„Das Uhu-Experiment“ von Mandarino & Co und Diana Rojas-Feile (Schweiz) hat dazu ein spannendes, echtes interaktives Theater- und Hörspielerlebnis gemacht.
„Nasebohren ist schön“, sagt Elefant. Und Maus findet das auch. Nur Frosch, der darf das nicht. …“ Diese und ein paar mehr von Daniela Kulot aus ihrem Bilderbuch (die ersten drei Worte sind der Titel) kommen als erstes aus den Kopfhörern. Jede und jeder aus dem Publikum des Stücks „Das Uhu-Experiment“ bekommt einen solchen und bewegt sich frei im Spielfeld – in diesem Fall in einem abgesperrten Abschnitt der Kaiserfeldgasse, einem vielfach bespielten Ort im Rahmen des Theaterfestivals für junges Publikum, spleen*graz.
Nach der Einleitung bitten die beiden Spielleiter:innen Victor Moser und Diana Rojas-Feile sich zu outen, ob sie schon je selber in ihrer Nase gebohrt haben. Die meisten entscheiden sich für nein, was einer der Schüler mit „die haben sicher fast alle gelogen“ kommentiert.
Um Lüge vs. Wahrheit drehen sich die folgenden fast eineinhalb Stunden – mal mit Hörspielpassagen, dann wieder einfach „nur“ mit Fragen oder Aufgaben des genannten Duos. Nicht immer ist es so einfach oder harmlos wie bei der Frage nach dem Nasebohren. In der Geschichte vom „Hamster Hermann“ (Helmut Schreier) wird’s schon heftiger. Der Hamster des Kindes Lukas stirbt, während dieser nicht da ist. Die Eltern wollen ihm das Leid ersparen und diskutieren, einen neuen, genau gleichen Hamster zu kaufen. Was meinen die Teilnehmer:innen des Experiments, das nach dem schlauen Vogel benannt ist? Geht sicher nicht bei jeder Vorstellung gleich aus. Den Schmerz ersparen, die Wahrheit zumuten und vielleicht dafür aber einen Vertrauensbruch riskieren, wenn das jeweilige Kind den Betrug merkt?
Was tun, wenn die Oma schwerst krank, von Ärzt:innen diagnostiziert nur mehr wenige Tage zu leben hat? Auch hier gehen die Meinungen, die Beteiligte ins Mikro sagen, weit auseinander. Hoffnung nicht rauben contra ihr die Möglichkeit eröffnen, sich noch von möglichst allen Angehörigen würdig zu verabschieden …
Obwohl sich dies nun liest, als würde die Performance immer ernster und trauriger – keineswegs. Das Duo holt das Publikum im „Uhu-Experiment“ auch wieder in lebensfrohere Szenen und Momente – solche mit Bewegungsspielen bei Entscheidungen, in Fragen, was sie meinen, ob Erwachsene oder Kinder mehr lügen. Ob nicht in so manchen Fällen die Vermeidung brutaler Wahrheit auch hilfreich sein kann. Und da kommen in diesem Spiel noch gar nicht die wirklich lebensrettenden Situationen zur Sprache, wo etwa in Diktaturen das Verstecken politisch Verfolgter die wirklich einzig menschliche Haltung ist.
Aus den Kopfhörern tönen immer wieder auch Stimmen unter anderem von Kindern, die das Duo in der Phase der Erarbeitung des Stücks interviewt hat.
Und später noch Auszüge aus einer Geschichte des Kinderbuch-Duos Edith Schreiber und Carola Holland, „König Wirklichwahr“. „Leo malt vergnügt ein Bild mit dem Lippenstift der Mutter. Als diese fragt, ob er wisse, wo ihr Lippenstift ist, lügt er schamlos: „Keine Ahnung!“ Die Mutter ertappt ihn auf frischer Tat und mahnt: „Leo, man muss immer die Wahrheit sagen!“ Leo ist an dieser Stelle ein „braver“ Junge. Gleich beim nächsten Kaffeetrinken mit der Tante verrät er ihr, dass seiner Mutter der selbstgebackene Kuchen gar nicht schmeckt. Überzeugt, das Richtige gesagt zu haben, muss er nun feststellen, dass Mama es plötzlich gar nicht mehr mag, wenn er die Wahrheit sagt …“
Was jedoch gar nicht geht, zweierlei Maß anzulegen. Wenn Erwachsene Kindern auftragen, immer die Wahrheit zu sagen, für sich selber aber in Anspruch zu nehmen, doch lügen zu dürfen. Ein jahrzehntelanger Wiener Psychiater gestand das einmal in einer Podiumsdiskussion: Knapp nachdem er beim Abendessen seinen Kindern die Wahrheit ans Herz aufgetragen hatte und das Telefon läutete – in Vor-Handy-Zeiten der Festnetzapparat – bat er seine Ehefrau, Mutter der Kinder: „Bitte sag, ich bin nicht da!“
Später heißt es in dem besagten pädagogischen Buch: „König Wirklichwahr auf. Er macht Leo anhand verschiedener, sehr anschaulicher Beispiele klar, dass Wahrheit nicht immer eindeutig ist, sondern auch etwas Subjektives und eine Frage von Perspektive sein kann. Er ermutigt ihn, seine eigenen Wahrheiten zu finden. Und er erklärt auch, dass die vermeintlich einzige Wahrheit für das Gegenüber manchmal verletzend sein kann, es sich also in allen Zweifelsfällen lohnt, darüber nachzudenken, welche von seinen eigenen Gedanken und Gefühlen man laut ausspricht. König Wirklichwahr weiß auch, dass man bei der Suche nach der Wahrheit seinen eigenen Körper zurate ziehen muss. Er selbst fühlt seine Wahrheit im Bauch. Und Leo scheint die Wahrheit in seinem Herzen zu fühlen.“
Diese Schlussfolgerung war nicht zu hören, dafür am Ende, wo das Publikum gebeten wird, es sich einfach möglichst gemütlich zu machen – sitzend oder liegend – eine doch zu lang geratene theoretische Abhandlung Inspiriert von vielen Interviews und von Aussagen der Philosophin Hannah Arendt über ihre Wahrnehmung vom Lüge und Wahrheit. Man hört sogar ihre Originalstimme, die die Gruppe in einem Archiv gefunden hat. Dennoch, naja … die vielen und so unterschiedlichen Fragen und Situationen in dem Spiel mit vielfacher Ermutigung, die eigenen Meinung zu äußern, vielleicht sich dabei zu überlegen, in welcher Art und Weise, würden die eher belehrende Abhandlung nicht unbedingt brauchen…
Compliance-Hinweis: Das Festival spleen*graz hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … – wie schon früher den Kinder-KURIER zur Berichterstattung nach Graz eingeladen.
Mandarino & Co, Diana Rojas-Feile (Schweiz)
Interaktive Hör-Performance; ab 9 Jahren; 1 ½ Stunden
Auszüge aus den Kinderbuchgeschichten: „Nasebohren ist schön“ (Daniela Kulot), „Der Hamster Hermann“ (Helmut Schreier) und „König Wirklichwahr“ (Edith Schreiber und Carola Holland)
Konzept & Regie: Diana Rojas-Feile
Performance: Victor Moser, Diana Rojas-Feile
Bühnenbild & Kostüme: Theres Indermaur
Musikkomposition: Corsin Gaudenz
Künstlerische Beratung: Victor Moser
Produktion & Theaterpädagogik Luxemburg: hei!YA Productions/Tammy Reichling
Alle Infos zu spleen*graz gibt es hier
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