Der leicht schillernde Vorhang zu Beginn vermittelt ein bisschen den Eindruck einer spiegelnden Wasseroberfläche – vielleicht aber auch nur, weil demnächst das Stück „Tagebuch eines hässlichen Entleins“ über die Bühne im Pförtnerhaus gehen wird. Damit eröffnete das internationale Theaterfestival für ein junges Publikum im Vorarlberger Feldkirch seine 36. Ausgabe.
„Diario di un brutto anatroccolo“ der Factory compagnia transadriatica aus Lecce (Halbinsel Salento in Apulien, Italien), kommt ohne Worte aus. Natürlich lehnt es sich an das berühmte Märchen von Hans Christian Andersen „das hässliche, junge Entlein“ an. Für jene, die dies nicht kennen kürzest die Story: Unter den Eiern, die eine Entenmutter ausbrütet ist auch ein fremdes. Dieses Küken ist – im Gegensatz zu seinen vermeintlichen Geschwistern nicht niedlich gelb, sondern grau. Es entpuppt sich letztlich als ein Schwan. Die werden in der Regel für sehr schön gehalten. Ein wunderbares Märchen, wie das so ist mit Vorurteilen und Ausgrenzung von Außenseiter:innen!
Die Gruppe aus dem Stiefel-Absatz ziemlich nahe der Schuhsohle erzählt in wortlosem Tanz und Schauspiel aber oft mit Originalmusik von Paolo Coletta, der Tschaikowskys „Schwanensee“ zusammen mit der Choreografie von Annamaria De Filippi neu interpretiert. Stationen des Schwanen- und damit anfänglich gemobbten Außenseiter-Lebens werden nicht so sehr als Märchen, sondern als für von vielen (Kindern) erlebte Situationen, wenngleich im Schwimmvogel-Kostüm gespielt und getanzt.
Allein schon durch hier Tänzerin Francesca De Pasquale und da die schauspielenden Entleins Antonio Guadalupi, Luca Pastore, Benedetta Pati ergeben sich zwei Theaterwelten, die doch deutlich Unterschiede zeigen. Mobben sie das „fremdartige“ Kind schon gleich nach der Geburt, so zieht sich dies in einer auf uralt gemachten Schulszene weiterhin fort. Da wird die Schwänin zur „Streberin“, die mit Papierkugeln beschossen wird.
Später schlüpfen die drei Schauspieler:innen in die Rollen unterschiedlichster Passant:innen auf einer hektischen Straße in einer Großstadt – was die Geräusche verraten. Halbtot liegt Schwänin als Obdachlose (?) auf dem Gehsteig, alle hasten vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, teils steigen sie über sie drüber. Irgendwann wirft ein edel erscheinender Mann, von seiner noch edleren Begleiterin gedrängt, dem Wesen auf dem Boden ein paar Münzen hin… Diese Szenen bergen viel Situationskomik und Humor in sich – mitunter aber Lächeln und Lachen, das im Halse stecken bleibt, angesichts der Parallelen zur echten Menschen-Welt.
Heftig – wohl für junge Kinder (das Stück ist ab 5 Jahren angegeben) durchaus möglicherweise ängstigend (im Publikum im Pförtnerhaus waren nur sehr wenige junge Besucher:innen) ist die doch recht lange Szene, die es auch im Märchen gibt, wenn Jäger auf Enten und Gänse schießen. Schüsse, Kriegslärm, blutrot gefärbte Bühne – und das eine gefühlte Ewigkeit lang.
Aber abgesehen davon, überzeugt diese Version der Verallgemeinerung des zu-sich-Stehens, des Widerstehens von Anfeindungen, des Auf und Abs an Ablehnung und Zuwendung – eine berührende Szene von Freundschaft und Liebe zwischen Schwänin und Enterich – durch die nonverbale, sehr poetisch getanzte und gespielte Performance der vier genannten Darsteller:innen; übrigens wie auch andere Produktionen der Factory compagnia transadriatica inklusiv. Und weil es in der Qualität der Darstellung keine Unterschiede gibt, wird hier auch nicht genannt, wer ohne und wer mit Behinderung agierte.
Schon noch erwähnt werden sollen die Regie von Tonio Nitto, der auch die Bearbeitung des Andersen-Märchens vorgenommen hat sowie Roberta Dori Puddus Bühnenbild – teils mit Hintergründen im Stile kolorierter Ansichtskarten mit umrahmten Schrift-Inserts wie in alten Schwarz-Weiß-Filmen sowie die Kostüme von Kostüme: Lapi Lou Lichtspiele von von Davide Arsenio.
Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde von Luaga & Losna zur Berichterstattung nach Feldkirch (Vorarlberg) eingeladen.
„Heinz Janisch, der bereits alle wichtigen Kinder- und Jugendliteraturpreise in Österreich und Deutschland erhalten hat, ist in den Olymp der Kinder- und Jugendliteratur aufgenommen worden: Er wird mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis 2024 gewürdigt. Der sensible Erzähler, der sich wie kein anderer auf die Kunst des Weglassens und die Poetik der Vieldeutigkeit versteht, begeistert seit Ende der 1980er Jahre junge Leser:innen und erwachsene Vorleser:innen mit Büchern, die Mut machen, Selbstvertrauen geben und die Phantasie schweifen lassen“, gratulierte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer dem Autor „sehr herzlich zum Nobelpreis für Kinder- und Jugendliteratur“.
Der Preis, der nach dem bekannten dänischen Dichter (1805–1875) von Märchen wie „Des Kaisers neue Kleider“ oder „Das hässliche Entlein“ und Dutzenden anderen benannt ist, wird nur alle zwei Jahre vom International Board on Books for Young People (IBBY) vergeben. Ausgezeichnet wird jeweils ein:e Autor:in sowie ein:e Illustrator:in. Neben Heinz Janisch wurde in diesem Jahr – bei der Internationale Kinderbuchmesse Bologna (Italien) vergeben; sie ist die weltweit größte Messe für Bilder-, Kinder- und Jugendbücher – der kanadische Illustrator Sydney Smith ausgezeichnet.
In der Jurybegründung für die Wahl von Heinz Janisch heißt es untern anderem: „Janisch ist ein Meister der Kurzgeschichte, die der Fantasie des Lesers Raum lässt. Obwohl viele seiner Werke humorvoll, manchmal sogar absurd sind, weist sein Schreiben ein philosophisches Element auf, das seinen Büchern oft Tiefe verleiht. Seine einfachen Texte sind aussagekräftig und das Sprichwort „Weniger ist mehr“ lässt sich auf den Autorensieger 2024 übertragen. Sein Schreiben ist universell und spricht Kinder und Jugendliche überall an. Darüber hinaus leistet er einen enormen Beitrag zur Literatur, nicht nur durch sein Schreiben, sondern auch durch seine zahlreichen Lesungen, Workshops zum literarischen und kreativen Schreiben für Kinder und Erwachsene, darunter auch kreative Workshops für behinderte junge Künstler. Janischs Schreiben ist nuanciert und vielschichtig, macht es universell und gleichzeitig erhebend.“
Der nach der wohl bekanntesten österreichischen Kinderbuchautorin benannte Christine-Nöstlinger-Preis geht in diesem Jahr ebenfalls an Heinz Janisch. Der 64-jährige gebürtige Burgenländer arbeitet als Hörfunk-Journalist und Autor. Viele seiner Bücher wurden mit verschiedensten preisen, mehrmals auch dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis gewürdigt. Eine seiner Spezialitäten ist Lyrik (nicht nur) für Kinder.
Der Preis wird von der Stadt Wien Kultur, Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik und dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels gemeinsam verliehen. Und „zeichnet Menschen aus, die Kindern und all jenen, die sonst nicht gehört werden, eine Stimme geben, ihre Perspektive einnehmen und so einen kleinen Beitrag leisten, deren Leben ein Stück gerechter zu gestalten“, wie es in den Kriterien heißt.
Christiana Nöstlinger und Barbara Waldschütz, die Töchter von Christine Nöstlinger, gratulieren wie folgt zum Christine-Nöstlinger-Preises 2024. „Heinz Janisch hat seit den späten 1980er-Jahren eine Vielzahl von Werken veröffentlicht, die zeitlose Themen nicht nur – aber auch – aus der Welt der Kinder behandeln: Die Suche nach Zugehörigkeit und Glück, die Bedeutung von Freundschaft, Angst, Mut und das Bedürfnis nach Schutz. Die Vielfalt der Sprache bewusst zu machen und die Neugier am Lesen zu wecken, ist dem Autor ein besonderes Anliegen.
Er selbst sagt dazu: „Immer, wenn ich ein Buch von Christine Nöstlinger lese, möchte ich den Kindern, die vorkommen die Hand schütteln – weil sie so grad und ehrlich, so offen und unverstellt durchs Leben gehen. Sie haben es oft nicht leicht, aber sie wissen sich zu wehren. Und sie verbiegen sich nicht. Genau so habe ich auch Christine Nöstlinger in Gesprächen erlebt – ehrlich und kritisch, herzlich und direkt. Da wurde nichts beschönigt. Ich hatte immer großen Respekt vor ihr. Ein Lob von ihr war wie ein Ritterschlag.“
ibby.org -> hans-christian-andersen-awards-2024
Drei längliche Tische stehen auf dem Podest vor der Bühne im Wiener Figurentheater Lilarum – jeweils mit weißen Tüchern bedeckt. Als so ziemlich alle auf ihren Plätzen sitzen, wuchtet eine Hand von hinter den Tischen einen grünen Baum auf den mittleren Tisch, dazu einen alten Wecker, noch einen Baum und noch einen… Dann erscheint unter dem mittleren Tisch ein Gesicht, irgendwie erinnert seine Schminke an die eines Clowns. So, offenbar auf dem Boden unter dem Tisch liegend, beginnt er sich mit den Kindern zu unterhalten. Was sie da machen, worauf sie etwa warten… – auf Serbisch.
Das nach dem serbischen Journalisten und (Kinderbuch-)Autor Duško Radović (1922 – 1984) benannte „Malo pozorište“ (kleines Theater) aus Beograd (Hauptstadt Serbiens) gastierte in Wien-Landstraße und spielte ein Stück nach dem weniger bekannten Märchen „Der Schweinehirt“ von Hans Christian Andersen: „Bajka o tihom princu i tužnoj princezi“ (Ein Märchen über einen stillen Prinzen und eine traurige Prinzessin).
Mladen Vuković schlüpfte hin und wieder in die Rolle des „stillen“ Prinzen eines kleinen Königreiches am Rande – des einen Tisches. Vor allem aber verlieh er dessen Figur ebenso wie den weiteren Figuren in dem Stück seine Stimme – und seine Hände, um sie zu bewegen. Hin und wieder fällt eine Figur um, oder irgendwo runter – obwohl sicher nicht jedes einzelne „Missgeschick“ genau geplant ist, gehört es dennoch – wie KiJuKu nachher anvertraut wurde, dazu. Es passt zum Charakter des Harlekins und macht einen Teil des Charmes dieses Spiels aus und sorgt immer wieder für Lacher. Da der Harlekin die Szenerie rund um den „armen Prinzen“ und die superreiche Prinzessin bald nach Beginn in die Atmosphäre einer Art Zirkusmanege verwandelt, holt er sogar wilde Tiere – als Spielfiguren, die sich auf dem Plattenteller eines alten tragbaren drehen…
Sehnsüchtig schaut der Prinz in Richtung einer mächtigen Schloss-Anlage – aus Karton-Häusern und -Türmen am Ende des dritten Tisches. Dort wohnen der mächtige Kaiser, seine Tochter, Hofdamen und, und, und… Der Prinz ist im Vergleich dazu arm, aber reich an Kreativität und Zuwendung. So pflegt er einen Rosenstrauch, der nur alle fünf Jahre blüht. Und auch da trägt sie nur eine Rose, die jedoch so intensiv und betörend riecht, dass es nicht nur eine Freude ist, sondern sie auch Sorgen vertreiben kann. Diese sowie eine Nachtigall, die alle Melodien der Welt singen konnte, ließ er ins Kaiserschloss liefern, um sich um die Prinzessin zu bewerben.
Doch diese verabscheute Rose und Vogel – weil „zu natürlich“.
Da verfiel der Prinz auf die Idee, sein Gesicht eher schmutzig zu bemalen und sich als Gehilfe beim Kaiser zu bewerben – er wurde Schweinehirt. Und hatten dabei noch genügend Zeit, um einen Zaubertopf zu bauen und später eine magische Ratsche. Als die Prinzessin von ersterem erfuhr, wollte sie den Topf haben, dessen Schellen Melodien spielten, sobald etwas kochte. Außerdem konnte man einen Finger in den Dampf des Topfes halten und dann riechen, wer und wo in der ganzen Stadt was gekocht hatte.
Zehn Küsse verlangte der „Schweinhirt“ dafür. Was sie erst nicht „zahlen“ wollte, dann aber siegte doch ihre Besitzgier, die Hofdamen müssten sich halt schützend davor hinstellen, damit niemand sie sieht…
Für die später produzierte Ratsche (im Original) – hier ein kleines Ringelspiel als Spieluhr – verlangte der Erfinder 100 Küsse – selbe Prozedur, doch die dauerte offenbar so lange, dass der Kaiser dies entdeckte, Hirten und Tochter verstieß – der Schau- und Puppenspieler zieht die drei Tische auseinander – einer für den Kaiser, einer für die Prinzessin und der dritte für den „Schweinehirten“, sprich Prinzen. Dazwischen unüberwindbare Gräben…
Nun bedauerte die Prinzessin, nicht den Prinzen mit Nachtigall und Rose genommen zu haben. Der Schweinhirt ergab sich zu erkennen. Sie verbeugte sich vor ihm, wollte zu ihm in sein für ihre Verhältnisse ärmliches Schloss, er aber „machte ihr die Tür vor der Nase zu. Da konnte sie draußen stehen und singen: Ach, Du lieber Augustin, Alles ist hin, hin, hin!“ – wie es in Andersens Märchen heißt.
Das hier dann doch ein wenig anders gespielt wird (Regie, Adaption, Musikauswahl und Choreografie: Aleksandar Nikolić; Kostüm-, Bühnen- und Puppendesign: Tanja Žiropadja). Wie sollten oder könnten die beiden doch noch zusammenkommen, fragt der Spiele das Publikum – und munter rufen die Kinder die unterschiedlichsten Varianten in Richtung Bühne. Da besteigt der Prinz den Korb eines fahrenden Ballons und schwebt dorthin, wo die Prinzessin tief gefallen ist…
Und setzt der Geschichte ein so vom Märchendichter nie gewolltes herkömmliches „Happy End“ auf.
„Malo pozorište Duško Radović“ gibt es seit knapp mehr als 70 Jahren. Fast 20 Jahre war es ein wanderndes Puppentheater, Anfang Juni (6.) 1968 konnte es ein eigens errichtetes Kindertheaterhaus im Zentrum der Hauptstadt – damals noch Jugoslawiens – beziehen. Gespielt wird schon lange sowohl für Kinder als auch für Jugendliche und Erwachsene, in erster Linie aber doch für ein junges und jüngstes Publikum, weshalb es sich auch den Namen Malo pozorište (Kleines Theater) gab.
Seit 2019 lädt das Wiener Figurentheater Lilarum immer wieder Gruppen aus mittel- und osteuropäischen Ländern (CEE Central and East-Europe) zu Gastspielen in der jeweiligen dominierenden Landessprache ein. In erster Linie spricht dieses Kindertheater in Wien-Landstraße (3. Bezirk) damit zwei- bzw. mehrsprachigen Familien mit Herkünften oder Verwandten in diesen Ländern an. Die Kinder können so auch – sonst eher selten – Theater in ihrer jeweiligen Erst- oder Familiensprache erleben.
Die jüngste Aufführung war die erste, wo im Anschluss Pädagog:innen mit den Kindern zweisprachig – in dem Fall Serbisch und Deutsch – einerseits das Stück, andererseits anhand von Zeichnungen Wörter besprochen haben.
Gleich am Sonntag, 7. April 2024 geht’s weiter – dieses Mal mit einem Gastspiel aus Bratislava (Slowakei) mit einem Märchenmix aus Aschenputtel, Hässlichem Entlein und weiteren Elementen – ein Puppenspiel über den Blick auf sich selbst und andere, Selbstachtung, Stolz und schiefe Spiegel wie es in der Ankündigung heißt – Details in der Info-Box ganz am Ende des Beitrages.
Bevor „Der Stoff, aus dem man Träume macht“ sich in knapp 1 ¼ Stunden dem übertragenen Sinn widmet, präsentiert sich die spätere gleichnamige Vorstellung von Zenith Productions für Theater und Musik sozusagen im wahrsten Sinn des Wortes verträumt-stofflich: Zwischen den Publikumsreihen vor der Holz-Tribüne unter dem großen alten Baum im kleineren Innenhof des Wiener Volkskundemuseums stehen fahrbare Holzteile mit lilafarbenen Stoffen umwickelt, die sozusagen jeweils kleine Zellen bilden.
Das ganze Gebilde wiederum ist von zarten, durchsichtigen gitterartigen Stoffbahnen umhüllt. In diese „Zellen“ begeben sich als es dann wirklich (fast) losgeht, die meisten der Schauspieler:innen, schminken sich dort, führen letzte Aufwärmübungen durch und reden wie sie sonst vielleicht auch vor dem Aufritt bei den letzten Handgriffen an Kostüm und Maske.
Wer sich kurz umdreht, sieht im Eingangsbereich des Museums-Hofes einen gebückten, alten Mann in weitem Mantel mit dickem Buch unterm Arm. Der kommt langsam auf die Menschen unter den Vorhängen zu. Diese öffnen ihre „Verschläge“, wandern mit den fahrbaren Holzteilen in Richtung Bühne. Ebenso der Mann mit dem Buch.
Dieser, Kari Rakkola, von dem das Konzept und die Regie sowie – gemeinsam mit Roland Bonimair – die Bühnenfassung zu dieser Märchenstunde stammt, beginnt aus dänischem Original des Dichters Hans Christian Andersen zu lesen, teils mit Schwedisch gespickt. Und es taucht die verbindende Figur des Abends auf, eine junge Frau in weißem Kleid und nur in Socken – „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ (Linda Pichler). Natürlich mit riesigen Streichhölzern in der Hand. Und sonst nichts – bis ihr die sterbende Großmutter (Deborah Gzesh, die wie alle ihre Kolleg:innen mit Ausnahme Pichlers) in gefühlt mindestens ein Dutzend verschiedener Rollen schlüpft), überdimensionale Stoff-Schlapfen überlässt.
Wohlhabendere Bürger:innen, die sie um milde Gaben bittet, wimmeln sie mit häufig gehörten, gängigen ab: „Geb dir nix, das wäre gar nicht gut für dich“, „gemein, dass dich deine Eltern betteln schicken“… – ausgerechnet von jenen werden ihr solche Sätze an den Kopf geworfen, die ihr gerade noch die Schlapfen weggenommen haben! Die schon genannte Gzesh verwandelt sich nun in eine Sängerin, die mit einem bekannten jiddischen Lied über bitterste Armut, die Atmosphäre des Mädchens mit den Schwefelhölzern vom Einzelschicksal auf ein gesellschaftlich verbreitetes Phänomen erweitert.
Das Andersen-Märchen über das Mädchen mit den Schwefelhölzern wird zum Türöffner anderer Märchen. Jedes Mal, wenn die zu ebener Erd auf den kalten Steinen wandernde Schauspielerin ein Streichholz anzündet, öffnen sich oben auf der Bühne zwei der fahrbaren Holzwände. Vinzent Gebesmair, Deborah Gzesh, Kari Rakkola und Karoline Sachslehner spielen Kürzestversionen oder zentrale Szenen eines von mehreren Andersen-Märchens. Dazu zählen die bekannten vom „standhaften Zinnsoldaten“ mit nur einem Bein und natürlich „Des Kaisers neue Kleider“, in dem Betrüger dem aufgeblasenen Herrscher ein Nichts von Gewand als das prachtvollste verkauften, der Hofstaat sich nicht traute, die Wahrheit zu sagen. Das Kind aus Andersen Märchens ist in dem Fall das Mädchen mit den Schwefelhölzern, das „aber der ist ja nackt“ als Einzige zu sagen wagt.
Wie in einigen der Jahre zuvor, in denen Zenith Productions für Theater und Musik diesen idyllischen Hof bespielte – das Museum soll renoviert werden und der Hof damit für einige Jahre nicht zur Verfügung stehen – wird das schauspielerische Geschehen, immer wieder auch mit Stoffpuppen-Szenen, auf und rund um die Bühne mehr als nur untermalt von Live-Musik. Muamer Budimlić spielt praktisch durchgängig atmosphärische Klänge, die von schon genannten jiddischen Liedern über finnischem schamanistischem Rock bis zu Johann Sebastian Bach, Dada und Tango reichen. Und heuer bedient er, wenn er nicht mit Tasten und Knöpfen seines Akkordeons Melodien erzeugt, per kleiner Fernbedienung noch eine „Traummaschine“. Paul Skrepek hatte eine skurrile aus unterschiedlichsten Elementen bestehende fahrbare mechanische Klangmaschine mit Walzen und Nägel, Federn und Blaseblag und noch allem Möglichem gebaut, die klimpert und bläst, trommelt und pfeift – und das Traumthema wunderbar ergänzt.
Der Abend bringt darüberhinau weniger bekannte Märchen – „Der Tannenbaum“, der endlich groß sein will, um ein Schiffsmast oder in dieser Version ein Maibaum werden zu können und sich freut, wenigstens als Weihnachtsbaum gefällt zu werden. Aber bald nach dem Fest aussortiert wird. Rakkola griff auch Motive aus „Ove Lukøje“ (Ole Luk-Oie) auf und baute als einziges Grimm’sche Märchen „Die Sterntaler“ ein.
Letzteres ist die einzige Szene, in der sich das Schwefelholz-Mädchen in eine andere Protagonistin verwandelt – und aus der Armut kommt indem es die vom Himmel fallenden Sterne als Taler auffängt. Als himmlischen Lohn dafür, dass es zuvor als armes Mädchen das letzte Stück Brot mit anderen Armen ebenso teilt, wie Mütze, Hemd und Rock. Während es als Mädchen mit den Schwefelhölzern von Wohlhabenderen ja sogar um die eigenen großen Filzpantoffel gebracht wurde wie oben beschrieben. Mit diesem Bogen entkommt der traumwandlerisch-märchenhafte Abend auch der Gefahr der Romantisierung von Armut, weil das Mädchen ja mit jedem Feuerchen aus einem der Streichhölzer eine neue farbenfrohe Geschichte gesehen hat. Zu sehen – meist rund ums Wochenende bis 23. Juli 2023 – Details, siehe Info-Box unten am Ende des Beitrages.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen