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Bildmontage aus Szenenfotos der vier Kurz-Stücke im Finale des Nachwuchsbewerbs des Theaters Drachengasse (Wien)
Bildmontage aus Szenenfotos der vier Kurz-Stücke im Finale des Nachwuchsbewerbs des Theaters Drachengasse (Wien)
06.06.2023

Düstere und skurrile Kurzstücke zu „gestohlener Zukunft“

Bis 7. Juni 2023 zeigen Gruppen vier 20-Minuten-Versionen von Performances im Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse (Wien). Nachträgliche Ergänzung mit Gewinner:innen am Ende des Beitrages.

Zwischen einer Art verschmierter Scheiben, auf die sich später schön Zitate kritzeln lassen unterhalten sich auf abgehoben-philosophisch wirkende Art drei Protagonist:innen, die ihre Diversität schon im angehängten x an ihre Figurennamen zum Ausdruck bringen: Dantx, Beatrix und Virgilix. Erst- und Letztgenannte* unschwer erkennbar, angelehnt an Vorbilder. Der live an zwei der Scheiben geschriebene Spruch „Durch mich geht man zur Stadt der Schmerzen ein“, Beginn des Verses, der mit „durch mich geht man hinein zur ewgen Qual;

durch mich geht man zu den Verlorenen“ fortgesetzt wäre, stammt aus Dante Alighieris „Göttliche Komödie“. Und ist jetzt aktuell Teil von „Warum wurden wir in dieser lächerlich schönen Welt geboren und nicht in einer anderen?“, einer der vier Kurzfassungen von Stücken, die für den Nachwuchsbewerb im Theater Drachengasse (Wien) ausgewählt worden sind.

Die nunmehrige 15. Runde dieses Bewerbs stand/steht unter dem Motto „Die gestohlene Zukunft“. 53 Projekte mit insgesamt 192 Beteiligten (fast zwei Drittel Frauen, 2 % Divers) hatten sich mitunterschiedlichste Konzepten zu dieser Frage beworben. Jedes Jahr dürfen aus der Schar der Bewerber:innen vier Projekte 20-minütige Fassungen vor Publikum spielen – das übrigens einen mit 1000 € dotierten Preis vergibt. Die professionelle Jury kürt ebenfalls ein Stück, das den zehnfachen Betrag bekommt, um eine abendfüllende Version zu erarbeiten, die in der Folge-Saison aufgeführt wird.

Ausstellung überschwemmt

Zurück zur oben beschriebenen Produktion eines Kollektivs von dem wie bei den meisten anderen Projekten nicht leicht zu durchschauen ist, wer auf der Bühne und wer im Hintergrund aktiv ist. Im ersten der vier kurzen Stücke mit dem oben genannten langen Titel haben Paula Kläy, Max Lamperti, Emma Meyer, Max Oravin, Alma Luise Rothacker, Ruben Sabel, Laura Schroeder, Guido Wertheimer und Basil Zecchinel ein düsteres Szenario eines eher philosophischen Diskurses geschaffen, in den die reale Umweltkrise über die Erzählung einer weggeschwemmten Ausstellung in ihr Leben bricht.

Titanic

Viel zu viel Wasser im Schiff, das auseinanderbricht – aber nicht aus Umweltgründen – bringt „Titanic oder wie tief kann man sinken“ Ausgehend von der filmischen Umsetzung des Dramas vor 111 Jahren zeigt Alicia Peckelsen mit wenigen Mitteln auf der Bühne – vor allem kurzen (Halb-)Sätzen, die via Overheadprojektor an die Leinwand projiziert werden -, vermeintliche Gedanken der zentralen Crew 21, 22, und so weiter Minuten nach dem Zusammenprall des „unsinkbaren“ Schiffes mit dem Eisberg. Eine Arbeit der Schauspielerin gemeinsam mit Lea Marlen Balzer und Sarah Heinzel (Regie und Dramaturgie). Die filmische zentrale Liebesgeschichte wird hier humorvoll persifliert.

Newton fällt der Apfel nicht auf den Kopf…

Das skurrilste Stück des Abends mit sehr vielen Lach-momenten liefert das Projekt „anti.aging.apfel“ von Juli Mahid Carly, Julian Moritz, Sar Adina Scheer, Dominik Tippelt. Ein Kosmetikkonzern – irgendwie in der Zukunft angesiedelt und doch wieder gar nicht so futuristisch forscht an „ewiger Verjüngung“ – oder will diese vielmehr verkaufen. Im Drag-Milieu angesiedelt mit Figurennamen, die an bekannte heutige Makren- und Produktbezeichnungen erinnern (Masc for Mascara) erfinden sie die „Wundermaschine“ – schaut aus wie ein heutiger Mikrowellenherd – und irgendwas läuft schief. Das Ding entpuppt sich als Zeitmaschine in die Vergangenheit. Die beeinflussen sie und Newton fällt der berühmte Apfel nicht auf den Kopf, weshalb er die Schwerkraft nicht entdecken kann…

Sehende Kassandras

Als Art – sehende – Kassandras agieren drei Frauen im vierten Kurz-Stück des Nachwuchsbewerbes. Sie hätten es schon immer gewarnt – vor der Umweltkatastrophe – sagen die drei in „Zu Küsten oder: Wir standen uns die Beine in den Arsch“ (von Carolina Braun, Marie Eick-Kerssenbrock, Anna Suzuki, Laetitia Toursarkissian, Leni von der Waydbrink). Vermeintlich aus Nordmexico, Usbekistan und aus der Sahara machen sie auf Wasserknappheit oder Waldbrände aufmerksam. Und irgendwie scheint ihnen niemand wirklich zuzuhören – oder ernst zu nehmen, was sie wissen – wobei allerdings Usbekistan, das als Binnenland obendrein nur von Binnenländern umgeben ist, weit weg von einer Küste liegt – aber vielleicht ist auch die jenes Teils des Aralsees gemeint, der in diesem Land liegt. Und der Aralsee ist ein Sinnbild menschengemachten Klimawandels, der zur Austrocknung weiter Teile dieses bis vor rund 50 Jahren viertgrößten Binnensees der Erde geführt hat, der längst nicht einmal mehr ein zusammenhängender See ist.

Follow@kiJuKUheinz

Ergänzung am 8. Juni 2023: And the Winner is…

In diesem Jahr waren sich Publikum und Jury einig: „Titanic oder wie tief kann man sinken“ gewannen beide Preise. Die Begründung der Jury: „So schwer uns die Auswahl für ein Gewinner*innen-Projekt fiel, freuen wir uns Lea Marlen Balzer, Sarah Heinzel und Alicia Peckelsen und ihrem Projekt Titanic oder wie tief kann man sinken den diesjährigen Jurypreis übermitteln zu dürfen.
Die mit feinem Humor inszenierte Arbeit überzeugt durch eine vielschichtige Erzählung, die es schafft, durch kleine Gesten, Gedanken und Referenzen auf große Zusammenhänge blicken zu lassen. Die in diesem Aufriss skizzierte gestohlene Zukunft stellt das private Schicksal zweier Kunstfiguren in den Mittelpunkt und verweist dabei pointenreich und klug auf eine Menschheit, die ihr gemeinsames Prestigeprojekt mit Höchstgeschwindigkeit voraus gegen den Eisberg fährt. Die bemerkenswerte schauspielerische Darstellung verzichtet auf große Gesten und ist sich dennoch der Größe der thematischen Spann- und Tragweite bewusst. Die vielen aufgeworfenen Momente dieses Entwurfs machen Lust auf ein abendfüllendes Solo mit Kate und Jack und einem Wunderwerk menschlichen Schaffens, dessen Untergang kaum vorstellbar und dennoch vorgezeichnet ist.“

Plakat-Sujet für den diesjährigen Drachengassen-Bewerb
Plakat-Sujet für den diesjährigen Drachengassen-Bewerb unter dem Motto „Die gestohlene Zukunft“
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Die gestohlene Zukunft

Nachwuchswettbewerb 2023 – Finale
Dauer: 1 ¾ Stunden

Die Finalist:innen

Warum wurden wir in dieser lächerlich schönen Welt geboren und nicht in einer anderen?
Von Paula Kläy, Max Lamperti, Emma Meyer, Max Oravin, Alma Luise Rothacker, Ruben Sabel, Laura Schroeder, Guido Wertheimer, Basil Zecchinel

Titanic oder wie tief kann man sinken
Von Lea Marlen Balzer, Sarah Heinzel, Alicia Peckelsen

anti.aging.apfel
Von Juli Mahid Carly, Julian Moritz, Sar Adina Scheer, Dominik Tippelt

Zu Küsten oder: Wir standen uns die Beine in den Arsch
Von Leni von der Waydbrink, Carolina Braun, Marie Eick-Kerssenbrock, Anna Suzuki, Laetitia Toursarkissian

Wann & wo?

Bis 7. Juni 2023
Theater Drachengasse, Bar&Co
1010, Fleischmarkt 22/Drachengasse 2
Telefon: 01 512 13 54
Theater Drachengasse -> Die gestohlene Zukunft

Der Bewerb

Zur 15. Ausgabe des Nachwuchswettbewerbs des Theater Drachengasse wurden 53 Projekte eingereicht. Vier Projekte wurden für das Finale ausgewählt. Die Regisseurin Karin Koller steht den Teams als Dramaturgin und Coach zur Verfügung.
Nach der letzten Vorstellung am 7. Juni werden die zwei Sieger:innen-Projekte des Wettbewerbs bekannt gegeben, die über Publikumsabstimmung und Juryentscheid ermittelt wurden. Die Gewinner:innen des Publikumspreises erhalten 1.000 Euro. Der Jurypreis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird vom Theater Drachengasse zur Verfügung gestellt, um das Projekt für die Aufführung in der folgenden Saison weiter auszuarbeiten.
Die Jury 2023: Johanna Figl (Kuratorin für Theater, Tanz und Performance Stadt Wien), Marie Bues (künstlerische Leiterin Schauspielhaus Wien), Andreas Fleck (künstlerischer Leiter WUK performing arts)

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