„1645 Menschen – 57 Nationen – BHAK 10 sind wir ALLE!“ steht auf einem der vielen Plakate Montagabend auf dem Wiener Reumannplatz vor dem Amalienbad. Der Direktor der Schule hält es in der eisigen Kälte mehr als eine Stunde hoch. Rund um ihn dicht gedrängt Menschen nicht nur aus Favoriten, dem 10. Bezirk der Bundeshauptstadt.
Anlass für die Kundgebung für Vielfalt und Zusammenhalt sowie gegen Rassismus und Ausgrenzung waren die Aussagen des niederösterreichischen FP-Landesrates Gottfried Waldhäuls in einer TV-Sendung, wo er Schüler:innen aus dem Laaerberg-Gymnasium ins Gesicht sagte, dass Wien schöner wäre, wenn sie und ihresgleichen mit Migrationshintergrund nicht da wären.
Dem hielt eine Teilnehmerin ein bunt-handgeschriebenes Plakat entgegen: „Wien war noch nie so schön wie heute!“ Die Kundgebung wurde von einem breiten Bündnis über Parteigrenzen hinweg getragen. Ursprünglich hatte neben Grünen, SPÖ, NEOS, Links/KPÖ, Bier-Partei und SÖZ sowie Initiativen wie „Omas gegen Rechts“ auch die Bezirks-ÖVP die Aktion unterstützt, aber diese wieder zurückgezogen. Aus der Wiener Stadtpolitik waren zwei Stadträte (Peter Hacker und Jürgen Czernohorszky) sowie Gemeinde- und Bezirksrät:innen bei der Kundgebung an der mehr als 1000 Menschen teilnahmen.
Zwischenzeitlich versuchten zwei Identitäre mit einem Pro-Waldhäusl-Transparent und Feuer vom Zwischendach eines Hauses neben dem Amalienbad die Kundgebung zu stören. „Wir sind mehr“, reagierte Daniel Landau, Mitgründer von „Yes we care!“ und Bildungskoordinator der Bundesregierung für junge ukrainische Schutzsuchenden während seiner Rede, in der er jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit kritisierte.
Nach der Schule sind alle Kinder zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Alle? Nein, Traurig steht Mark zwischen allen anderen, den fröhlichen Kindern. Er dafür als einziger mit buntem Haaren. Nachdem alle beim Fest sind, steht er allein im Park. Doch nicht lange. Auch ein Mädchen mit roter Brille namens Jara ist nicht eingeladen und bald kommt noch der rotblonde Adrian. Und der bringt eine aufs erste für die beiden anderen unverständliche Idee mit. Aber sie machen mit, sie klettern auf einen der Bäume.
Und tauchen im Bilderbuch „Geburtstag ohne mich?“ von Susanna Isern (Text) und Adolfo Serra (Illustration) eine abenteuerliche Geschichte ein, in der viel Wasser, ein Wal und eine Reise in ein fantastisches Dorf mit bunt gewandeten Tieren im Zentrum stehen. Und schon ist die Nicht-Einladung kein Thema mehr.
Im echten Leben wird es wahrscheinlich doch nicht immer reichen, in eine Fantasiegeschichte auszuweichen, um den Schmerz darüber wegzustecken, von den anderen ausgeschlossen zu werden – wie die Autorin, die auch Psychologin ist, auf der letzten Seite den „Wal mit Hut“ sagen lässt.
Das Bühnenbild erinnert mit seinen kleinen Fenster- und Türlöchern ein bisschen an ein überdimensionales Puppenhaus. Und das passt sehr gut zum Eingangsmonolog von Ebeneser. „Kleiner, kleiner, kleiner … Ich hasse das Wort ’kleiner’“, beginnt er.
Nicht etwa, weil ihn alle „Kleiner“ nennen würden. Nein, alles muss immer kleiner werden. Die Wohnung, in die sie umziehen müssen. Aber sagen dürfe er das außerdem nicht. Durch den Schlitz an der Wand fallen Briefkuverts. Die meisten bleiben ungeöffnet. Vater – und mittlerweile auch der Sohn – weiß: Unbezahlte Rechnungen und darauf folgende Mahnungen.
Im – oder besser vor dem – neuen Wohnblock trifft Ebenser auf Sammy. Die Top-Torfrau der Schule kennt Armut ebenfalls. Sie beide sind auch die einzigen der Klasse, die nicht mit auf die Skiwoche – in der Version im Burgtheater-Vestibül nach Südtirol – mitfahren können (Gag: Der Bus kurvt als kleines ferngesteuertes Fahrzeug auf der Bühne herum.) Die 593 € sind einfach in den Budgets beider Familien nicht drin.
Trotz starker Gegensätze – Sammy ist eine Vielrednerin, Ebeneser eher das Gegenteil – vereint sie das Schicksal, in ärmere Familien geboren worden zu sein. Und wegen ihrer Armut von den anderen in der Klasse und Schule ausgegrenzt zu werden. Da hilft Sammy selbst ihre fußballerische Spitzenleistung nicht viel.
Um nicht nach der Skiwoche den nervenden Erzählungen und Fragen der anderen ausgesetzt zu sein, beschließen die beiden aus Protest das Reden einzustellen. „Wutschweiger“ heißt das Stück von Jan Sobrie und Raben Ruëll (Übersetzung aus dem Flämischen: Barbara Buri), das vom Burgtheater-Studio im Vestibül noch (mindestens) bis Mitte Jänner zu sehen ist.
Nils Hausotte und Lenya Marie Gramß, beides Schauspiel-Studierende am Max-Reinhardt-Seminar, verkörpern die beiden Protagonist:innen. Von der Gesellschaft an den Rand gedrängt, sind sie im Stück ja praktisch die einzigen, jedenfalls die Hauptpersonen. Die Annäherung in ihren unterschiedlich gezeichneten Persönlichkeiten, die gegenseitige Offenheit, ihre Solidarisierung und ihr – trotz Schwierigkeiten – durchgezogener Protest ist trotz des ernsten Themas immer wieder mit Humor und Witz aufgelockert. Und von den beiden mit viel Spielfreude umgesetzt.
Einzig die altersmäßige Verortung bereitet – aber auch schon im Stück selbst – ein wenig Unstimmigkeiten. Die beiden Figuren – und die Schauspielerinnen – wirken wie junge Jugendliche, sind aber in der vierten Volksschulklasse angesiedelt – wo es übrigens kaum Skikurse gibt. Und auf der anderen Seite die Siebener-Reihe wie sie am ersten Tag nach dem Skikurs vorkommt in der Regel gut zwei Schuljahre zurückliegt.