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Szenenfoto aus "Rosa" von Theater Sgaramusch (Schweiz)
Szenenfoto aus "Rosa" von Theater Sgaramusch (Schweiz)
30.06.2022

Jede darf sagen, was sie denkt!

Sehr aufgeweckte Kinder bei „Rosa“ der Schweizer Theatergruppe Sgaramusch über Luxemburg bei spleen*graz 2022.

„Für uns ist das heute eine Premiere“, meinte die Schauspielerin, „wir haben es zwar schon gespielt, aber in der Schweiz auf schwyzerdütsch, heute spielen wir zum ersten Mal auf hochdeutsch.“

Kaum hatte Nora Von der Mühll diesen Satz vor dem Beginn des Stücks „Rosa“ von Theater Sgaramusch beendet, ruft ein Kind: „Das heißt Standard-Deutsch, weil Hochdeutsch ist auch ein Dialekt!“ (als Abgrenzung zu nieder-Deutsch).

Diese kleine – live miterlebte – Anekdote fanden später die Genannte und ihr Kollege Stefan Colombo „großartig, ist doch eine zentrale Botschaft unseres Stücks über Rosa Luxemburg, dass sie immer sagte, was sie sich dachte und andere zu ermutigen, es ihr gleichzutun.“

Langer Prozess

Seit vielen Jahren ging das Duo schwanger mit der Idee, ein Stück über die mutige, Mut machende, hochgebildete Revolutionärin zu machen, die am Ende ermordet wurde (1919 in Berlin). „Wir wollten es von Anfang an für sehr junge Kinder machen“, so das Duo nach der Vorstellung zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr …  im Kindermuseum FRida & freD im Rahmen des internationalen Theaterfestivals für junges Publikum spleen*graz.

Kürzest zusammengefasst: Es klappt. Und wie. Dabei war nicht einmal jene Klasse aus der Volksschule Neuhart im Publikum, die vor dem Festival einen theaterpädagogischen Workshop dazu hatte. Der drehte sich gar nicht um das Stück, sondern um diese zentrale Aussage Luxemburgs, die eigene Meinung zu sagen und sagen zu dürfen – was ihr selbst immer wieder Gefängnisaufenthalte eingebracht hatte. Und wichtige Wünsche und Forderungen zu äußern. Dabei bemalten die Schüler:innen handschriftlich Plakate, die bei den „Rosa“-Vorstellungen vor dem Museum in der Wiese stecken. Keine Hausübungen übers Wochenende, mehr Rücksicht von Autofahrer:innen und weniger Streit untereinander – stand in Variationen auf mehreren der Plakate.

Heftiger Beginn

Aber – wie schon erwähnt – die Kinder dieser Klasse waren gar nicht in der ersten Vorstellung der Serie bei spleen*graz. Die Kinder der drei Klassen – alle aus Volksschulen – brachten sich immer wieder in die Szenen auf der Bühne ein. Das Duo spielt kompakt die Lebensgeschichte von Rosa Luxemburg vom Ender her. Ein rosafarbenes Stück Stoff mit eingesticktem Namenszug Rosa wird in einem Wasserkübel versenkt – Ihre Leiche wurde von den Mördern im Landwehrkanal versenkt. Starker Tobak. „Aber wir wollten sicher nicht das Stück mit ihrer Ermordung beenden“, so das Theaterduo auf die Frage des Journalisten für diese Entscheidung.

Über die Klappmaulpuppe wird sie lebendig

Von da springen die beiden an den Beginn der Lebensgeschichte der gebürtigen Polin und ihrer Leidenschaft fürs Lesen. Dafür schlüpft die Schauspielerin nicht in deren Rolle, sondern greift sich von einer Art Kleiderständer eine Klappmaul-Puppe. Sie wird zur Rosa Luxemburg. Apropos Puppen: Ein großer, plüschig-kuscheliger Hund wird zu Rosas Katze Mimi. „Die Katzen, die wir im Laden gesehen haben, waren alle so unkuschelig“, erklären die beiden auf offener Bühne dem Publikum. Und lockern damit gleich einmal die Stimmung auf.

Rosa Luxemburg wird aber nicht als mutige Heldin heroisiert oder auf ein Podest gestellt, die beiden Schauspieler:innen machen sie – mit Hilfe ihrer Puppen, Figuren, Eckpunkte aus dem Lebenslauf, kleinen auch Alltagsgeschichten „lebendig“, deuten manches nur an – die absolute Freiheitsliebe viel mehr noch als in gesagten Sätzen in ihrer Freundschaft zu einer immer wieder vorbeifliegenden Taube. Lassen manch Schreck gar nicht aufkommen durch den Einbau von Making-Of – beispielsweise Kanonendonner und Gewehrsalven aus dem ersten Weltkrieg, indem das Publikum miterlebt, wie die beiden diese Geräusche erst erzeugen und dabei – mit einem alten Kassettenrecorder – aufnehmen.

Schon mit fünf Jahren las sie dicke Bücher, wenngleich vielleicht nicht unbedingt jene komplizierten, die Von der Mühll und Colombo im Stück u.a. erwähnen. Und früh machte sie ihren Mund auf, stand gegen Ungerechtigkeiten auf. Unter anderem dagegen, dass der König in Luxus schwelgte, während viele Pol:innen in bitterster Armut leben mussten. Spontan stimmen Kinder in die Losungen gegen den König und vor allem die Ungerechtigkeit ein.

Bildmontage aus Zeitungs-Ausschnitten rund um den Besuch des niederländischen Königspaares in Österreich
Während die Kinder in der „Rosa“-Vorstellung sich für Gerechtigkeit und gegen König:innen lautstark aussprachen, findet die österreichische Tageszeitung KURIER, dass der Besuch des Niederländischen Königspaares die gute Nachricht zum Tag sei. Um anderntags eine Umfrage unter der eigenen Leser:innenschaft zu veröffentlichen, wonach zwei Drittel der Befragten meinen, königlicher Staatsbesuch sei nicht mehr zeitgemäß – und gleichzeitig auf der Titelseite ein Foto dieses Staatsbesuches zu veröffentlichen …

Mutige Kinder

Taucht hier für einen Moment Skepsis auf, Kinder würden in alle möglichen Losungen, so verfliegt der sofort, weil viele Kinder im Publikum spontan „ich!“ rufen, als der Schauspieler die Figur des Königs in sehr autoritärer einschüchternder Manier fragen lässt: „Wer war das?“ als er das von Rosa gemalte Plakat mit der durchgestrichenen Krone auf der Schlossmauer sieht. Sehr viele der jungen Zuschauer:innen nehmen die Botschaft des Stücks sozusagen immer wieder schon vorweg. Und zerstreuen damit die Bedenken, es könnte sich um pädagogische Politpropaganda handeln können.

Schon früh stark politisch interessiert und engagiert, schloss sie sich der Arbeiter:innen-Bewegung an. Schluckte aber auch dort nicht alles, was führende – vor allem – Männer an Losungen vorgaben. Sie blieb sich selbst treu als Kämpferin gegen Ungerechtigkeit und gegen Krieg. Dass ihr Stück seit nun mehr als vier Monaten so brandaktuell wird, das hätten sich die beiden nie und nimmer gewünscht. Immerhin ist die Ukraine das unmittelbar Nachbarland Polens, in dem Rosa Luxemburg geboren wurde.

Forderungen und Wünsche der anwesenden Kinder

Theater Sgaramusch bezieht gegen Ende die Kinder noch viel aktiver mit ein, in dem sie diese ermuntert, ihre aktuellen eigenen wichtigsten Forderungen und Wünsche zu nennen und Stefan Colombo diese auf ein großes Flip-Chart schreibt. Das allererste, das von verschiedenen Ecken aus den Publikumsreihen herausgerufen wird (bei jener Vorstellung, die der Rezensent erlebt hat): Essen, trinken für alle, unmittelbar danach folgte: Kein Krieg! Schminke, Haustiere, keine Hausübungen, mitbestimmen dürfen, Bäume, Freunde, Gesundheit“ folgten – meist durcheinander womit die hier aufgeschriebene Reihenfolge keine Rangordnung von Wichtigkeit ist. Und letztlich auch: „Jede und jeder darf sagen, was sie/er denkt!“

Follow@kiJuKUheinz

Compliance-Hinweis: Das Festival spleen*graz hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … – wie schon früher den Kinder-KURIER zur Berichterstattung nach Graz eingeladen.

Dieses Stück wird auch bei spleen*graz 2022 gespielt. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … hat es schon im Vorjahr gesehen – die Stückbesprechung stammt von der Aufführung im Wiener WuK.
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Rosa – Lebensgeschichte einer mutigen Frau

Theater Sgaramusch (Schweiz)
Politisches Kindertheater; ab 5 Jahren; ca. eine Stunde

Regie: Corsin Gaudenz
Spiel: Nora Von der Mühll und Stefan Colombo

Bühne, Ausstattung, Puppen: Barbara Rusterholz
Musik: Ilja Komarov
Dramaturgie: Trixa Arnold
Œil extérieur (dramaturgische Beratung): Theater Stadelhofen
Produktionsleitung: Cornelia Wolf

Alle Infos zu spleen*graz gibt es hier