suzuki, Laetitia Toursarkissian, Leni von der Waydbrink). Vermeintlich aus Nordmexico, Usbekistan und aus der Sahara machen sie auf Wasserknappheit oder Waldbrände aufmerksam. Und irgendwie scheint ihnen niemand wirklich zuzuhören – oder ernst zu nehmen, was sie wissen – wobei allerdings Usbekistan, das als Binnenland obendrein nur von Binnenländern umgeben ist, weit weg von einer Küste liegt – aber vielleicht ist auch die jenes Teils des Aralsees gemeint, der in diesem Land liegt. Und der Aralsee ist ein Sinnbild menschengemachten Klimawandels, der zur Austrocknung weiter Teile dieses bis vor rund 50 Jahren viertgrößten Binnensees der Erde geführt hat, der längst nicht einmal mehr ein zusammenhängender See ist.

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Ergänzung am 8. Juni 2023: And the Winner is…

In diesem Jahr waren sich Publikum und Jury einig: „Titanic oder wie tief kann man sinken“ gewannen beide Preise. Die Begründung der Jury: „So schwer uns die Auswahl für ein Gewinner*innen-Projekt fiel, freuen wir uns Lea Marlen Balzer, Sarah Heinzel und Alicia Peckelsen und ihrem Projekt Titanic oder wie tief kann man sinken den diesjährigen Jurypreis übermitteln zu dürfen.
Die mit feinem Humor inszenierte Arbeit überzeugt durch eine vielschichtige Erzählung, die es schafft, durch kleine Gesten, Gedanken und Referenzen auf große Zusammenhänge blicken zu lassen. Die in diesem Aufriss skizzierte gestohlene Zukunft stellt das private Schicksal zweier Kunstfiguren in den Mittelpunkt und verweist dabei pointenreich und klug auf eine Menschheit, die ihr gemeinsames Prestigeprojekt mit Höchstgeschwindigkeit voraus gegen den Eisberg fährt. Die bemerkenswerte schauspielerische Darstellung verzichtet auf große Gesten und ist sich dennoch der Größe der thematischen Spann- und Tragweite bewusst. Die vielen aufgeworfenen Momente dieses Entwurfs machen Lust auf ein abendfüllendes Solo mit Kate und Jack und einem Wunderwerk menschlichen Schaffens, dessen Untergang kaum vorstellbar und dennoch vorgezeichnet ist.“

Plakat-Sujet für den diesjährigen Drachengassen-Bewerb
Plakat-Sujet für den diesjährigen Drachengassen-Bewerb unter dem Motto „Die gestohlene Zukunft“